Ausländer in Deutschland 1/2000, 16.Jg., 31. März 2000

UNTERNEHMENSGRÜNDER

Erfolgsstories

Mut und Kompetenzen aus zwei Kulturen

Gibt es einen besonderen Erfolgsfaktor bei Migranten als Existenzgründern? Eine Untersuchung dieser Frage wäre spannend. Denn nicht selten zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass erfolgreiche Gründer besondere Impulse erlebt und genutzt haben, die mit der eigenen Migrationsbiografie zusammenhängen. Dies jedoch in sehr unterschiedlicher Weise.

Mit Porträts besonders erfolgreicher Migranten-Unternehmer ließen sich ganze Bände füllen, ohne dass es langweilig würde. Mal ermöglicht eine bestimmte Perspektive das leichtere Aufspüren einer Marktnische, mal ist es die interkulturelle Kompetenz, es selbstverständlicher macht, Partner im Ausland zu suchen oder eine besondere Zielgruppe von Kunden im Inland. Oder es ist die Selbstverständlickeit, mit der in der Herkunftskultur bzw. -Familie das "sein eigener Chef sein" einen hohen Wert einnimmt. Dass solche Faktoren allein allerdings keinerlei Garantie für Erfolg bieten, das zeigen die ausgewählten Erfolgsstories deutlich. Denn Erfolg haben sowohl Vural Öger als auch Hourvash Pourkian, weil sie mit Ausdauer, Mut und Leidenschaft arbeiten - nicht anders als erfolgreiche Gründer, die als Deutsche geboren sind.


Vural Öger:

Die Herausforderung zählt

Marktführer im Bereich Türkeireisen - die Geschichte des Reiseanbieters Öger-Tours und seines erfolgreichen Gründers ist eng mit der türkisch-deutschen Arbeitsmigration verbunden. Gleichzeitig ist Vural Öger kulturunabhängiger Vorzeigeunternehmer, Beispiel für das Erfolgsrezept "die richtige Investition zum richtigen Zeitpunkt". In den 60er Jahren kommt der junge Öger als Einserabiturient zu einem Sprachkurs nach München, ursprünglich nur für zwei Monate. Daraus wird ein vollständiges Ingenieur-Studium in Berlin, finanziert durch Jobs als Model, als Übersetzer und für einen studentischen Reisedienst. Für letzteren beginnt er gegen Provision Werbung für Türkeiflüge zu machen - mit großem Erfolg, denn er versteht es, seine Landsleute anzusprechen. Und Vural Öger entdeckt eine enorme Marktlücke: Es gibt trotz der zahlreichen türkischen Arbeitsmigranten noch keine Direktflüge für den Heimaturlaub. So chartert der angehende Diplom-Ingenieur 1969 selbst Flugzeuge, und um auch die Ängstlicheren zu beruhigen, fliegt er zwei Jahre lang jedes Wochenende selbst mit. In der Folge gilt der rote Öger-Tours-Stempel auf dem Flugticket noch lange Zeit als Sicherheitsgarantie, ohne die manche Türken kein Flugzeug besteigen.

Vural Öger ist es in seltener Weise gelungen, bei seinen Landsleuten Vertrauen zu gewinnen und zu erhalten. So gesehen hat ihm die Tatsache, dass er türkischer Migrant ist, einen Vorteil verschafft: Er kenne eben beide Kulturen, beide Mentalitäten. Und das hat er vor allem anfangs als großen Vorteil nutzen können.

Hinzu kommt aber auch, dass schon der junge Vural Öger den Blick dafür hat, wo Einsatz sich lohnt. Als ihn eines Tages eine Autopanne zufällig in Hamburg festhält, ohne Geld und Bleibe, sucht und findet er Landsleute als Helfer in der Not. Er erfährt: In Hamburg leben zu dem Zeitpunkt 30.000 Türken und die nächsten Direktflüge für sie gibt es ab Düsseldorf. Öger gründet kurz darauf eine Filiale in Hamburg, es folgen Hannover und Bremen. Nebenbei wird das Studium als Diplomingenieur erfolgreich beendet, doch nach einem halben Jahr Arbeit im erlernten Beruf findet Vural Öger diesen wenig lukrativ und bei weitem nicht so spannend wie das freie Unternehmertum.

Jährlich 650.000 Türkei-Urlauber heute stehen für den Erfolg von Öger-Tours; hinzu kommen Flüge in weitere Länder, darunter mittelamerikanische Länder und auch Griechenland. Vural Öger, inzwischen mit deutschem Pass, bleibt der türkischen Heimat eng verbunden und möchte auch als Botschafter zwischen Kulturen gesehen werden. Letzteres mit praktischen Konsequenzen. Werbewirksam ist Öger seit 1993 einer der Hauptsponsoren des Hamburger Sportvereins, seit 1998 Partner der Kubanischen Nationalmannschaft, außerdem Kultursponsor der Deutschen Oper Berlin und vieles mehr. Hinzu kommen Förderaktivitäten, die laut Auskunft von Öger-Mitarbeitern "keinen einzigen zusätzlichen Kunden bringen; das macht er aus Überzeugung": darunter die Mitbegründung der deutsch-türkischen Gesellschaft und die Übernahme von Patenschaften für 200 Kindern im türkischen Erdbebengebiet, die beide Eltern verloren haben - solange, bis sie ihre Ausbildung beendet haben. Ein Waisenhaus und eine Schule werden im Frühjahr fertiggestellt sein.

Was ihn daran reizt, Erfolg zu haben? Es bedeutet, eine Herausforderung zu meistern, und das ist es, was für ihn zählt. Und Zeit zu haben für seine Familie.


Hourvash Pourkian:

Ich war nie ein ruhiges Mädchen

Dass sie einmal ihre eigene Chefin sein würde, das war ihr spätestens mit 16 sonnenklar, sagt sie heute, und aus ihrem Mund klingt es ganz selbstverständlich. Das habe sie damals so entschieden. "Wir wurden schon früh ermutigt, Risiken einzugehen, Ideen zu verfolgen, eine eigene Lebensplanung aufzustellen," und auf Nachfrage fügt die gebürtige Teheranerin hinzu: "Klar, ich genauso selbstverständlich wie meine Brüder." Es war vor allem der Vater, der Hourvash Pourkian Stärke und Mut gab. Zudem hat auch das ganze familiäre Umfeld ihre Entscheidung begünstigt: Sowohl in der Familie des Vaters wie der der Mutter war selbständiges Unternehmertum Tradition.

Hourvash Pourkian ist vor 26 Jahren ihrem Vater gefolgt, der aus politischen Gründen den Iran verlassen musste. Seitdem lebt sie in Hamburg, meistens jedenfalls, denn nach dem Studium besuchte die diplomierte Betriebswirtin noch diverse Seminare und Managementkurse in England und den USA. Es folgten drei Jahre in leitender Position bei einem renommierten Textilunternehmen, und dann fand Hourvash Pourkian sich qualifiziert und berufserfahren genug, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen. 1988 begann die Textilienproduktion für Purkians eigenes Marken-Label Shamo in Brasilien. Dafür hatte sie auch schon ihre eigene Marktnische ausfindig gemacht: Ökologisch produzierte Waren, die an einige wenige Versandhäuser, aber vor allem auch an Modegeschäfte in Kleinstädten und Dörfern geliefert werden. Diese Kunden legen Wert darauf, auch kleinere Stückzahlen immer wieder nachbestellen zu können, ein Service, den in Deutschland nicht viele Konkurrenten bieten. Pourkians Unternehmen expandiert: Heute lässt sie zusätzlich in Südafrika, Hongkong, der Türkei und Portugal produzieren; zehn Angestellte hat sie in Deutschland.

Der Weg zum Erfolg, sagt die Unternehmerin, führt nicht zuletzt über das Risiko: "Wer nichts wagt, verschenkt doch von vorneherein die Chance zu gewinnen!" Hat sie denn nicht auch manchmal Angst gehabt? Diese Frage, so Hourvash Pourkian, werde ihr oft gestellt, übrigens vor allem von Frauen. Mit Nachdruck antwortet sie: "Angst ist nichts anderes als ein Informationsdefizit. Das beste Rezept gegen Angst heißt, sich besser zu informieren." Der Lohn der Mühe heißt immerhin Erfolg, und den definiert Pourkian lustvoll: "Erfolg heißt für mich, jeden Tag etwas Positives zu erleben, und zwar möglichst in jedem der Projekte, an denen ich arbeite. Erfolg haben heißt, sich wohl zu fühlen, und das gibt die Energie, weiterzumachen."

Vor ein paar Jahren, als sie mit dem Aufbau ihres Unternehmens gerade stark beansprucht war, entstand in der Diskussion mit ihrem damals knapp 80 jährigen Vater noch einmal ein Impuls auf ihre Karriere. Human Pourkian hatte begonnen, ein Buch über die Stärke der Frauen zu schreiben, um Frauen ebenso wie Männer zu einer neuen Denkweise anzuregen. Tochter Hourvash wurde Co-Autorin und ist seither auch als Expertin bei Tagungen oder als Gast in Talkshows gefragt.

Die Texte des Vaters erscheinen eher essayistisch, die Tochter ergänzt mit einer kurzgefassten Zusammenstellung von Fakten, Forschungsergebnissen und konkreten Tipps, die dem Selbstbewusstsein von Frauen dienlich sein können. - War denn wirklich noch ein weiteres Buch auf dem Markt der Emanzipationsliteratur nötig? "Für Frauen wie mich nicht, und für Sie wohl auch nicht," sagt sie entschieden, "aber Sie können sich vielleicht nicht vorstellen, welche Frauen-klischees von Männern, auch von gebildeten heute immer noch vertreten werden. Und übrigens sogar von manchen Frauen selbst, wenn sie Angst haben! zum Beispiel, Frauen wären nicht belastbar, Frauen wollten keinen beruflichen Erfolg und ähnlicher Unsinn. Ich hoffe, dass manche vielleicht doch nachdenklich reagieren, wenn mein Vater dagegen anschreibt - ein Mann, immerhin über 80, und dann mag man vielleicht noch hinzufügen: aus 'einer solchen Kultur', 'sogar als Iraner' sozusagen." Es ist allerdings Tochter Hourvash, die zu Vorträgen, Tagungen oder Talkshows eingeladen wird, nicht der Vater. Und die Erfahrung, dort immer wieder angesprochen zu werden von Frauen, die mehr Angst und Selbstzweifeln haben als sie selbst, das Erlebnis auch, wie Frauen einander gegenseitig konkret unterstützen können, hat Hourvash Pourkian darin bestärkt, ein eigenes Neztwerk für ausländische Unternehmerinnen zu begründen.

Hourvash Pourkian hat positive Resonanz darauf erfahren, dass sie Migrantin ist: Andere Unternehmer sprechen sie auf ihre multikulturelle Kompetenz und insbesondere auf ihre Kenntnis der mehrerer Ökonomien, Absatzmärkte, Produktionsmöglichkeiten an und zeigen sich interessiert an Zusammenarbeit. Kunden fragen bisweilen nach der Herkunft ihres Namens und merken schließlich an, so ein ungewöhnlicher Name präge sich besser ein als ein Deutscher. Pourkians Gesamteinschätzung: Migrantin zu sein hat für sie ganz überwiegend positive Nebeneffekte.

Wenn Pourkian selbst auch durch den Vater besonders ermutigt wurde, so findet Sie doch: Frauen sollten einander gegenseitig unterstützen. Zusammen mit einer weiteren Textilunternehmerin plant Hourvash Pourkian den Aufbau eines Netzwerks "Migrantinnen als Unternehmerinnen". (Kontakt: Tel.: 040-37 83 83, werktags ab 18 Uhr)


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

Zum Nachlesen: Human und Hourvash Pourkian, Macht macht müde Frauen munter. Der Machtanspruch der Frau im 21. Jahrhundert und warum Männer dabei nicht(s) verlieren. 1988 Internationaler Human Verlag Hamburg, 28,90 DM

Fotos: creative connection, Svenja von Schultzendorff

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