Ausländer in Deutschland 4/1999, 15.Jg., 20. Dezember 1999

FESTE


Karagöz, Karneval und Halloween

Bei Festen bleibt nichts wie es war - und so war es schon immer


Amerikaner feiern...


...Halloween in Heidelberg

Wer denkt, dass sich die Traditionen erst seit diesem Jahrhundert verändern, der irrt. Es geht nur alles schneller als früher. Nicht nur, dass die Deutschen Bräuche oder Teile aus Festtraditionen aufnehmen, nein auch die Zuwanderer nehmen Symbole aus der deutschen Festkultur in die ihre auf.

Wer im Oktober aufmerksam durch die Straßen lief, konnte orangefarbene Kürbisse mit eingeschnitzten Gesichtern sehen. Sie standen von innen erleuchtet lächelnd vor den Haustüren oder als Tonkürbis mit gruseligem Gesichtsausdruck hinter den Fensterscheiben. In Drogeriegeschäften und Schreibwarenläden wunderte sich mancher über Kürbisgirlanden, Kürbisservietten, Horrormasken und Scherzartikel makabrer Art, wie wir sie eigentlich erst zu Fastnacht gewohnt sind. Aber nein, es waren keine Faschingsartikel, die noch früher als sonst angeboten wurden, sondern Halloween-Utensilien. Halloween war einst ein keltisches Totenfest und wird in den USA als Party für Jung und Alt mit gruseligen Masken und vielen Scherzen gefeiert. Für viele Käufer in Deutschland passen die Kürbisse ganz einfach sehr gut in die herbstliche Erntezeit. Und die Industrie freut sich über einen neuen Absatzmarkt.

Selbst, was uns alt und ewig erscheint, ist häufig jung und neu. Das Weihnachtsfest zum Beispiel wurde erst vor hundert Jahren zu einem Bescherfest für Kinder. Und der Weihnachtsbaum verbreitete sich erst im 18. Jahrhundert. Das Fernsehen, das weltweit Symbole und Traditionen der verschiedenen Kulturen ausstrahlt, hat dazu geführt, dass auch in Hongkong oder Kairo geschmückte Christbäume vor den Kaufhäusern stehen. Nicht nur die Deutschen nehmen also andere Bräuche oder Aspekte fremder Kulturen auf. Wer lange in einem Land lebt, kann sich den großen Festen kaum entziehen. So nimmt es kein Wunder, daß die Kinder eines seit 30 Jahren in Mannheim lebenden Aleviten aus der Türkei so lange vehement einen Weihnachtsbaum mit Geschenken forderten, bis die Eltern nachgaben und seitdem diesen Teil des Weihnachtsfestes zelebrieren.

Und auch die fünfte Jahreszeit, die Fastnacht, war schon immer offen für Kulturkontakte. Bereits im 18. Jahrhundert waren vielerorts venezianische Verkleidungen beliebt, und als Großbritannien und Fernost ihren wirtschaftlichen Einfluß verstärkten, wurden in den Umzügen fernöstliche Figuren gezeigt. Seit einigen Jahren fahren im Frankfurter Karnevalsumzug türkische Motivwagen mit. Einmal saß der türkische Schalk Nasreddin Hodscha hoch oben auf einem Wagen verkehrt herum auf seinem Esel, oder die Spaßmacher und Schattenfiguren Karagöz und Hadschivat begrüßten die Zuschauer mit einem "Karagöz Helau", "Hadschivat Helau". Diese aufwendigen Motivwagen wurden von türkischen Frankfurtern gestiftet. In den letzten Jahren waren allein im 1. Frankfurter Gardecorps Mädchen aus insgesamt 24 Nationen aktiv vertreten. Und wenn die Trainerinnen der Garden schlau sind, schöpfen sie Anregungen aus den traditionellen indischen, marokkanischen, serbischen u. a. Tänzen, die viele der Mädchen beherrschen. Der erste ausländische Kölner Kinderkarnevalsprinz, dessen Familie aus Kerala stammt, sprach vor einigen Jahren in Frankfurt auch auf dem Onam Fest, dem Erntefest der Keralesen. Eine Karnevalsrede auf dem Onam-Fest - das entspricht ganz und gar nicht dem üblichen Festablauf. Dennoch waren die Frankfurter Keralesen nach seiner "schon mehr als hundertmal vorgetragenen Karnevalsrede" in perfektem Kölner Dialekt sehr stolz auf ihn.
Bei den Festen bleibt nichts wie es war und so war es schon immer - bei den Zuwanderern wie bei den Deutschen.


Autorin und Fotos: Claudia Emmendörfer-Brößler

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"Der Sultan hat Durscht"

"Freunde alaaf!" kommt der närrische Gruß aus dem Anrufbeantworter von Nihat Kökce und Sylke Kuhlmann. "Es ist Karneval, und wir sind unterwegs". In den sechs Wochen vor Aschermittwoch macht sich der 38jährige Medizintechniker aus der Türkei keine Gedanken, wo er seine freie Abende verbringen soll. Er tut es auf Karnevalssitzungen in Linz und Umkreis. Er muß sich auch nicht jedes Jahr aufs Neue den Kopf zerbrechen: Als was gehe ich jetzt? Er geht als grün-weißer Husar.

In enger Hose und taillierter Jacke tingelt Kökce mit seinem Corps von einer Sitzung zur anderen: auf die Bühne steigen, tanzen und Fanfare spielen, Bier trinken, Witze machen, Lieder schmettern und schunkeln. Bützje, Strüßje, Stippeföttchen - diese geheime Sprache kennt Kökce aus dem Effeff. Seit 12 Jahren mischt er aktiv beim organisierten Frohsinn mit. Seine Faszination für den Karneval hält noch länger. Seitdem die Eltern den damals Sechsjährigen aus der Türkei an den Rhein holten, hatte er sich oft den "Zoch" angeguckt und der Kamelle nachgejagt. Leider gab es in seinem Ort Leubsdorf keine uniformierte Garde. Na, dann halt selbst eine gründen. "Heute haben die "Blau-Goldenen" hundert Mitglieder", erzählt er stolz. Zu den "Grün-weißen" wechselte Kökce, als er nach Linz umzog.

Die Karriere gipfelte 1998 in der Ernennung zu Seiner Tollität Prinz Nihat I. aus dem Morgenland, als sein Verein an der Reihe war, die Symbolfigur des Karnevals zu stellen. "Ich wollte einfach den Leuten den Spaß am Karneval vermitteln. Klar, der Prinz wird überall eingeladen, überall hofiert, egal, wo er auftaucht, wird er herzlich empfangen". Für ein Jahr zog er die traditionsreiche rotgestreifte Jacke an und nahm die Insignien der Macht in die Hand. Es war die erste närrische Hoheit, die auch Bauchtanz konnte.

"Er war ein guter Prinz", erinnern sich die Linzer. "Ein echt Linzer Jung und genauso jeck wie wir", bescheinigte ihm der Karnevalspräsident. Niemals habe sich einer aufgeregt: "Was fällt euch eigentlich ein, einen Türken zum Prinzen zu ernennen?!" sagt Kökce. Die traditionellen Vereine sind doch als Altherrenriegen verrufen, die plumpe Witze über Frauen, Ausländer und Arbeitslose reißen? "Nun, - erwidert der Lokalpatriot Kökce, - Witze über Minderheiten macht man das ganze Jahr über, aber hier in Linz, von der Bühne - nein".

Erst als Prinzenpaar haben Nihat und Sylke erkannt, wieviel Arbeit und Organisation hinter der Fröhlichkeit steckt. Zu den Pflichten eines jeden Prinzen gehört nämlich, auf allen Veranstaltungen aufzutreten, Schulen, Kindergärten, Firmen und unzählige Familien zu besuchen und um Spenden zu werben. Sieben Wochen Urlaub haben kaum ausgereicht, um alle Termine zu bewältigen, die am frühen Morgen anfangen und spät nach Mitternacht enden. Eine Mordsarbeit, undenkbar ohne die vielen guten Geister des Karnevals. An sie alle dachte Nihat I., als er am Ende seiner Regierungszeit mit Tränen der Rührung sagte: "Heimat ist, wo man Freunde hat. Und ich habe hier sehr viele".

Nun ist der Ex-Prinz wieder ein einfacher Husar und freut sich darüber, daß seine Pflichten das Aufbauen von einer Trennwand auf der Bühne nicht übersteigen. Titel sind Schall und Rauch, aber ganz Linz kennt ihn immer noch. Was sagen seine Eltern und Geschwister eigentlich zum karnevalistischen Engagement? Die Ernennung zum Prinzen sei der Wendepunkt zu einer total jecken Familie gewesen, sagt Kökce. Der Vater ist zwar schon in die Heimat zurückgekehrt, unterstützt aber den Verein mit Geld, und darf sich dafür mit dem Ehrentitel "Senator" und einer grünen Jacke schmücken. Kökce`s 13jähriger Sohn spielt Blockflöte bei den Stadtsoldaten. "Das gehört zur Kultur hier", so der türkischstämmige Rheinländer. "Wir müssen um mehr ausländische Kinder in den Vereinen werben". Und seine fünfjährige Tochter könne immer noch nicht glauben, daß jemand anders als Papa die Linzer Narren regiert. Sie weine jedesmal beim Lied: "Die Karavane zieht weiter, der Sultan hat Durscht...". Diese CD hat sich nämlich in Linz unter der Herrschaft von Nihat I. aus dem Morgenland bestens verkauft.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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