Integration in Deutschland 2/2004, 20.Jg., 30. Juni 2004

GLOSSE

Pusteblume!

 

Ein schönes Wort kann Assoziationen wecken, malt Bilder und formt Gedanken – oder klingt einfach schön. Was ist das schönste deutsche Wort? Das fragt der Deutsche Sprachrat nun in einem Wettbewerb. Nach fünf Wochen sind bereits über 10.000 Vorschläge eingegangen. Darunter Begriffe wie "Galanterie", „geschmeidig“ oder "Doppelhaushälfte“, sagte eine Sprecherin des Sprachrats. Eine Italienerin habe das Wort "Wollust" vorgeschlagen, da „Lust zu wollen doch etwas Schönes sei". Auch Prominente machen mit. Günter Kunert plädiert für „Zuneigung“. Im Deutschen gäbe es sehr viele schöne Wörter, besonders jene, die ein Bild ins Gedächtnis rufen, sagt der Dichter. Längst haben die Medien den Ball aufgegriffen: Lautet das schönste Wort „Holunder“, „Tausendschön“, „Auslegeware“, „Erdbeermund“, „Flitzebogen“ oder „Naseweis“? „Sonne ist vielleicht so ein Wort. Es strahlt Wärme aus, lässt einen lächeln, weckt Glücksgefühle“, argumentiert ein Journalist. Für „Fingerspitzengefühl“ oder „Füllfederhalter“ plädiert ein anderer - wegen ihres guten Rhythmus.

Klingt alles so nett nach heiler Welt. Pusteblume, das kann es noch nicht gewesen sein! Die deutsche Sprache hat doch viel mehr Wortfindungskreativität zu bieten, als es hier zum Ausdruck kommt. „Zugewinngemeinschaft“ zum Beispiel. Hier sieht man: Sprache ist mehr als nur Kommunikation, sie drückt auch Charakter aus - der Leute, die sie sprechen. Gesucht ist das eine Wort, das alles sagt. Wie „Determinativkompositum“ oder „Paragrafenreiter“ und „Korinthenkacker“. Nimmt man es mit der „Liebeserklärung an die deutsche Sprache“ ernst, so müssen Wörter wie „Fidschi“, „Wirtschaftsflüchtling“ oder „Migrationshintergrund“ ins Rennen geschickt werden. Exklusiver deutsch sind aber sicher „Aufenthaltsbeendende Maßnahme“, „Zuwanderungsgesetz“ und „Asylbewerberleistungsgesetz“. Wohlklingend suggerieren sie das Gegenteil dessen, was sie beinhalten.

Das Wort, mit dem ich besondere Gefühle und Erinnerungen verbinde, ist „Anwerbestoppausnahmeverordnung“. Sie sollten es laut aussprechen: Anwerbe-Stopp-Ausnahme-Verord-Nung. Versuchen Sie dabei die „R“ so gründlich zu rollen, wie die Italiener das tun. Ja, stellen Sie sich dabei Pavarotti oder gleich alle drei Tenöre vor, wie sie eine dunkle, schwermütige Arie anstimmen auf das Thema. Oder doch „Aufenthaltsverfestigung“? Beide Wörter sind so schön schwingend, als hätten Dichter sie erfunden. Im fahlen Mondschein. Es waren aber eher Juristen der Bundesagentur für Arbeit. Ein wohliger Schauder läuft mir über den Rücken, denk ich an den Moment, als ich diese Ungetüme erstmals hörte. Bis zum 1. August sind „Muttersprachler und Deutschlerner" aufgerufen, „ihr liebstes, schönstes, kostbarstes deutsches Wort" einzureichen. Entscheidend sei die Begründung. Die AiD-Redaktion leitet gute Vorschläge gerne weiter. 


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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