Ausländer in Deutschland 1/2002, 18.Jg., 31. März 2002

INTERVIEW

Von Pflege bis Sucht

Nachgefragt beim Bundesministerium für Gesundheit

Zu einigen spezifischen Fragen im Themenkomplex Migration und Gesundheit bat AiD das Pressereferat des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) um Auskunft.

AiD: Gibt es die Leistungen der Pflegeversicherung auch im Ausland? Wenn ja: für wie lange und unter welchen Bedingungen?

BMG: Im Ergebnis wird nur das Pflegegeld der Pflegeversicherung in andere Länder der EU exportiert. Im Einzelnen:

I. SGB XI

1. Bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt von bis zu 6 Wochen kann das Pflegegeld weiterhin bezogen werden. Wenn die bisherige Pflegekraft den Pflegebedürftigen ins Ausland begleitet, ist auch die Pflegesachleistung für bis zu 6 Wochen weiter zu gewähren.

2. Ansonsten ruhen die Ansprüche gegenüber der Pflegeversicherung bei Auslandsaufenthalt (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI).

II. Verordnung (EWG) 1408/71)

1. Bei Aufenthalt des Versicherten in anderen Ländern der EU (bzw. des EWR) ist das Pflegegeld der sozialen Pflegeversicherung aufgrund der Verordnung (EWG) 1408/71 und der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Molenaar auch über die 6-Wochen-Frist hinaus an den Versicherten zu leisten. Dieser Leistungsexport betrifft nur das Pflegegeld nach §27 SGB XI. Alle anderen Leistungen werden nicht exportiert, auch die Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegeperson nach § 44 SGB XI sind auf das Inland beschränkt. Das Pflegegeld kann auch dann bezogen werden, wenn der Pflegebedürftige sich in einem Pflegeheim befindet.

2. Im Rahmen der sog. Sachleistungsaushilfe können nach der Verordnung (EWG) 1408/71 Versicherte der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung bei Aufenthalt in anderen Ländern der EU die nach dem dortigen Recht vorgesehenen Pflegesachleistungen erhalten.

Die privaten Versicherungsunternehmen gewähren an pflegebedürftige Versicherte bei Aufenthalt in anderen Ländern der EU das Pflegegeld, eine Sachleistungsaushilfe gibt es hier nicht.

Im Januar 2002 hat die Gesundheitsministerin ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen mit Ungarn unterzeichnet. Was ist der Inhalt dieses Abkommens?

Am 17. Januar 2002 wurde das Fünfte Durchführungsprogramm zu dem deutsch-ungarischen Gesundheitsabkommen unterzeichnet. Das Abkommen selbst über die Zusammenarbeit auf den Gebieten des Gesundheitswesens und der medizinischen Wissenschaft ist zwischen den Gesundheitsministerien der beiden Länder bereits im Jahr 1990 abgeschlossen worden. Aus seiner Grundlage wird die Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen des Gesundheitswesens und der medizinischen Wissenschaft, den Fachgesellschaften und ärztlichen Vereinigungen gefördert. Der sich hieraus ergebende Wissenstransfer wird unter anderem gewährleistet durch

  • Informationsaustausch,

  • Besuche von Delegationen sowie Hospitationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern,

  • Teilnahme von Fachleuten an nationalen und internationalen Kongressen, Tagungen und Symposien,

  • gemeinsame Forschungsarbeiten.

Neben der Regelung von organisatorischen Fragen einschließlich Bestimmungen über die finanzielle Beteiligung der Vertragspartner schreibt das Abkommen die Vereinbarung von sogenannten Durchführungsprogrammen vor. Sie gelten jeweils für einen begrenzten Zeitraum - in der Regel drei Jahre - regeln Detailfragen des Erfahrungsaustauschs und bezeichnen konkrete Aufgabenfelder der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Außerdem benennen die Durchführungsprogramme Kooperationspartner auf beiden Seiten.

Das im Januar unterzeichnete Durchführungsprogramm führt folgende gebiete für die Zusammenarbeit in den nächsten drei Jahren an.

  • Europäische Gesundheitsberichterstattung,

  • Gesundheitsförderung,

  • HIV/AIDS-Prävention,

  • Drogen und Suchtleiden,

  • Diagnostik und chirurgische Therapie von Erkrankungen der Knochen und Gelenke,

  • Gesundheitspolitik, Gesundheitswesen: Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik, Gesundheitsförderung, Strukturreform der Gesundheitssystem, Pflege, Medizinprodukte, mit besonderem Schwerpunkt auf europäischer Integration.

Sollte aus einem aktuellen Anlass die Zusammenarbeit auf anderen Teilgebieten erforderlich werden, kann diese Liste im beiderseitigen Einvernehmen ergänzt werden.

Gibt es ähnliche bilaterale Abkommen mit anderen Staaten?

Vergleichbare bilaterale Abkommen zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und der medizinischen Wissenschaft gibt es mit Polen, Rumänien, China und allen Rechtsnachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR, allen voran der Russischen Föderation. Ein entsprechendes Abkommen mit Bulgarien befindet sich in Vorbereitung und soll noch in diesem Jahr unterzeichnet werden.

1999 wurde im Bereich "Migranten und Sucht" ein von ihrem Ministerium gefördertes Projekt zu Aspekten des Suchtverhaltens und der Suchterkrankung von Migranten angekündigt. Was ist aus diesem Vorhaben geworden?

Zum Suchtverhalten von Migrantinnen und Migranten hat das Bundesministerium für Gesundheit drei Expertisen erstellen lassen. Aus ihnen ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Der Konsum von Tabak, der in der deutschen Wohnbevölkerung insbesondere bei sozial benachteiligten Personengruppen beobachtet wird, scheint auch die bei Migrantinnen und Migranten eine erheblich verbreitete Risikoverhaltensweise zu sein. Der Konsum von Alkohol ist dagegen vielfach kulturell beeinflusst: Währen in der Kultur der Herkunftsländer der Aussiedler der Alkoholkonsum eine große Rolle spielt, scheint Alkoholkonsum nach den Maßstäben der türkischen Kultur unangemessen zu sein. Im Bereich der illegalen Drogen wie Heroin und Kokain fielen Unterschiede zu den Konsummustern von Deutschen geringer aus als zunächst vermutet. Es ergab sich ein differenziertes Bild nach Altersgruppen und Geschlechtszugehörigkeit.

Die Expertise wurde als Bände 141 I, II, III in der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit beim Nomos-Verlag veröffentlicht. Sie können über den Buchhandel bezogen werden.

Beim Alkohol- und Drogenmissbrauch gelten junge Aussiedler wie Migranten wegen ihrer oft nicht gelungenen Integration seit einigen Jahren als auffällige und gefährdete Gruppe. Was aber können die Ursachen für den alarmierenden Anstieg bei Drogentodesfällen junger Aussiedler sein, die 2001 zu beklagen waren?

Die wissenschaftliche Analyse der Trends und Charakteristika von Drogentodesfällen ist wichtig, um wirksamere Überlebenshilfeangebote zur Senkung dieser Zahlen prüfen und erproben zu können.
Generelle sind verschiedene Ursachen der bundesweit ermittelten drogenbedingten Todesfälle festzustellen. So machen z.B. Überdosierungen rund 80% der Todesfälle aus, wobei es keine absolute toxische Dosis gibt, sondern Todesfälle nach vorübergehender Abstinenz auftreten (reduzierte Toleranz) z.B. nach Entgiftung, Therapie, Strafvollzug etc.. Ein weiterer Risikofaktor ist die gleichzeitige Einnahme mehrerer Substanzen (Mischtoxikationen inkl. Methadon). Ein zunehmend wichtiger Faktor ist eine möglicherweise unzureichende/unqualifizierte Methadonbehandlung bzw. eine "Selbstmedikation" mit Methadon aus dem "grauen Markt" (d.h. durch Erwerb von Methadon, das vermutlich aus take-home-Dosen durch Drogenabhängige abgezweigt und verkauft wird). Ebenfalls problematisch ist der wechselnde Reinheitsgehalt der Substanzen, wobei es hier keine kontinuierlichen Untersuchungen des Drogenhilfesystems gibt, sondern nur die Analysen der Polizei und des BKA. Hinzu kommen Todesfälle in suizidaler Absicht, etwa aus Verzweiflung über die Abhängigkeit oder über die privaten schlechten umstände. Eine kritische Veränderung der Lebenssituation (z.B. ein Rückfall, eine bevorstehende oder gerade abgeschlossene Entgiftung, Haft, Abstinenztherapie oder Substitutionsbehandlung) führt häufig ebenfalls zu riskanten Situationen.

Speziell für die Gruppe drogenkonsumierender junger Aussiedler kommt hinzu, dass häufig riskante Konsummuster angenommen werden müssen bei gleichzeitig ausgeprägter Distanz zu Beratungs- und Hilfeeinrichtungen sowie relativer sozialer Isolierung innerhalb der deutschen Gesellschaft.

Es ist erforderlich, den Zugang von Aussiedlern zu Hilfeeinrichtungen zu verbessern und sie über riskante Konsumformen aufzuklären. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Aktivitäten bspw. Durch die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren in Kooperation mit dem Bundesverwaltungsamt, aber auch auf Länder- und kommunaler Ebene. Das Bundesministerium für Gesundheit hat in Absprache mit dem Bundesministerium des Inneren die Prüfung und ggf. Neubearbeitung von Materialien in russischer Sprache veranlasst.

Wir bedanken uns für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen.


Die Fragen stellte Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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