Ausländer in Deutschland 4/2003, 19.Jg., 31. Dezember 2003

INTERVIEW

Der traditionelle Türke - ein Klischee

Margret Spohn zu ihrer Studie

AiD: Bitte stellen Sie sich näher vor.

Margret Spohn: Ich wurde im Saarland geboren. Bin also an zwei Grenzen - der französischen und der luxemburgischen - aufgewachsen und hatte von daher schon sehr früh Kontakt zu Menschen, die anders sprachen als ich selbst. Die Neugierde habe ich mir erhalten und dann in Oldenburg interkulturelle Kommunikation studiert. Das hat mich nicht ganz ausgefüllt, so dass ich im Zweitstudium auch Soziologie studiert habe. Mein Studium war international ausgerichtet: so habe ich an Austauschprogrammen mit Spanien teilgenommen und habe auch ein Jahr in Frankreich internationale Beziehungen studiert. Von Frankreich aus ging ich in die Türkei, um dort mit einem französischen Stipendium Türkisch zu lernen. Nach Abschluss meiner beiden Studiengänge ging ich nach Freiburg, um dort interdisziplinäre Frankreichstudien im Aufbaustudiengang zu studieren. Von dort aus arbeitete ich in Genf bei der IOM (International Organisation for Migration). Dann ging's wieder nach Deutschland zum Zentrum für Türkeistudien, wo ich ein Jahr arbeitete, um von dort in den nächsten Jahren an den Universitäten und Oldenburg und Kassel im Bereich der Migration und interkulturellen Kommunikation zu lehren, zu forschen und zu promovieren. Vor zwei Jahren führte ich in Neuseeland ein Forschungsprojekt zu Türken/innen durch. Seit Januar dieses Jahres arbeite ich in der Stelle für interkulturelle Zusammenarbeit bei der Stadt München. In anderen Städten ist diese Stelle als Ausländerbeauftragte bekannt. Da wir hier aber der Meinung sind, Integration betrifft sowohl die Deutschen als auch die Zugewanderten, haben wir unseren Namen geändert.

Wie kamen Sie zu der Idee, über die türkischen Männer eine Studie durch zu führen?

Die Idee kam mir, als ich die realen Väter meiner türkischen Freunde und Freundinnen mit dem Bild der türkischen Vätergeneration in der Fachliteratur verglich. Da war ein eklatanter Widerspruch. Ich wollte einfach wissenschaftlich untersuchen, ob sich mein persönlicher Eindruck, engagierter, interessierter Väter bestätigt oder eben nicht. Menschen, die migrieren gehören normalerweise zu einem sehr aktiven Teil der Bevölkerung. Migration bedeutet, dass man das Vertraute aufgibt und sich auf etwas völlig Neues einlässt, von dem man nicht weiß, ob es gut oder schlecht ist. Auf alle Fälle ist es mit Risiko und sehr hohem Engagement verbunden. Wenn ich die Beschreibungen über türkische Männer der ersten Generation lese, werden sie als wertkonservativ und einer fernen Vergangenheit behaftet dargestellt. Das passt nicht zusammen mit dem aktiven, risikofreudigen Migranten, der sie einmal waren. Auch dieser Widerspruch hat mein Interesse geweckt.

Wie waren die Reaktionen auf das Ergebnis der Studie?

Sehr positiv. Die türkischer Presse hat sich, wie auch schon bei meiner Diplomarbeit (Alles getürkt; in der Türkei erschienen unter Her sey türk isi) sehr für die Ergebnisse interessiert. Ich hatte einige Interviews mit türkischen Zeitungen. Aber auch meinen Studierenden hat die andere, durch die konkrete Forschung gestützte Sichtweise, sehr geholfen. Sie konnten sehen, dass man nicht immer das glauben darf, was teilweise über Jahre immer wieder in der Fachöffentlichkeit zitiert wird, ohne dass konkrete neuere Ergebnisse dahinterstehen. Von vielen türkischen Freunden/innen bekam ich wieder gespiegelt, dass sie ihren eigenen Vater total gut in den Inhalten der Arbeit wiederfinden.

Waren Sie selbst überrascht über bestimmte Faktoren der Studie?

Witzig war für mich der Fakt, dass wir oft den Ehefrauen nicht klarmachen konnten, dass wir kein Interview mit ihnen sondern eben mit ihrem Mann führen. In einigen Fällen, in denen die Frauen zuerst migriert waren, sprachen sie auch besser Deutsch und waren der Meinung, der Mann müsse gar nicht gefragt werden, sie könnten sowieso alles besser beantworten - und auch in seinem Namen. Wenn man sich das herrschende Türkinnenbild vor Augen führt - die Türkin als das unterdrückte Wesen - entbehrte diese Situation nicht einer gewissen Komik und ist auch immer wieder für einen Lacher gut, wenn ich über meine Studien berichte. Was ich eigentlich bestätigt bekommen habe, was die große Bannbreite, die in den Migrantenfamilien vorherrscht. Durch die Bank aber ein sehr großes Interesse der Väter an der Entwicklung der Kinder festgestellt werden konnte, und dass es den Vätern sehr bewusst ist, in welch schwieriger Situation ihre Kinder aufwachsen, wenn sie es einerseits den Eltern Recht machen wollen, sich aber auch in der hiesigen Gesellschaft adäquat bewegen wollen. Den Vätern war diese Kraftanstrengung der Kinder sehr bewusst. Was mich überrascht hat, war die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Vätergeneration in der Türkei und die teilweise klare Abgrenzung von der Art und Weise wie man selbst erzogen worden ist. Bis auf einen Mann, haben alle Männer, die in ihrer Jugend eine Frau heiraten mussten, die ihnen ihre Eltern vorgeschlagen haben, dies abgelehnt und darauf verwiesen, dass sie genügend Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder haben, sich einen geeigneten Partner zu suchen. Auch der autoritäre Erziehungsstil in ihrer Jugend wird durch die Bank abgelehnt. "Respekt" wurde gleich besetzt mit Angst. Die Väter meiner Studie legen zwar großen Wert darauf, dass ihre Kinder sie respektieren, aber sie möchten nicht, dass ihre Kinder Angst vor ihnen haben. Daher werden Werte und Normvorstellungen auch erklärt und nicht mehr als gegeben vorausgesetzt.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Studie das Klischee des traditionalistischen türkischen Mannes entkräften können?

Ich hoffe es doch sehr. Die Frage ist nur, welche Wirkung kann ein einzelnes Buch haben, wenn es gegen eine weitverbreitete Meinung antreten muss. Im Rahmen des mir Möglichen, also auf Seminaren und Schulungen versuche ich das herrschende Bild zu revidieren.

Planen Sie weitere Studien über die türkische Gesellschaft?

Ich bin nun nicht mehr an der Universität, so dass ich wohl in Bälde nichts in der Richtung als Forschungsarbeit in Angriff nehmen kann. In meiner jetzigen Funktion habe ich allerdings auch sehr viel mit Migranten/innen zu tun, so dass ich mit Sicherheit "am Thema" dran bleiben werde.

Warum denken Sie, dass das Klischee über konservative Männer so lange standhält?

Bernhard Nauck hat einmal von einem "Zitierkartell" berichtet. Er meint damit, dass die immer gleichen stereotypen Bilder von einer Wissenschaftlergeneration zu der nächsten übergehen, weil oft zitiert wird. So sollte man heutzutage, wenn man eine Studie über türkische Familien anfertigt nicht mehr auf Literatur aus den 80er Jahren zurückgreifen, wie es leider aber immer noch getan wird. Die andere Erklärung kommt mehr aus dem Bereich der Psychoanalyse. Ich brauche ein "böses" Gegenüber, um mich selbst als rein und gut darzustellen.

Entsprechende Forschungen gibt es in Neuseeland, wo untersucht worden ist, dass das negative Bild über die Maori, die neuseeländischen Ureinwohner, den weißen Neuseeländern das Gefühl gibt, selbst ziemlich gut dazustehen. Einen ähnlichen Mechanismus vermute ich auch im Klischee des brutalen, konservativen türkischen Mannes.

Wie bewerten Sie die neue Generation der jungen türkischen Männer?

Oh je... Das ist ja ein noch viel komplexeres Thema. Eine sehr vielschichtige Generation, die aber, als Deutsche türkischer Herkunft, hier auch unter dem Türkenbild leiden und sich dagegen abgrenzen.

Vielen Dank für das Interview.


Das Gespräch führte Ali Sirin.

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