Integration in Deutschland 1/2004, 20.Jg., 15. April 2004

INITIATIVEN


Wegweiser und Netzwerke

Vielfältige Betreuung ausländischer Studierender


Studentin an der TU Chemnitz

Die über 220.000 ausländischen Studierenden, die an Deutschlands Hochschulen eingeschrieben sind, befinden sich in ganz unterschiedlichen Lebenslagen. Die Kultur des Heimatlandes, das dortige Bildungswesen, die gesamte Sozialisation stehen für viele in starkem Kontrast zu den Lebensverhältnissen in Deutschland. Die Organisation des Studiums und das Zurechtfinden im System Hochschule - sei es in der "Massenuni" oder in einem überschaubaren Fachbereich - fordern den jungen Studienanfängern aus dem Ausland hohe Anpassungsleistungen ab, denen sie ohne Beratung und Hilfestellung von außen wohl kaum gewachsen wären.

Vergleichsweise geringe Probleme dürften die rund 64.000 so genannten "Bildungsinländer" haben, die als Kinder ausländischer Eltern in Deutschland aufgewachsen sind und das deutsche Bildungssystem bereits "von innen" kennengelernt haben. Auch die meisten Studienanfänger aus den europäischen Nachbarländern haben räumlich und vor allem kulturell geringere Distanzen zwischen ihrer Heimat und Deutschland zu überwinden. Vor den größten Hindernissen und Orientierungsproblemen stehen zweifellos die Studentinnen und Studenten aus fremden Kulturkreisen und aus den so genannten Entwicklungsländern mit niedrigem Lebensstandard. Rechtliche Fragen des legalen Aufenthalts, die Planung und Organisation des Studiums, die Sicherung des Lebensunterhalts und die "Gewöhnung" an deutsche Lebensart - all dies erfordert ein hohes Maß an Intelligenz, an persönlicher Stabilität und Anpassungsfähigkeit. Wer nicht die Vorteile eines Stipendiums oder eines organisierten Austauschprogramms genießt, ist auf Hilfestellungen und Beratungsangebote angewiesen. Hier kommt nicht nur den offiziellen Beratungsstellen der Hochschulen wie akademischen Auslandsämtern und den AStEN (AStA: Allgemeiner Studentenausschuss, Organ der studentischen Selbstverwaltung) wichtige Bedeutung zu, sondern auch den kirchlichen Hochschulgemeinden, studentischen Netzwerken und privaten Initiativen, die in allen Universitätsstädten in Deutschland zu finden sind.

Hochschulgemeinden: für viele ein Stück Heimat

Die evangelischen Studentengemeinden und katholischen Hochschulgemeinden sind für viele ausländische Studentinnen und Studenten wichtige Treffpunkte, an denen nicht nur Beratung und materielle Hilfen - z.B. ein Platz im Studentenwohnheim - angeboten werden, sondern vor allem auch die von vielen vermissten sozialen Kontaktmöglichkeiten: Begegnung mit anderen Studenten in gleicher Situation, kulturelle Angebote, Diskussion und Dialog sind elementare Dinge gerade für Menschen, die aus Ländern mit sehr viel stärkeren sozialen Bindungen kommen als es bei uns heute der Fall ist. Das soziale Klima in Deutschland wird von vielen Studenten aus Entwicklungsländern als kalt und unpersönlich empfunden. Umso wichtiger ist deshalb die Aufgabe der Hochschulgemeinden, Studierende aus verschiedenen Nationalitäten untereinander und mit Deutschen zusammenzuführen und dadurch soziale Isolation zu verhindern. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Integration der ausländischen Studenten in die Hochschule, in das Gemeindeleben und zumindest temporär auch in die bundesdeutsche Gesellschaft.

Nicht selten sind die von den Kirchen getragenen Hochschulgemeinden (die ihre Angebote aber nicht als konfessionell eingeschränkt ansehen, sondern es allen Studierenden gleich welcher Religion zur Verfügung stellen) in größere Netzwerke eingebunden. Ein Beispiel: Das Netzwerk Ausländerstudium in Frankfurt am Main. Darin wirken nicht nur die Beratungsstellen und für Ausländer zuständigen Einrichtungen der Hochschule mit - Akademische Auslandsstelle, Studienkolleg, AStA -, sondern auch die evangelische und katholische Studentengemeinde, die Otto-Benecke-Stiftung, sowie die privaten Initiativen Frankfurter Arbeitskreis Ausländerstudium und Frankfurter Verein zur Förderung ausländischer Studierender in Not e.V. Trotz der spezifischen Aufgaben der einzelnen Einrichtungen verfolgen alle das gemeinsame Ziel, den ausländischen Studierenden bei der Lösung ihrer vielfältigen Probleme kompetente Beratung und Hilfe anzubieten. Durch die Vernetzung der verschiedenen Einrichtungen sollen die Ratsuchenden an die Stellen geleitet werden, die konkrete Lösungen anbieten können.

Hilfsfonds für Studenten in Not

In einer Reihe von Universitätsstädten haben sich Vereine gegründet, die ihren Zweck darin sehen, unverschuldet in Not geratenen ausländischen Studierenden materielle Hilfen anzubieten.

Viele Studenten aus Entwicklungsländern können ihr Studium nur mit Hilfe eines Stipendiums ihres Heimatlandes oder mit finanzieller Unterstützung ihrer Familie in Deutschland bestreiten. Bleiben die Geldzahlungen aus der Heimat einmal aus - Gründe dafür gibt es viele: wirtschaftliche Krisen, politischer Umsturz, Bürgerkrieg, Naturkatastrophen, Unglücksfälle im privaten Bereich -, so geraten die davon betroffenen Studenten unmittelbar in eine Notsituation, denn kein öffentlich Hilfsprogramm und kein soziales Netz des Heimatstaates fängt sie auf. Nicht selten sind diese Studenten gezwungen, ihr Studium kurzfristig abzubrechen und Deutschland zu verlassen. Um das zu verhindern und den Betroffenen über die "Durststrecke" hinwegzuhelfen, haben private Fördervereine Hilfsfonds gegründet, die sich aus Beiträgen, Spenden, Sponsorengeldern und durch Einnahmen aus kulturellen Veranstaltungen finanzieren. Die Hochschule für Kunst und Design Halle, Burg Giebichenstein, veranstaltet z.B. Kunstausstellungen mit Werken ihrer deutschen und ausländischen Studierenden und bringt einen Kalender heraus, dessen Verkaufserlöse dem Hilfsfonds zufließen (Internet: www.burg-halle.de).

Über die unmittelbare Hilfe im Einzelfall hinaus verfolgt der Förderverein als Träger des Hilfsfonds auch das wichtige Ziel, durch die Hilfen und anderen Aktivitäten ein Klima der Gastfreundschaft gegenüber den ausländischen Studierenden zu schaffen und somit ein Zeichen zu setzen gegen offene oder latente Fremdenfeindlichkeit, mit denen sich auch ausländische Studierende nicht selten konfrontiert sehen.

Was ist STUBE?

Eine wichtige Dimension des Ausländerstudiums - nämlich den entwicklungspolitischen Aspekt und die Auswirkungen auf die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Industrieländern und sogenannten Entwicklungsländern - greift das Studienbegleitprogramm für Studierende aus Afrika, Asien und Lateinamerika (STUBE) auf. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die rund 65.000 in Deutschland Studierenden aus diesen drei Kontinenten nach ihrem Studienabschluss, wenn Sie denn in Ihre Heimatländer zurückkehren, ein wichtiges Potenzial an Fach- und Führungskräften bilden, das für den Aufbau und die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Heimatländer von höchster Bedeutung ist. Dies jedenfalls ist die Erwartung ihrer Heimatländer, und auch die Industrieländer wie Deutschland - sowohl die staatliche Entwicklungszusammenarbeit als auch international operierende Unternehmen - verbinden mit den hier ausgebildeten Fachkräften den nicht ganz uneigennützigen Gedanken, dass hier die künftige Führungsschicht in den Herkunftsländern und mögliche Kooperationspartner für die Zukunft heranwachsen.

Mit diesem Thema sind viele komplexe Fragen verbunden: entsprechen die in Deutschland vermittelten Studieninhalte den tatsächlichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Heimatländer? Welches "Deutschland-Bild" nehmen die Studierenden mit nach Hause? Wie groß ist die "Gefahr", dass die Ausländer nach ihrem Abschluss in Deutschland verbleiben und somit dem Heimatland verloren gehen (das sogenannte Brain-drain-Problem)? Wie weit tritt durch den mehrjährigen Studienaufenthalt in Deutschland eine Entfremdung von der Kultur des Heimatlandes ein, so dass eine erfolgreiche soziale Reintegration nach der Rückkehr erschwert wird?

Mit diesen Fragen und den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für die Studierenden aus den sogenannten Entwicklungsländern befasst sich das Studienbegleitprogramm (STUBE) in verschiedenen Programmbausteinen: in Wochenendseminaren und Ferienakademien, durch die Förderung von berufsvorbereitenden Praktika und Studienaufenthalten in Afrika, Asien und Lateinamerika, durch die Unterstützung von entwicklungspolitischen Aktivitäten an den Hochschulen in Deutschland und durch Nachkontakt- und Alumniarbeit mit ehemaligen Teilnehmern des Programms.

Es gibt insgesamt zehn Studienbegleitprogramme bzw. Kontaktbüros in verschiedenen Universitätsstädten in Deutschland - das Programm wird durch den kirchlichen Entwicklungsdienst (KED) der evangelischen Kirche in Deutschland maßgeblich finanziert. Einige Programme werden zusätzlich durch Mittel aus Landeshaushalten, Stiftungen, katholischen Partnerorganisationen und durch Unternehmen der privaten Wirtschaft gefördert. In den verschiedenen Bundesländern werden die STUBEn von unterschiedlichen Trägern organisiert, sie verfolgen aber gemeinsame Ziele und betonen vor allem das vorrangige Prinzip der studentischen Eigeninitiative. Die ausländischen Studierenden selbst sind aufgefordert, die konkreten Programminhalte festzulegen und sich an der praktischen Umsetzung der Programme zu beteiligen. Neben den entwicklungspolitischen Aspekten werden auch die individuellen Fragen und Probleme der Studierenden aufgegriffen. In Zusammenarbeit mit den Akademischen Auslandsämtern und den kirchlichen Hochschulgemeinden werden die Studierenden in Fragen des Studiums und der Vorbereitung der Rückkehr und Reintegration im Heimatland beraten. Die STUBEn wollen damit einem selbst gestellten Anspruch gerecht werden: nämlich daran zu erinnern, dass es im viel zitierten "Wettbewerb um die besten Köpfe" nicht nur um Köpfe, sondern auch um Menschen geht, die Bedürfnisse und ein Recht auf angemessene Unterstützung haben (aus dem Flyer "STUBE stellt sich vor").

Kontakt:
ESG Geschäftsstelle, KED-STUBE Referat
Berliner Str. 69, 13189 Berlin,
kedstube@bundes-esg.de , www.bundes-esg.de 


Autor: Martin Zwick, isoplan

Weitere Hilfs- und Notfonds für ausländische Studierende:

  • Ökumenisches Zentrum für ausländische Studierende (Ö.Z.A.S. e.V.) Berlin, www.esgberlin.de

  • Hilfe für ausländische Studierende in Leipzig e. V., c/o Akademisches Auslandsamt der Universität Leipzig, Goethestr. 6, 04109 Leipzig, richter@bum.htwk-leipzig.de, www.stura.uni-leipzig.de

  • Hilfsfonds für ausländische Studierende an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster e.V., www.uni-muenster.de

  • Hilfe für ausländische Studierende in Bochum e.V, www.ruhr-uni-bochum.de

  • Notfonds für ausländische Studierende in Hildesheim e.V., www.notfonds-hildesheim.de

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Elternkongress: Von Spaniern lernen

 

"Meine Tochter, wo willst du hin?" hat Vater Nihat Murad nach der vierten Klasse gefragt. "Vater, der Lehrer sagt, ich soll auf die Gesamtschule, aber ich glaube, ich schaffe das Gymnasium", antwortete das Mädchen. Bis dahin habe sie meist Dreien und Vieren nach Hause gebracht, dennoch vertraute der Vater auf das Urteil der Tochter und schickte sie aufs Gymnasium. Jetzt sei sie dort die Klassenbeste. In der Grundschule habe sie noch nicht gut Deutsch gesprochen, so dass sich die Klugheit nicht in den Noten widerspiegelt habe, sagt er und schlägt vor: Die Kinder sollen bis zur 10.Klasse zusammenbleiben und die Muttersprachkenntnisse gleichberechtigt in die Bewertung hinzugezogen werden. "Das System ist ungerecht zu unseren Kindern!" ruft er noch.

Der türkische Familienvater aus Remscheid erntet viel Applaus für seine Geschichte. Auch der Staatssekretär Elmar Schulz-Vanheyden vom Landesschulministerium wird wegen des eigentlich selbstverständlichen Satzes heftig beklatscht: "Alle Kinder haben das Recht auf den gleichen Zugang zur Schule und Bildung". Rund 1000 Teilnehmer, jung und alt, Männer und Frauen, mit Kopftuch und ohne, organisiert im Verein und einzeln, sind zum ersten Elternkongreß für Migranten in Nordrhein-Westfalen nach Essen gekommen, um über die schwierige Beziehung zwischen Familie und Schule zu diskutieren. 55 Prozent der Gäste gehören zur türkischen Ethnie, der Rest sind Deutsche bzw. Aussiedler sowie viele weitere Nationalitäten. Die Anregung stammt vom Landesforum Bildung und Erziehung, das vor zwei Jahren gegründet worden ist.

"Viele reden über Eltern, wenige mit ihnen", meint der Gastgeber, der NRW-Integrationsbeauftragte Klaus Lefringhausen. Aber sogar auf diesem Kongreß entsteht der Eindruck, die eingewanderten Eltern seien alle ihre Probleme los, wenn sie erst gut Deutsch gelernt und sich über das dreigliedrige Bildungssystem informiert haben. Das stimmt nicht. Viele Neueinwanderer finden trotz guter Ausbildung nur Arbeit unter ihrer Qualifikation. So fällt es schwer, den Kindern vorzuleben, dass es sich lohnt zu lernen. Das Thema Antidiskriminierungsgesetz wurde jedoch nur am Rande erwähnt.

Auch haben Eltern in der Schule hierzulande generell nicht viel zu sagen. Aber immerhin: Sie können bei der Klassenfahrt mitfahren, um sich selbst zu überzeugen, dass dort nichts Unerlaubtes passiert, schlägt Mouna Messadi-Gharbi vom Deutsch-Tunesischen Elternverein vor. Sie können Feste mitorganisieren, beim Unterricht hospitieren und notfalls die Kinder zur kostenlosen Nachhilfe in die Jugendzentren schicken. Die tunesische Mutter sieht auch die Schule in der Pflicht: Diese könnte auch mal ein Familiencafe gründen, die Muttersprachlehrer zum Elternabend bitten und Betreuung für die kleinen Geschwister organisieren, damit die Frauen kommen können.

Von den spanischen Elternvereinen lernen, heißt "Siegen lernen". Die frühzeitige Selbstorganisation der spanischen Gastarbeiter bereits in den 60er Jahren ist ein vielzitiertes Vorbild. Mit Hilfe der katholischen Kirche und der Caritas hatten die Einwanderer der ersten Generation Vereine gegründet, die selbstbewusst gegen isolierte "Nationalklassen" und für die Eingliederung der spanischen Kinder in die deutsche Regelschule eintraten. Die "Padres de familia" forderten jedoch ebenso den ergänzenden Muttersprachunterricht - nicht nur um eine eventuelle Rückkehr zu erleichtern, sondern auch um die Identität der Kinder zu stärken. Das klare Konzept und die flächendeckende Organisation verhalfen zum Erfolg. Eine Untersuchung der Uni Münster von 2002 zeigt, dass spanische Schüler die besten Abschlüsse im Vergleich zu den Angehörigen anderer ehemaligen Anwerbeländer erreichen: Fast 70 Prozent erlangen die Fachoberschulreife und höher. Die jungen Erwachsenen behaupten sich auch auf dem Arbeitsmarkt: Sie sind seltener von Arbeitslosigkeit betroffen und machen häufiger Karriere.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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