Ausländer in Deutschland 4/1999, 15.Jg., 20. Dezember 1999

MILLENIEN

Wie die Feste fallen

Entspannung im Jahrtausendstress

Die einen können nicht genug Silvester 1999 kriegen und rasen, so das Konto es erlaubt, mit Concordes durch die Zeitzonen, um vermeintlich das einmalige dieser Nacht zu vervielfältigen. Die anderen wehren heftig ab: "Was gibt's denn da zu feiern? Die Zählung ist falsch, weil es kein Jahr 0 gab; also beginnt das neue Jahrtausend erst 2001..." AiD rät Ideologen beider Richtungen zur Gelassenheit und empfiehlt einen dritten Weg: Feiern Sie einfach, soviel Sie wollen! Stressfrei übers Jahr 2000 verteilt gibt es eine Vielzahl von Neujahrsfeiern. Experten dafür finden wir unter den Migranten verschiedener Kulturen in Deutschland.

Zwar bestimmt der Gregorianische Kalender den Zeitrhythmus der meisten Kulturen dieser Welt, jedenfalls insoweit sie mit anderen Kulturen kommunizieren bzw. an der Weltökonomie teilhaben. Doch dabei vergessen wir leicht, dass dies nur eine der möglichen Übereinkünfte zur Zeitmessung ist. Und das gilt bereits in Bezug auf die christliche Zeitrechnung. Östliche orthodoxe Kirchen haben bis heute den Julianischen Kalender beibehalten, den frühe Christen nutzten. Eingeführt hat ihn im Jahre 46 unserer Zeitrechnung (u.Z.) Julius Cäsar, der dafür bis heute mit dem Monatsnamen Juli(us) geehrt wird. Cäsar beschloss nach einer Ägyptenreise (vielleicht hatte er unter anderem ein Rendezvous mit Cleopatra verpasst), den dortigen Sonnenkalender anstelle des alten römischen Mondkalenders einzuführen: Die neue Zählung sollte mit den Jahreszeiten übereinstimmen. Das Jahr 46 u.Z. verlängerte er per Dekret erst einmal auf 445 Tage, und fortan war im Vierjahresrhythmus je ein Schalttag einzuführen. Allerdings trat dann doch wieder eine spür- und berechenbare Verschiebung ein. Im 16. Jahrhundert betrug sie bereits 10 Tage, wie Papst Gregor XIII als Ergebnis einer Auftragsforschung erfuhr. Gregor ordnete an, im Jahr 1582 habe auf den 4. Oktober unmittelbar der 15. zu folgen, und fürderhin sei bei je drei von vier Jahrhundertwenden der Schalttag zu streichen: (2000 gehört zu den Schaltjahren). Die katholischen Länder Europas hatten mit dem päpstlichen Dekret keine ideologischen Probleme, sie übernahmen 1587 die Gregorianische Zeitrechnung.

Zeit ist nur dadurch, dass etwas geschieht...

Das englische Parlament dagegen beschloss erst 1752, den "Neuen" Kalender zu übernehmen, mit eigenem Zeitsprung vom 2. auf den 14. September. Der Gregorianische (oder Neue) Kalender verbreitete sich per kolonialer Anordnung in vielen Ländern. Als letzter europäischer Staat führte ihn 1923 Griechenland ein. Das Nebeneinander von Julianischem und Gregorianischem Kalender hat zur Folge, dass bestimmte christliche Feste östlicher und westlicher Kirchen heute an verschiedenen Tagen gefeiert werden. Und Neujahr, in Russland zum Beispiel, ebenso.

Ein paar Tage Abweichung zwischen gregorianischer und julianischer Zählung sind nicht viel. Aber auch das eine Jahr Differenz im innergregorianischen Streit ist vernachlässigenswert im Vergleich zu den erheblichen Unterschieden zwischen den Kalendern der großen Weltreligionen. Sie maßen glaubensgeschichtlich wichtigen Ereignissen jeweils soviel Bedeutung bei, dass diese den Beginn einer eigenen Zeitrechnung rechtfertigten - immer rückdatiert, mehr oder weniger präzise rekonstruiert. Zeitvergleiche werden zusätzlich dadurch erschwert, dass in einigen Fällen der Lauf der Sonne, in anderen der des Mondes die Länge des Jahres bestimmt, und außerdem Kombinationen aus Mond- und Sonnenjahr möglich sind.

So fällt nach dem am Mondlauf orientierten Hidschra-Kalender des Islam Neujahr nur alle 32,5 (Sonnen-)Jahre auf den gleichen Tag, denn Mondjahre sind rund 11 Tage kürzer als Sonnenjahre. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass wir im gregorianischen Jahr 2000 gleich zweimal das Fest des islamischen Fastenbrechens feiern können, wobei die zweite Gelegenheit dazu diesmal mit dem gregorianischen Weihnachten zusammenfällt. Am 5.April beginnt das Jahr 1421 nach der Hidschra, d.h. nach dem Auszug des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina. Die Anhänger runder oder besonders großer Jahreszahlen seien daran erinnert, dass die am Mondjahr orientierten Kalender die Sonnenkalender rein rechnerisch früher oder später überholen werden. Schon lange geschehen ist dies in Bezug auf den Kalender der Iraner und der Kurden. Ihre Zählung geht ebenfalls auf die Hidschra zurück; ihr Neujahr fällt jedoch nach dem Sonnenkalender immer auf den Frühlingsanfang - am 21. März beginnt 1379 AH. Feiern können wir dies ab 20. März 18:34 Uhr, denn mit dem Sonnenuntergang beginnt bereits der neue Tag (Messung: Frankfurt). Gleichzeitig geht die Bahá'i Religion erst ins junge Jahr 157 (ab Verkündigung des Báb), was ihrem Erfolg als große Weltreligion jedoch keinen Abbruch tut.

... und nur dort, wo etwas geschieht (E. Bloch)

Die schöne Zahl 2000 haben wir - interkulturell gesehen - allerdings schon mehrfach hinter uns gebracht. In indischen Terminplanern steht neben der Jahresangabe 2000 u.Z. die Zahl 2078 als national verbindlich, wobei weitere, regional verschiedene Kalender bis heute fort bestehen. Noch mehr Entspannung im Milleniumstress bietet sodann die Orientierung am buddhistischen Kalender, nach dem das dritte Jahrtausend schon zur Hälfte zurückgelegt ist. Demgemäß bietet der 19.3.2000 u.Z. Gelegenheit, mit einer Vielzahl buddhistischer Gläubiger ein eher unspektakuläres Jahr 2543 zu begrüßen. Und wie wird erst die gregorianische 2000er Euphorie oder Kritik relativiert, wenn wir, dem jüdischen Kalender gemäß, mit dem Rosch ha-Schana am 1.10.2000 u.Z. ins Jahr 5760 eintreten.

13 Daten für Neujahr im Jahr 2000 u.Z. sind im Kalender der folgenden Seiten aufgeführt, und das ist nur eine Auswahl aus der weltweiten Vielfalt der Glaubensansätze und der Möglichkeiten - Anlässe genug, die eigene Berechnungsgrundlage entspannt zu betrachten. Für alle Fälle sei aber noch der 1. April erwähnt. Er war bis 1546 u.Z. der hierzulande übliche Neujahrstag; sodann aber setzte König Karl IX von Frankreich den 1. Januar dafür fest. Protestierende Untertanen, die unbedingt am 1. April festhalten wollten, wurden in der Folge zu den ersten Zielscheiben von Aprilscherzen: Man gab ihnen Scheingeschenke und lud sie zu angeblichen Festen ein. Vielleicht bietet sich der 1. April 2000 an, Dogmatiker eines angeblich einzig richtigen Jahrtausendwechsels zu einem fröhlichen Beisammensein einzuladen. Bei Sekt und Selters - und ganz real.

Empfehlenswert zum Weiterlesen:

Claudia Emmendorfer-Brößler: Feste der Völker - ein multikulturelles Lesebuch. Hg. vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt M. 1999, VAS Verlag, DM 34,80 (Feste aus aller Welt und wie sie gefeiert werden, auch von Zuwanderern in Deutschland. Band 2: pädagogischer Leitfaden)

Margo Westrheim: Kalender der Welt. Eine Reise durch Zeiten und Kulturen. 1999 Herder Verlag, DM 16,80 (Geschichte der Zeitrechnungen, interkulturelle und interreligiöse Fragen)

Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. (Hg): Interkultureller Kalender 2000 (großer Wandkalender für Kinder und Pädagogen) Tel.: 02 28/65 55 - 70, Fax: - 41


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.