Integration in Deutschland 3/2004, 20.Jg., 28. September 2004

Interview

„Integration ist ein Gewinn“

Dr. Michael Griesbeck, Abteilungspräsident des BAMF im Gespräch

 


Ekkehart Schmidt-Fink (links) und Vanessa Franz im Gespräch mit Dr. Michael Griesbeck

AiD: Seit dem 1. September heißt das ehemalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Was bedeutet das?

Dr. Michael Griesbeck: Das Bundesamt wird Kompetenzzentrum für Fragen der Migration und Integration. Aufgaben, die früher auf viele Ressorts und auch Verwaltungen verteilt waren, sind gebündelt worden. Das Amt ist nicht mehr nur für Asyl zuständig, sondern jetzt auf einer gesetzlichen Grundlage auch für Integrationsförderung und für Fragen der Förderung der freiwilligen Rückkehr. Zudem haben wir beim Bundesamt einen Forschungsbereich für Migration und Integration eingerichtet.

Von welchen Leitlinien gehen die Integrationsbemühungen aus?

Wir betrachten Integration als gleichberechtigte Teilhabe am ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Leben, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir sind vor allem an der Verzahnung von Integrationsmaßnahmen interessiert, damit eine stärkere und nachhaltige Wirkung erzielt wird. Integration fordert die einheimische Gesellschaft genauso wie die Zuwanderer. Hier gilt das Prinzip des Förderns und Forderns. Integration muss erarbeitet werden.

Wie viel wendet denn der Bund künftig für die Integration auf?

Der Bund ist jetzt schon sehr aktiv, z.B. auch in der Förderung von Integrationsmaßnahmen. In der Zukunft werden wir ca. 230 Mio. EUR für Integrationskurse aufwenden. Weitere Mittel für Projektförderung und die Migrationsberatung kommen noch hinzu.

Im Wesentlichen tritt das Gesetz „erst“ am 1. Januar 2005 in Kraft. Wie ist der Stand der Vorbereitung?

Zum Bereich eines vorgezogenen Inkraft-tretens zählt auch die Konzeption der Integrationskurse. Diese ist nahezu abgeschlossen. Ein Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs liegt vor, muss aber jetzt noch mit der Rechtsverordnung abgestimmt werden. Die Neukonzeption und die Zusammenführung der Ausländer- und der Aussiedlersozialberatung zu einer Migrationserstberatung für erwachsene Zuwanderer sind schon sehr weit fortgeschritten. Die Gespräche mit den Ländern und den Trägern wurden aufgenommen. Wir werden auch eine Erstinformationsbroschüre für Neuzuwanderer zur Verfügung stellen. Sie sehen, in allen Gebieten bereiten wir uns vor, damit die Integrationsförderung 2005 erfolgreich wird.

Wie werden die Sprach- und Integrationskurse aussehen?

Die Integrationskurse sind im Gesetz schon vorgezeichnet. Sie bestehen aus 600 Stunden Sprach- und 30 Stunden Orientierungskurs. Es ist eine Zielgruppendifferenzierung nach Lerntempo vorgesehen und wir haben das Sprachniveau B1 als Ziel vor Augen. Das Zertifizierungsverfahren wird im Rückgriff auf das Verfahren von 2002 im Bundesamt vonstatten gehen. Wir wollen die dezentrale Struktur des Amtes nutzen, um mit Trägern vor Ort, Ausländerbehörden, der Bundesagentur für Arbeit und Kommunen sehr intensiven Kontakt zu halten. Hierzu werden wir Regionalstellen für Integration bilden. Hinsichtlich der Kursleiterausbildung wurden zusammen mit dem Goetheinstitut Standards entwickelt; derzeit läuft eine Pilotphase zur Akkreditierung von Trägern. Angesprochen sind hier insbesondere Einrichtungen der Erwachsenenbildung, auch in Kooperation mit Universitäten. Es ist wichtig, dass Standards eingeführt werden, damit in den Integrationskursen einheitliche Ziele erreicht werden und es die Möglichkeit gibt, vergleichbare Tests abzulegen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Rechtsfolgen an die Integrationskurse knüpfen. Da der Integrationsbedarf bei Aussiedlern und Ausländern der gleiche ist, haben wir nun die Möglichkeit, für sie einheitliche Kurse anzubieten.

Wo sehen Sie noch „kritische Stellen“ der Umsetzung?

Ich würde nicht von kritischen Stellen sprechen. Es ist so, dass man bei einem kurzen zeitlichen Vorlauf natürlich sehr intensiv arbeiten muss, aber wir sind gut vorbereitet und wir werden bis zum 1. Januar in Kontakt mit den Ausländerbehörden, den Ländern, den Kommunen und den Trägern bewerkstelligen, dass das System einen guten Start hat.

Wie kann gewährleistet werden, dass die Ausländerbehörden gut genug auf die Umsetzung des Gesetzes vorbereitet sind?

Wir haben bereits jetzt schon regen Kontakt zu Ausländerbehörden, insbesondere zu denen großer Städte. Wir nehmen gerne Hinweise aus der Praxis der Ausländerbehörden sowie der Träger auf und sind überzeugt, dass sie auf Grund dieser engen Zusammenarbeit gut auf die Umsetzung vorbereitet sein werden.

Mit wie vielen Neuzuwanderern rechnet das BAMF in den nächsten Jahren?

Ich kann an dieser Stelle keine Aussage zu der Zahl der Neuzuwanderer insgesamt machen. Wir sind jedoch auf ca. 138.000 teilnehmende Neuzuwanderer in den Integrationskursen vorbereitet. Zusätzlich rechnen wir mit ca. 60.000 Teilnehmern jährlich aus der Gruppe der Ausländer, die schon länger bei uns leben und auf Grund der gesetzlichen Regelungen zum Integrationskurs zugelassen werden.

Migranten hören vor allem von Pflichten und Forderungen an sie. Ist hier vielleicht ein Vermittlungsproblem entstanden?

Nein, die Migranten haben diesen jahrelangen Prozess der Gesetzgebung sehr genau beobachtet. Wir hatten intensiven Kontakt zu Migrantenselbstorganisationen und stellen Interesse fest im Rahmen unserer Hotline. Ich selbst bekomme viele E-Mails von Migranten, die sich bei uns direkt nach Möglichkeiten des Spracherwerbs erkundigen. Ebenso stelle ich ein großes Vertrauen in die neue Phase der Integrationsförderung fest. Erstmals ist Integration in einem Gesetz verankert und das ist etwas, was die Migranten mit Vertrauen erfüllt. Wenn Sie die Frage der Pflichten ansprechen, besteht bei uns der Eindruck, dass Migranten dies durchaus auch positiv sehen. Jemand der einen Test absolviert hat, hat beispielsweise etwas vorzuweisen und die Möglichkeit, schneller eingebürgert zu werden. Auch gegenüber einem Arbeitgeber kann man auf die Teilnahme am Integrationskurs verweisen.

Im Gesetz ist ein Integrationsprogramm erwähnt. Was ist hier zu erwarten?

Das Integrationsprogramm bedeutet, dass Integrationsangebote durch das Bundesamt festgestellt und Empfehlungen für ihre Weiterentwicklung gegeben werden. Auch dahingehend, wie Maßnahmen stärker verzahnt werden können. Dies wird in enger Zusammenwirkung mit den Ländern, Kommunen, den gesellschaftlichen Kräften, auch mit Migrantenselbstorganisationen geschehen und entspricht somit einem umfassenden Verständnis von Integration. Wir haben deshalb Handlungsfelder identifiziert: sprachliche Integration, soziale und gesellschaftliche Integration, Beratung und Begleitung, schulische und vorschulische Integration sowie berufliche Integration. Wir wollen auch weg von einem Defizitansatz und stattdessen zeigen, dass Integration bedeutet, jemanden anzunehmen mit all seinen Potenzialen und Talenten. Integration ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Vanessa Franz
und Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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