Integration in Deutschland 3/2004, 20.Jg., 28. September 2004

Projekte


Alle Akteure der Berufsbildung zusammenbringen

Die BQN-Projekte

„Manche Leute sind noch immer sehr überrascht, wenn wir ihnen erklären, wie hoch der Migrantenanteil bei den Jugendlichen ist“, sagt Ina Wolbeck, Leiterin der Koordinierungsstelle des Beruflichen Qualifizierungsnetzwerks für Migrantinnen und Migranten (BQN) in Essen. Wenn man in einem der wohlhabenden Stadtviertel wohne, bekomme man kaum einen solchen Jugendlichen zu Gesicht. Aber ließe man diese jungen Leute bei der Ausbildung außen vor, gäbe es bald einen Fachkräftemangel in Deutschland. Darauf weisen Wolbeck und ihr Mitarbeiter Mousa Othman immer wieder Unternehmer, Lehrer und Berufsberater hin. Dabei hilft es, dass das Essener BQN von der Industrie- und Handelskammer und der Kreishandwerkerschaft getragen wird und Zugang zu deren Bildungsausschüssen hat. Es gehe längst nicht mehr um ein Minderheitenproblem, sagt Wolbeck, und auch nicht um ein soziales, es ginge um ein wirtschaftliches.

In der Stadt aus dem Ruhrgebiet ist der öffentliche Dienst ein wichtiger und für Migranten aufgeschlossener Arbeitgeber. Viele nicht-deutsche Jugendliche glaubten jedoch, sie hätten bei der kommunalen Verwaltung keine Chancen und bewarben sich gar nicht erst. Deshalb macht das BQN auch die örtlichen Migrantenorganisationen darauf aufmerksam. Im BQN- Infodienst erscheint ein Interview mit dem türkischstämmigen Mitarbeiter der Arbeitsagentur. Demnächst will das Netzwerk für faire, kulturneutrale Auswahlverfahren sorgen.

Die Essener sind Anfang Juni 2003 als erste aus einem bundesweiten Netzwerk gestartet. Weitere neun BQNs folgten in diesem Jahr. Nicht alle sind so eng mit der Wirtschaft verzahnt. Die Koordinierungsstellen können mal beim Ausländerbeauftragten, mal – wie in Rostock mit dem deutsch-vietnamesischen Verein Dien Hong – bei einer Selbsthilfeorganisation angesiedelt sein. Sie werden im Rahmen des Programms „Kompetenzen fördern – Berufliche Qualifizierung von Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf“ je zur Hälfte vom Bundesbildungsministerium und dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Die Ausbildungsquote der Jugendlichen ausländischer Herkunft ist innerhalb von 10 Jahren von 44 auf 34 Prozent abgesunken, zitierte dpa die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Von den gleichaltrigen Deutschen absolvierten immerhin 64 Prozent eine Lehre. Wahrgenommen werden vor allem die Schwächen der Einwanderer wie mangelnde Deutschkenntnisse und niedrige Schulabschlüsse. Dass es auch unter ihnen ein gutes „Mittelfeld“ und zunehmend Abiturienten gibt, dass sie im Idealfall Mehrsprachigkeit, interkulturelle Kompetenz und hohe Motivation mitbringen, wird noch übersehen.

Das Ziel sei, Strukturen zu verändern, sagt Eva Maria Soja von der Initiativstelle Berufliche Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten (IBQM) beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Die IBQM betreut die Netzwerker wissenschaftlich. Bisher hätten die Bereiche Berufsbildung und Migrantenarbeit wenig miteinander zu tun, sagt Soja. Die BQNs wollen nun alle Akteure zusammenbringen: Schulen, Kammern, Migrantenvereine, Gewerkschaften, Arbeitsagenturen. Über das brachliegende Potential soll auf der höchsten Leitungsebene und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Dafür lässt sich jedes regionale BQN etwas einfallen: interkulturelle Trainings für die Ausbilder, Ex-Azubi-Stammtische, Gespräche mit Hauptschul- oder Berufslehrern, Infoveranstaltungen für die Eltern oder berufsbezogene Sprachkurse. Die Initiativen beziehen sich auf die jeweilige Situation vor Ort, aber regelmäßige Treffen der Netzwerker und die wissenschaftliche Betreuung sollen dafür sorgen, dass Übertragbares auch woanders übernommen werden kann.


Köln: Azubi und Meister im Gespräch

Vom Programm sollen Unqualifizierte bis 27 Jahre profitieren sowie Neueinwanderer im gleichen Alter, deren mitgebrachten Qualifikationen nicht oder nicht voll anerkannt werden und die eine Umschulung oder Weiterbildung brauchen. Einzelberatung machen die neuen BQNs jedoch nicht. Das unterscheidet sie von den Qualifizierungs- und Beratungsstellen für Migranten, die es seit mehreren Jahren in Köln, Bremen oder Hamburg gibt, teils unter dem gleichen Kürzel. Die Kölner Beratungsstelle „Berufliche Erstqualifizierung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund“ (BQN) war 1989 die erste in Deutschland und Mutter des BQN-Gedanken. Sie fing damals mit dem gezielten Ansprechen der Betriebe an, einschließlich derjenigen mit ausländischen Inhabern, mit der Sensibilisierung der Meister und Ausbilder sowie mit dem Einsatz junger Einwanderer, die eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatten, als Vorbilder. Diese BQN existierte von 1989 bis 1995. Damals gelang es, die Kölner Ausbildungsquote bei den Schulabgängern mit Migrationshintergrund von 4 auf 18 Prozent zu heben.

Im Jahr 2003 wurde die ehemals erfolgreiche Initiative unter dem Namen BQN II wieder belebt. Im Unterschied zum BQN-Netzwerk unter dem BIBB-Dach wird die Kölner Stelle ausschließlich durch einen Zusammenschluß der IHK, der Handwerkskammer und drei Arbeitsämter der Region finanziert. Muttersprachler sollen in Firmen mit ausländischen Inhabern für Ausbildungsplätze werben. Interessierte Jugendliche und Eltern können sich bei Hotlines in Italienisch, Griechisch und Türkisch informieren und in den Generalkonsulaten ihrer Herkunftsländer beraten lassen. Familien, Unternehmen und hochrangige Politiker kommen zu den Infoveranstaltungen. Ähnliche Initiativen werden in Bremen durch die AWO und in Hamburg durch den Senat und den Europäischen Sozialfonds getragen.

Die zehn BQNs werden vom Programm „Kompetenzen fördern“ bis Mitte 2006 finanziert. Danach sollen sie sich im besten Falle selbst tragen oder ihre Konzepte in die regionale Arbeit der Partner einfließen lassen, so Soja. Ina Wolbeck hat da noch ihre Zweifel, was die Anschubfinanzierung vor Ort angeht. „Wir arbeiten für die Zukunft“, sagt sie, „und die meisten Leute sind nur mit dem Heute beschäftigt“.

Information:
www.bqnet.de, www.bqn2.de (für Köln)


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Gebündelte Beratungs-
kompetenz

 

Den Ärger über Hartz IV bekommt nicht nur Bundesminister Clement zu spüren - auch die Berater der Agenturen für Arbeit sind täglich Wutäußerungen, Drohungen und Beschimpfungen ausgesetzt. Positive Auswirkungen der Hartz-Gesetze gehen dabei unter in all den Negativschlagzeilen. So hat die Neustrukturierung der Bundesagentur für Arbeit dazu geführt, dass es künftig eine Beratungsstruktur für Migranten geben wird, die mit gebündelter Kompetenz für alle Fragen zur Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, zur Reintegration in Herkunftsländer, aber auch für Fragen des internationalen Arbeitsmarkts allgemein zur Verfügung steht. In den neu einzurichtenden Zentren des Europaservice der BA (ES-BA) werden zahlreiche Aktivitäten zusammengefasst, die bislang auf mehrere Schultern verteilt waren, was das System etwas undurchsichtig erscheinen ließ: EURES-Beratung, EUROGUIDANCE, Mobilitätsberatung sowie die internationalen Tätigkeiten der ZAV fließen fortan ein in die Aufgaben der ES-BA. Die ZAV sowie 15 regionale ES-BA´s werden künftig für die Beratung zuständig sein. Eine detaillierte Beschreibung des neuen Aufgabenspektrums der ES-BA findet sich in der nächsten Ausgabe von AiD, in Heft 04/2004. (VF)

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