Ausländer in Deutschland 3/2003, 19.Jg., 15. Oktober 2003

INTERVIEW

Dr. Albert Schmid

Präsident des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge

AiD: Sie sind seit 2000 Präsident des Bundesamtes. Wie ist Ihre Bilanz?

Dr. Schmid: Auf jeden Fall positiv. Es ist dem Bundesamt in seinem "klassischen Aufgabenbereich", dem Asylverfahren gelungen, Qualität und Quantität miteinander zu verbinden, so dass die Akzeptanz in der Fachwelt in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Zum Jahresanfang 2003 wurden dem Amt neue Aufgaben im Bereich der Integration übertragen. Hier genießt das Bundesamt schon heute eine hohe Reputation und ist entsprechend in vielen Kollegien und bei einer großen Anzahl von Veranstaltungen vertreten. Gerade bei dieser neuen Aufgabe hat sich gezeigt, was im Rahmen von Change Management durch richtige Zielsetzung und durch Motivation der Mitarbeiter erreicht werden kann. Ein weiteres neues Aufgabenfeld für das Bundesamt ist der Bereich der Rückkehrförderung. Durch die neue Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) wird die freiwillige Rückkehr von Ausländern durch Informationen verstärkt.

Der Bundesminister des Innern hat am 26. Mai 2003 den weisungsunabhängigen Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration, den sog. Zuwanderungsrat eingerichtet. Dieser hat die Aufgabe, die innerstaatlichen Aufnahme- und Integrationskapazitäten sowie die aktuelle Entwicklung der Wanderungsbewegungen regelmäßig zu begutachten. In dem Rat sind neben der Vorsitzenden Frau Prof. Süssmuth auch andere bedeutende Persönlichkeiten vertreten, die über besondere Kenntnisse im Bereich der Bevölkerungswissenschaften, der Arbeitsmarktpolitik, der Migration oder der Integration verfügen. Der Zuwanderungsrat wird bei seiner Tätigkeit durch das Bundesamt unterstützt, das hierfür ein Generalsekretariat eingerichtet hat.

In Ihrer Karriere waren Sie auch viele Jahre kommunalpolitisch tätig. Haben sich seitdem die Problemlagen verändert?

Nun, ich war bereits mit 27 Jahren berufsmäßiger Bürgermeister der Stadt Regensburg von 1972 bis 1978 und später u.a. auch Gemeinde- und Kreisrat von 1984 bis 2000. Die Problemlage bei der Integration von Zuwanderern hat sich seither erheblich verändert. Bei den Aussiedlern beispielsweise verfügten früher noch drei Viertel über Deutschkenntnisse. Heute ist es genau umgekehrt, was eine Integration natürlich erschwert.

Seit 1954 sind rund 31 Mio. Menschen in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen, während im gleichen Zeitraum auch etwa 22 Mio. Menschen das Land wieder verlassen haben. Im Schnitt kamen so jährlich 200.000 Ausländer mehr in die Bundesrepublik als aus ihr fortzogen. Bereits diese Migrationszahlen der vergangenen Jahrzehnte belegen, dass Deutschland faktisch schon lange ein Einwanderungsland ist. Die Fülle der legislativen und administrativen Maßnahmen auf diesem Gebiet war jedoch nicht auf dauerhafte Zuwanderung angelegt und sah keinen Handlungsspielraum einer aktiv gestaltenden Migrationspolitik vor. Heute hat man durch die Diskussion über das Zuwanderungsgesetz über Parteigrenzen hinweg akzeptiert, dass die Integration der Zuwanderer eine wichtige und notwendige Aufgabe ist. Hier strebt der Gesetzentwurf des Zuwanderungsgesetzes ein integrationspolitisches Gesamtkonzept an, das die Bedürfnisse der Aufnahmegesellschaft und Zuwanderer gleichermaßen berücksichtigt.

Das Bundesamt hat eine Fülle von "Integrationsaufgaben" erhalten. Wie stehen diese zueinander in Beziehung?

Die erfolgreiche Integration von Migranten ist eine zentrale Aufgabe für die Zukunft der deutschen Gesellschaft. Integration wird aber nur im alltäglichen Leben erfahr- und erlebbar. Die Integrationsangebote sollen sich an den Lebenswelten und Biografien der Zuwanderer orientieren. Wir wollen weg von "Brennpunktprojekten" hin zu "präventiver Integration". Daher sind unsere Aufgaben breit gefächert. Dabei spielt der Spracherwerb natürlich eine zentrale Rolle. Wir unterstützen daneben z.B. den Aufbau von Integrationsnetzwerken, wir fördern das bürgerschaftliche Engagement bei Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft. Wir helfen den Kommunen bei ihrer Integrationsarbeit. Wir sind Partner der großen Wohlfahrtsverbände. Neben der klassischen finanziellen Förderung Dritter wollen wir auch den Fördersektor überprüfen. Es gilt, Doppelförderung zu vermeiden, Synergieeffekte herzustellen, Nachhaltigkeit von Projekten zu Gewähr leisten. Kurzum, wir wollen Qualitätsstandards formulieren und in der Praxis umsetzen.

Das Bundesamt führt momentan eine bundesweite Bestandsaufnahme der Integrationsaktivitäten durch. Was ist das Ziel dieser Bestandsaufnahme?

Wie der Name Bestandsaufnahme schon sagt, kann mit dieser Erhebung erstmals ein genaues Bild der Integrationslandschaft in Deutschland erstellt werden, d. h. wir versuchen einen Überblick zu bekommen über die Anbieter von Integrationsmaßnahmen und deren Netzwerke. Wir wollen herausfinden, wie viele Menschen im Sektor der Integration von Migrantinnen und Migranten arbeiten und wie die finanzielle Förderstruktur beschaffen ist. Die Ergebnisse dieser Erhebung dienen als wichtige, materielle Grundlage für das bundesweite Integrationsprogramm und werden - neben anderen Daten - bei seiner Erarbeitung herangezogen.

Der deutsche Spracherwerb ist notwendig für eine erfolgreiche Integration, wie sieht die aktuelle Sprachförderung durch das Bundesamt aus?

Das Bundesamt fördert seit Beginn diesen Jahres Sprachkurse für ausländische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige. Damit sind wir seit kurzem in einem Kernbereich der Integration tätig, da ohne Sprachkompetenz in der Sprache des Aufnahmelandes Integration nur sehr schwer möglich ist. Das Bundesamt hat dabei in Fortführung und Weiterentwicklung der bisherigen Arbeit des Sprachverbandes Deutsch e.V. Modifikationen bei der Gestaltung der Sprachkurse vorgenommen. Wesentliche Änderung in diesem Jahr war dabei die Erweiterung der Zielgruppe auf alle ausländischen Arbeitnehmer. Bislang war die Zielgruppe lediglich auf Arbeitnehmer aus den EU-Mitgliedsländern sowie den ehemaligen Anwerbestaaten beschränkt, was der Praxis nicht gerecht wurde. Für 2004 sind weitere Anpassungen vorgesehen, um den schwierigen und in Veränderung befindlichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Wir werden damit auch auf die Bedürfnisse der Praxis reagieren.

Mit Blick auf die EU: Welche Entwicklungen werden die künftige Zuwanderungs- und Integrationspolitik bestimmen?

Der 1999 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag hat den Grundstein für eine verstärkte Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Zuwanderungs- und Integrationspolitik gelegt. Von Bedeutung für deren weitere Entwicklung war insbesondere der EU-Gipfel in Thessaloniki vom 20. und 21. Juni 2003, auf dem weitere Maßnahmen für eine gemeinsame Einwanderungspolitik der EU-Mitgliedsstaaten vereinbart wurden. Nach der bereits begonnenen Angleichung der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik strebt die EU nun auch gemeinsame Instrumente zur Steuerung der legalen Einwanderung an.
Die öffentliche Diskussion über Zuwanderungs- und Integrationspolitik auf europäischer Ebene wird gegenwärtig stark von der EU-Osterweiterung bestimmt. Die Szenarien von großen Zuwandererströmen aus den Kandidatenländern, die in dieser Diskussion von mancher Seite häufig entworfen werden, halte ich für unbegründet. Ein Anstieg der Migration aus Osteuropa nach Deutschland als unmittelbare Folge der EU-Osterweiterung ist nicht zu erwarten - hier sind sich Bundesregierung und Wissenschaft weitgehend einig. Von wachsender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch die Verhinderung illegaler Zuwanderung: Nach der Erweiterung um zehn Länder im Jahr 2004 wird die EU wesentlich längere Grenzen zu Russland und mehreren Balkanländern haben, zu deren Kontrolle es eines wirksamen Grenzschutzes an den Außengrenzen bedarf. Der Europäische Rat hat deshalb in Thessaloniki u.a. eine Erhöhung der Ausgaben zum besseren Schutz der Grenzen gegen illegale Einwanderung beschlossen.

Wird Deutschland weiterhin eine im Kern nationale Politik betreiben können?

Zuwanderungspolitik muss sich immer an den tatsächlichen nationalen Gegebenheiten orientieren, muss vor dem Hintergrund der spezifischen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen eines Landes gesehen werden - das gilt für Deutschland wie für jedes andere Land. Richtig ist jedoch, dass die deutsche Zuwanderungspolitik zunehmend im Kontext der Entwicklung einer gemeinsamen EU-Einwanderungspolitik steht. Unsere Zuwanderungspolitik wird somit nicht nur nationalen Maßstäben folgen, sondern in der Zukunft noch stärker auch Ausdruck der Umsetzung von EU-Recht sein. Wie auch in anderen Politikfeldern bildet dieses allerdings lediglich den Rahmen, der dann den einzelnen Mitgliedsstaaten hoffentlich ausreichende Handlungsspielräume belässt.

Trotz der zunehmenden Vergemeinschaftung der Zuwanderungs- und Integrationspolitik wird ein Teilbereich weiterhin vollständig der Regelung durch die einzelnen Mitgliedstaaten überlassen: Die Bundesregierung hat im Rahmen des EU-Konvents darauf hingewirkt, dass EU-Staaten auch künftig über die Aufnahme arbeitssuchender Zuwanderer selbst entscheiden können.

Das Bundesamt wird in 10 Jahren......?

....das Kompetenzzentrum für Migration, Integration und Flüchtlinge in Deutschland sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Ekkehart Schmidt-Fink.

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