Integration in Deutschland 4/2004, 20.Jg., 30. November 2004

BESCHÄFTIGUNG

Millionär oder Nobelpreisträger

Wer darf sich in Deutschland niederlassen?

Im Sommer begrüßte die Alexander-von-Humboldt-Stiftung ihre neuen Stipendiaten. Dabei habe sich eine intensive Diskussion ergeben, sagt Generalsekretär Georg Schütte. Das Thema: die Niederlassungsfreiheit für Hochqualifizierte. Die Stiftung bietet der sog. wissenschaftlichen Elite aus dem Ausland einen einjährigen Forschungsaufenthalt an deutschen Hochschulen. Es ist zwar kein erklärtes Förderziel, dass die Humboldtianer auf Dauer bleiben, aber umso besser, wenn ein Teil von ihnen es in Erwägung zieht. Das Zuwanderungsgesetz bietet dafür zwei Anreize. Erstens wäre nur noch ein Behördengang nötig, um Aufenthalts- samt Arbeitserlaubnis zu bekommen. Zweitens dürfen die Ehepartner auch sofort arbeiten. Und da Hochqualifizierte in der Regel mit Hochqualifizierten liiert sind, legen Interessenten darauf viel Wert.

 


Investieren in Deutschland?

Für die Humboldtianer, Wissenschaftler von Rang und Namen, mag das Gesetz wie geschaffen sein. Ansonsten wird es wohl Interpretationssache sein, wer qualifiziert in seinem Sinne ist, nämlich "Wissenschaftler mit besonderen fachlichen Kenntnissen; Lehrpersonen und wissenschaftliche Mitarbeiter in herausgehobener Position". Macht einen erst die Promotion zum Gelehrten oder ist es die Forschungsnische, die zählt?

2002 gab es über 19.500 ausländische Wissenschaftler in Deutschland, zu drei Vierteln Graduierte und Postdoktoranden, so die Zahlen von "Wissenschaft weltoffen". Hochschullehrer bzw. erfahrene Forscher blieben häufiger nur ein Semester lang. Bei dieser Gruppe ist die Aufenthaltsregelung nur ein Faktor unter vielen. Mehr verspricht sich Werner Weber, Direktor des International Relations Office an der RWTH Aachen, von dem Angebot an ausländische Absolventen, ein Jahr lang eine Stelle hier zu suchen und dann die Niederlassungserlaubnis erwerben zu dürfen. Allerdings kommen sie nur dann zum Zuge, wenn es keine deutschen oder bevorrechtigten ausländischen Bewerber für diese Stelle gibt. Daher zweifeln Studenten aus Afrika und Asien, dass daraus überhaupt etwas wird: Die meisten würden wohl, wie gehabt, in die USA oder nach Großbritannien weiterziehen.

In seinem ersten Jahresgutachten 2004 schlug der Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration vor, rund 25.000 Fachkräfte für Tätigkeiten im Gesundheitssektor, Ingenieurwesen und bei Finanz- und Versicherungsdienstleistungen anzuwerben. In diesen Gebieten seien überdurchschnittlich viele Stellen unbesetzt. Der Vorschlag stieß nicht unbedingt auf Gegenliebe. Außerdem sind noch ca. 17.000 Greencard-Inhaber im Lande. Ob sie auch nach dem 1.1.2005 bleiben dürfen, fragen sich besorgte Pioniere wie der chinesische Informatiker JingJing Zhu. Er hat einen deutschen Hochschulabschluss und sein Arbeitsvertrag läuft bis Februar. Dann müsste er binnen drei Monaten das Land verlassen, es sei denn, er kann 60 Monate Rentenbeiträge nachweisen, so steht es im Zuwanderungsgesetz. In der Beschäftigungsverordnung dazu gibt es allerdings eine Sonderregelung für die Greencardler, weist die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) hin. Mit der wird die auf fünf Jahre befristete Erlaubnis in eine unbefristete umgewandelt. Das verdanken die Greencardler den vielen Protesten der Arbeitgeber, die ihre guten Leute behalten möchten. Künftig wird es für IT-Spezialisten auch ein besonderes Genehmigungsverfahren geben, bei dem das Fachdiplom allein zählt.

Hohe Messlatte

Für die übrigen Nicht-Wissenschaftler hat der Gesetzgeber die Messlatte sehr hoch gehängt. Spezialisten oder leitende Angestellte mit besonderer Berufserfahrung müssen sie sein und noch dazu "mindestens das Doppelte der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung" verdienen. Erst dann benötigen sie die Zustimmung der Arbeitsverwaltung nicht. Die Bemessungsgrenze lag 2003 bei rund 42.000 Euro jährlich. Laut Gehaltsstudie 2004 des Verbands deutscher Ingenieure (VDI) müsste man mindestens 100 Mitarbeiter unter sich haben, um ein Gehalt von 84.000 Euro einzustreichen. Noch nie habe er einen Ausländer auf einen vergleichbaren Posten vermitteln können, kritisiert Personalberater Dietrich Fischer. Viele Firmen, insbesondere die mittelständische New Economy, hätten gar nicht so viele Mitarbeiter.

Tatsächlich zielt die Niederlassungsfreiheit auf "Spitzenkräfte der Wirtschaft und Wissenschaft, bei denen die überdurchschnittliche Qualifikation sich in einer entsprechenden Gehaltszahlung widerspiegelt", bestätigt die Referentin des Bundesinnenministeriums, Ingrid von Stumm, und diese wären wohl nicht beim Mittelstand anzutreffen. Die Süßmuth-Kommission hatte damals die Mindesteinkommensgrenze vorgeschlagen, um mit einem eindeutigen Kriterium schwammige Begriffe wie "öffentliches Interesse" zu beseitigen. Für Normal-Akademiker und andere Fachleute sollte das Punkteverfahren gelten; dies wurde jedoch im Zuge der politischen Verhandlungen gestrichen. Sehr zum Bedauern der Wirtschaft, die auch den Mittelbau, nicht nur die Toppositionen, in den Zukunftsbranchen zu besetzen habe, sagt der Referent für Arbeitsmarkt und Migration des Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Oliver Heikaus. Jetzt muss wieder in jedem Einzelfall das öffentliche Interesse an einem ausländischen Spezialisten nachgewiesen werden - und dass es keinen geeigneten Einheimischen gibt.

Hoch müssen ebenfalls die Selbständigen springen, die sich hier niederlassen möchten. Eine Million Euro für den Start - entweder als Eigenkapital oder als Kreditzusage - sollen sie mitbringen und mindestens zehn Arbeitsplätze schaffen: Erst das macht sie eindeutig attraktiv und öffnet die Türen. Die wenigsten Existenzgründer, selbst in den Hightechbranchen hierzulande, bringen jedoch solche Summen zusammen oder benötigen so viele Angestellte gleich zu Beginn.
"Investoren, die eine Million Euro locker haben, sucht die ganze Welt", sagt Ahmet Güler vom Bund türkisch-europäischer Unternehmer (BTEU). Unter anderem betreut der Verband Interessenten aus der Türkei auf Standortsuche und hat die Deutsch-Türkische IHK in Köln mitgegründet. Einen besonderen Anreiz, gerade nach Deutschland zu kommen, sieht Güler nicht: Die neuen EU-Mitglieder lockten mit kostenlosen Grundstücken, Subventionen und niedrigen Steuern. Der deutsche Gesetzgeber habe sich zwar diese Vorgabe von den USA abgeguckt, aber dort werde den Investoren der rote Teppich ausgerollt. Hier fänden sie dagegen einen eher kühlen Empfang. Multinationale Konzerne bräuchten dieses Gesetz nicht, um hier eine Filiale zu gründen, meint er, denn für sie gab es auch bisher Sonderregelungen. Und der Mittelstand werde so abgeschreckt.

Haben die Existenzgründer keine Million, sondern nur mickrige Tausender in der Tasche, dürfen sie trotzdem ihr Glück versuchen. Dann sollen die regionalen IHKs oder Wirtschaftsfördergesellschaften ihren Businessplan prüfen. Das war auch bisher so, allerdings hat das Ausländeramt dann das letzte Wort. Manchmal lehnte es den Kandidaten trotz Empfehlung ab oder gab ihm den Stempel im Pass unter sehr restriktiven Bedingungen. Die Rolle der Wirtschaftsvertreter bei der Prüfung der Geschäftsvorhaben zu stärken, fordert naturgemäß der DIHK. Der BTEU will auch die Außenhandelskammern und die Unternehmerverbände der Migranten in die Entscheidung einbezogen sehen. Geprüft wird laut Gesetz doppelt: Zunächst wird eine vorläufige Erlaubnis für drei Jahre erteilt. Danach soll das Unternehmen seinen Erfolg belegen. Aber, das zeigen die Erfahrungen aus Deutschland, die meisten Gründer brauchen länger, bis sie in die schwarzen Zahlen kommen.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.