Ausländer in Deutschland 3/2002, 18.Jg., 30. September 2002

KOMMUNALE INTEGRATIONSPOLITIK

Lichter der multikulturellen Stadt

Stuttgart ist auf dem Weg zu einer modernen Integrationspolitik

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das politische Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland und mit ihm das Zuwanderungsgesetz kamen mit jahrelanger Verzögerung. Ob Deutschland im Umgang mit der Einwanderungsrealität die Kurve kriegt, wird sich in ihrer konkreten Gestaltung in den Städten zeigen müssen. Dass nicht einmal ein Fünftel aller größeren Städte über ein Gesamtkonzept zur kommunalen Integrationspolitik verfügt, und dann oftmals über ein veraltetes, weist auf große Versäumnisse und einen beträchtlichen Nachholbedarf hin.

Kommunale Integrationspolitik ist keine Frage parteipolitischer Überzeugungen, und sie hängt auch nicht davon ob, wie hoch der Migrantenanteil in einer Stadt ist. Beides haben die Integrationsbeauftragten verschiedener Städte bei einer Podiumsdiskussion auf Einladung des "Bündnisses für Integration" der Stadt Stuttgart am 19. Juli 2002 deutlich gemacht. Für Berlin wie für Dresden, München oder Zürich gilt, so die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John: "Es muss sich alles ändern, damit alles beim Alten bleibt." Vom Horrorszenario einer drohenden Segregation und dem Entstehen von Parallelgesellschaften wusste keiner der Gäste aus seiner Stadt zu berichten. Wohl aber von ganz unterschiedlichen Alltagsrealitäten, auf die mit jeweils anderen Schwerpunkten reagiert werden muss. Wenn in einer Stadt wie Dresden, wo der Migrantenanteil nur 3 % beträgt, die Schüler an Gymnasien bei einer Befragung jedoch einen Anteil von 30 % mutmaßen und überdurchschnittlich viele Jugendliche rechtsextremistisch orientiert sind, dann liegt es auf der Hand, dass die Arbeit der Integrationsbeauftragten sich in erster Linie an die Mehrheitsgesellschaft richten und für Aufklärung sorgen muss.

Stuttgart, München, Frankfurt und Zürich dagegen leben bereits den intensiven Alltag multikultureller Städte, über dessen weitere Zukunft die kommunale Integrationspolitik mit entscheiden wird. Dabei gilt es, die Sorgen der alteingesessenen wie die der eingewanderten Bevölkerung ernst zu nehmen. "Die einen klagen, das sei nicht mehr ihre Stadt wie vor dreißig Jahren, und von den anderen hören wir, sie lebten schon seit dreißig Jahren hier, fühlten sich aber noch immer nicht zu Hause", beschreiben Gari Pavkovic und Isabel Lavadinho, die Stuttgarter Integrationsbeauftragten, die Befindlichkeiten in ihrer Stadt. Stuttgart hat darauf reagiert, indem der Stadtrat im November vergangenen Jahres ein Bündnis für Integration geschlossen und ein Gesamtkonzept zur interkulturellen Stadtpolitik vorgelegt hat, das nun Schritt für Schritt umgesetzt wird.

Integrationsarbeit als Querschnittsaufgabe

Für Professor Michael Krummacher von der Evangelischen Fachhochschule Bochum ist dieses Vorgehen überaus lobenswert. Krummacher beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen kommunaler Integrationspolitik und hat den Entwicklungsprozess der interkulturellen Gesamtkonzepte in Essen und Solingen beraten, dokumentiert und evaluiert. Aus der Begleitforschung hat er Thesen entwickelt, die auch anderen Städten als Anregung dienen können. So sollte seiner Meinung nach jede größere Stadt Zuwanderung und interkulturelles Zusammenleben als Querschnittsaufgabe begreifen und dazu, aufbauend auf einer Ressourcen- und Defizitanalyse, ein Gesamtkonzept entwickeln. Dies muss "von oben" politisch gewollt und "von oben und unten" aktiv mit getragen werden. Neben Politik und Verwaltung müssen auch die VertreterInnen der nicht-städtischen Institutionen sowie ganz besonders die MigrantInnen-Selbstorganisationen in diesen Prozess eingebunden werden. Eine zentrale Aufgabe ist die interkulturelle Öffnung und Sensibilisierung aller Behörden, Dienste und Einrichtungen. Darüber hinaus sind möglichst konkrete Empfehlungen zu zentralen Handlungsfeldern der Integrationsförderung zu formulieren. Dazu gehören insbesondere Sprachförderung, Beschäftigung und Qualifizierung, Schule, Ausbildung und außerschulische Jugendarbeit, Wohnen, Stadtentwicklung, Soziale Beratung und Betreuung, Gesundheitsförderung, Konfliktmanagement und die Förderung des interkulturellen Zusammenlebens.

Dem Argument vieler Kommunen, angesichts leerer Kassen keinen Handlungsspielraum für neue Aufgaben zu haben, hält Krummacher entgegen, dass eine konsequente interkulturelle Stadtpolitik, die sicherlich nicht kostenneutral geschehen könne, auf lange Sicht dennoch volkswirtschaftlich kostengünstiger sei. Das Ziel eines gleichberechtigten und friedlichen Zusammenlebens in den Städten sei außerdem als Gemeinschaftsaufgabe zu betrachten, die auch von Bund und Ländern finanziell gefördert werden müsse. Bei der Konzeptentwicklung schließlich gehe es wesentlich um zukunftsgerichtetes Umdenken bei der Entwicklung von Leitbildern, Zielen und Projekten - schwierige Aufgaben, die jedoch nicht unbedingt viel Geld kosten.

Stuttgart hat nun im Eilschritt Maßnahmen begonnen, mit denen die Stadt ihre Integrationsziele verwirklichen will. Die Förderung der Chancengleichheit soll insbesondere durch ein Gesamtsprachkonzept gewährleistet werden. Nach sorgfältiger Analyse des bisherigen Sprachkursangebots des Bundes und der vorgesehenen Maßnahmen nach dem Zuwanderungsgesetz hat die Stadt beträchtliche Mittel eingesetzt, um gerade denjenigen MigrantInnen, die nicht über andere Finanzierungen unterstützt werden, Sprachkurse anbieten zu können. Eine Verbesserung der Schulerfolgs von Kindern nicht deutscher Muttersprache soll bei den Übergängen in weiterführende Schulen und bei den Abschlüssen erreicht werden. Hierzu dienen Sprach- und Lernhilfen durch "Paten" bzw. "Mentoren" aus den Stadtteilen, Fortbildungsangebote für Erzieherinnen und Lehrkräfte sowie Deutschkurse für Eltern mit dem Schwerpunkt "Das Lernen im Kindesalter - wie können wir unsere Kinder dabei unterstützen?". Bei den Maßnahmen zur beruflichen Integration wurde auch die Stadtverwaltung selbst als Arbeitgeber ins Visier genommen. So sollen Werbekampagnen die Attraktivität der Stadtverwaltung für Auszubildende nicht deutscher Muttersprache erhöhen.

Die interkulturelle Ausrichtung der Stadtverwaltung spielt ohnedies eine zentrale Rolle im Konzept der Stadt Stuttgart. Neben der Verankerung der Integrationsarbeit als Querschnittsaufgabe in den Ämtern soll der Bürgerservice in der internationalen Stadt optimiert werden, um auf diese Weise den Prinzipien der Bürgernähe und Kundenorientierung auch in den migrationssensiblen Bereichen gerecht zu werden. Die Integrationsbeauftragten haben in den vergangenen Monaten Gespräche mit fast allen städtischen Ämtern geführt. Dabei wurden Informationen über Anliegen und Handlungsbedarf der einzelnen Fachbereiche ausgetauscht und Ziele in Bezug auf Personalförderung, spezifische Maßnahmen und zielgruppenspezifische Angebote formuliert. Diese reichen von unterstützenden Maßnahmen für MitarbeiterInnen in belastenden Arbeitssituationen etwa beim Wohnungsamt, über die Berücksichtigung interkultureller Aspekte beim Bau von Spielplätzen und Freizeitanlagen, bis hin zur verstärkten Gewinnung mehrsprachigen Fachpersonals im Jugendamt oder Sozialamt. Die geplanten oder bereits in der Umsetzung befindlichen Maßnahmen sind eine ausgewogene Mischung aus Geben und Nehmen: Es wird nicht nur gefördert, sondern auch gefordert. So soll der Nachweis von Deutschkenntnissen künftig mit entscheiden sowohl bei Einstellungen im öffentlichen Dienst als auch etwa bei der Vergabe städtischer Wohnungen, da man sich davon erhofft, die Kommunikationsfähigkeit in belasteten Stadtteilen zu erhöhen.

Stuttgart hat einen modernen Weg in der Integrationspolitik eingeschlagen. Es ist zu hoffen, dass viele andere Städte diesem Beispiel folgen werden.

Kontakt: 
Landeshauptstadt Stuttgart, 
Stabsabteilung für Integrationspolitik, Eberhardstraße 61, 
Tel.: 0711/216-7896, Fax: -5640, S/IP@stuttgart.de


Autorin: Veronika Kabis

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.