Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

SEXUALITÄT

Parties und Politik

Schwule und lesbische Migranten

Aus den Katakomben des "Schulz" schallt türkische Popmusik. Die Tanzfläche im geräumigen Gewölbekeller ist noch leer. Oben auf der Balustrade richten DJ und Techniker die Anlage ein. Es ist erst 22 Uhr, viel zu früh für die meisten, um an einem Freitagabend auszugehen. Die Empfangsmannschaft der Disco des Kölner Schwulen- und Lesbenzentrums (abgekürzt "Schulz") ist jedoch komplett versammelt: Die "Turkish Delight Party" kann steigen, wie jeden vierten Freitag im Monat.


Der Wagen von ERMIS auf dem Christopher Street Day in Köln 2001

Der Eintritt kostet zehn DM. Salzstangen stehen bereit. Die Kassentheke ist mit einem goldenen Schleier dekoriert. Auch der 22-jährige Levend - der lieber diesen, als seinen wirklichen Namen gedruckt sehen will - hat sich mit mehreren Halsketten, hautenger Jeans und einer Unterhose, deren Bund mit dem Designer-Label hervorschaut, feingemacht. Er versucht, mir die besondere Kunst der türkischen Anmache zu erklären: "Die Türken sind mit ihrer Flirt-Kultur lockerer als die Deutschen. Für die ist manches selbstverständlich, wo die Deutschen streng gucken würden. Das ist eben Geschmacksache," meint er. Levend mag Männer, deutsche Männer. Einen türkischen Freund hatte er zwar auch schon mal, aber, so sagt er: "Ich komme mit Deutschen besser klar. Die Türken sind mir, weil wir dieselbe Sprache haben und dieselbe Kultur, nicht so angenehm. Türkisch rede ich mit meiner Familie, und deswegen wäre es für mich komisch, wenn ich mit meinem Freund türkisch rede."

Schwulsein gehört für Levend in die Welt der Deutschen. Seinen Eltern erzählt zu haben, dass er homosexuell ist, hält er im Nachhinein für einen Fehler. Der Vater ist inzwischen gestorben. Levend lebt weiterhin bei seiner Mutter. Sie sei lockerer geworden, meint er, habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihr Sohn eines Tages doch eine Frau heirate. "Am Anfang, nachdem ich es erzählt hatte, durfte ich nicht schwul ausgehen. Ich habe mir dann langsam Freiheiten erkämpft. Aber man muss sie verstehen. Meine Mutter kommt aus einer anderen Zeit. Sie ist streng islamisch aufgewachsen. Und dass sie schon so weit ist, dafür liebe ich sie eigentlich."


Auf dem Wagen von "Türkgay" beim Christopher Street Day in Köln 1999

Bei der "Turkish Delight Party sind Männer und Frauen aller Nationalitäten willkommen. Die meisten Besucher sind Männer mit türkischem Hintergrund, meist aus der zweiten und dritten Generation der Zuwanderer. Veranstalterin der Disco ist die Gruppe TÜRK GAY & LESBIANS. Sie erreicht man über das Büro des Lesben- und Schwulenverbands in Köln. "Wir erhalten schon mal Anrufe von Deutschen, die sagen, ich bin für zwei Tage zu Besuch in Köln, ich will gern einen schwulen Türken kennen lernen," erzählt Abdurrahman Mercan. "Vorurteile gibt's auf beiden Seiten," berichtet der Aachener Student im Fach Sozialmanagement.

Ein Partnervermittlungsinstitut will die Gruppe jedoch nicht sein, auch nicht für eine Nacht! Stattdessen bietet sie Unterstützung und Informationen für türkische Lesben und Schwule und für Menschen, die sich über ihre sexuelle Identität klar werden wollen. "Wenn der Sohn einer türkischen Familie bekennt, ich bin schwul, bricht oftmals eine Welt zusammen," weiß Mercan. "Unsere Erfahrungen auch aus Briefen und Telefonaten zeigen, dass viele Eltern ihre Kinder dann zwangsverheiraten wollen oder zum Arzt schicken. Oder sie suchen einen Priester auf, der ihnen Koranverse aufschreibt. Wenn man die bei sich trägt, wird man angeblich ‚geheilt'." Das größte Problem ist für viele dieser Familien das öffentliche Bekanntwerden der Homosexualität. Um so wichtiger wird die Aufklärungsarbeit. TÜRK GAY (inzwischen wegen der erwünschten Teilnahme von Lesben TÜRK GAY AND LESBIANS) wurde 1996 von zwei türkischen Schwulen gegründet, die sich in der Szene kennen lernten. Zum ersten Treffen kamen 30 Interessierte. Viele von ihnen führten ein Doppelleben. In der Gruppe gaben sie sich gegenseitig Unterstützung, zeigten Filme oder förderten die Aufklärungsarbeit mit einer türkischen Fassung der Broschüre "Liebe verdient Respekt". Konflikte, etwa über die Kurdenfrage oder über das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Mitarbeit, blieben wie in den meisten Selbsthilfe- und politischen Gruppen nicht aus. Einer der Höhepunkte jedes Jahres ist inzwischen die Teilnahme mit einem eigenen Wagen an den Christopher-Street-Day-Paraden in Köln, Berlin oder München.

Mit ihrem eigenen CSD-Wagen in den blau-weißen Farben Hellas', geschmückt mit Mäandern oder anderen von alten griechischen Vasen bekannten Mustern, setzt auch die nach dem griechischen Gott Hermes benannte Lesben- und Schwulengruppe ERMIS erfolgreich ein Zeichen für ihre Homosexualität. Auch sie organisiert Parties, Politik und Beratung. Inzwischen gibt es ERMIS unter anderem in Stuttgart, Köln, Leipzig, Frankfurt und München. Eine Vernetzung, an der der 37-jährige Kyriakos Karapetros maßgeblich Anteil hat. Er lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Seine Eltern fragen beharrlich, wann er denn endlich heirate. Aber mit seinem Coming Out wartet der mit ERMIS im Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) engagierte Aktivist lieber noch. Er setzt sich lieber für die Homoehe und das neue Partnerschaftsgesetz ein, statt seine Homosexualität mit der ganzen Großfamilie zu diskutieren. Stolz ist er aber darauf, dass die gute Öffentlichkeitsarbeit von ERMIS in Deutschland inzwischen sogar Interview-Anfragen aus Griechenland zur Folge hat. Denn auch wenn Mykonos oder Lesbos als touristische Schwulen- bzw. Lesbenhochburgen bekannt sind, so gibt es nur wenige Treffpunkte außerhalb der Großstädte Athen und Thessaloniki. Nikos (31), der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung sehen will, zog nach Deutschland, weil er hier als Schwuler freier leben kann als in seinem Heimatland. Und doch liegt für ihn eine Geburtsstätte schwuler Kultur im alten Griechenland. "Für die Griechen aber," meint er, "oder genauer gesagt für die heterosexuellen Griechen, ist es eine Beleidigung, wenn man sagt, wir waren der Ursprung für Liberalität bezüglich der Sexualität!"

Kontakte:

ERMIS: c/o LSVD, Pipinstr. 7, 50677 Köln, www.ermis.de; ERMIS Stuttgart, Weißenburgstr. 28 a, 70180 Stuttgart

TÜRK GAY AND LESBIANS c/o LSVD, Pipinstr. 7, 50677 Köln

Literaturhinweis:
Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation 19. Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten in Berlin. Hg. Fachbereich gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, Beuthstr. 6-8, 10117 Berlin. (Darin u.a. auch ein Beitrag von Abdurrahman Mercan)


Autorin: Marianne Lange

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