Ausländer in Deutschland 1/2000, 16.Jg., 31. März 2000

ETHNISCHES MARKETING

Graue Listen, schwarze Schafe

Versicherungen entdecken Deutsch-Türken als Kunden

"Türken horten normalerweise Geld unter dem Kopfkissen," sagt Attila G. auf die Frage, wie seine Landsleute ihr Sicherheitsbedürfnis befriedigen. "Aber nach einer guten Beratung schließen vor allem junge Türken und Selbständige zunehmend Versicherungen ab." Der agile Türke gehört zur neuen Generation der türkischen Versicherungsvertreter. In Ballungsräumen mit einer großen türkischen Population entdecken sie einen interessanten Markt. Das isoplan-Institut hat im Dezember 1999 eine "Marktstudie über den deutschen Versicherungsmarkt: Zielgruppe Türken" erstellt.

"Ältere Türken träumen immer noch von einer Rückkehr in die Heimat," so Sahin D., der im Stuttgarter Raum Versicherungen verkauft. Deshalb sparen sie Bargeld oder Gold, überweisen Geld in die Türkei oder kaufen dort Häuser. "Die Türken der zweiten und dritten Generation haben hingegen die Einsicht, daß sie wohl in Deutschland sterben. Sie bauen sich hier ihr Nest." Dafür brauchen sie - wie ihre deutschen Landsleute - Ersparnisse und finanzielle Sicherheit. Diese erhoffen sie sich von Bausparverträgen oder neuerdings zunehmend von Lebensversicherungen. Genau hier aber hat bisher für viele Deutsch-Türken ein langer und oftmals diskriminierender Weg durch die Instanzen begonnen.

"Wir müssen zwar jeden nehmen, aber es gibt ja Wege, Kunden abzuschrecken". Unumwunden gibt der deutsche Agent einer namhaften Versicherung seine Ablehnung türkischen Versicherungsnehmern gegenüber zu. Mit komplizierten schriftlichen Anträgen, uninteressanten Tarifen und langen Antragsfristen schreckt er Türken ab, die ein Auto versichern wollen. "Zur Not schicken wir sie zum ADAC. Nur wenn gleichzeitig eine Sachversicherung abgeschlossen wird, ist ein Türke ein interessanter Kunde."

Zwar sind Ausländerklauseln oder Ähnliches gerichtlich mehrfach für unwirksam erklärt worden (vgl. AiD 4/99). Dennoch ist die diskriminierende Praxis bei einigen deutschen Versicherungen immer noch gang und gäbe. Viele legen ihren Vertretern durch Nennung unerwünschter Nationalitäten auf - freilich nicht publizierten - "Grauen Listen" nahe, auf diesen Kundenkreis zu verzichten. Geringe Zahlungsmoral, hohes Risiko und unrentabler Schadensverlauf werden als Gründe für die Ablehnung von Türken oder Albanern in der Haftpflicht- und Sachversicherung angegeben. Es gibt eine Beschwerdemöglichkeit beim Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen.

Ganz anders sieht die Sache bei den für Gesellschaften und Vertreter lukrativen Lebensversicherungen aus. Findige türkische Versicherungsvertreter erkannten ihre Landsleute als erste als neuen Markt. Die türkische Sprache und türkische Umgangsformen öffneten ihnen viele Türen. "Schwarze Schafe" nutzten den Vertrauensvorsprung und die Unkenntnis ihrer Landsleute aus. Doppelversicherung, unklare Klauseln, lange Vertragslaufzeiten oder zusätzliche Gebühren sind nur einige der Missverständnisse, die auftraten. Gültig waren die in arglosem Vertrauen auf den Berater blindlings unterschriebenen Verträge in deutscher Sprache. Das böse Erwachen bei den hoffnungslos überversicherten Türken kam mit den ersten Rechnungen. Nach Befragungen des isoplan-Instituts zahlen berufstätige und selbständige Türken in Deutschland im Monat durchschnittlich rund 280 DM Versicherungsprämien - 100 DM mehr als der gesamtdeutsche Durchschnitt. Auch wenn man diese Zahlen nicht direkt vergleichen kann, zeigen sie doch die umfassende Versorgung der befragten Türken mit Versicherungen.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht: Die schlechten Erfahrungen mit unseriösen Vertretern haben sich unter den Türken herumgesprochen. Die meisten schwarzen Schafe sind vom Markt verschwunden. Vor allem die 2. Und 3. Generation lässt sich lieber von einem seriösen deutschen oder türkischen Vertreter in dessen Büro beraten. Doch an wen sollen sich die älteren Türken wenden, die nicht gut Deutsch sprechen? Ein Vertreter nennt sie die "bauspargeschädigte" Generation: Sie kennen nur den Bausparvertrag und schließen ihn ab, ohne zu überlegen, ob nicht eine Versicherung für ihren Zweck geeigneter wäre.

Nach der Autoindustrie und manchem Konsumgüterhersteller beginnen Kreditinstitute und Versicherungsgesellschaften die Türken als wichtige Zielgruppe zu entdecken. In deutschen Tageszeitungen wird mit türkischsprachigen Anzeigen um Kunden geworben (vgl. AiD 2/97). Zweisprachige Mitarbeiter bedienen türkische Kundschaft. Noch haben längst nicht alle Gesellschaften auf den Wandel innerhalb der türkischen Kundschaft reagiert. Doch die Tage sind gezählt, an denen türkische Kunden abgelehnt werden. Denn eins steht fest: In den Händen türkischer Kunden befindet sich viel Kapital. Im Gegensatz zu den Gastarbeitern der ersten Generation überweisen deren Kinder und Enkel kaum noch Geld in die Türkei. Auch das Kopfkissen hat als Sparkasse ausgedient. Die jungen Deutsch-Türken wollen in Deutschland sparen und in Wohneigentum oder ein eigenes Geschäft investieren. Und dazu brauchen Sie die Leistungen deutscher Kreditinstitute und Versicherungen.

"Ethno-Marketing" heißt denn auch ein neues Modewort in Managementkreisen. Dahinter stehen Ansätze eines differenzierten Marketings: Die bislang sträflich vernachlässigten Migrantengruppen sollen kultur- oder nationalitätenspezifisch und mit einem muttersprachlichen Beratungsangebot als neues Kundensegment umworben werden. Das ist eine überfällige Entwicklung. Bleibt zu hoffen, dass wirklich kundenorientiert gearbeitet wird und die Zahl der schwarzen Schafe gering bleibt.

SeS media & communications GmbH

Die 1997 gegründete SeS Verlag & Werbeagentur GbR in Köln, die 1999 zur SeS media & communications GmbH umstrukturiert wurde, hat sich sehr erfolgreich im Bereich des Ethno-Marketings positioniert. Das Unternehmen, das zur Zeit acht Angestellte und rund 250 freie Mitarbeiter beschäftigt, gibt unter anderem türkische Branchenbücher heraus. Im Hinblick auf die türkische Zielgruppe in Deutschland stellt SeS Anbietern von Waren und Dienstleistungen jene Kommunikations- und Vertriebskanäle zur Verfügung, die eine erfolgreiche Adressierung türkischer Kunden ermöglicht. Hierbei ist SeS nicht nur als Creativ-Unternehmen tätig, sondern auch als strategischer Vertriebskanal. So hat SeS die Positionierung von o.tel.o Dienstleistungen in der türkischen Community erfolgreich umgesetzt und wird dies im Bereich der Telekommunikation in Zukunft auch für die Deutsche Telekom AG machen, kündigt Cenap Boztepe an, der gemeinsam mit Ahmet Cumhur Aytulun die SeS-Geschäfte führt. (es)


Autor: Dr. Karsten Schreiber, isoplan

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