Ausländer in Deutschland 1/2001, 17.Jg., 30. März 2001

Stadtportraits

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Osteuropäer in Berlin

Mehr als Böhmische Dörfer und Puszta-Romantik...

Osteuropa und Berlin verbindet eine lange und wechselvolle Geschichte. Für viele Menschen aus dem Osten wurde Berlin zum Zufluchtsort vor Verfolgung und Diktatur in der Heimat. Umgekehrt gingen von dieser Stadt in der Vergangenheit Besetzung, Unterdrückung und Völkermord aus. Es gibt aber auch die Geschichte vielfältiger kultureller, wirtschaftlicher und persönlicher Beziehungen, die das Berliner Leben bereichern. Dabei sind es nicht nur Polen und Russen, die im Berliner Leben osteuropäische Akzente setzen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Ungarische Akzente...

Ohne den mutigen Schritt Ungarns, für Tausende DDR-Flüchtlinge die Grenze nach Österreich zu öffnen, wäre es 1989 wohl kaum so schnell zum Fall der Mauer gekommen. Umgekehrt fanden lange vor der deutsch-deutschen Wiedervereinigung viele Ungarn, die etwa nach der Niederschlagung des Volksaufstandes 1956 und später vor der kommunistischen Diktatur geflohen waren, in Berlin Aufnahme.

Die Zahl derjenigen, die mit einem ungarischen Pass leben, ist mit rund 2.000 sehr gering. Aber es gibt zigtausend andere Menschen in Berlin, die aus verschiedenen Gründen Ungarn verlassen haben und in Deutschland eingebürgert sind. Unter den emigrierten Ungarn gibt es erstaunlich viele, die es "geschafft haben", die den Nachteil der fremden Herkunft überwinden konnten, als gleichberechtigte Partner ernstgenommen worden sind und Karriere gemacht haben.


Marika Rökk

Die Wurzeln der Berlinerinnen und Berliner ungarischer Herkunft sind häufig mit Flucht und Emigration verbunden. So fanden zahlreiche Künstler und Schauspieler, die 1919 nach dem Ende der ungarischen Räterepublik fliehen mussten, in Berlin eine zweite Heimat und bei der UFA die Möglichkeit, ihre in Ungarn begonnene Filmkarriere fortzusetzen. Persönlichkeiten wie die Schauspielerinnen Marika Rökk, Martha Eggert und Käthe von Nagy, der Schauspieler Peter Lorre oder der Regisseur Alexander Korda trugen wesentlich bei zum Aufschwung des deutschen Films. In den dreißiger Jahren mussten viele abermals flüchten - diesmal vor den Nazis - und setzten ihre Karriere im Ausland erfolgreich fort. Unter den großen Hollywoodstars finden sich etliche Namen ungarischstämmiger Berliner. Die, die in Deutschland blieben - wie Marika Rökk oder der Regisseur Josef von Baky - trugen maßgeblich zum Erfolg des deutschen Unterhaltungsfilms bei. Auch wenn sie nicht unbedingt Goebbels Vorstellungen vom deutschen Film entsprochen haben mögen, das Kinopublikum liebte seine ausländischen Stars, die einen Hauch von Weltläufigkeit in den ansonsten recht eng gewordenen, vom Umfeld isolierten deutschen Alltag brachten.

Auch in Musik, Malerei, Theater, Wissenschaft und Literatur haben ungarische Berliner Akzente gesetzt . Ein Bund ungarischer Hochschüler wurde hier schon 1842 gegründet und eine ungarische Bibliothek gibt es immer noch in Berlin. Das 1973 eröffnete "Haus der ungarischen Kulturen", das später in "Haus Ungarn" umbenannt wurde, war Anziehungspunkt ostdeutscher Intellektueller, die hier Weltoffenheit und Liberalität schnuppern konnten, die ihnen die Hauptstadt der DDR nicht bot. Insgesamt sind sie stark intellektuell geprägt, die ungarischen Akzente im Berliner Leben.

..."Böhmische Dörfer"

Wer erinnert sich nicht an die Bilder von DDR-Flüchtlingen in der Prager Botschaft, die uns das Fernsehen vor über einem Jahrzehnt allabendlich zeigte? Als ihnen, wie schon den Flüchtlingen in Ungarn, die Ausreise in den Westen gewährt wurde, läutete dies die deutsch-deutsche Wiedervereinigung ein.

Flucht und Vertreibung ziehen sich wie ein roter Faden durch das Beziehungsgeflecht, das Deutschland und vor allem Berlin mit Tschechien und der Slowakei verbindet. Sie waren es, die Berlinerinnen und Berliner tschechischer Herkunft zum Verlassen ihrer Heimat zwangen. Bis heute hält das "Böhmische Dorf" im Neuköllner Rixdorf die Erinnerung an die Böhmischen Glaubensflüchtlinge wach, die im 18. Jahrhundert als Protestanten in Berlin Zuflucht suchten.

Umgekehrt fanden Tausende deutscher Flüchtlinge aus Nazideutschland Aufnahme in der bis 1938 noch freien Tschechoslowakei, bevor das Land unter deutscher Besetzung eine ganz anderes geartete "Migration" erlebte. Nazigegner wurden zu Tausenden in deutsche Konzentrationslager verschleppt, andere wurden zur Zwangsarbeit ins "Reich" verpflichtet, viele von ihnen wurden in Berliner und brandenburgischen Betrieben eingesetzt. Ein weiteres düsteres Kapitel war die Vertreibung der Sudentendeutschen aus der Tschechoslowakei, mit der das Land mehr als ein Fünftel seiner Bevölkerung verlor.


Eishockey-Profi Pavel Gross

Flucht vor Verfolgung durch ein totalitäres Regime führte nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 wieder Tausende ins Exil. Viele fanden Aufnahme im Westteil Berlins und wurden als politische Flüchtlinge anerkannt. Andere kamen aus familiären Gründen, meist tschechische und slowakische Frauen, die ihren deutschen Ehemännern in die DDR folgten. Wieder andere kamen als Sänger an die Deutsche Staatsoper oder die Komische Oper, arbeiten als Ärzte, Hochschulprofessoren, Künstler, Piloten, Journalisten oder sind Reisebüro- oder Restaurantbesitzer. Einige, wie der in Pankow lebende Jan Faktor, sind deutsche Schriftsteller geworden, andere haben als Eishockey-Spieler, eine große Leidenschaft vieler junger Tschechen und Slowaken, in Berlin eine Heimat gefunden, wie Pavel Gross, Mannschaftskapitän der "Berlin Capitals".

Nach dem Ende der Diktatur haben mit der Tschechischen und der Slowakischen Republik zwei Demokratien das Erbe der Tschechoslowakei angetreten. Dennoch sind die meisten tschechischen und slowakischen Berlinerinnen und Berliner geblieben und tragen heute regen Anteil daran, dass sich die Kontakte der deutschen Hauptstadt zur tschechischen und slowakischen Republik weiter entfalten.

Viele von ihnen sind inzwischen deutsche Staatsbürger und fallen daher aus der Statistik der ohnehin schon wenigen erfassten Tschechen und Slowaken heraus. Ihre vielfältigen und lebendigen Einflüsse im Berliner Leben sind jedoch unverkennbar.

Literaturtipp

Der Text basiert auf den Publikationen "Böhmische Dörfer und mehr" von Richard Szklorz sowie "Ungarn in Berlin" von Eva Foriyak, die in der Reihe "Miteinander Leben in Berlin" von der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats herausgegeben wurden. In dieser Reihe sind bereits zahlreiche Publikationen über einzelne Berliner Minderheiten erschienen.

Bezug:
Die Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin, 
Potsdamer Str. 65, 
Tel.: 030/90 17 23 51, 
Fax: 030/2 62 54 07; 
E-Mail: Ausländerbeauftragte@
auslb.verwalt-berlin.de

Internet: www.berlin.de/auslaenderbeauftragte 


Autorin: Hanne Johé-Kellberg, isoplan

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Vom slawischen Dorf zur Handelsmetropole

Allerlei Leipzig: Interkulturelle Begegnungen seit 500 Jahren

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"Im Osten leben kaum Ausländer" - dieses Klischee trifft für Großstädte wie Leipzig längst nicht mehr zu. Anfang 2000 hatten hier mehr als 21.000 von 510.000 Einwohnern keinen deutschen Pass. Die Ausländerquote liegt bei 4,2 %. Das ist die höchste Quote in den neuen Bundesländern. Jeder fünfte Migrant Sachsens lebt in der sächsischen Metropole. Viele der Migranten aus über 60 Staaten leben seit ihrer Geburt oder seit Jahrzehnten hier. Wie ein Blick in die Stadtgeschichte zeigt, ist die Messe-, Buch- und Musikstadt seit Jahrhunderten ein Ort interkultureller Begegnungen.

Am Zusammenfluss von Weißer Elster, Parthe und Pleiße hatten Slawen schon im 9. Jahrhundert eine erste dörfliche Ansiedlung gegründet, die sie Lipsk (Lindenort) nannten. Später errichteten deutsche Feudalherren hier im Zuge der Ostexpansion eine deutsche Burg zum Schutz der Fernhandelsstraßen. Die Region wird christianisiert, Lipsk wird zu Leipzig, erhält 1165 Stadtrechte und das Marktprivileg verliehen. Nahe der Ursprungssiedlung legten zugewanderte flämische Bauern im 13. Jahrhundert den Vorort Gohlis an. Eine bis heute beliebte Erbschaft der Zuwanderer aus Flandern und den südlichen Niederlanden ist die "Gose" (von: geuze), ein berühmtes Weißbier. Auch der heutige Szenevorort Connewitz (slawisch: Konwiz = "Sippe des Pferdezüchters") ist eine slawische Gründung, in der später die von Westen vordringenden Sachsen und Flamen siedelten.

Durch die kaiserlichen Messeprivilegien von 1497 und 1507 entwickelte sich Leipzig rund um die älteste und lange Zeit bedeutendste internationale Messe zu einer Handelsmetropole. Mit Verlagsgründungen wie Brockhaus, Reclam oder Rowohlt wird Leipzig im 19. Jahrhundert auch zu einer führenden europäischen Verlagsstadt. Das Kulturleben in "Klein-Paris" (Goethe) wurde stark durch Anregungen der großen jüdischen Gemeinde und Zuwanderer befruchtet. Bekannt wurden der aus Antwerpen kommende Maler Nikolaus de Perre und der Ungar Adam Manyoki, der von den Porträtbedürfnissen des Bürgertums lebte. Nicht zu vergessen die führenden Köpfe der deutschen Literatur- und Musikgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, die hier geboren wurden oder zeitweilig lebten: von Bach, Wagner, Schumann, Mahler, Mendelssohn-Bartholdy und Weill über Schiller, Goethe, Lessing und Klopstock bis Nietzsche.

"...da war ein groß Gewimmel"

In den vergangenen Jahrhunderten gab es in deutschen Landen kaum einen anderen Ort, wo man Menschen aus allen Kontinenten begegnen konnte. Ein erstaunter Student schreibt im Jahr 1739, wem er zur Messezeit alles begegnete: "Ungarn, Siebenbürgen, Türken, Griechen, Araber, Armenier, Chinesen, Persianer, Mohren, Russen, Holländer, Engländer... in ihren verschiedenen, seltsamen und zum Teil seidenen, bunten, geblümten Kleidern, wobei der Bund und die Dolche mit Edelsteinen besetzt waren...". Thomas Mann läßt in "Doktor Faustus" Adrian Leverkühn von der Herbstmesse erzählen: Da "war auch ein groß Gewimmel in allen Gassen...alles mit Waren vollgestopft, und die Leute, die sich da drängen, sehen dich wohl mit exotischen Augen an und reden in Zungen, von denen du nie einen Laut gehört hast." Vom Bahnhof her strömten wochenlang Messebesucher aus aller Welt in die Stadt und von der Messe zurück - nicht ohne Abstecher zu einem der rund 40 Kaffeehäuser.

Das "Richter'sche Café" und das "Zimmermannschen Kaffeehaus" waren schon immer Orte interkultureller Begegnungen. Manch prominenter Stammgast saß hier, wie auch im "Schweizer Häuschen" des eidgenössischen Zuckerbäckers Kintschy oder im "Café francais", dessen Name nach Kriegseinbruch 1914 eingedeutscht wurde in "Kaffeehaus Felsche". Im Volksmund hieß es "Schokoladentempel", denn hier gab es bis zur Zerstörung 1944 Konditoreiluxus in höchster Vollendung. Das Café "Zum Arabischen Coffebaum" schließlich gilt als eines der ältesten und schönsten Kaffeehäuser der Welt. Der Kaffeeausschank ist hier seit 1711 verbürgt. Der Name verweist auf eine Renaissance-Sandsteinplastik über dem Eingang, die einen osmanischen Türken mit Turban zeigt, der neben einem Putto unter einem Kaffeebaum liegt und jenen braunen Sud genießt. Hier gingen schon Robert Schumann, Robert Blum und andere vom deutschen Vormärz durch. Genauso wie später Karl Liebknecht, August Bebel und andere frühe Sozialdemokraten. Der 1998 sanierte "Kaffeebaum" beherbergt heute auch ein Kaffeemuseum und hat den Status eines örtlichen "Heiligtums".

Dazu war und ist die Stadt nicht eben arm an "Kneipen" - übrigens eine Leipziger Wortschöpfung. Internationales Publikum auf den Spuren von Faust und Mephisto trifft sich in "Auerbachs Keller". Die "Pfeffermühle" war bis 1989 ein Geheimtipp für westliche Medienvertreter, weil sich hier zu Messezeiten Korrespondenten aus aller Welt drängelten und so manche konspirative Ost-West-Verbindung geknüpft werden konnte. Eine berühmte Aussteiger- und Außenseiterkneipe war bis zu dessen Abriss der "Grenzgänger" - ein vor sich hin moderndes urwüchsiges Etablissement voller Sauflärm, in dem unter Vorsitz eines alten Chinesen auch um viel Geld gespielt wurde.

Leipzigs glanzvolle Zeit endet mit den Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Die Wiederaufbau- und DDR-Jahre unter (Ost-) Berliner Dominanz haben sowohl die Identität der Leipziger wie auch die kostbare Bausubstanz schwer beschädigt. Neben dem neuen Gewandhaus architektonisch erwähnenswert ist noch ein Werk des Tschechen Karl Souradny, der in den 50er-Jahren den Bau des 100.000 Besucher fassenden Zentralstadions aus 3 Mill. m3 Trümmerschutt plante. Anderthalb Jahrhunderte nach dem Sieg über Napoleon in der "Völkerschlacht" bei Leipzig 1813, geht die "Heldenstadt" erst im Herbst 1989 wieder in die Geschichte ein: Die Friedensgebete in der Nikolaikirche und die Montagsdemonstrationen auf dem Leipziger Ring ("Wir sind das Volk") werden nicht zufällig zum Ausgangspunkt der Wiedervereinigung Deutschlands. Denn Leipzig, die "heimliche Hauptstadt der DDR", war besonders von der Stagnation der 80er-Jahre betroffen. "Über Jahrzehnte in der kommunalen, infrastrukturellen und ökologischen Entwicklung vernachlässigt, bot die Stadt im Jahr 1989 ein trauriges Bild, ganze Stadtviertel heruntergewirtschaftet, das historische Antlitz vernarbt, eine ökologische Situation am Rande der Katastrophe" - schreibt 1990 der Historiker Mustafa Haikal von der Uni Leipzig.

Migranten heute

Dass in Leipzig heute vergleichsweise mehr Migranten als in anderen ostdeutschen Großstädten leben, ist ein Zeichen, dass "Leipzig kommt" - so der Slogan der erneut stark aufstrebenden Stadt. Die ausländische Bevölkerung unterscheidet sich jedoch deutlich von derjenigen westdeutscher Großstädte. So ist sie mit einem Altersdurchschnitt von rund 32 Jahren gut 10 Jahre jünger als die deutsche und zugleich mit einem Anteil von 70 % nach wie vor deutlich männlich dominiert. Vor allem in der Altersgruppe der 25- bis 55-jährigen dominieren die Männer. Über die Hälfte der Ausländer kam nach 1992 nach Leipzig - vor allem Portugiesen, Italiener, Iraker, Türken und Bürger des ehemaligen Jugoslawien. Parallel kam es zu einem Fortzug eines Teils der langansässigen Migranten - vor allem aus Osteuropa. Die größten Nationalitäten sind heute die Polen, Vietnamesen, Portugiesen und Italiener (siehe Tabelle).

Während Migranten und Einheimische im Westen Deutschlands seit den 60er-Jahren zusammenleben, gab es in Ostdeutschland bis 1989/90 kaum Berührungspunkte. Die weniger als 200.000 Ausländer in der DDR lebten zumeist abgeschottet in Ausländerwohnheimen. Nach "Abwicklung" vieler DDR-Arbeitsverträge sank die Ausländerzahl innerhalb von zwei Jahren auf fast die Hälfte. Seit 1992 steigt ihre Zahl wieder - vor allem durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden - und hat heute eine Größe von mehr als 250.000 erreicht (ohne Berlin). Dazu kommt die grosse Migrantengruppe der deutschstämmigen Aussiedler. Für die einheimische Bevölkerung - auch in Leipzig - entstand damit in kürzester Zeit die relativ neue Situation, dass Migranten nicht mehr nur in abgeschotteten Bereichen, sondern zunehmend im öffentlichen Bild präsent waren. Der Kontakt mit fremden Kulturen und Lebensweisen war für die meisten Deutschen ungewohnt und führte zu Unsicherheiten im Umgang mit Migranten. Bei Bürgerbefragungen 1995 und 1999 zeigte sich, dass das Zusammenleben nach wie vor überwiegend von einem "Nebeneinander" von Ausländern und Deutschen geprägt ist. Zu einem Anstieg der Kontakte kam es vornehmlich im öffentlichen Bereich von Arbeit und Ausbildung, Schule und Studium sowie der Nachbarschaft. Nach wie vor gibt es wenig Kontakte in informellen Gruppen wie Familie, Verwandschaft, Freundes- und Bekanntenkreis. Immerhin hat sich der Anteil binationaler Heiraten von 1992 bis 1999 fast verdoppelt auf 18 % aller Heiraten. Zwar gaben die Befragten mehrheitlich an, positive Erfahrungen mit Ausländern gemacht zu haben und bekunden verstärkt die Bereitschaft zum Zusammenleben. Es bestehen aber auch in beachtlicher Größenordnung Überfremdungsängste. Schwerwiegende Probleme mit offener Fremdenfeindlichkeit scheint es aber vergleichsweise selten zu geben.

Die alteingesessenen Osteuropäer sowie Arbeitsmigranten aus Südeuropa wirken relativ gut integriert. Schwieriger ist es mit Vietnamesen, Aussiedlern und Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen UdSSR sowie Asylbewerbern aus dem Mittleren Osten. So dominieren unter den in Leipzig untergebrachten 1.450 Asylbewerbern neben den Jugoslawen vor allem Iraker, türkische Kurden, Iraner und Afghanen. Die Betreuungsinfrastruktur sowie interkulturelle und Migrantenvereine kann mit mehreren Dutzend Einrichtungen als gut bezeichnet werden. Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es auch Ansätze eines multireligiösen Lebens, doch sind religiöse Vereine und Einrichtungen noch im Aufbau begriffen. Nur die russisch-orthodoxe Gemeinde verfügt mit der im Stil des 16. Jahrhunderts erbauten Kirche "St. Alexij" über ein eigenes Gotteshaus. 1913 zum Gedenken an die 22.000 in der Völkerschlacht gefallenen russischen Soldaten errichtet, hatte sie vor dem Aussiedlerzuzug noch rein musealen Charakter.

80 % der seit 1992 zugezogenen Aussiedler und Asylbewerber sind unter 35 Jahre alt. Fast verfünffacht hat sich von 1992 bis 1999 der Anteil ausländischer Schüler an den Schulen. Er beträgt aber trotzdem nicht einmal 2 Prozent. Mehr als die Hälfte ist noch im Grundschulalter. Rund die Hälfte aller Schüler kommt aus Asien, wobei Vietnamesen mit einem Anteil von 21 % aller ausländischer Schulkinder dominieren. An den Leipziger Hochschulen studieren mit 2.000 Studenten heute fast doppelt so viele wie 1992. Nur 15 % der erwerbsfähigen Ausländer (gegenüber 52 % derDeutschen) ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dieser beträchtliche Unterschied liegt unter anderem am hohen Studentenanteil sowie an den oft nicht vorliegenden rechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses. Viele sind aber auch selbständig oder geringfügig beschäftigt. Die meisten Beschäftigten sind Arbeiter im Dienstleistungsbereich und im Baugewerbe, bei den Selbständigen dominiert der Handel. Bezogen auf die erwerbsfähige Bevölkerung hat sich die Arbeitslosenquote der Ausländer zwar verdoppelt auf 6,9 %, liegt aber unter derjenigen der Deutschen (12,1 %). Dieser deutliche Unterschied zu westdeutschen Verhältnissen liegt zum einen darin begründet, dass alteingesessene Ausländer aus DDR-Zeiten nach der "Wende" zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis eigenes Einkommen und damit einen Arbeitsplatz nachweisen mußten. Zum anderen reist ein Teil der Migranten schon mit einem gesicherten Arbeitsplatz an - vor allem Portugiesen, die als Bauarbeiter ihren Teil zum Wiederaufbau der Stadt beitragen.

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Interkulturelle Einrichtungen in Leipzig

 

Schon wenige Monate nach der politischen Wende im Herbst 1989 entstanden die ersten Vereine, die sich mit Fragen der Migration und Integration sowie der Gestaltung eines interkulturellen Zusammenlebens in der Stadt beschäftigen - gegründet zumeist von Ausländern und Deutschen gemeinsam. Zu nennen sind der Eine-Welt e. V. mit dem Weltladen im Stadtteil Connewitz, das Interkulturelle Zentrum des Fördervereins Magazingasse 3, die Gesellschaft für Völkerverständigung, der Verein Osteuropakontakt, die Sächsische Gesellschaft für Auslandsinformation und interkulturelle Fragen e. V. (SGAF) und das RAÏ-HAUS -Zentrum für Kunst & Kulturen der Welt e.V. im Museum für Völkerkunde. Dazu kommt ein Dutzend Vereine zur Förderung der Beziehungen zu einem bestimmten Land, wie beispielsweise die Deutsch-Bulgarische Gesellschaft.

Mit Einrichtungen wie dem Ausländerbeauftragten, den Beratungsstellen von AWO und Caritas, der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA) Leipzig e. V., dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e. V., der Vereinigung der ausländischen Bürger im Freistaat Sachsen e.V., dem Flüchtlingsrat Leipzig e. V. und der Hilfe für ausländische Studierende in Leipzig e.V. und dem Interkulturellen Kontaktbüro entstand eine Beratungs- und Betreuungsstruktur, die schon ähnlich gut entwickelt erscheint, wie diejenige westdeutscher Großstädte. Beispielhaft zu nennen ist der 1996 gegründete Caktus e.V., ein freier Träger der Jugendhilfe, in dessen Trägerschaft sich die seit 1991 existierende Beratungsstelle Caktus für Kinder, Jugendliche & Familien befindet. Angeboten wird auch das Projekt "Caktusblüten"; eine multikulturelle Kreativitätsgruppe für Kinder und Jugendliche, in der getanzt und jongliert wird.

In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre entfalteten sich auch Migrantenvereine in Selbstorganisation. Neben einem Dutzend Vereinen, die auf der gemeinsamen Herkunft basieren - wie dem Kulturverein El-Iraker-Treff oder dem Verein der Vietamesen - sind aktiv: MIHRABAN Frauen im Asyl e.V., die Deutsch-Afrikanische Gesellschaft - DAFRIG, das Deutsch-Angolisches Bildungs- und Entwicklungswerk e.V., das Deutsch-Russische Zentrum zu Leipzig e.V., der International Women's Club Leipzig e.V. und KAHINA - ein Bildungs- und Informationszentrum Naher und Mittlerer Osten e.V.

Eine Anschriftenliste ausländischer und interkultureller Vereine und Initiativen findet sich im Internet unter www.leipzig.de

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Bericht "Ausländer in der Stadt Leipzig 2000"

 

Im Juli 2000 hat das Referat Ausländerbeauftragter der Stadt Leipzig erstmals einen Bericht "Ausländer in der Stadt Leipzig 2000" herausgegeben. Auf 60 Seiten bietet der farbig gestaltete Text eine Fülle von Daten und Fakten über die Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in der Messestadt. Es handelt sich um eine der ersten, wenn nicht die erste entsprechende Veröffentlichung im Osten Deutschlands. Der sehr informative Bericht beschränkt sich nicht auf Zahlen, sondern erläutert und kommentiert die Statistik, bietet Deutungsmuster und Ausblicke an. 

Der Bericht ist für 30 DM (plus Versandkosten) erhältlich bei der Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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