Ausländer in Deutschland 4/2002, 18.Jg., 30. Dezember 2002

SCHWERPUNKT: BILDUNG

Ausbildungsprojekte

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Älterer Bruder - ältere Schwester

Türkischstämmige Studenten geben jungen Landsleuten Nachhilfeunterricht: Die Idee der Europäischen Vereinigung Türkischer Akademiker (EATA) ist bestechend einfach. Die Betreuer nennen sich nicht von ungefähr "älterer Bruder" (Agabey) bzw. "ältere Schwester" (Abla). Sie gehen einmal pro Woche den Schulstoff durch, aber auch mit den Jüngeren ins Museum, ins Theater, in die Bibliothek und auf den Sportplatz. Für viele Kinder ist dies der erste Theater- oder Museumsbesuch überhaupt, schreibt EATA auf ihrer Website.

Die Studenten und Studentinnen sind zweisprachig und für die Kinder und ihre Eltern lebende Beispiele dafür, "wie man sich gleichzeitig in die deutsche Gesellschaft vollständig integrieren und wichtige Kernaspekte der türkischen Kultur bewahren kann". Und da sie auch zwischen Schülern und Lehrern vermitteln und auch anderen Einwandererkindern helfen, rücken sie nebenbei das Image des Türken, der angeblich nur am Fließband arbeiten oder Döner verkaufen kann, zurecht.

Die ersten Agabeys und Ablas wurden vor 11 Jahren in Nürnberg aktiv. Angefangen hatte man mit Einzelunterricht für einige Hauptschüler und Gymnasiasten. Schon 1992 wurden darüber hinaus Berufsberatung, Eltern- und Schulbesuche angeboten. Das Lernen in kleinen Gruppen erwies sich als effektiver als die Einzelbetreuung. In der Regel arbeitet ein Student mit 5 bis 10 Kindern. Die EATA-Mitglieder sehen es gerne, wenn ihre Ideen und Projekte übernommen bzw. nachgeahmt werden. Mit Hilfe anderer Vereine wurde "Agabey-Abla" später in Berlin, Ingolstadt, München, Frankfurt, Mainz und Stuttgart ebenfalls verwirklicht. Da die EATA eine internationale Organisation der Türkischstämmigen in Westeuropa ist, sind die "älteren Geschwister" auch in Belgien, der Schweiz, Dänemark und Österreich am Werk. Als reine Nachhilfe soll die Idee nicht begriffen werden: Das Vorbild der jungen Einwanderer und ihre Mittlerfunktion spielen die zentrale Rolle.

Die Pädagogikstudentin Altin Oral betreute in Stuttgart ein Jahr lang Grundschulkinder. Sie half bei den Hausaufgaben, besprach mit der Lehrerin, wo die Sprachprobleme liegen und übte Grammatik und Rechtsschreibung. Bei allen Kindern hätten sich die Noten gebessert, sagt sie. Zwei von ihren Viertklässlern schließen mit einer Empfehlung für die Realschule bzw. für das Gymnasium ab, die sie sonst nicht bekommen hätten. Dass ihr das Studium zur Zeit keine Möglichkeit für das Ehrenamt mehr lässt, bedauert sie sehr.

Die ehrenamtliche Initiative stößt an ihre Grenzen. Als die Studenten der ersten Stunde durch Prüfungen, Berufseinstieg und Familiengründung keine Zeit mehr hatten, wurde es schwierig, neue zu finden. Die Stuttgarter EATA musste deswegen in diesem Jahr das Projekt einfrieren, nachdem 20 Kinder etwa 2 Jahre lang betreut wurden. Sehr zum Bedauern der türkischen Familien, wie der stellvertretende EATA-Vorsitzende, Utku Kuturman, betont. "Unsere türkischen Eltern möchten den Kindern eine gute Bildung geben", sagt Kuturman, "aber irgendwie sind ihnen die Hände gebunden". Normaler Nachhilfeunterricht sei für sie zu teuer.

Ab Januar werde das Projekt jedoch durch die regionale Bildungsoffensive für türkischsprachige Menschen mit 100.000 Euro finanziert. Kuturman ist zuversichtlich, dass mit dem Geld etwa 30 Betreuern eine pädagogische Schulung und ein kleines Honorar geboten werden kann. So soll das Projekt ab 2003 in mehreren Schulen durchgeführt werden.

Da, wo es finanzielle Unterstützung vom Staat gab, wie etwa in Berlin, wurde die Idee schneller und in mehreren Stadtteilen realisiert. Dies zeigt auch die Erfahrung der anderen Städte. Blieb die Förderung dagegen aus und mussten Gebühren bezahlt werden, schickten die Eltern die Kinder oft nicht hin oder brachen die Teilnahme vorzeitig ab.

Kontakt: eata-online.net (Projekte)


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Ein sicherer Bürojob mit Exotenstatus

Havva Mert (Foto) sitzt werktags von 6:30 bis 15 Uhr an einem langen Schreibtisch und bearbeitet die Tagespost: Abrechnungen mit den Krankenhäusern, Kautionen für die Vermieter, Tagessätze für Durchreisende, Bekleidungsgeld... Zur rechten Hand liegen drei dicke Mappen, zur linken eine noch dickere Sammlung der Sozialgesetze. Die Auszubildende der Stadtverwaltung Wuppertal glaubt, ihren Traumberuf gefunden zu haben. An einen Arbeitsplatz im Rathaus hatte die Tochter türkischer "Gastarbeiter" früher nie gedacht. Vor zwei Jahren kam sie an einem Plakat vorbei, blieb stehen und las staunend: "Die Stadt Wuppertal möchte verstärkt Jugendliche ausländischer Herkunft bei der Ausbildung berücksichtigen".

Havva Mert war sofort Feuer und Flamme. Sie brach ihre angefangene Ausbildung als Kauffrau bei Metro ab und bewarb sich nach Wuppertal. Im Eignungstest und Vorstellungsgespräch setzte sie sich gegen mehrere Bewerber durch. Die Anforderungen an Migranten seien die gleichen wie an Deutsche, betont der Ausbildungsleiter der Stadt, Rainer Neuwald, weil sie später genauso im Beruf bestehen müssen.

Die junge Frau mit modischen Jeans und blonden Strähnen im langen schwarzen Haar lernt gerne. Vor einem Jahr hat sie geheiratet. Bei aller Freude war es ihr etwas bange: Die beiden älteren Schwestern hatten nach der Heirat die jeweiligen Ausbildungen abgebrochen. Ihre Leistungen seien dagegen noch besser geworden, sagt sie stolz. Die Abschlussprüfung will sie mit mindestens 2 schaffen, damit sie später den Lehrgang für den gehobenen Dienst anstreben kann. Vielleicht auch ein Studium. Jura, die trockene Materie der Gesetze, zieht sie an. Obwohl sie entdeckt hat, dass ihr die Akten weniger Spaß bereiten als der Umgang mit Menschen und deren Problemen. Sie wünscht sich Arbeit mit intensivem Kundenkontakt: im Ausländeramt oder Sozialamt, die eigentlich als harte Maloche verschrien ist. Wenn türkische Antragsteller mit der Amtssprache Deutsch nicht zurechtkommen, springt sie als Dolmetscherin ein. Das sei für die Kunden eine große Erleichterung, sagt sie, dass da einer hinter dem Schreibtisch sitzt, der "selbst türkisch ist, der dich versteht". Nun ja, und ein bisschen Vorbild ist sie auch.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Aufstieg im Tandem

 

Wenn Mareike Bresser und Ayten Kumtepe zusammenkommen, gehen sie erst mal die gemeinsamen Bekannten durch: Welcher Professor unterrichtet noch, was ist aus dem und dem Assistenten geworden? Welche Seminar-Scheine sind jetzt angesagt? Mareike hat vor fünf Jahren ihr Studium an der Universität Essen abgeschlossen und seitdem den Kontakt zur alten Alma Mater immer wieder vermisst. Ayten studiert dort im 9. Semester Bauingenieurwissenschaften. Seit dem Sommer sind die beiden ein Paar. Die große Blondine ist die Erfahrene, sie hat es geschafft, und die zierliche Brünette darf ihr Löcher in den Bauch fragen.

35 solcher Paare aus je einer Mentorin und einer Mentee haben sich an der Universität Essen zusammengefunden. Das MEDUSE genannte Frauenförderprogramm gibt es seit 1999, und es umfasst alle Fachrichtungen. Im Sommer diesen Jahres wurde es auf Studentinnen aus Einwandererfamilien ausgeweitet. Die 13 Betreuten stammen aus der Türkei, Griechenland und dem ehemaligen Jugoslawien. Die Betreuerinnen sind größtenteils Deutsche.

Für die Studentin Kumtepe war ihre türkische Herkunft nicht der Grund, am Projekt teilzunehmen. Benachteiligt hat sich die Duisburgerin mit akzentfreiem Deutsch nie gefühlt. Mentees mit Kopftuch - solche gibt es auch, - würden sicherlich größere Schwierigkeiten haben, vermutet sie. Ihr jedoch lag es viel mehr daran, eine Frau zu sein - in einem Beruf, in dem meist Männer arbeiten. Vorbilder für den Berufsweg findet sie in der eigenen Familie keine. Ihr Vater ist ein einfacher Arbeiter, die Mutter verdient etwas dazu, die Geschwister sind jünger.

"Dieses Gefühl hatte ich nämlich auch!", sagt Mareike Bresser: "Jetzt sieht es eh so schlecht aus mit Jobs und darüber hinaus bin ich noch eine Frau! Was kann mir noch Schlimmeres passieren!" Die Haltung "bitte entschuldigen Sie, dass ich eine Frau bin" sei die falsche, erklärt sie ihrer Mentee. Ganz anders solle sie auftreten, nämlich: "Hoppla, hört mal her, ich bin eine Frau und bin Ingenieurin und habe ganz viele Vorteile den Männern gegenüber!"

Zu Beginn hatten beide Frauen Fragebögen ausgefüllt und wurden anhand dieser Profile zusammengeführt. Die Zusammenstellung passte auf Anhieb: Die beiden waren sich schnell sympathisch. Ohne dies würde eine Mentorin-Mentee-Beziehung auch nie funktionieren. Einmal im Monat treffen sie sich für ein paar Stunden oder besuchen gemeinsam die Veranstaltungen des Netzwerks. Zu Beginn hatten sie eine Liste mit Themen aufgestellt. Ayten wollte vor allem wissen, was es für Probleme bei den Bewerbungen gab, ob Mareike sich in ihrem Beruf überhaupt wohl fühlt, ob sie irgendwie benachteiligt wird. Mareike Bresser lässt sich gerne ausquetschen und profitiert doch selber vom Gespräch: "Die Probleme oder die Sorgen, die sie sich macht, sind wirklich 1:1 übertragen zu denen, die ich vor fünf Jahren hatte. Insofern ist es für mich ganz schön, einfach mal zu reflektieren, wo stehe ich jetzt, wo habe ich angefangen?"

Sind die Themen abgehakt, plaudern die beiden weiter: über Mareikes bevorstehenden Umzug, Aytens Hochzeit oder was ihnen der christliche bzw. der muslimische Glauben bedeutet. Nach dem Ende des Studiums wäre Ayten Kumtepe zufrieden, am Schreibtisch zu sitzen und die Statik irgendeines Häuschens zu berechnen. Das hatte Mareike Bresser einst auch so gedacht, aber es kam anders. Nun plant sie die ICE-Schleife zum Kölner Flughafen mit. Die Jüngere darf demnächst in ihr Büro hineinschnuppern. Vielleicht wäre sogar ein Praktikum möglich, " um einfach mal zu sehen, was heißt es denn, um 8 Uhr morgens im Büro zu sein und bis abends zu arbeiten. Was macht man denn so den ganzen Tag als Bauingenieurin? Wie ist es denn, wenn man auf Besprechungen ist?" Bresser bedauert, dass sie damals diese Chance nicht gehabt hat.

Auf zehn Monate ist das Betreuungsverhältnis angelegt worden, aber die beiden Ingenieurinnen werden sich wahrscheinlich nicht an die Begrenzung halten. Wenn Ayten in der Diplomphase mehr Zuwendung braucht, dann soll sie sie auch bekommen. Möglich, dass sie sich auch später nicht aus den Augen verlieren. Denn die Frauen, die nur vier Jahre Altersunterschied voneinander trennen, sind schon so etwas wie Freundinnen geworden.

Kontakt: 
Universität Essen, Suzanna Scharlibbe, 
Tel.: 0201/1834527, www.uni-essen.de/meduse


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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"Wir holen Jugendliche von der Straße"


Rumänische Hotelfachschülerin

Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Der Anteil der Un- und Angelernten an der Zahl der Arbeitslosen beträgt etwa 50%; die Zahl der Arbeitsplätze für un- und angelernte Erwerbstätige wird bis zum Jahr 2010 um weitere 40% zurückgehen; 80% der im Arbeitsamtsbezirk Nürnberg gemeldeten arbeitslosen Ausländer haben keinen beruflichen Abschluss. Bereits diese wenigen Zahlen waren Grund genug, dass 1999 in Nürnberg der "Ausbildungsring ausländischer Unternehmer e.V.", kurz AAU, gegründet wurde. Sein Ziel: Lehrstellen für ausländische Jugendliche zu schaffen und ausländische Unternehmer zur Ausbildung zu motivieren.

Einer der beiden Vorstandsvorsitzenden des Vereins, der deutsch-türkische Unternehmer Peter Aladin Dinc erläutert: "Wir haben im Vorstand bekannte Unternehmer, die unsere Vereinsziele allein deshalb bei ihren Landsleuten mit Aussicht auf Erfolg propagieren, weil sie bei ihnen einen guten Ruf genießen. Zudem haben wir in unserer Hauptgeschäftsstelle Azubis aus allen möglichen Ländern - und das schafft in jedem Fall Vertrauen." Da der AAU von Anfang an ausländische Geschäftsleute in seinem Vorstand hatte, verfügte er zum Zeitpunkt seiner Gründung bereits über etwa 20 Ausbildungsplätze. Inzwischen ist deren Zahl auf etwa 80 gestiegen. "Das ist dringend notwendig, denn wir wollen die ausländischen Jugendlichen von der Straße bekommen", sagt Dinc und fügt hinzu: "Zugleich helfen wir so ausländischen Unternehmen, ihre eigenen Fachkräfte auszubilden, damit sie den Bestand ihres Betriebs sichern können." Der AAU betreut in erster Linie Jugendliche, die es auf dem freiem Markt schwer haben, etwa Türkinnen mit Kopftuch oder Schulabgänger mit schlechten Deutschkenntnissen. Dinc: "Es gibt aber auch ausländische Jugendliche mit sehr guten Schulabschlüssen, die einfach keine Chance bekommen, weil deutsche Unternehmer öfters deutsche Bewerber vorziehen. Wir können jetzt auch diesen jungen Leuten eine Chance geben. Einige von ihnen würde ich in meinem Betrieb mit Kusshand als Mitarbeiter begrüßen."

Ein Pluspunkt stellt auch die Art der Ausbildung dar: viele kleine Unternehmen bilden zusammen mit einem Leitbetrieb einen Ausbildungsverbund. "Der Leitbetrieb ist ein Unternehmen, das bereits selbstständig ausgebildet hat. Dort lernt der Azubi die Teile, zu deren Vermittlung seine Ausbildungsstätte noch nicht fähig ist," erklärt Dinc. Der AAU ist für die gesamte Ausbildung verantwortlich. Er kontrolliert die Einhaltung der Ausbildungsvorschriften und z.B. auch die Überweisung der Ausbildungsvergütung. "Bei vielen klappt´s, bei anderen muss man eben öfter kontrollieren," sagt Peter A. Dinc. Parallel zur betrieblichen Ausbildung besuchen die Azubis natürlich die Berufsschule. Der AAU hilft aber bei Bedarf mit eigenem Unterricht z.B. in Deutsch, Mathematik oder Buchhaltung. Auch die Auswahl an Lehrberufen ist inzwischen Zeit größer geworden: Zur Ausbildung als Kaufmann für Bürokommunikation, Kaufmann im Groß- bzw. Einzelhandel, Reiseverkehrskaufmann und Mediengestalter sind nun Berufe aus der Hotellerie und der Gastronomie hinzugekommen.

Der AAU wird in seiner Arbeit von der IHK, dem Arbeitsamt, dem Europäischen Sozialfonds und dem bayerischen Arbeits- und Sozialministerium unterstützt.

Kontakt: 
Ausbildungsring ausländischer Unternehmer e.V., Tel. 0911/28765-04, Fax: -35, www.aauev.de.


Autor: Peter Andratschke

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Ein Zukunftsgutschein für Leila

 

Die Griechin Maria und der Türke Ibrahim kamen vor 40 Jahren nach Deutschland, um bei Thyssen anzuheuern. Irgendwann konnte der ungelernte Arbeiter Ibrahim mit der neuen Technologie nicht mehr Schritt halten und wurde entlassen. Maria, die inzwischen seine Frau geworden war, bildete sich dagegen weiter und wurde Leiterin eines interkulturellen Kindergartens. Beide engagierten sich in einem deutsch-türkisch-griechischen Verein und sorgten dafür, dass ihre Kinder einen Beruf ergreifen. Maria und Ibrahim träumen davon, dass aus ihren Enkeln ein angesehener Staatsanwalt und eine Ingenieurin werden. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Denn die Geschichte von Maria und Ibrahim ist ein Märchen, das die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt "Wie wollen wir morgen arbeiten?" sich ausgedacht haben. Sie wissen, dass die Realität meist anders aussieht: Aus den Nachkommen der ehemaligen Gastarbeiter werden viel zu oft Ungelernte und Arbeitslose.

Zu der Zukunftswerkstatt hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit gemeinsam mit Pro Qualifizierung und KAUSA Vertreter der Migranten eingeladen. Es war die achte Ideenschmiede aus der Initiative "Neue Qualität der Arbeit" (INQA), die der damalige Bundesarbeitsminister Walter Riester 2001 ins Leben gerufen hatte. Die Initiative wird von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Krankenkassen und Versicherungen mitgetragen. Spezifische gesellschaftliche Gruppen konnten ihre Vorstellungen von der Zukunft der Politik unterbreiten: Beamte, Schüler, Behinderte, Medienleute - und nun auch die Einwanderer. Es geht darum, "wie wir morgen arbeiten wollen", so Moderator Gerhard Rothhaupt, "und nicht darum, was die Wirtschaft von uns fordert". Die Ergebnisse der Zukunftswerkstätten sollen im Herbst 2003 präsentiert werden.

"Dass wir überhaupt gefragt werden", freute die Teilnehmer am meisten. Denn sie haben den Eindruck, dass die Mehrheitsgesellschaft an den Potentialen der Migranten desinteressiert ist. Sie kritisierten die "gläserne Decke" in der betrieblichen und sozialen Hierarchie: Die Einwanderer werden von den Entscheidungsprozessen, von Weiterbildungsmöglichkeiten und leitenden Positionen ausgeschlossen. Zwar sahen sie bei ihnen auch die Defizite in der Qualifizierung: Als größtes Problem wurden immer wieder die schlechten Deutschkenntnisse genannt. Aber die vorhandenen Pluspunkte würden zu wenig geschätzt: Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz.

Zukunftsweisende Projekte kannten die Teilnehmer gleichwohl: In der Uniklinik in Frankfurt am Main zum Beispiel wurden dringend Dolmetscher für die Patienten gebraucht, die aus verschiedenen Ländern stammen und sich nicht ausreichend auf Deutsch verständigen können. Und man wurde fündig - in der eigenen Klinik, unter den Sanitätern, Putzfrauen usw. Die Dolmetscher wurden geschult und vermitteln neben ihrem eigentlichen Job zwischen Arzt und Patient. Dafür werden sie zusätzlich bezahlt. 50 Sprachen, darunter seltene wie Suaheli, werden auf diese Weise angeboten.

Dann durfte man in Visionen schwelgen. Sicherheit der Arbeit wünschten sich die Teilnehmer, was nicht mit dem "sicheren Arbeitsplatz" gleichzustellen sei. Gemeint ist viel mehr die Sicherheit, eine passende Arbeit zu finden und auch in einem anderen Land arbeiten zu dürfen. Diplome und Zeugnisse werden überall anerkannt, es herrscht Niederlassungs- und Gewerbefreiheit. Die Fabrik verschmilzt, so ein weiterer Traum, mit der Wohn- und Lebenswelt, und im Paß steht "Weltbürger". Einen Gutschein für Leila hat die Zukunftswerkstatt ausgestellt: "Ein Platz in der Arbeitswelt, wo sich die Menschen für Deine besondere Herkunft und die Geschichte Deiner Familie interessieren, wo Du als Bereicherung für das Team empfunden wirst, wo Du nicht an dem Grad Deiner Anpassung gemessen wirst, wo Deine Potentiale geschätzt und genutzt und als Voraussetzung für leitende Tätigkeit anerkannt werden; ein Land, das endlich begriffen hat, dass es von Leuten wie Dir lernen kann". Den Gutschein darf Leila im Jahr 2022 einlösen.

Kontakt: www.inqa.de


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Erfolgreiche Initiative BQN wird neu belebt

 

In Köln machen Jugendliche aus Einwandererfamilien 30 % der Schulabgänger aus, aber nur 12 % der Auszubildenden. Das sah vor vier Jahren noch besser aus. Damals bekamen immerhin 18 % der Migranten eine Lehrstelle. "Mehr Ausbildung für junge Migranten" soll die am 30. Oktober gestartete Aktion der regionalen Arbeitgeber, Gewerkschaften und staatlichen Institutionen bewirken. Die zahlreichen existierenden Projekte werden besser vernetzt und eine ehemals erfolgreiche Initiative wiederbelebt. Die Beratungsstelle "Berufliche Erstqualifizierung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund" (BQN) gab es von 1989 bis 1995. Damals gelang es, durch die gezielte Ansprache der Betriebe, die Sensibilisierung der Meister und Ausbilder für das brachliegende Potential der jungen Einwanderer sowie mit Hilfe eines Ex-Azubi-Stammtisches die Ausbildungsquote von 4 auf 18 % zu heben. Träger der neuen BQN ist die Gesellschaft für berufliche Förderung der Wirtschaft, GBFW e.V. Die Beratung wird von der IHK, der Handwerkskammer sowie drei Arbeitsämtern der Region finanziert. Sie wird sich nicht mehr auf die klassischen "Gastarbeiterländer" beschränken, sondern alle Jugendliche - auch Aussiedler -einbeziehen. Muttersprachler sollen in Firmen ausländischer Inhaber für Ausbildungsplätze werben. Interessierte Jugendliche und Eltern können sich bei Hotlines in Italienisch, Griechisch und Türkisch informieren und in den Generalkonsulaten ihrer Herkunftsländer beraten lassen.

Kontakt: 
BQN, Unter Sachsenhausen 10-26, 
50667 Köln, Tel.: 0221/1640667, www.proqua.de 


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Qualifizierung für eingewanderte Akademiker

 

Mit 42 Jahren zum Sozialhilfeempfänger zu werden - der Gedanke war Alexander Wingert unerträglich. Aber irgendwelche Jobs annehmen, das wollte der Aussiedler mit zwei in der ehemaligen Sowjetunion abgeschlossenen Studien und mehreren Jahren Berufserfahrung auch nicht. Stattdessen entschloss sich der Chemie- und Wirtschaftsingenieur nochmal die "Schulbank" zu drücken und bewarb sich beim Akademikerprogramm der Otto-Benecke-Stiftung. Er bestand das Auswahlverfahren, bei dem 600 Bewerber auf 25 Plätze kamen, und absolvierte einen Aufbaukurs Deutsch und ein Ergänzungsstudium an der Export-Akademie Reutlingen. Noch während des obligatorischen Praktikums wurde Wingert von einem Unternehmen übernommen. Jetzt, sechs Jahre später, ist er Abteilungsleiter in einer Wuppertaler Maschinenbaufabrik.

Solche kleine Erfolgsgeschichten verzeichnet das Akademikerprogramm regelmäßig. "Die Leute kommen völlig verzweifelt zu uns, nachdem sie überall gehört haben: Vergessen Sie Ihren Beruf! Der Arbeitsmarkt gibt selbst für Deutsche nichts her". Dagmar Maur ist Leiterin des Akademikerprogramms (AKP) für bis zu 50jährige Spätaussiedler und Kontin-gentflüchtlinge. Wo die Arbeitsämter kaum Chancen sehen, habe das Programm im Durchschnitt 80 Prozent Vermittlungsquote. Sogar ältere Semester über 45 finden durch gezielte Qualifizierung Arbeit in ihrem Beruf.

Rund 4000 eingewanderte Akademiker wen-den sich jährlich an die Otto-Benecke-Stiftung, die sich als einzige dieser Klientel annimmt. Ungefähr 1000 werden mit Mitteln des Bundesbildungsministeriums gefördert. Neben Sprachniveau und Fachwissen wird bei der Stipendiatenauswahl die Motivation der Seiteneinsteiger geprüft: Nicht jeder ist bereit, früher in leitender Position, wieder ganz von vorne als Student und Praktikant anzufangen.

Das AKP existiert seit mehr als 16 Jahren und betreut seit Beginn der 90er hauptsächlich Spätaussiedler aus der früheren UdSSR. 1996 wurden die jüdischen Einwanderer, die sog. "Kontingentflüchtlinge", ins Programm aufgenommen, nun sollen auch die Asylberechtigten folgen. Die größere Zielgruppe soll mit weniger Geld bedient werden: Waren es in den ersten Jahren 23 Mio. DM, sind es nun 5,5 Mio. Euro.

Die Stiftung hat ihre Maßnahmen umgeschichtet. Man verzichtet eher auf allgemeine Sprachkurse und setzt auf langfristige maßgeschneiderte Studienergänzungen. Dafür kooperiert sie mit Universitäten, Fachhochschulen und Weiterbildungseinrichtungen aus ganz Deutschland. Die OBS-Stipendiaten nutzen die Labore, Werkstätten und Computerräume, besuchen dort jedoch nur die eigenen Vorlesungen und Seminare. Ihr Studium ist viel kompakter: Schließlich müssen sie nicht beim ABC anfangen. Seit zwei Jahren wird mit einem Fernstudiummodell experimentiert. Daran sind besonders Frauen interessiert, die durch ihre Familie am Wohnort gebunden sind. Ärzten und Apothekern greift die OBS unter die Arme, bis sie die vorgeschriebene Anpassungszeit bestanden haben, Lehrern und Juri-sten bis zum 2. Staatsexamen. Will allerdings der Migrant seinen Beruf hinschmeißen und etwas ganz Neues anfangen, wird er auf die Umschulungsangebote des Arbeitsamtes verwiesen.

Auch wenn das ausländische Diplom voll anerkannt ist - was selten der Fall ist, sind längst nicht alle Kenntnisse direkt verwertbar. Mediziner zum Beispiel müssen sich auf moderne Geräte und andere Medikamente umstellen. In der Planwirtschaft aufgewachsene Ökonomen haben Marketing und Unternehmensstrategie zu üben. EDV-Kenntnisse müssen fast alle osteuropäische Akademiker nachholen. Nur, der Einzelne ist kaum in der Lage zu überblicken, was ihm noch fehlt. Deshalb legt das AKP viel Wert auf individuelle Beratung und Betriebspraktika.

Im Sommer 2002 gründeten einige Ehemalige einen Absolventenverein. "Bei uns sind bereits hunderte Anträge eingegangen", so Gründungsmitglied Wingert. Durch regionale Stammtische und Veranstaltungen wollen sich die einstigen Stipendiaten nicht aus den Augen verlieren. Ausserdem sind sie bereit, die Neuen zu beraten und sie als Mentoren in ihrem gesellschaftlichem und beruflichem Fortkommen zu unterstützen.

Kontakt: 
Otto-Benecke-Stiftung, Dagmar Maur, Kennedyallee 105-107, 53175 Bonn, 
Tel.: 0228/1863-0, www.obs.de 


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Zum Surfen ins Arbeitsamt

 

Öguzhan sucht nach einem Gameboy für seinen kleinen Bruder und vergleicht am Computer Preise und Modelle. Zwei bis drei Mal die Woche kommt der türkischstämmige Gymnasiast nach der Schule ins Internet Jugendcafé Cologne (IJC), meist mit seinem Cousin. Manchmal geht es um den künftigen Beruf: Der Junge hegt den Traum, bei Lufthansa zu arbeiten und hält sich oft auf deren Webseiten auf. Die psychologischen Tests und die Matheaufgaben für die Bewerber hat er bereits ausprobiert. Manchmal lädt er aber einfach Software herunter und lässt sie auf CD-Rom brennen - für den PC zu Hause.

Krassimir sitzt am Nebentisch und schreibt den Freunden in Bulgarien eine Mail. Seit einem Jahr kommt auch er regelmäßig ins IJC. Der 20jährige - wenn er nicht gerade mailt oder Heimatzeitungen online liest - sucht nach Informationen über die deutschen Hochschulen. Er will Wirtschaft studieren, aber erst mal müsse er die Deutschprüfung bestehen.

Rund 3000 Mädchen und Jungen zwischen 12 und 25 Jahren sind im Kölner Jugendtreff IJC angemeldet, um an den zehn Computern zu surfen, mailen, chatten, recherchieren oder die zahlreichen Kurse zu belegen. Die Statistik für 2001 zeigt: Die Jugendlichen ausländischer Herkunft machen ungefähr die Hälfte aus. Gymnasiasten wie Öguzhan sind nur 10 Prozent. Hoch ist mit 45 Prozent der Frauenanteil. Das liegt wahrscheinlich am speziellen Mädchentag jede Woche.

Das Internet Café existiert seit 5 Jahren und ist, wie auch rund 50 weitere, aus einer Initiative des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsamts hervorgegangen. Die Cafés stehen vormittags den Trägern berufsvorbereitender Maßnahmen zur Verfügung, danach bis zum Abend den jungen Besuchern. Der offene Bereich wird über die Lehrgangsgebühren mitfinanziert.

Die Idee war, benachteiligte Jugendliche auf diese Weise zu erreichen, sprich, diejenigen mit schlechten oder gar keinen Schulabschlüssen, mit Sprachdefiziten oder abgebrochenen Ausbildungen. Es sollten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Erstens, der bildungsfernen Zielgruppe den Umgang mit PC und Internet beizubringen. Zweitens, sie für die Angebote der Berufsberatung und Berufsvorbereitung zu erwärmen. "Unsere Besucher kommen nicht, um sich helfen zu lassen,", sagt Sozialpädagoge Tobias Lange vom IJC, - "sondern, um etwas am PC zu machen. Dann trauen sie sich, auch zu fragen". Dem ungezwungenen Surfen und Chatten geht eine intensive Betreuung voraus. Jeder Neuankömmling macht zwangsläufig einen Einführungskurs mit. Viele erwerben auch den Internet-Pass. Das Zertifikat, dass alle Cafés des Landesarbeitsamtes nach einem einheitlichen Verfahren vergeben, bescheinigt die EDV-Kenntnisse und soll die Chancen bei Bewerbungen erhöhen. Darüber hinaus bekommen die Jugendlichen Tipps, wie man einen Lebenslauf schreibt, und können sich vor der Kamera im Vorstellungsgespräch üben. Sie dürfen aber auch ihre kaputten Rechner mitbringen, digitale Musik komponieren, Videoclips drehen oder an der eigenen Homepage basteln.

Kontakt: www.netcafe-online.de 


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Go4jobs! in Bonn: Junge Migranten werben um Ausbildung

 

Was verdienst du? Wie weit kannst du es in deinem Beruf bringen und wie planst du deine weitere Karriere? Wie viele Bewerbungen hast du geschrieben? Womit muss man rechnen, wenn Bewerbungsgespräche in Gruppen erfolgen? Haben Mädchen dieselben Chancen wie Jungs? Wie wichtig ist ein guter Schulabschluss wirklich? Wie ist das mit der Pünklichkeit? Was, wenn der Lehrberuf den Vorstellungen überhaupt nicht entspricht? Wie verhält man sich, wenn man als ausländischer Azubi diskriminiert wird? Das sind typische Fragen, die Schüler an die jungen, beruflich erfolgreichen Migranten des Go4jobs! - Teams aus Bonn stellen, wenn diese ihre Informationsstunden in Abschlussklassen von Schulen veranstalten.

Die Resonanz ist beachtlich, denn die jungen Migranten sind "lockerer" als die Berufsberater der Arbeitsamts und vor allem sprechen sie die Sprache der Jugendlichen. Kein Wunder, dass es ihnen jedesmal gelingt, den jungen Menschen klarzumachen, dass eine Ausbildung heutzutage ein absolutes Muss ist, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Das gilt in besonderem Maß für Schüler ausländischer Herkunft. "Denn ein deutscher Unternehmer, der die Wahl zwischen einem Deutschen und einem Migranten hat, stellt auch bei gleicher Qualifikation eher den Deutschen ein", sagt Ismail Yigit, 31 Jahre, Bankkaufmann und Mitstreiter in der Go4jobs!-Mannschaft. Er weiß, wovon er spricht, denn er hat etwa 80 Bewerbungen geschrieben, ehe ihn die Sparkasse einstellte. Yigit rät den Schülern daher dringend, sich ordentlich anzustrengen, damit der Abschluss möglichst gut ausfällt. "Denn junge Migranten müssen immer eine Spur besser sein, damit sie eine Chance haben", fügt er hinzu. Weitere Standardthemen der etwa 90-minütigen Veranstaltungen sind, wie man sich richtig bewirbt, dass Pünktlichkeit eine Schlüsselqualifikation ist und Weiterbildung unumgänglich ist.

Haupt- und Realschulen sind die Schwerpunkte der Tätigkeiten von Go4jobs! Denn hier gibt es häufig besondere Probleme: So kapseln sich viele ausländische, vor allem türkische Jugendliche, ab und haben kaum Kontakt zu Deutschen. Bülent Tekedereli vom Go4jobs!-Team: "Sie verhalten sich wie ihre Eltern, die ja auch meinten, nur ein paar Jahre hier zu arbeiten, um dann in die Heimat zurückzukehren. Aber diese Jugendlichen bleiben wie ihre Eltern hier. Also brauchen sie eine Ausbildung. Wir versuchen allen - auch den Deutschen, die an sich keine Lehre machen wollten - klarzumachen, dass auch sie eine Ausbildung schaffen können."

Genau das ist die entscheidende Botschaft, die auch der Berufsberater des Bonner Arbeitsamts und Mitinitiator von Go4jobs!, Gerd Schlender, den Schülern vermitteln will. Denn er hatte zusammen mit dem Amt für Multikulturelles die Konzeption von Go4jobs! entwickelt, als man 1997 herausfand, dass in Bonn 85% der erschreckend vielen Arbeitslosen zwischen 16 und 25 Jahren keine abgeschlossene Lehre hatten.

Seitdem Go4jobs! tätig ist, nehmen deutlich mehr Jugendliche die Berufsberatung des Arbeitsamts in Anspruch. Schlender: "Ohne dieses Projekt würden wir viele junge Migranten überhaupt nicht erreichen!"


Autor: Peter Andratschke

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