Ausländer in Deutschland 2/2002, 18.Jg., 30. Juni 2002

PROJEKTE

Länderkunde und mehr

Die isoplan-Seminare zu Migration und Integration

Die Berufsberaterin eines Arbeitsamtes fragt sich, was sie einem begabten türkischen Mädchen raten soll, das mit Kopftuch zu ihrem Vorstellungsgespräch bei der Volksbank gehen möchte. Eine Lehrerin fragt: "Wie können wir bei schwer integrierbaren Kindern besser in Kontakt zu den Eltern kommen?". Ein Mitarbeiter eines städtischen Amtes sorgt sich um Fremdenfeindlichkeit im Amt. Der Leiter einer Bildungsmassnahme ist unsicher, mit welchen islamischen Vereinen er kooperieren soll und wie er den Kontakt aufnehmen soll. So oder so ähnlich lauten typische Probleme von Personen, die mit der beruflichen und sozialen Integration von MigrantInnen betraut sind. Zweifellos besteht auch nach über 45 Jahren Zuwanderung ein grosser Schulungsbedarf.


Seminar in Flensburg

Seit 1981 bietet das Saarbrücker isoplan-Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) bundesweit jährlich rund 60 bis 75 so genannte Länderkundeseminare zu den wichtigsten Herkunftsländern ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an. Die "Philosophie" der Seminare ist einfach: Ein vernünftiges Zusammenleben von Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Herkunft erfordert die Bereitschaft von allen Seiten, die Lebenssituation der jeweils "anderen" zu verstehen und zu akzeptieren. Verstehen aber setzt Wissen voraus: Informiertheit über die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen von ArbeitsmigrantInnen, aber auch von Flüchtlingen und Aussiedlern.

Länder und Themen

Ziel der Länderkundeseminare ist es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum einen möglichst umfassend über die Situation in den Herkunftsländern zu informieren, um dadurch zu einem besseren Verständnis der Integrationsprobleme beizutragen. Entsprechend angeboten werden Seminare zu Griechenland, den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, Marokko, Polen beziehungsweise Osteuropa, Portugal, Spanien, der Türkei und Vietnam. Zum anderen werden aber auch Informationen zu Fragen der Integration von MigrantInnen dieser Länder in Deutschland vermittelt und im Erfahrungsaustausch besprochen. Die Seminare sind für jeweils 15 bis 20 Personen konzipiert, dauern in der Regel zwei Tage und befassen sich mit einer Gruppe von MigrantInnen bzw. einem Herkunftsland. Die DozentInnen sind AkademikerInnen mit Migrationshintergrund, die zudem über langjährige Berufserfahrung in der Integrationsarbeit verfügen - als Ausländerbeauftragte von Kommunen, SozialberaterInnen, PsychotherapeutInnen oder auch IslamwissenschaftlerInnen.

Die Seminare richten sich insbesondere an Multiplikatoren, das heißt Berufstätige aus den Bereichen Erziehung, Schule, Ausbildung, Unternehmen und Behörden sowie an Beratende und Betreuende an der "Basis" beruflicher und sozialpädagogischer Integrationsarbeit, die täglich versuchen, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche berufliche und soziale Integration von MigrantInnen zu schaffen oder zu verbessern. Die Seminare sind "teilnehmerorientiert", das heißt, es gibt keine "Informations-Einbahnstraße" vom "Dozententeam" zu den "Zuhörenden". Neben der Informationsvermittlung durch Referate und audiovisuelle Medien bleibt ausreichend Raum für Fragen und Diskussionen. Kein Seminar gleicht dem anderen.

Seit 1998 bietet isoplan über "reine" Länderkunden hinaus auch länderübergreifende Seminare zu spezifischen Themen an. Bei diesen liegt der Fokus - neben notwendigen Hintergrundinformationen aus den Herkunftsländern - stärker auf der konkreten Situation von MigrantInnen in Deutschland. Hierzu gehören unter anderem die praxisorientierten Seminare "Soziale Stadt - Muslimische MigrantInnen im Stadtteil", "Integrationsprobleme von Migrantinnen", "Religion und Integration: die Rolle des Islam", "Integrationsprobleme älterer MigrantInnen" und "Abweichendes Verhalten bei jugendlichen MigrantInnen".

Stark nachgefragt werden zur Zeit die Seminare "Soziale Stadt - Muslimische MigrantInnen im Stadtteil". Seit Anfang 2000 haben rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von Programmgebieten des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" die Durchführung eines solchen Seminars beantragt. Trotz der Beschränkung der Zahl jährlich durchführbarer Seminare konnten bislang bereits 25 solcher Seminare durchgeführt werden. Ob in Berlin, Dortmund, Düren, Flensburg, Frankfurt/Main, Fürth, Hagen, Karlsruhe, Leipzig, Lübeck, Ludwigshafen, Mannheim, Monheim, Neunkirchen, Oldenburg, Rüsselsheim, Schwäbisch Gmünd, Stuttgart, Völklingen oder Wetzlar - in der Regel wurden diese praxisorientierten Seminare in Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement des jeweiligen Programmgebiets durchgeführt.

Keine Info-Einbahnstrasse

Bei diesen Seminaren mit Fokus auf einen bestimmten Stadtteil wird besonders viel Wert auf einen praxis- und handlungsbezogenen Austausch gelegt. Als besonders wichtig erwiesen sich hier die Themen Islam, Familienstruktur und Wertesystem in der türkischen Familie, lokale Ökonomie, Zusammenleben im Viertel und abweichendes Verhalten von Jugendlichen. In einem Erfahrungsaustausch nach der Metaplan-Methode werden konkrete Probleme mit MigrantInnen im Stadtteil sowie Konflikte im Zusammenleben benannt. Anschließend wird herausgearbeitet, worin die Potenziale und Ressourcen von Menschen mit Migrationshintergrund liegen, auf denen Lösungsmöglichkeiten für bestehende Probleme und Konflikte aufbauen können.

Die Teilnahme von Vertretern von Migrantenorganisationen sowie Besuche von Moscheen und Migrantenorganisationen vor Ort im Rahmen des Seminars führen nicht nur zu positiven Vernetzungseffekten, sondern stoßen häufig auch Kooperationen an. Vielerorts gelang es, Projektideen umzusetzen oder Folgeaktivitäten zu planen. So hat beispielsweise ein Seminar in Völklingen nicht nur "viel Aufmerksamkeit" gefunden, wie Stephan Oellerich vom Team Soziale Stadt im Dezember 2001 schrieb, sondern dazu geführt, dass "die Empfehlungen und Anregungen nunmehr konkret umgesetzt werden". Dazu zählen die Zusammenarbeit mit der örtlichen Moschee, die Durchführung von Informationsveranstaltungen für MigrantInnen, eines Kultur- und eines Kinderfestes, eines Koch- und eines Sprachkurses sowie die Durchführung einer "Bürgerfahrt Türkei" im Herbst 2002 für rund 150 deutsche und türkische Bürgerinnen und Bürger des Programmgebiets.

Rund 15.000 Multiplikatoren sind in den vergangenen zehn Jahren geschult worden. Sie alle bekamen nicht nur grundlegendes Hintergrundwissen vermittelt, sondern erhielten auch Antworten auf ihre spezifischen Fragen. Der Leiter der Bildungsmaßnahme hat Tipps bekommen, mit welchen islamischen Verbänden er vorbehaltlos kooperieren kann und bei welchen er eher vorsichtig sein sollte. Die Lehrerin hat durch das Gespräch mit der italienischen Vertreterin eines Elternvereins Tipps für eine bessere Elternansprache bekommen. Und die Berufsberaterin versteht nun, weshalb die angehende Bankkauffrau auf ihren Kopftuch beharrt - und das das durchaus in Ordnung ist.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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