Ausländer in Deutschland 3/1999, 15.Jg., 30. September 1999

GLOSSE

Wenn Türken Verkehrsunfälle türken, ...

 

dann stimmt so manches nicht. Nein, nicht nur, was Sie jetzt denken! Sie denken nämlich, da hat sich ein Journalist aber ein plattes Wortspiel einfallen lassen (hier als Überschrift in der Stuttgarter Zeitung vom 21.6.1996). Sie wissen, liebe Leserschaft, welche politische Spezies bei dergleichen besonders gerne "Hurra" schreit, nicht wahr? Aber die - liegen sowieso falsch. Nicht nur mit ihren unreflektierten Sprüchen, nein auch damit, was es mit dem Verb "türken" in Wahrheit auf sich hat. Es kommt aus dem militärischen Bereich, meint "ein parademäßiges Vorexerzieren bei militärischen Besichtigungen", und der Begriff ist schon über 100 Jahre alt. - Mit dem "Hurra"-Schreien sollten gewisse Kreise allerdings sowieso vorsichtig sein. Das ist nämlich türkisch-osmanischen Ursprungs, die Verballhornung des Angriffsgeschreis "Vurha!" ("Schlag los!"), und der gellte abendländischen Heeren nach der Schlacht oft noch lange unangenehm in den Ohren. Wobei man letztere seinerzeit mit "Türkenblut" wieder ölen konnte - um 1716 gab man in den Kasinos einem ausgezeichneter Rotwein diesen trefflichen Namen. Auch "Türkenblut" klingt natürlich etwas gruselig. - Ob sich da ein "Kümmeltürke" besonders gekränkt fühlen könnte? Eigentlich nicht. Sollte jemand ein echtes Exemplar der Gattung "Kümmeltürken" treffen - ganz entspannt bleiben! Dieser Gute würde vielleicht einfach nach dem Weg fragen, und das auf Deutsch, mit einem hübschen Akzent Halle'scher Prägung. Wie gesagt: eigentlich. Denn immerhin noch zu Beginn des 19. Jahrhundert betitelte man so die Studenten aus der Gegend um Halle, in deren Region viel Kümmel angebaut wurde.

Natürlich werden Sie stutzig, wenn ein Halle'scher "Kümmeltürke" oder sonstwer Ihnen mal in Saarbrücken mitteilt, er möchte "in die Türkei" und das auch noch zu Fuß. Aber dann zeigen Sie ihm einfach den Weg ins Bohnental. Dort hat das Saarland nämlich seine eigene "Türkei", von dort sollen angeblich viele Familien in die Türkei ausgewandert sein. Migration einmal umgekehrt; ein Reiseführer aus den frühen 1950ern bespricht dies noch ganz ausführlich. - Machen wir aber mal kein "Hekmek" um die Sache. Dafür hatten andere weit mehr Anlaß! Jene türkischen Gefangenen in Berlin etwa, die in ihrem Hunger laut nach "Ekmek", also Brot, gerufen hatten. Ihre sprachlich ungebildeten Aufseher lagen mit der Antwort "macht doch kein Hekmek" ziemlich daneben. Möge ihnen sodann ein Wachhund ins Hinterteil gebissen haben, vielleicht einer namens "Türk" oder "Sultan". Das waren in den vergangenen Jahrhunderten äußerst beliebte Hundenamen, gegen die sich auch deutsche Schäferhunde nicht verwahrt haben sollen.

Wollen wir mal hoffen, daß wir mit diesem Artikel keinen "Türken gebaut" haben. Das war schon beim allerersten seiner Art eine wirklich peinliche Angelegenheit: 1895, die Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Kanals steht bevor, und alle seefahrenden Nationen sollen mit ihrer Nationalhymne begrüßt werden. Nur für die osmanische Flotte fehlen dem deutschen Marinekorps die Noten. Man improvisiert kurzerhand "Guter Mond, du gehst so stille" - und "baut" damit den nachweislich ersten "Türken". Seither ist die deutsche Sprache um ein Sprichwort reicher, dessen ursprünglicher Sinn sich heute genauso in der Geschichte verliert, wie die Story mit den Türken, die Autounfälle türken..


Autorin: Margret Spohn

Den Ursprung der hier verarbeiteten Begriffe sowie zahlreicher Vorurteile hat Margret Spohn für ihre 1993 erstellte Diplomarbeit "Alles getürkt" recherchiert. Sie erschien auch in der Türkei unter dem Titel "Her sey türk isi". Leider sind beide Buchausgaben vergriffen. Doch die deutsche Version steht vollständig im Internet unter
http://www.bis.uni-oldenburg.de/bisverlag/spoall93/spoall93.html.

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