Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

man kann es kaum glauben. Kurz vor Drucklegung dieser AiD-Ausgabe scheint der Durchbruch in Sachen "Zuwanderungsgesetz" geschafft: Vermittlungsausschuss am 30. Juni, Bundestag, Bundesrat am 8. Juli und dann hätten wir ein Gesetz, das trotz aller Änderungen gegenüber den ursprünglichen Vorstellungen besser wäre als der jetzige Zustand. Zwei Jahre ist es nun her, dass wir dem Thema "Zuwanderungsgesetz" eine Schwerpunktausgabe von AiD gewidmet haben. Nach dem umstrittenen Beschluss am 22. März 2002 im Bundesrat hatte Bundespräsident Rau das Gesetz unterzeichnet und man konnte - trotz der durch die Union angekündigten Verfassungsklage - hoffen, dass bald ein Ende wäre mit dem endlosen politischen Gezerre um ein Gesetz, an dessen Notwendigkeit eigentlich keiner zweifelte.

Die Hoffnung war trügerisch: zwei weitere Jahre wurde getagt, gestritten, formuliert und dementiert, bis (endlich) in einem "Chefgespräch" Ende Mai eine "politische Einigung" und ein Kompromiss in den strittigen Fragen Sicherheit, humanitäres Flüchtlingsrecht, Arbeitsmigration und Kosten der Integration erzielt wurde. Und alle jubelten: die Regierung, in der Zuversicht, dass das Gesetz (vor entscheidenden Wahlen) "in trockene Tücher kommt" und die bayerischen Hardliner zurückstecken mussten, die Opposition, weil das Gesetz - so der Saarländer Müller - nun die Handschrift der Union trüge. O-Ton: "schwarz rein, grün raus". Einzig die Grünen reagierten verschnupft, aber zustimmend, nachdem sie noch kurz zuvor einseitig das Ende der Verhandlungen ausgerufen hatten. Voller Zuversicht wurde verkündet, dass nach zwei weiteren Abstimmungsrunden das Gesetz am 30. Juni den Vermittlungsausschuss passieren könne.

Soweit der Stand der Dinge, als ich den ersten Entwurf eines Editorials schrieb, immer noch voller Skepsis, ob der zur Schau getragene Optimismus wirklich gerechtfertigt sei, denn, wie schon die taz am Tag nach dem Kompromiss schrieb: "Misstrauen ist angesagt" und - dies möchte man ergänzen - bis auf den letzten Tag. In der Tat war kaum eine Woche vergangen, bis aus München wieder andere Töne zu hören waren. "Das Zuwanderungsgesetzt", so Stoiber am Pfingstsonntag, "ist noch nicht in trockenen Tüchern"; Merkel korrigiert, Beckstein interveniert, fast schien alles wieder beim Alten.
Nun sieht es also heute wirklich so aus, als ob tatsächlich eine Einigung erzielt wurde, wenn Sie diese Ausgabe von AiD in Ihren Händen halten. Und dennoch lässt mich der Gedanke daran nicht los, welch eine verheerende Wirkung das jahrelange Gezerre auf die ohnehin lädierte Glaubwürdigkeit der Politiker in unserem Land hat. Der scheidende Bundespräsident hat nach dem "Theater" im Bundesrat vor zwei Jahren deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Art und Weise, wie diese Sitzung verlaufen sei, dem Ansehen von Staat und Politik Schaden zugefügt hat. Wäre auch der jetzige Kompromiss gescheitert, hätten die Menschen nur noch den Kopf geschüttelt.

Aber vielleicht sollte ich mir ja auch die fernöstliche Mentalität und Philosophie zum Vorbild nehmen und die Dinge mit größerer Gelassenheit betrachten. Die Beiträge zu unserem Schwerpunktthema "Asiaten in Deutschland" sind dabei sicherlich ganz hilfreich.

In diesem Sinn grüßt Sie

Ihr

Dr. M. Werth, Herausgeber


Reaktionen

 

"Das ist eine historische Wende in Deutschland" (Otto Schily, Bundesinnenminister)

"Das Gesetz hat während der Verhandlungen viel von seiner ursprünglichen Intention eingebüßt, die Arbeitsmigration transparent und modern zu regeln sowie ein einfaches Zuwanderungsrecht zu etablieren. Insbesondere im humanitären Bereich gibt es jedoch Verbesserungen gegenüber dem geltenden Recht." (Marieluise Beck, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration)

"Ohne Zweifel, das neue Gesetz bringt Verbesserungen. Aber es vergibt die große Chance, das Tor für hoch qualifizierte Einwanderer zu öffnen... Die Zukunft gestaltet dieses Gesetz nicht..." (DIE ZEIT vom 24.06.04)

"Ein modernes und attraktives Zuwanderungsrecht sieht anders aus... Der Zuwanderungskompromiss trägt die Handschrift von Bürokraten, und er kommt spät. Nennenswerte Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt wird er nicht entfalten. Doch ist immerhin ein Anfang gemacht..." (F.A.Z. vom 18.06.04)

"Das Ergebnis liegt jetzt auf dem Tisch, und ein großer Wurf ist es nicht. Nun wird der Fleckerlteppich schön geredet. Die SPD verkauft ihn als modernes Gesetz zur besseren Integration der Ausländer - die Union als modernes Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung. Beides ist nicht ganz falsch, richtig ist es aber auch nicht..." (Pfälzischer Merkur vom 18.06.04)

"...Insofern grenzt an Zauberei, was den Parteien im Streit um die Neuregelung der Zuwanderung gelungen ist - ein Kompromiss zwischen Zielen, die einander auszuschließen schienen: Die einen wollten mehr, die anderen am liebsten keine Zuwanderung. Jenseits dieser politischen Melange hat das Ergebnis eine enorme gesellschaftliche Bedeutung. Die Einigung könnte helfen, einen Streit zu befrieden, dessen Eskalation das Klima in unserem Land immer wieder vergiftet hat...Eine "historische Wende", wie die Grünen ausnahmsweise unisono mit Schily meinen? Na ja, jedenfalls das Beste, was aktuell möglich war. Mag sich jemand einen Bundestagswahlkampf vorstellen, in dem wieder Menschen fragen: Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?" (Frankfurter Rundschau vom 18.06.04)

"Es ist bedauerlich, dass der notwendige Paradigmenwechsel nicht eingetreten ist. Der eigentliche gesellschaftliche Konsens, der mit dem Bericht der Zuwanderungskommission deutlich geworden war, ist den Grabenkämpfen und dem Populismus der politischen Parteien zum Opfer gefallen. Anstatt des ursprünglich bezweckten modernen und zukunftsfähigen Zuwanderungsgesetzes liegt uns nun lediglich ein weiteres Sicherheitspaket und eine erweiterte Greencardregelung vor." (Memet Kiliç, Vorsitzender des Bundesausländerbeirates)

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