Ausländer in Deutschland 1/2002, 18.Jg., 31. März 2002

PORTRAITS


Virtuelle Trainerin

Kim ist schwarzhaarig, blauäugig, schlank. Sie trägt eine Sporthose und ein bauchfreies Top und turnt an einem Palmenstrand. Eigentlich nur am Bildschirm, denn Kim ist ein Cybergirl. Sie ist persönliche Trainerin für Büromenschen, die sie vor Rückenleiden, Kopfschmerzen und Krampfadern bewahren soll. Alen Jevsenak (Foto), der "Vater" von Kim und Gründer der Firma fitatwork, ist ein 33-Jähriger Kybernetik-Ingenieur mit Sendungsbewusstsein. Am liebsten würde er sein Cybergirl an allen PC-Arbeitsplätzen der Welt sehen. Sie hat 42 von Ärzten und Physiotherapeuten empfohlene Übungen drauf und setzt daraus immer wieder ein neues kurzes Training zusammen. Die Software kann man für sich, für Freunde oder gleich für ein ganzes Firmen-Netzwerk kaufen. Das Herunterladen des Programms kostet 25 Euro: Der niedrige Preis soll auch Anwendern aus ärmeren Ländern erlauben, sich den Luxus einer eigenen, wenn auch nur virtuellen Trainerin zu gönnen.

Jevsenak wurde in Slowenien geboren. Mit fünf Jahren brachten ihn die Eltern nach Stuttgart, weil sie eine Beschäftigung in dortigen Fabriken gefunden hatten. Es kam ihm vor, so sagt er im Nachhinein, dass er aus einem Paradies voller Freiheit, Natur und Freunden in eine fremde anonyme Großstadt eines Landes entführt wurde, dessen Sprache er noch zu lernen hatte. Kim hat der junge Ingenieur aufgrund eigener Leiderfahrungen entwickelt. Nach dem Studium fühlte er sich gesundheitlich schon so, als ob er gleich in Rente gehen müsste: Das lange Sitzen vor dem Bildschirm bescherte ihm Atemnot und Kopfschmerzen. Er schaute sich nun um: "Überall sah ich krumme Rücken und hängende Schultern". Vier Jahre programmierte und designte er allein und im Verborgenen. Seine Eltern machten sich schon Sorgen: Der Junge hatte doch so gute Noten, aber statt nun arbeiten zu gehen, sperrt er sich Tag und Nacht im Zimmer ein! Das große Interesse gab ihm schließlich Recht. Inzwischen hat er Kim per Internet tausendfach in die ganze Welt verkauft (www.fitatwork.com). Eine türkische Firma erwarb sogar Lizenzen für das ganze Land. Dort wird die schlanke Schöne als Maskottchen für Manager-Fitnessclubs vorturnen. Alen Jevsenak träumt davon, einen "Ein-Mann-Weltkonzern" zu gründen - und dessen Sitz nach Maribor in Slowenien zu verlegen. Dank moderner Kommunikationstechnologie kann er sein verlorenes Paradies wieder suchen. (mjd)

[ Seitenanfang ]


Die zwei Hände der Ärztin

«Der gute Doktor hat zwei Hände», sagt Prof. Yuan Hong: "Eine für die Schulmedizin, eine für die traditionelle". Frau Yuan hatte zuerst nur die eine Hand. Sie wurde an einer chinesischen Hochschule als Frauenärztin und Chirurgin diplomiert. Während der Kulturrevolution wurden jedoch alle Schulmediziner verpflichtet, sich den traditionellen Mitteln - Kräuter, Akupunktur und Gymnastik - zuzuwenden. Anfangs glaubte die junge Ärztin nicht recht daran, aber ein Vorfall überzeugte sie schließlich: Nach einem Erdbeben war das Krankenhaus, in dem sie arbeitete, halb zerstört und voll mit Kranken und Verwundeten. Die Antibiotika waren zu Ende, also pappte man auf die verletzten Körperteile eine pflanzliche Salbe nach überliefertem Rezept. Als nach einigen Tagen die Verbände abgenommen wurden, sah man keine entzündete und eitrige, sondern saubere Wunden.

1990 - mittlerweile war Yuan Hong stellvertretende Chefärztin einer Pekinger Universitätsklinik - wurde sie von einem Kollegen nach Deutschland eingeladen. Sie sollte an einem Buch mitarbeiten und Krankenhäuser besuchen. Daraus wurde ein gemeinsames Forschungsprojekt an der Universität Bonn- und Prof. Yuan kehrte nie mehr nach Peking zurück. Jetzt arbeitet sie an der Frauenklinik der Kölner Universität und baut Krebskranke nach bestandener Operation oder Chemotherapie mit traditioneller Medizin wieder auf. "Für die chinesische Medizin ist es wichtig, das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang herzustellen", erklärt sie. "Zuerst sprechen wir mit dem Patienten, um seinen Charakter kennen zu lernen". Denn Sorgen störten den Energiefluss und verursachten Krankheiten. Dann werden das Gesicht, der Körper, die Zunge und der Puls begutachtet. Um nach diesen Methoden diagnostizieren zu können, ist eine große Erfahrung nötig. Die Schulmedizin mit ihren Röntgen-, Ultraschall- und Laboruntersuchungen habe ihre Berechtigung, "aber sie behandelt das Symptom. Wir behandeln die Ursache".

Das heißt für den Kranken meist: das Leben ändern. Nicht nur mit dem Rauchen aufhören und Sport treiben, sondern überlegen: Was ist mir wirklich wichtig? Wozu der ganze Stress? Für noch mehr Geld? Für ein weiteres Auto? "Weniger Wünsche im Kopf zu haben, das muss man trainieren", sagt die Ärztin. Sie selbst meditiert jeden Tag und macht bis zu 40 Minuten QiGong, eine Gymnastikart, die mit Atmen und Konzentration verbunden ist. So sieht sie glatt 10 Jahre jünger aus als ihre 68 und kann das beträchtliche Arbeitspensum bewältigen. Bis vor kurzem hat sie regelmäßig QiGong-Kurse in der Volkshochschule gegeben. Nach wie vor unterrichtet sie an einer Schule für Heilpraktiker. Sie will ihr Wissen weitergeben und hat sich - seit 2000 deutsche Staatsbürgerin - vorgenommen, die deutsche Grammatik noch richtig zu erlernen. (mjd)


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.