Ausländer in Deutschland 3/2002, 18.Jg., 30. September 2002

ARBEITSPLATZ DEUTSCHLAND

"Solche Leute muss man doch nutzen!"

Das Netzwerk russischsprachiger Erfinder

Stärkung des deutsch-türkischen Mittelstands

Berlin. Die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Margareta Wolf, hat am 15. Mai 2002 in Berlin mit türkischstämmigen und deutschen Verbänden Fragen des türkischen Mittelstandes in Deutschland erörtert. Türkischstämmige Unternehmen in Deutschland nehmen durch ihre vielfältigen Beziehungen zur türkischen Wirtschaft eine Brückenfunktion in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ein. Staatssekretärin Wolf zielt darauf, "das Potenzial von türkischstämmigen Existenzgründerinnen und -gründern noch stärker zu erschließen". Eine wichtige Voraussetzung dafür sei der Zugang türkischstämmiger Existenzgründer zu dem notwendigen Eigen- und Fremdkapital zu marktgerechten Preisen. Die Beteiligten waren sich einig, dass für ein nachhaltiges türkischstämmiges Unternehmertum das Qualifikationsniveau der Selbständigen ein wichtiger Faktor sei. Auch das erhebliche Ausbildungspotenzial türkischer Unternehmen in Deutschland müsse noch stärker erschlossen werden. Die Angebote der Kammern und der öffentlichen Verwaltung müssten noch mehr auf die Bedürfnisse türkischstämmiger Unternehmen in Deutschland ausgerichtet werden. BMWi und Verbände vereinbarten, einen gemeinsamen "Tag des türkischen Mittelstandes in Deutschland" zu veranstalten. (esf)

 

In einer Garage hat Peter Weingart seine kleine Werkstatt eingerichtet. Mit Hammer und Säge bearbeitet er ein Metallrohr. Der Bauingenieur aus Kasachstan hofft, ein neues Auspuffsystem zu entwickeln. Es soll Benzin sparen und die Abgase reinigen: Mehr verrät Weingart nicht. Er hat Angst vor der Konkurrenz, denn diese Aufgabe versuchen normalerweise große Forschungsabteilungen in modernsten Labors zu lösen.

Weingart hofft, die Autofahrer werden es ihm einmal danken. Seit einem Jahr arbeitet er daran, jetzt ist es schon fast reif für das Patentamt. Testen will er es am eigenen Wagen. Früher war er als Elektrotechniker beschäftigt, bekam jedoch eine schwere Allergie und musste den Betrieb verlassen. Einen neuen Arbeitsplatz suchte er bislang vergeblich. Ein Zufall führte ihn in den Bonner Club "Schöpfer". Im Wartezimmer eines Zahnarztes entdeckte er einen Aushang auf Russisch: "Erfinder bitte melden!" Das war ein Wink des Schicksals, ist der 45-jährige Ingenieur überzeugt. Er ging hin und erzählte von den Ideen, die durch seinen Kopf spukten. Denn realisiert hatte er bisher keine. Der Club stellte ihm einen erfahrenen Betreuer zur Seite und half auch mit Tipps und Fachliteratur. Mehr konnte er nicht tun: Für eigene Räume und technische Ausrüstung fehlt das Geld. Davon lassen sich die russischsprachigen Erfinder jedoch nicht schrecken. Wenn man sich keine teure Anlage leisten kann, um beispielsweise das Verhalten eines Windrades im Windstromkanal zu testen, dann wird das neue Gerät eben beim fahrenden Auto aus dem Fenster gehalten. Natürlich müssen dabei die mathematischen Grundlagen penibel durchgerechnet werden.

1999 haben sich neun Erfinderclubs russischsprachiger Migranten unter der Patenschaft des Berliner Clubs "Denker" zu einem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen. Es wird im Rahmen der Initiative "Innovationsstimulierung" (INSTI) zusammen mit 120 weiteren Clubs vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Mit den rund 2000 Euro pro Club und Jahr werden Beratung, Internet-Recherche und Fachliteratur bezahlt. Das Netzwerk hat ca. 300 Mitglieder: Ingenieure, Hochschulprofessoren oder Mitarbeiter der Forschungsinstitute aus der ehemaligen UdSSR. Die meisten sind über 40 Jahre alt und finden trotz hoher Qualifikation keinen Arbeitsplatz in Deutschland - wegen Alter, Nichtanerkennung der Diplome oder mangelnder Sprachkenntnisse. Untätig wollen sie dennoch nicht sein: In nur 3 Jahren Existenz hat das Netzwerk schon 28 Patente registriert und 12 Preise auf deutschen und internationalen Erfindermessen gewonnen. Die Erfinderclubs haben einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Aspekt. Wer sein ganzes Leben lang gearbeitet hat, ein hohes fachliches Niveau erreicht hat und plötzlich in die Situation kommt, überflüssig zu sein, "den kann man nicht integrieren", sagt der Vorsitzende des "Denker"-Clubs Dmitri Bouriakovski: "Wir geben ihm das Gefühl: Ich werde doch gebraucht!"

Gemeinsam mit seinem Mitstreiter Pawel Dohm, der die Jüdische Innovationsgesellschaft IWIS aus Berlin vertritt, hat er eine Initiative gestartet, um die Bedeutung der freien Erfinder zu steigern. In einem Brief an den Bundespräsidenten fordern sie eine Stiftung, die Ideen von Leuten, hinter denen kein Unternehmen und keine Hochschule steht, prüft und vermarktet. Die eingewanderten Berliner stellen in einer Werkstatt Prototypen her. Die Projekte sind durchaus ehrgeizig: z.B. eine Entsalzungsanlage für Meereswasser, die kostengünstig produzieren soll. Oder Windkraftmodule, die man nach Bedarf zusammensetzen kann. Zusammen mit Hochschulen wollten die Erfinder eine Testanlage bauen, aber die Finanzierung sei nach der Berliner Bankkrise gestoppt worden, bedauert Dohm. Das Netzwerk plant auch, russischsprachige Kinder in Jugendclubs nach sowjetischem Vorbild mit technischen Experimenten zu beschäftigen und so für die Natur- und Ingenieurwissenschaften zu erwärmen.

Eine der Ideen aus dem Bonner "Schöpfer"-Club hat neulich sogar die Goldmedaille der internationalen Erfindermesse in Genf geholt: ein mobiler Container von Ruwim Kisselmann, der sich zusammenklappen und schnell zum Unglücksort havarierter Tanker transportieren lässt. Dort sammelt er das ausgelaufene Öl von der Meeresoberfläche auf. Besonders schwierig ist es für Einwanderer jedoch, die schlauen Einfälle zu vermarkten. Kisselmanns Container müsste z.B. weltweit patentiert werden - das kostet mehrere hundert tausend Euro. Die Familie lebt jedoch von Sozialhilfe. Außerdem fehlen den Migranten die Kenntnisse der deutschen Amts- und Fachsprache und der Behördenstruktur. Michail Khodes, ein Mitglied des Bonner Clubs, hatte gleich nach Ankunft in Deutschland vor vier Jahren dem Arbeitsamt von seinen mitgebrachten selbstentwickelten Produkten erzählt und bekam eine ellenlange Liste. Dort waren auf Deutsch alle Ämter und Organisationen aufgeführt, an die er sich wenden sollte. Getan hat er das jedoch nicht: "Jetzt kann ich einigermaßen Deutsch, damals sehr wenig. Konnte ich mich etwa alleine an die Ämter wenden, z.B. an das Patentamt in München?", sagt der 67-jährige ehemalige Laborleiter eines russischen Forschungsinstituts. Er vermisst Unterstützung: ob von staatlicher Seite oder durch spezialisierte Vermittler. Nur zu gerne würde er statt von Sozialhilfe von den Früchten seiner Kreativität leben und Steuern zahlen: "Solche Leute wie mich muss man doch nutzen".


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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