Ausländer in Deutschland 4/2002, 18.Jg., 30. Dezember 2002

SCHWERPUNKT: BILDUNG

Qualifizierung:
Azubis auf internationalem Parkett

Auswirkungen der Internationalisierung der Wirtschaft auf den Qualifikationsbedarf


Techniker bei Siemens

"Internationale Qualifikationen" werden heutzutage nicht nur von Managern verlangt, sondern zunehmend von Facharbeitern und -angestellten, stellten Peter Wordelmann und Hans Borch vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) auf dem Fachkongreß "Berufsbildung für eine globale Zukunft" Ende Oktober fest. Sie haben den Bedarf und die Inhalte dieser Qualifikationen in den Betrieben untersucht. Die Internationalisierung habe nach den Großkonzernen auch den Mittelstand erreicht und zwar die Büros wie auch die Werkstätten. Das BIBB beschäftigt sich seit Mitte der 90er Jahre mit den Auswirkungen der Internationalisierung der Wirtschaft auf den Qualifikationsbedarf.

Zwar denken alle beim Stichwort "international" sofort an Fremdsprachen, und diese, vor allem Englisch, sind tatsächlich unabdingbar. Aber es sind die Fachkenntnisse, die befähigen, auf dem Weltmarkt zu bestehen. Dazu gesellt sich das gewisse Etwas - die interkulturelle Kompetenz, die Fähigkeit, mit ausländischen Kollegen, Partnern und Kunden auf einer gemeinsamen Ebene zu kommunizieren und über die eigenen Grenzen hinaus zu denken und zu handeln. "Die Unternehmen müssen reibungsfrei funktionieren, auch wenn die Beschäftigten aus verschiedenen Kulturkreisen stammen", so die Wissenschaftler. Dies erfordere mindestens eine Respektierung unterschiedlichster kulturell oder religiös geprägter Verhaltensweisen, Handelssitten und Erwartungen an Produkt und Service. Kulturelle Unterschiede könnten sich auch kreativ auswirken.

Großunternehmen neigten dazu, die "internationalen Qualifikationen" ihrer Mitarbeiter zu überschätzen. Kleine und mittlere Betriebe unterschätzten dagegen den Wettbewerbsnachteil, den die Mängel auf diesem Gebiet mit sich bringen. Fremdsprachen und interkulturelles Know-how werden generell in den kaufmännisch-verwaltenden und in den Dienstleistungsberufen als notwendiger und selbstverständlicher angesehen. Im gewerblich-technischen Bereich gebe man der Fachkompetenz den Vorrang. Diese Unterscheidung sei aber nicht mehr zu halten, meinen die Wissenschaftler, da Ingenieure und Facharbeiter, auch und besonders im Mittelstand, schon mit Zulieferern im Ausland zusammenarbeiten und Kunden in der ganzen Welt beraten und betreuen müssen - z.B. über das Internet. Im Netz kommt man unentwegt mit Vertretern anderer Kulturen zusammen, sei es in der Videokonferenz mit der Firmenniederlassung in Lateinamerika oder im Beantworten von Kunden-Mails. Die bisher in direkter Kommunikation erworbene interkulturelle Kompetenz wird künftig eine starke "technische" Komponente gewinnen.

Laut Borch und Wordelmann habe sich das System der dualen Berufsausbildung bisher als resistent gegen die Anforderungen der Internationalisierung gezeigt. In den neuen Ausbildungsordnungen seien diese auf Lesen und Auswerten von englischen Regelwerken und Handbüchern reduziert. Speditionskaufsleute - und das ist schon das Äußerste an Internationalität - müssen laut Ausbildungsverordnung in der Lage sein, fremdsprachliche Fachausdrücke zu verwenden, Dokumente zu erstellen und einfache Auskünfte zu erteilen. Interkulturelle Kompetenz spielt bei alledem gar keine Rolle.

Die Forscher fordern eine interkulturelle Basisqualifikation für alle. Der Mitarbeiter muß mindestens wissen, daß in anderen Ländern vieles anders läuft und darf, auf Englisch angesprochen, nicht die Fassung verlieren. Für die Betriebe bisher eine Aufgabe der Weiterbildung: als Vorbereitung auf den Auslandseinsatz oder bei dringendem Bedarf auf dem inländischen Arbeitsplatz. "Ansonsten geht man davon aus, dass die Beschäftigten die nötige Qualifikation eh schon besitzen oder sich notfalls selber darum bemühen". Bei Neueinstellungen werden Auslandsaufenthalte in den Bewerbungsmappen gern gesehen. Vereinzelt werden in Deutschland aufgewachsene Ausländer für internationale Tätigkeiten eingestellt.

Wordelmann und Borch empfehlen den Unternehmen, an internationalen Austauschprogrammen für Auszubildende teilzunehmen und ausländische Praktikanten aufzunehmen. Sinnvoll sei auch, die Azubis an der Betreuung ausländischer Kunden oder an Auslandseinsätzen zu beteiligen. Die internationale Dimension müsse auch prüfungsrelevant sein.

Im November 2002 haben sich die 15 Bildungsminister der EU verständigt, den internationalen Austausch in der Berufsbildung zu erleichtern. Es soll ein Programm ähnlich wie "Erasmus" für Studenten aufgelegt werden. Bei der gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationen wird dem "Europass", einem Dokument, in dem die erworbenen Fertigkeiten detailliert beschrieben werden, eine wichtige Rolle zugedacht.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Literatur: Ekbert Hering, Waldemar Pförtsch, Peter Wordelmann: Internationalisierung des Mittelstands. Hrsg. BIBB, Bielefeld: Bertelsmann 2001 in der Reihe "Berichte zur beruflichen Bildung", H. 244

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