Ausländer in Deutschland 4/2000, 16.Jg., 1. Dezember 2000

PORTRAITS


Mit Kopf, Herz und Stimme

Manuel Campos

Das Datum seines Eintritts bei der IG Metall kann Manuel Campos auswendig aufsagen: der 16. April 1974. Von Hause aus ist Campos eigentlich Theologe und Philosoph. Aber Redegewandtheit und logisches Argumentieren kommen auch einem Gewerkschaftler zugute. Während seines Studiums hatte sich der Portugiese gegen die Diktatur in seiner Heimat politisch betätigt. Dann hat er von einer Geheimpolizistin einen kleinen Tipp bekommen: Du bist auf der Liste, verschwinde! Die Frau war krank und wollte vor ihrem Tod noch etwas Gutes tun.

Campos glaubte ihr und kam so 1972 nach Deutschland, zwar aus politischen Gründen, juristisch gesehen aber als "Gastarbeiter". Das Wort ist ihm ein Dorn im Fleisch. "Ich weiß bis heute nicht, wer mein Gastgeber ist. Wir Gastarbeiter, wir sind so traurig darüber, dass wir ihm die Hände nicht küssen können, weil er uns eingeladen hat".

Er arbeitete bei verschiedenen katholisch-portugiesischen Missionen und bei Opel am Fließband, schrieb für eine Migrantenzeitung und unterrichtete Portugiesisch und Gitarre an der Volkshochschule. Als erstes musste sich der damals 25jährige jedoch in die deutsche Sprache vertiefen. Das ist ihm sehr gut gelungen. Heute dichtet er sogar auf Deutsch die Texte der Lieder, mit denen er auf politischen und gewerkschaftlichen Veranstaltungen auftritt. "Gott hat viele Farben, lebt in jeder Haut..." singt er mit einem unerwartet jungen Tenor. Oder wie schön es wäre, ein deutscher Hund zu sein... Und Kurt Tucholsky hat er auch schon vertont. Mit seiner Gitarre trat der Gewerkschaftler neulich auf der EXPO auf - in der Aufführung des "Kleinen Prinzen".

Damals also, vor 26 Jahren suchte die Abteilung Ausländische Arbeitnehmer der IG Metall einen portugiesischen Mitarbeiter. Campos bewarb sich, arbeitete zuerst als Übersetzer, dann als politischer Sekretär, bis er vor sechs Jahren die Leitung ebenjener Abteilung übernahm. Als einziger Ausländer leite er in den DGB-Gewerkschaften eine Abteilung, betont er.

Betriebsvereinbarungen

Besonders wichtig sind ihm Betriebsvereinbarungen. Es geht ihm darum, Arbeitgeber und Betriebsräte zu gewinnen, Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung in ihrer Firma zu beschließen. Und die Migranten sollen gleiche Chancen auf Einstellung und Beförderung erhalten. Dieser Aufgabe widmet sich Campos mit viel Elan: Ein besonnener, scharfzüngiger, schlagfertiger Mann, man kann sich ihn als harten Verhandlungspartner vorstellen. Die Diskriminierung am Arbeitsplatz war ein Tabu-Thema. Es waren zunächst wenige, wenn auch große Unternehmen, die Betriebsvereinbarungen haben: VW, Ford, Thyssen-Krupp. Erst in der letzten Zeit kamen mehr Betriebe dazu, darunter einige mittelständische. Ob die Firmen die positiven Erfahrungen der Vorreiter im Auge haben oder ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen wollen - was ja auch gut fürs Image ist -, darüber kann man nur mutmaßen.

Jedenfalls geht die Wirkung dieser Vereinbarungen weit über wohlmeinende Sonntagsreden hinaus. Die Mitarbeiter bekommen dadurch einklagbare Rechte, sie können eine Lösung ihrer Probleme einfordern. Die fristlose Kündigung wegen Betriebsfriedensbruch reicht doch völlig aus, um mit blöden Bemerkungen, Nazi-Parolen an den Wänden oder systematisches Mobbing fertig zu werden? Dem hält Campos entgegen: "Wir wollen die Leute gewinnen und überzeugen. Wenn wir denjenigen rausschmeißen, der sich schlecht verhält, dann wird er noch aggressiver, weil er noch sein Brot verliert".

Paritätisch besetzte Kommissionen sollen die Einstellungsverfahren unter die Lupe nehmen: Sind da Hürden eingebaut, die eine bestimmte Gruppe von vornherein ausschließen? Macht das Tragen eines Kopftuchs die Bewerberin ungeeignet, mit Kunden zu arbeiten? Läßt die Personalabteilung die Unterlagen bei einem ausländisch klingenden Namen sofort links liegen? Die Personalabteilungen, Meister und Manager sollen für den Umgang mit Konflikten speziell geschult werden. Das klingt nach Investition - in das Arbeitsklima gewiß, aber auch in das gesellschaftliche. Und da seien deutsche Arbeitgeber weiter als sonstwo in Europa, sagt der Gewerkschaftler anerkennend.

Ein wichtiger Punkt in den Betriebsvereinbarungen ist die Qualifizierung. Diese Pflicht liegt nicht nur bei der Firma, sondern ebenso bei den Mitarbeitern. Und hier erzählt Campos gerne die Geschichte eines mittelständischen Metallurgiebetriebes, der neue Technologien eingesetzt hatte und die unqualifizierten Ausländer nun nicht mehr brauchte. "Gott sei dank, hat sich der Betriebsrat dagegen gewandt: Moment mal, diese Leute sind seit 15 Jahren im Betrieb! Was hast du bisher gemacht, damit sie sich qualifizieren können? Sie sind doch nicht so blöd, dass sie unfähig sind, Neues zu erlernen". Der Arbeitgeber war einverstanden, die langjährigen Beschäftigten umzuschulen. "Und siehe da: Ausländer waren imstande zu lernen und sogar führende Positionen in der Firma zu übernehmen!"

Die Migranten machen 10 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder aus, aber nur zu 3 oder 4 Prozent sind sie auf Delegiertenversammlungen und in den Gremien vertreten. Der Gewerkschaftstag hat ein Förderprogramm beschlossen - ohne Quote. Es gilt neue Migrantengruppen zu gewinnen: Frauen, Jugendliche, Aussiedler, Neueinwanderer... Und die Greencard-Leute? Gutbezahlte, hochgebildete Spezialisten, die auch gerne mal 14 Stunden am Tag arbeiten, "die, die uns besonders nutzen" eben. In den IT-Firmen haben die Gewerkschaftler ein schweres Spiel. "Ich glaube, das wird sich erst entwickeln, wenn die Leute merken, dass sie gekommen sind, um ausgebeutet zu werden", sagt Campos.

Treue Migranten

In der Metall-Branche ist jeder zweite ausländische Arbeitnehmer organisiert, bei den Beschäftigten insgesamt sind es nur 39 Prozent, und der Anteil sinkt seit Beginn der 90er Jahre kontinuierlich. Nicht so bei den Migranten. Sie bleiben der IG Metall treu. Warum? Campos Erklärung lautet: die Gewerkschaft als politische Heimat. Sie gewährt ihnen aktives und passives Wahlrecht unabhängig vom rechtlichen Status. Sie setzt sich auf politischer Ebene für ihre Interessen ein, z.B. für die doppelte Staatsangehörigkeit und jetzt auch für ein Einwanderungs - und ein Antidiskriminierungsgesetz.

An der Ausländerpolitik der Vergangenheit und der Gegenwart lässt Campos kein gutes Haar, obwohl er selbst für die SPD im Kreistag von Groß-Gerau sitzt. Übrigens hat er keinen deutschen Paß. Schon bei der alten Gesetzgebung hatte er die Antragsformulare geholt, jetzt nochmal. Aber sie auszufüllen und den portugiesischen Paß abzugeben, brachte er nicht übers Herz: "Das Portugiesische, das bin ich. Es ist meine Sprache, es ist meine Erziehung, meine Verbindungen zum Land, zu dem, was es nicht mehr gibt, zur Geschichte. Es sind die Familienbande, es ist das schöne Wetter, der Strand, das Meer - soll ich das aufgeben? Niemals! Ich nehme gern, was die Deutschen Gutes haben und gebe ihnen gerne, was die Portugiesen Gutes haben". So bleibt er der einzige "Ausländer" in der Familie: Seine deutsche Frau und die beiden Kinder sind Doppelstaatler. 

Manchmal kann der liebenswürdige Mann richtig wütend werden: "Anwerbestopp, Rückkehrförderung, Provisorium - alles Lebenslügen der Ausländerpolitik, und jetzt kommt noch Leitkultur dazu. Das Deutsche als Maß aller Dinge hinzustellen - und wir sollen schlucken? Wir weigern uns einfach! Wir bleiben und lächeln dabei noch!"


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Muster-Betriebsvereinbarungen der IC Metall im Internet: www.bma.bund.de, Topthemen, Bekämpfung von Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit.

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Leopardenfell und Internet-Anschluß

Ein afrikanischer König regiert per Internet 
... aus Ludwigshafen


Céphas Bansah - König von Hohoe Ghana

 


Hochzeitszug von Céphas und Gabi im August 2000

Togbui Ngoryfia Olatidoye Kosi Céphas Bansah, mit Gottes Segen König von Hohoe Gbi - so lautet sein vollständiger Titel - ist ein traditioneller afrikanischer Monarch. Er regiert über rund 200 000 Ewe im Osten von Ghana. 1992 wurde er gekrönt. Das Foto auf seinem Briefkopf zeigt ihn im feierlichen Gewand, eine turmhohe goldene Krone auf dem Haupt, die Füße auf Tiger- und Leopardenfellen ruhend. Bevor er zu diesen Ehren kam, mußte er allerdings ein ziemlich schmerzvolles Ritus über sich ergehen lassen: Die Stammesältesten schnitten mit scharfen Messern in 12 Körperteile - stellvertretend für die 12 Stämme.

In seiner Hauptstadt Hohoe gibt es ein Krankenhaus, ein Postamt, einen Markt, ein Kino, ein paar Bankfilialen und mehrere Schulen. Aber das reicht dem König nicht. Er würde gerne noch eine Zahnarzt-Praxis und auch eine Berufsschule haben, wo die Jugend sich zum Schreiner, Elektriker, Schmied und... EDV-Spezialisten ausbilden lassen können. Denn Hohoe Gbi ist längst im Internet präsent. Mit Informationen über Traditionen und Volkskunst, über die afrikanische Großfamilie mit ihrem gemeinsamen männlichen Urahnen, über Handel und Gewerbe und über das Nebeneinander von christlicher Religion und alten Vodoo-Göttern.

Céphas Bansah lebt weit weg von Hohoe Gbi, in Ludwigshafen. Er wurde 1970 von seinem Großvater, dem damaligen König, nach Deutschland geschickt, um Landmaschinenmechaniker zu werden. Das ist er auch, hat danach eine Kfz-Werkstatt eröffnet und in Ludwigshafen Wurzeln geschlagen. Unter der Woche wühlt er in Maschinenteilen im ölverschmierten Blaumann und bringt Autos über den TÜV. Als jedoch der alte König 1987 starb, mußte Bansah das Erbe antreten, denn sein Vater und der älteste Bruder waren beide Linkshänder und daher als Nachfolger ungeeignet - die linke Hand gilt bei den Ghanaern als unrein. Seitdem regiert der Kfz-Meister per Telefon, Fax und Internet.

www.koenig.matoma.de

Als König sei er vor allem für die sozialen Belange seiner Untertanen zuständig, sagt Bansah. Aus der Ferne könne er besser für sein Land werben und habe das Internet als ein gutes Medium entdeckt, um sein Volk zu unterstützen. Dort sucht er Informationen zu Entwicklungszusammenarbeit, Förderprogrammen im Bildungsbereich, Märkten für landwirtschaftliche Produkte aus Ghana und potentiellen Investoren. Natürlich reist er oft in die Heimat, um den Ewe einen "König zum Anfassen" zu bieten.

Sein ungewöhnliches Doppelleben hat er 1997 in dem Buch "Majestät im blauen Anton" beschrieben. Die Präsentation auf der Frankfurter Buchmesse verhalf dem König hierzulande zu einer gewissen Popularität. Im August 1999 bekam Cephas Bansah einen weiteren "monarchischen" Titel - er wurde für ein Jahr zum Deutschen Weinkönig gewählt. "Die zahlreiche Fanpost vor allem aus Ostdeutschland beweist, dass ich als Schwarzer von der Bevölkerung akzeptiert bin", sagt er. Den Erlös aus dem Verkauf des Buchs und neuerdings seiner CD "Ein Herz aus Gold", die Honorare für seine Auftritte in Fernseh-Talkshows und auf Firmenveranstaltungen nützt Bansah, um Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Sogar den 110 Meter langen Hochzeitsschleier seiner deutschen Ehefrau Gabi will er zu diesem Zwecke versteigern. "Ich bin immer auf der Suche nach Möglichkeiten, das Buch und damit meine Arbeit für mein Volk in Ghana einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen", sagt Seine Majestät. "Und da bot sich das Internet als modernes Medium gerade zu an". Da wollte es der Zufall, dass einige junge Leute, die sich mit einer Firma namens Matoma Internet Consulting selbständig gemacht haben, ihn in einer TV-Sendung sahen und ihm anboten, seine Website zu gestalten. "So haben wir uns zusammengesetzt und die Texte und Bilder aus dem Buch sowie die dazu passenden Symbole ausgewählt".

Die afrikanischen Symbole, Adinkra genannt, finden sich auf Arbeitsgeräten, Stoffen und Häusern, sagt Bansah. Hier zieren sie nicht nur die königliche Homepage, sie sind Icons zu den Rubriken "Das Volk", "Der König", "Die Projekte". Einige von den Projekten sind schon realisiert. So hat Hohoe Gbi mit Hilfe des Fördervereins Hohoe Friends e.V. und anderer Spender aus Deutschland die längste Fußgängerbrücke in Ghana bekommen. Wie ein Foto von der Eröffnung der Brücke dokumentiert, haben die Ewe allen Grund zur Freude, denn früher mußten die schwerbeladenen Frauen nach der Feldarbeit auf losen Brettern über dem Fluß balancieren, 200 ertranken im Laufe der Jahre. Ein anderes Foto zeigt die Afrikaner neben dem von der Johanniter-Unfallhilfe gespendeten Krankenwagen.

Zu tun bleibt noch viel: Im Krankenhaus fehlt es an Geräten, Medikamenten und Einwegspritzen. Auch Trinkwasser brauchen die Dorfbewohner. Nicht zu vergessen die Berufsschule, deren Bauskizze im Internet begutachtet werden kann. Ein Schulzweig soll an die EDV-Technologie heranführen. "Die Geschäftsleute in meiner Heimat nutzen das Internet seit langem für ihre Geschäfte", sagt Bansah, "aber die Jugend in den Dörfern hat keine Möglichkeit, an Computern zu lernen". Als der 52jährige noch ein Kind war, gab es in seiner Schule auch fast keine Bücher. Die Schüler schrieben die Texte und Zahlen auf eine Schiefertafel, wischten sie ab und schrieben aufs Neue. Da mußte ständig auswendig gelernt werden: "Wir Afrikaner haben alle unseren Computer im Kopf".


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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