Ausländer in Deutschland 4/2003, 19.Jg., 31. Dezember 2003

GLOSSE

Nachhaltigkeit zu südost-
europäischen Preisen

Die Schuhe brauchen neue Absätze - in den Koffer damit. Der Ohrstecker ist kaputt - er kommt auch rein. Die Uhr ist vor Monaten stehen geblieben - unbedingt einpacken! Die Lederjacke sieht abgenutzt aus - lasse ich dort unten färben. Jedes Jahr werden die Koffer für den Heimaturlaub schwerer. Nicht etwa von Badesachen und Geschenken, sondern von Dingen, deren Reparatur in Deutschland zu teuer würde. Nachhaltigkeit kann ich mir nun einmal nur zu bulgarischen Preisen leisten.

Nehmen wir die Uhr. „Aufmachen und Reinschauen alleine kostet 40 Euro“, warnte mich der deutsche Uhrmacher. „Kaufen Sie lieber eine neue“. Sein bulgarischer Kollege hat sie für 5 Euro wieder in Gang gekriegt. Meine Freunde horten sogar ihre kaputten Elektrogeräte solange, bis es Zeit für den Heimaturlaub wird. Wenn schon nicht die Waschmaschine, so doch den CD-Player, den Küchenmixer und den Staubsauger. Sie fahren mit dem Auto nach Kroatien. Mein Fluggepäck ist jedoch auf 20 kg begrenzt. Der abgebrannte PC muss hier bleiben befürchte ich, und das Sofa ebenfalls, das ich so gerne neu beziehen würde ... .

Die eng gewordene Hose fährt auf jeden Fall mit, die Lieblingsbluse, die aus der Mode gekommen ist, auch, dazu einige Meter Stoff. Der Termin bei der Schneiderin in Sofia ist lange vorausgebucht: Im Sommer nämlich kommen all die Auslandsbulgarinnen zurück und gönnen sich maßgeschneiderte Kleidung; in ihren jeweiligen Aufenthaltsländern wohl ein unerschwinglicher Luxus, aber Arbeit ist in Bulgarien billig. Die Frauen bringen Haufen von Seide, Leinen und Wolle mit, blättern in den Modezeitschriften und ermahnen die Kinder auf Griechisch, Englisch oder Deutsch, sich zu benehmen, während sie auf die Anprobe warten.

Die Haare lasse ich seit der Euro-Einführung länger wachsen. Alle drei Monate zum Friseur, mehr ist nicht drin: nur Schneiden bitte, Waschen und Fönen mache ich selber! Die ramponierte Erscheinung lasse ich in der Heimat renovieren. Auf meiner Straße in Sofia gibt es drei Friseurläden und noch einen um die Ecke. Eine schwierige Auswahl. Macht nichts, für den Preis kann ich sie alle vier ausprobieren und jede Woche einen neuen Schnitt haben. Plus Maniküre, Pediküre und Gesichtsmassage sowie festliches Make-up.
Freundin Ana hegt derweil andere Urlaubspläne. Sie trägt ihr kariöses Gebiss nach Bukarest. Offensichtlich kann nur ein rumänischer Zahnarzt die verschlungenen Wurzelkanäle seiner Landesleute füllen. Das hat Ana nach mehreren erfolglosen Behandlungen in Bonn eingesehen. Deutsche Mediziner geben die unangenehme Aufgabe nach zwei Versuchen auf, auch weil die Krankenkasse nur mäßig zahlt ... . Sie empfehlen, den Störenfried zu ziehen. Aber Ana hängt irgendwie an ihren Zähnen. Ich habe den Tipp beherzigt und mir die Adressen einiger Sofioter Zahnärzte notiert. Zwei, drei Kronen sind in der nächsten Zeit sicher fällig. Und die Zahnspange für den Sohn ... . Ist mir die paar hundert Euro in bar wert. Das wird mein Beitrag zur Nachhaltigkeit, Globalisierung und der deutschen Gesundheitsreform sein.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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