Integration in Deutschland 4/2004, 20.Jg., 30. November 2004

INTERVIEW

"Sprache ist eine Schlüssel-
fertigkeit"

Barbara John

Gut 22 Jahre war Barbara John Ausländerbeauftragte des Berliner Senats. Im Jahr 2003 ging die dienstälteste und bekannteste Ausländerbeauftragte Deutschlands in Ruhestand.

AiD: Sie sind seit gut einem Jahr nicht mehr Ausländerbeauftragte. Aber weiterhin sehr aktiv in Integrationsfragen?

John: Ja, ich bin hauptamtlich/ehrenamtlich tätig u. a. im Berliner Bildungsministerium. Außerdem bin ich Vorsitzende des Expertengremiums für Integrationssprachkurse beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Schwerpunkte meiner Tätigkeiten sind Integrationsfragen mit der Fokussierung auf den Bildungsbereich. Das ist nichts Neues für mich. Bevor ich 1981 Ausländerbeauftragte wurde, habe ich als wissenschaftliche Assistentin an der FU Berlin Lehrer im Fach Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. In all den Jahren danach hat sich dieses wichtige Lehr- und Forschungsgebiet nur wenig weiter entwickelt. Leider. Erst durch PISA, so scheint es, sind die Folgen klarer geworden. So wie die Schule in Deutschland gegenwärtig arbeitet, kann sie Unterschiede im Bildungshintergrund der Eltern bzw. der Kinder nicht ausgleichen, insbesondere nicht bei vielen Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache. Das Thema Sprache und Sprachvermittlung ist also aktueller denn je.

Was erwarten Sie vom Zuwanderungsgesetz?

Das Gesetz ist ja insofern wirklich ganz neuartig, als es die Integration mit einbezieht und ganz konkrete Integrationsangebote, z. B. Sprach- und Orientierungskurse, macht. - das gab es vorher noch nicht. Was es nicht leistet, sind Veränderungen im Bildungs- und Arbeitsbereich. Integration bedeutet für mich: Erfolg in der Bildung und Partizipation am Arbeitsmarkt. Dazu müssten weitere gesetzliche Regelungen erfolgen, allerdings in anderen Rechtsbereichen. Aber dies ist nicht Aufgabe des Gesetzes. Mit dem Gesetz wird Integration auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und auch finanziell abgesichert. Das ist ein Erfolg. Zudem wird mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein neuer Akteur bundesweit für qualitativ hochwertige und wirksame Integrationsangebote sorgen.

Wären Sie diesen Winter gerne noch im Amt, um in Berlin die kommunalen Aufgaben des Gesetzes umzusetzen?

"Was wäre wenn?" - Fragen interessieren mich nicht. Ich halte es mit Goethe: "Die Aufgabe des Tages heißt heute". Bei der Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes sind die Interessen und Möglichkeiten vieler unterschiedlicher Akteure zu berücksichtigen. Vor meinem Ausscheiden aus dem Berliner Amt habe ich noch versucht, Sprachkursträger und Träger von sozialen Projekten für Migranten für eine enge Zusammenarbeit zu gewinnen. Und zwar aus folgendem Grund: Es reicht nicht, eine Sprache im Kurs zu lernen. Es muss auch Gelegenheiten geben, das Gelernte sofort anzuwenden. Mit Sprache ist es wie mit Armen und Beinen - sie verkümmern, wenn man sie nicht benutzt. Deutsch zu sprechen im Alltag, das kann durch eine organisierte sozialpädagogische Begleitung gesichert werden. Das gilt heute wie damals.

Wo sehen Sie bei den Kommunen noch Dinge, die man verbessern könnte? Gibt es noch Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes?

Ja sicher, es gibt viele ungelöste Herausforderungen. Ich möchte einige Punkte herausgreifen. Wir müssen erstens sicherstellen, dass in den Kommunen Kurse gleich zum Jahresbeginn 2005 durchgeführt werden können. Durch die Umstellung von der Kursfinanzierung auf die Teilnehmerfinanzierung könnten hier Lücken entstehen. Die Finanzierung der Teilnehmer muss ja erst vom BAMF genehmigt werden und für die nach dem neuen Gesetz Verpflichteten auch durch die Ausländerbehörden. Da fällt viel Abstimmung an und jede Menge neue Berechnungen und Organisation. Wenn die Finanzierung bei den Trägern nicht im Januar gesichert ist, dann sind Arbeitsverträge für Dozenten im Bereich Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache gefährdet. Wichtig ist also, dass beginnend im Januar 2005 Schwerpunkte bei der nachholenden Integration gesetzt werden. Diese Menschen erscheinen ja auch bei den Volkshochschulen. Es muss sichergestellt werden, dass sie in die vom BAMF finanzierten Kurse kommen können. Sie sind teilnahmeberechtigt, aber können nicht verpflichtet werden. Nur einige von den Anspruchsberechtigten können dann über die Arbeitsagenturen verpflichtet werden.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass es nicht nur darum geht, Stunden zu erteilen und Sprachkurse durchzuführen, sondern dass Lerner die Sprache auch anwenden. Das wird, wie schon betont, nur mit sozialpädagogischer Begleitung möglich sein. Das muss organisiert werden, und zwar in den Kommunen. Deswegen ist es auch gut, dass jetzt aus dem Bundesamt die Regionalkoordinatoren in die Kommunen kommen, um das zu organisieren: Wer macht was? Wie kann das miteinander verknüpft werden? Denn diese sozialpädagogische Begleitung wird ja nicht über das Gesetz gefördert.

Ist es nicht ein Fehler, so stark auf Sprach- und Integrationskurse zu setzen, wenn dann möglicherweise für andere wichtige Maßnahmen das Geld fehlt?

Es wird noch viel zu wenig Geld für Sprachkurse ausgegeben. Sprache ist eine Schlüsselfertigkeit. Und wenn es gelingt, die Neuankömmlinge und die, die schon hier sind, zur sprachlichen Selbständigkeit zu bringen, dann werden sie auch leichter Arbeitsplätze finden und ihre Kinder beim Lernen unterstützen können. Im Vergleich etwa zu den Niederländern, die das Dreifache für einen solchen Sprachkurs aufgewandt haben, sind unsere Aufwendungen bescheiden. Das ist einer der Punkte, über den man weiter nachdenken muss, wenn erste Erkenntnisse über die Ergebnisse der Kurse vorliegen.

Man muss natürlich dem Ganzen auch Zeit geben, das ist klar. Die Frage wäre, ob denn die alte Förderstruktur noch erhalten bleibt. Wird weiterhin Geld für sonstige Integrationsprojekte ausgegeben werden?

Die Länder geben seit jeher viel Geld für Integrationsprojekte aus. Das wird auch weiter so bleiben. Denn in den Ländern, vor Ort, da spielt natürlich die Musik. Da sind die Gruppen, die Projekte - zum Beispiel für Jugendliche. Und Selbsthilfegruppen werden unterstützt. Vieles davon kann eingebunden werden, auch in das Weiterlernen und in integrative Programme. Die Finanzierungen über das BAMF sind ja nicht die einzigen Finanzmittel, sondern ein Bruchteil. Der Löwenanteil kommt von den Ländern.

Kritiker monieren Bürokratismus, mangelnde Vorbereitungszeit für die Kommunen, und fragen sich, ob Neuzuwanderer in 630 Stunden das für die Niederlassungserlaubnis geforderte Sprachniveau überhaupt erreichen können. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Das ist richtig, wir wissen nicht, wie es mit der Zielerreichung aussieht. Es wird ja das Sprachniveau B1 angestrebt. Das ist auch richtig. Es ist zwar kein hohes Niveau, aber zumindest eins, mit dem man sprachliche Selbstständigkeit gewinnt, um von dort aus weiter zu lernen. Und darauf kommt es an. Wenn man bei einem Sprachniveau A1 oder A2 stehen bliebe, bräuchten die Personen wieder einen Dolmetscher. Wieviele Teilnehmer das Ziel B1 erreichen, hängt auch von der Ausgangssituation ab. Kann man überhaupt schon lesen und schreiben? Das können einige nicht. Haben sie eine weiterführende Schule besucht? Haben sie bereits eine Fremdsprache gelernt? Da sind viele Dinge zu berücksichtigen. Der erste Durchgang wird ja auch wissenschaftlich begleitet werden, um daraus Rückschlüsse zu ziehen für die Weiterentwicklung des Systems. Zur Bürokratie: Wenn der Staat Steuergroschen ausgibt, muss auch gewährleistet sein, dass diese sinnvoll angelegt werden. Die Leute sollen in Sprachkurse mit einem hohen Qualitätsstandard gehen.

Vielen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch führte Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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