Ausländer in Deutschland 4/2003, 19.Jg., 31. Dezember 2003

INTEGRATION

Interkulturelle Gärten

Gemeinsam säen, ernten, Wurzeln schlagen


Miliza mit Blumen aus dem eigenen Garten

Literaturtipp

Die Soziologin Christa Müller präsentiert in ihrem 2002 erschienenen Buch "Wurzeln schlagen in der Fremde. Die internationalen Gärten und ihre Bedeutung für Integrationsprozesse" (ISBN 3-928244-82-5) die Erfolgsstory der Internationalen Gärten in Göttingen. Hintergrundinformationen und die wissenschaftliche Auswertung der Projektpraxis sind sehr verständlich und eingängig geschrieben. Darüber hinaus bringt die Autorin, die für die Stiftung Interkultur in München arbeitet, einen umfangreichen Serviceteil, der als Arbeitshilfe für Folgeprojekte konzipiert ist. Das beim Ökom Verlag erschienene 176seitige Buch kostet 16 Euro. (ds)

 

Am 5. November 2003 wurden bei einer Veranstaltung des Sozialreferats der Stadt München und der Stiftung Interkultur Integrationsprojekte der ganz besonderen Art präsentiert: Interkulturelle Gärten, in denen Migranten und Deutsche ein Stück Lebenswelt gemeinsam gestalten.

"Die größten Probleme bei der interkulturellen Gartenarbeit bereiten uns die gefräßigen deutschen Schnecken", so Najeha Abid aus Göttingen. Zusammen mit Tassew Shimeles stellte sie das vielfach ausgezeichnete Modellprojekt der "Internationalen Gärten Göttingen e.V." vor. Der Verein wurde 1998 gegründet und konnte zu diesem Zeitpunkt bereits auf zwei Jahre Aufbauarbeit mit Migranten zurückblicken. Viele der Flüchtlinge, die in den 90er Jahren nach Deutschland kamen, hatten keinen gesicherten Aufenthaltsstatus und damit keine Möglichkeit, reguläre Integrationsangebote wahrzunehmen. Die Mehrzahl von ihnen stammte aus ländlichen Gegenden, sodass das Leben in den urbanen Zentren Deutschlands ihren Wunsch nach Gartenarbeit verstärkte. Der erste Internationale Garten in Göttingen, der von engagierten Einwanderern gemeinsam mit dem Beratungszentrum für Flüchtlinge aufgebaut wurde, trug Früchte. Heute kümmern sich rund 60 Mitglieder und ihre Familien aus 19 Ländern um die vier Gärten in Göttingen.

Jede Gartenanlage ist in Parzellen unterteilt. Und es wird strengstens darauf geachtet, dass die unterschiedlichen Nationen nebeneinander graben, säen und ernten. Anders als in gutbewachten Schrebergärten sind hier weit und breit keine Zäune zu sehen. So weckt dieser halb-öffentliche Raum auch großes Interesse bei den Anwohnern. Wenn der neu-gierig gewordene Nachbar einen ersten Schritt in den Internationalen Garten wagt, wird dieser grenzgängerische Mut von den Gärtnern mit einem frisch geernteten Kürbis belohnt.

Die Symbolkraft der Gärten ist eng verknüpft mit den alltäglichen Erfahrungen der Deutschen und Migranten: Gemeinsam säen, die zarten Pflänzchen und die eigenen, sozialen Beziehungen wachsen sehen, die Ernte teilen und verschenken, dies alles erleben die Menschen positiv. Sie finden die Möglichkeit, ein Stück Kultur aus den Heimatländern nach Deutschland zu bringen und lernen, mit den neuen Lebensbedingungen zurechtzukommen. Die Einwanderer pflanzen Kräuter und Gemüse für die heimische Küche an und überzeugen damit so manch eingefleischten "Schnitzelfreak". Die Deutschen zeigen, wie man in einem regenreichen Sommer die hungrigen Schnecken mit Bier betäubt.

Für Migrantinnen und ihre Kinder ist das Projekt besonders wichtig, um ihre häusliche Isolation zu überwinden, so Najeha Abid. "Es ist erleichternd, in den Garten zu gehen. Du arbeitest, unterhältst dich, du lachst mit den anderen. Das ist so wie bei uns zuhause." Nicht ohne Stolz tragen sie mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten zu einer erheblichen Aufwertung des gemeinsamen Lebensumfeldes bei.

Die gleichen Erfahrungen macht man in München Neuperlach. In der Trabantensiedlung mit 60.000 Einwohnern wurde bereits in den 80er Jahren von Bewohnern die Initiative "Neuperlach soll blühen" gegründet. Nach langen Verhandlungen mit Wohnungsbaugesellschaften und Stadtverwaltung durften die Hobbygärtner ödes Abstandsgrün und Brachflächen in Bewohnergärten umwandeln. Heute kümmert sich der Verein für Gemeinwesenarbeit und Stadtteilgestaltung e.V. unter dem Motto "Zusammen aktiv in Neuperlach (ZAK)" um die Gartenanlagen.

Wie Konrad Bucher von ZAK berichtet, startete dieses Projekt ganz ohne konzeptionellen Hintergrund oder integrationspolitischen Anspruch. Doch das Ergebnis ist ähnlich wie in Göttingen. Die Gärten werden mehr und mehr von Migranten genutzt und fungieren mittlerweile als ein wichtiger Ort der Integration. Die Nachfrage nach Parzellen im "Internationalen Garten" am Oskar-Maria-Graf-Ring ist so groß, dass auch nach der Erweiterung immer noch mit Wartelisten gearbeitet werden muss.

In beiden Projekten werden längst auch andere Integrationsmaßnahmen angeboten, die sich aus den Wünschen der Vereinsmitglieder heraus entwickelt haben, wie z.B. Informationen zur Ernährungslehre, Kreativkurse mit Kindern, Alphabetisierungskurse. Die Initiatoren in beiden Städten gelangten außerdem zu der Erkenntnis: dass ein Projekt nur dann erfolgreich ist, wenn man Unterstützung von lokalen Kooperationspartnern, z.B. der Stadtverwaltung, Schulen, Kirchengemeinden oder Vereinen erhält. Auch die Stiftung Interkultur, die Begleitforschung betreibt und die Projekte mit kleineren Fördersummen unterstützt, knüpft dies an die Bedingung des Fundraising und der Bündelung von Mitteln. Weitere Erfolgsfaktoren und Tipps zum Aufbau solcher Gärten werden auf den Treffen des Netzwerks Interkultureller Gärten weitergegeben, dem heute rund 40 Initiativen angehören.

Die Erfahrungen der ersten Gartenprojekte zeigen eines sehr deutlich: Integration verläuft vor allem dann aussichtsreich, wenn Einwanderer die Alltagskultur in Deutschland selbst mit gestalten. Und insbesondere in Zeiten knapper Kassen sollten die Kommunen jene Projekte fördern, die Eigeninitiative und Ressourcenbündelung für die wirkungsvolle Eingliederung von Migranten nutzen.


Autorin: Delia Schröder

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