Integration in Deutschland 1/2005, 21.Jg., 31. März 2005

EUROPA

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Die Türkei in der EU

Der umstrittene Beitritt

Die Frage zählt zu den am kontroversesten diskutierten außenpolitischen Themen der letzten Monate: Soll die Türkei nun EU-Mitglied werden oder nicht? Fürsprecher und Gegner lieferten sich wortgewichtige Duelle in den größten deutschen Tageszeitungen und Fernsehtalkrunden. Unsere Gegenüberstellung der Pro- und Contra- Argumente fasst die Diskussion zusammen.

Enge Beziehungen zwischen der Türkei und der EU bzw. EG bestehen schon sehr lange. Bereits 1963 wurde das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei geschlossen. Interessanterweise erhob damals kein Mitglied der EWG Einwände unter Bezug auf die Römischen Verträge von 1948, die ausdrücklich bestimmen, dass nur europäische Staaten Mitglied werden können. Vielmehr stellte der damalige Präsident der EWG-Kommission, Walter Hallstein, fest: "Die Türkei ist ein Teil Europas." Das Assoziierungsabkommen legte die grundsätzlichen Ziele fest, wie die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen intensiviert und die Zollunion in drei Stufen eingeführt werden sollen. Der Zollunion wurde im Jahr 1995 durch das Europäische Parlament zugestimmt.

Als nächsten wegweisenden Schritt erklärte der Europäische Rat von Helsinki im Dezember 1999, dass die Türkei ein beitrittswilliges Land ist, das auf der Grundlage der gültigen Kriterien Mitglied der Union werden soll. Außerdem solle für die Türkei eine Heranführungsstrategie festgelegt werden. Konkrete Beitrittsverhandlungen wurden der Türkei in Aussicht gestellt, wenn sie bis Ende 2004 die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Diese so genannten Kopenhagener Kriterien legen fest, dass ein Beitrittsstaat nicht nur formal, sondern auch in der Staatspraxis folgende Punkte gewährleisten muss:

- Stabilität der Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Schutz von Minderheiten;
- eine funktionierende Marktwirtschaft, die den Anforderungen des EU-Binnenmarktes genügt;
- die Übernahme der gemeinschaftlichen Regeln, Standards und der Politik, die die Gesamtheit des EU-Rechts darstellen.

Auf ihrem Gipfeltreffen im Dezember 2004 haben die Staats- und Regierungschefs der EU grünes Licht dafür erteilt, im Jahr 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen.


Autorin: Vanessa Franz, isoplan

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Pro und Contra

Geografische Lage

Contra: Die Türkei liegt geografisch überwiegend außerhalb Europas.
Pro: Eine weithin akzeptierte definierte geografische Abgrenzung zwischen Europa und Asien existiert nicht.

Contra: Die EU-Staaten verfolgen bislang noch keine gemeinsame Außenpolitik; zusätzliche außenpolitische Herausforderungen müssen vermieden werden. Die Türkei grenzt an konfliktträchtige Nachbarstaaten wie Syrien, Irak und Iran.
Pro: Durch die Mitgliedschaft der Türkei besteht die Hoffnung auf Befriedung der dortigen Region; die geostrategische Lage der Türkei verbessert die gesamtstrategische außenpolitische Situation der EU.

Kulturelle bzw. „europäische“ Identität

Contra: Europäische Institutionen und Werte haben eine christlich-abendländische Dimension; die Türkei hingegen ist ein vom Islam und damit vollkommen anderen Werten geprägtes Land.
Pro: Die Türkei ist kein „Fremdkörper“ in der EU; auch unter den mit dem Christentum verbundenen Ländern existiert keine einheitliche „europäische“ Identität; entscheidend für eine Mitgliedschaft ist einzig die Teilung gemeinsamer Werte.

Wirtschaftliche und soziale Folgen

Pro: Der große türkische Markt und die junge, dynamische Bevölkerung der Türkei bieten ein enormes Potenzial für den europäischen Wirtschaftsmarkt, insbesondere für Deutschland als wichtigsten Handelspartner.
Contra: Die soziale Lage der türkischen Bevölkerung wird die EU schwer belasten; darüber hinaus bestehen gravierende regionale Disparitäten in der Türkei (Ostanatolien als neues „Armenhaus“ der EU?).

Pro: Durch den Beitritt wird die Wirtschaftskraft des Landes langfristig steigen.
Contra: Das Land wird durch die Harmonisierung des Wirtschaftslebens und den Wettbewerbsdruck sein Gesicht verändern und spezifische Eigenschaften verlieren.

Contra: Die Kosten des Beitritts sind zu hoch; sie betragen nach Schätzungen der EU-Kommission rund 20 Mrd. Euro.
Pro: Das zu erwartende deutlich höhere Handelsvolumen gleicht die entstehenden Mehrkosten aus.

Politische Folgen

Contra: Nach der großen Erweiterung im Mai 2004 muss sich die EU erst stabilisieren, insbesondere die Handlungsfähigkeit der EU-Organe sowie die Umsetzung von politischen Zielen muss erst unter Beweis gestellt werden.
Pro: Eine Überlastung der Strukturen wird vermieden, da ein EU-Beitritt frühestens für das Jahr 2012 anvisiert wird; bis dahin besteht Zeit zur Anpassung.

Contra: Die Strukturpolitik der EU wird durch die niedrige Wirtschaftskraft sowie die hohe Bedeutung der Landwirtschaft in der Türkei enorm belastet.
Pro: Argumente hinsichtlich der Wirtschaftssituation sowie der Agrarstrukturen sind nicht „türkeispezifisch“, sondern gelten auch für andere Länder wie Bulgarien oder Rumänien, deren Beitritt bereits für 2007 auf der Tagesordnung steht.

Contra: Aufgrund des nach wie vor bestehenden wirtschaftlichen Gefälles wird ein starker Migrationsdruck entstehen. Schätzungen gehen von mehreren Millionen Auswanderern in die EU aus.
Pro: Frühere Erweiterungen haben bereits gezeigt, dass derartige Migrations-ströme nicht zwangsläufig eintreten. Entscheidend für diese Frage ist die wirtschaftliche Situation der Türkei.

Situation von Minderheiten/ Menschenrechte

Pro: Zur Verbesserung der Menschenrechtslage und zur Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten in der Türkei wurden weitreichende Maßnahmen ergriffen; die politischen Kopenhagener Kriterien sind zumindest im Ansatz damit erfüllt.
Contra: Nach wie vor bestehen erhebliche Mängel bei der Umsetzung der Reformen; Minderheiten sind bei der Ausübung und Pflege von Sprache und Religion weiterhin eingeschränkt.

Pro: Gerade die Kurden erhoffen sich von dem Beitritt eine Verbesserung ihrer Situation als Minderheit.
Contra: Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im 1. Weltkrieg durch die Türkei zeugt von einem problematischen Verhältnis zu ethnischen und religiösen Minderheiten sowie von einem nicht adäquaten Umgang mit der historischen Vergangenheit.


Quellen der Argumente: FAZ, taz, Die Zeit, Bundeszentrale für politische Bildung

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Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Gesellschaft

Ist die Türkei fit für die EU?

Nach einer großen Wirtschaftskrise im Jahr 2001 hat die Türkei in den vergangenen Jahren beachtliche wirtschaftliche Forschritte erzielt. Geht der ökonomische Aufschwung auch mit einer positiven sozialen Entwicklung einher? Und welche Potenziale besitzt die junge Bevölkerung?

Die aktuellen Wirtschaftsdaten der Türkei können sich sehen lassen: Nachdem die tief greifende Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2001 zur schärfsten Rezession seit 1945 geführt hatte (über 80%ige Inflation), werden die IWF-gestützten Reformen (u.a. Autonomie der Zentralbank, Transparenz des Bankwesens, Öffnung der Märkte für Telekommunikation und Energie) nun durch anhaltendes Wachstum belohnt. Das Wirtschaftswachstum, das im Jahr 2002 bereits 7,8 % betrug, belief sich 2003 auf 6 %. Für 2004 wird ein Wachstum von ca. 5 % prognostiziert. Motor des Wachstums sind neben Bauboom und Tourismus vor allem der Export. Im Jahr 2003 konnte er gegenüber 2001 um 43 % gesteigert werden, 2004 wird die Zunahme auf 54 % geschätzt. Auch steigende Investitionen haben zum Wirtschaftswachstum beigetragen.

Der Dienstleistungssektor dominiert die türkische Wirtschaft: Er erwirtschaftet rund 60 % des Bruttoinlandsprodukts. Von besonderer Bedeutung sind die Bereiche Handel sowie Transport und Kommunikation. Der Industriesektor erwirtschaftet rund ein Viertel des BIP. Nach wie vor aber sind rund 40 % der Berufstätigen in der Landwirtschaft tätig.
Große Erfolge zeitigt der Kampf gegen die jahrelang sehr hohe Inflation. Bereits 2003 lag die Inflationsrate deutlich unter 20 %, für 2004 wird eine Inflationsrate von rund 13 % prognostiziert.

Der Nationale Entwicklungsplan, eine Studie des türkischen staatlichen Planungsamtes, skizziert anschaulich die Stärken und Schwächen der türkischen Wirtschaft. Zu den Stärken zählen danach u.a. der Wirkung zeigende Kampf gegen die Inflation, durchgeführte Strukturreformen, v.a. im Bankwesen, eine weitgehend gut entwickelte Tourismusinfrastruktur sowie eine junge und dynamische Bevölkerung. Die Schwachstellen werden gesehen im Fortbestehen einer vergleichsweise hohen Inflation, einer großen Schattenwirtschaft, einem relativ niedrigen BIP pro Kopf, einem immer noch hohen Beschäftigungsanteil in der Landwirtschaft - bei gleichzeitig geringer Produktivität, gravierenden regionalen Entwicklungsrückständen, einer ungerechten Einkommensverteilung, einer unbefriedigenden Qualität der Erziehungs- und Gesundheitseinrichtungen, dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sowie dem unausgewogenen System der sozialen Sicherheit.

Wirtschaftswachstum = Wohlstand?

Dies zeigt, dass die Schwachstellen im Wesentlichen sozialer Natur sind. Die Lage auf dem türkischen Arbeitsmarkt ist nach wie vor sehr angespannt. Offiziell sind derzeit rund 10 % der Bevölkerung ohne Job. Zu den Arbeitslosen kommt eine hohe Zahl von Unterbeschäftigten. Die inoffizielle Arbeitslosigkeit - so schätzt man - liegt deutlich über der offiziellen Quote. Insbesondere in ländlichen Strukturen lassen sich viele Arbeitslose nicht registrieren, da sie den Haushalt führen oder in Familienbetrieben mithelfen. Ein besonderes Problem stellt die hohe Akademikerarbeitslosigkeit dar: Rund 32 % der Graduierten finden keine Beschäftigung. Vier von fünf Uni-Absolventen geben an, gerne ins Ausland gehen zu wollen, wenn sich die Möglichkeit böte.

Die Löhne sind - verglichen mit anderen Ländern der Region - niedrig. Der Mindestlohn liegt derzeit bei umgerechnet rund 250 Euro im Monat. Der überwiegende Teil der in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk erwerbstätigen Arbeiter bezieht diesen Mindestlohn - ein ursprünglich nach einem Warenkorb berechneter Betrag für eine Person, der de facto häufig das "Familieneinkommen" darstellt. Die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West, ebenso zwischen Stadt und Land sind jedoch erheblich.

Die positive Wirtschaftsentwicklung hat sich kaum im Empfinden der Bevölkerung niedergeschlagen, da die Entwicklung der Realeinkommen trotz sinkender Inflation mit der Wirtschaftsentwicklung nicht Schritt halten konnte. Nach wie vor gibt es eine große Landflucht, da in den Städten bessere Beschäftigungsmöglichkeiten vermutet werden. Steigende soziale Probleme und hohe Arbeitslosigkeit in den Städten sind jedoch die Folge.

Junge Bevölkerung = Zukunftssicherung?

In der Türkei leben rund 71 Mio. Menschen, ca. 45 % sind jünger als 21 Jahre. Demografisch gesehen verfügt die Türkei also über großes Potenzial und sieht sich nicht jenen Problemen gegenübergestellt, mit denen Deutschland angesichts seiner alternden Bevölkerung zu kämpfen haben wird.

Rund 25 % der Bevölkerung sind im schulpflichtigen Alter. Um die Ressourcen dieser jungen Bevölkerung optimal zu nutzen, ist ein gutes Bildungssystem unabdingbar. Doch auch nach der Umsetzung der Erziehungsreform aus dem Jahre 1997 gibt es erhebliche Defizite im türkischen Schulsystem. Die Schulpflicht wurde von fünf auf acht Jahre erhöht, d.h. der Übergang auf die Sekundarschulen erfolgt nun erst nach der 8. Klasse. Die so genannte Mittelschule wurde abgeschafft. Darüber hinaus wurde eine zweite Pflichtfremdsprache eingeführt, was nicht zuletzt die Stellung von Deutsch an türkischen Schulen stärken wird.

Die Erhöhung der Schulpflicht ist sehr zu begrüßen, da insbesondere viele Mädchen - wenn überhaupt - lediglich die Schulpflicht von fünf Jahren erfüllt hatten. Dennoch: Den Herausforderungen angesichts der zahlenmäßig so großen jungen Generation ist das türkische Bildungssystem nicht gewachsen. Klassenräume fehlen, ebenso mangelt es an qualifizierten Lehrern. Klassen mit 50 Schülern und mehr sind keine Seltenheit. Die Analphabetenquote ist nach wie vor relativ hoch. Die schulische Versorgung ist von einem starken Ost-West-Gefälle geprägt. Staatliche Schulen sind daher für viele nur die zweite Wahl: Wer kann, ermöglicht seinem Kind den Besuch einer Privatschule. Bildung wird somit immer mehr zu einer Frage der finanziellen Situation der Familie und ist angesichts z.T. mehreren hundert Euro Schulgeld pro Monat für Privatschulen zu einem Luxusgut geworden.

Auch die Ausbildungssituation ist nicht zufriedenstellend. Trotz eines wachsenden Bedarfs an qualifizierten Fachkräften führt die Berufsausbildung ein Schattendasein. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Ausbildung hat sich in der Türkei bis heute nicht durchgesetzt. Ca. zwei Drittel der Schüler/innen möchte studieren - trotz der enorm hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Nur ein Bruchteil der Interessenten wird an den Universitäten angenommen. Der große Rest beginnt nach der Schule zu arbeiten.

Die Türkei hat großes Potenzial. Das zeigt die wirtschaftliche Entwicklung. Ihre junge Bevölkerung ist geprägt von Dynamik und Gestaltungswillen. Doch viele Rahmenbedingungen, z.B. das Schulsystem, müssen verbessert werden, um diese Chancen optimal zu nutzen.


Autorin: Vanessa Franz, isoplan

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Als "Gastarbeiter" in der Türkei

Erfahrungen eines Deutschlehrers an einem türkischen Gymnasium

Eine der ersten Fragen, mit der ich im September 2004 als neu angekommener deutscher Deutschlehrer an meiner künftigen Wirkungsstätte, dem Ankara Anadolu Lisesi, konfrontiert wurde, war: "Wieso sind Sie in die Türkei gekommen?" Das kann man natürlich jeden fragen, der im Ausland arbeitet: Warum gerade hier? Aber in diesem Fall ist das Besondere die "Wanderungsrichtung": von Deutschland in die Türkei

Und in der Tat: Es ist ein besonderer Auslandsposten, auf dem sich ein deutscher Lehrer in der Türkei befindet, auch wenn der Weg dorthin wenig Aufsehen erregend und standardisiert ist. Neben der "klassischen" Auslandsdienstlehrkraft (ADLK), dem verbeamteten Lehrer, der für ein paar Jahre beurlaubt und ins Ausland entsandt wird, steht allen Lehrern der Weg als Bundesprogrammlehrkraft (BPLK) offen (in diesem Zusammenhang gibt es noch einige Landesprogrammlehrkräfte der Bundesländer), ein Weg, der sich gerade für junge Lehrer anzubieten scheint, da man unmittelbar nach dem Referendariat für 2-6 Jahre ins Ausland kann, also bevor man sich vollständig etabliert hat. (Bewerbung, Auswahlverfahren und Einsatzorte sind über das Bundesverwaltungsamt, die Zentralstelle für das Auslandschulwesen, zu erfahren.)

Man kann dabei sein "Wunschland" zunächst nicht wählen, nur Regionen ausschließen und letztlich dem angebotenen Land zustimmen, vielleicht unter ein paar Angeboten wählen. Dabei kann es sich um deutsche Auslandschulen handeln, aber auch um staatliche Schulen des Gastlandes. So konnte ich anfangs nur eine sehr unbestimmte Antwort auf die eingangs gestellte Frage geben: Nun, ich wollte ins Ausland…und als mir die Türkei angeboten wurde, habe ich ja gesagt.

Günstigstenfalls wird man vorher nicht nur über Formalitäten und lokale Besonderheiten aufgeklärt, sondern auch mit einigen Informationen über Schule und Unterricht versorgt. Meine Schule sollte eine so genannte Anadolu-Schule sein, ein Fremdsprachengymnasium, an dem als erste Fremdsprache Deutsch unterrichtet wird, eines von 32 dieser Art in der Türkei, eines von zwölf, in denen deutsche Lehrer für Deutschunterricht, nicht (mehr) für Fachunterricht, eingesetzt werden. Deutschlehrer im Ausland zu sein ist aber mehr als das bloße Ausüben einer Lehrfunktion; es beleuchtet einen Aspekt, den man, als Deutscher in Deutschland, bisher kaum wahrgenommen hatte.

Über 2,5 Millionen Türken leben in der ersten, zweiten und mittlerweile dritten Generation in Deutschland, nicht wenige davon besitzen einen deutschen Pass. Von den Restaurants bis zu den Moscheen sind türkische Kultur- und Lebenswelteinflüsse aus Deutschland kaum mehr weg zu denken, gleichwohl ist das Thema Integration, für beide Seiten, immer wieder problematisch.

Hilfe zur Reintegration

Einer ganz anderen Form der Integration bzw. der Re-Integration sollten ursprünglich die Anadolu-Gymnasien in der Türkei dienen: der Reintegration türkischer Rückkehrerkinder aus Deutschland. Die politischen Motive für dieses unter anderem durch die Entsendung deutscher Lehrer gestützte Programm sollen hier nicht weiter thematisiert werden, in der Türkei sollten diese Schulen jedoch den Rückkehrern die Eingliederung in ihr Herkunftsland oder das Herkunftsland ihrer Eltern erleichtern und das Potential der Deutsch und Türkisch sprechenden Türken erhalten und ausbauen. Die Entsendung deutscher Lehrer wurde 1986 in einem deutsch-türkischen Zusatzabkommen festgehalten und erste Rückkehrerschulen entstanden: türkische Schulen mit zahlreichen deutschen Lehrern und deutschem Fachunterricht, beinahe eine umgekehrte Parallele zu türkischen Klassen in Deutschland also.

30 Jahre nach dem Anwerbestopp und 20 Jahre nach dem Rückkehrhilfegesetz stellen Rückkehrer kaum noch 5 % der Schüler. Seit 2002 ist daher der Einsatz deutscher Lehrer nur noch für den Deutschunterricht vorgesehen - aus den "Rückkehrerschulen" sind normale Fremdsprachengymnasien geworden.

Welche Antwort bleibt aber nun im Jahre 2005 auf die Frage: "Wieso sind sie in die Türkei gekommen?" Ist die Türkei für deutsche Auslandslehrer lediglich ein Ort unter vielen, an dem man deutsche Sprache und Kultur vermittelt, Sprachdiplome abnimmt und ansonsten einfach Auslandserfahrung sammelt?

Die ersten Tage in der Schule, die Motivation der Schüler aber auch der Schulleitung schienen diesem Bild zu entsprechen. Seit einer türkischen Schulreform von 1998 findet der Fremdsprachenunterricht erst ab dem 9. Schuljahr statt, für insgesamt vier Jahre (der Ausbau einer zweiten Pflichtfremdsprache ist seit diesem Jahr im Gange). Der Stellenwert von Fremdsprachen ist nicht sehr hoch; neben einer sehr starken Türkeizentrierung auch von Seiten der Schüler ist dafür maßgeblich die zentrale Universitätsaufnahmeprüfung (ÖSS) verantwortlich, die einheitlich den Zugang zu den Universitäten regelt und in der Fremdsprachen nicht berücksichtigt werden. So dünnt sich die Gruppe der Fremdsprachenwilligen besonders in den letzten beiden Schuljahren aus, da das Damoklesschwert der Aufnahmeprüfung näher rückt. Das Sprachdiplom, welches den Studienzugang zu deutschen Universitäten öffnet, erwerben nur noch wenige. Dementsprechend führt man auch als einer von meist zwei oder drei deutschen Deutschlehrern ein etwas exotisches Dasein - der Versuch, Türkisch zu erlernen, stimmt einen sehr milde gegenüber Türken in Deutschland, die nach 30 Jahren nur radebrechend Deutsch sprechen, und der Schulalltag, der zwischen spontanen Veränderungen und zentralen Prüfungseingriffen pendelt, lässt einen oft etwas ratlos in den Gängen und Zimmern stehen. So freundlich und entgegenkommend die Aufnahme auch ist, einen vollständigen Einblick in das schulische Geschehen erhält man nicht so recht, auch nicht in das Verhalten der Schüler. Das Schwanken zwischen Respektsbezeugungen und tumultartigen Zuständen (noch einmal: Deutsch ist kein wirklich wichtiges Fach), zwischen Chaos und aufmerksamer Zuneigung korrespondiert ebenfalls wenig mit dem Verhalten deutscher Schüler - zumal sich Autorität (die von Schülern manchmal regelrecht eingefordert wird) bei weitgehender Sprachenunkenntnis kaum gewinnen lässt. All dies mag jedoch zur Ausbildung einer sehr weitgehenden Flexibilität im Umgang mit den Dingen ("des Lebens", möchte man sagen) führen.

Veränderter Blick

Man lernt, sich selbst und die deutschen Verhältnisse gleichsam von Außen zu sehen, man muss, indem man sich selbst neu verorten muss, lernen, vor Ort anders zu agieren, oder mehr noch: zu reagieren.

Und genau hierin scheint mir die Besonderheit zu liegen, als Deutscher in der Türkei zu arbeiten (nicht nur als Lehrer): man muss den Blick bewusst ändern. Denn gerade weil man in Deutschland so stark mit türkischen Einflüssen konfrontiert ist, ist man geneigt, ein Bild von der Türkei, oder zumindest den Türken zu haben. Und da die Türkei ein für Deutsche immer beliebteres Urlaubsziel geworden ist, glaubt man die Türkei und die dortigen Türken zu kennen - und doch ist beides für die Türkei und die Türken nur sehr bedingt repräsentativ, und vor allem bleibt es der Blick aus Deutschland heraus, von Deutschland herab.

Eine Einschränkung ist nun allerdings nötig: Auch Ankara repräsentiert als Hauptstadt und Wohnort vieler hoher Beamter nur sehr bedingt die Türkei. Und an den Anadolu-Gymnasien, so genannten Renommierschulen finden sich überwiegend Kinder aus eher wohlhabenden Familien. Aber es soll dem "Deutschen Blick" auch keiner aus einem ostanatolischen Grenzdorf entgegengestellt werden, nein, so paradox es klingen mag, das Besondere am Auslandseinsatz in der Türkei für einen Deutschen ist wohl, die Türkei als ein normales Ausland wahrzunehmen, ohne Anführungszeichen, ohne wirkliche Präzisierung, ohne einerseits Gastarbeiter, andererseits Goldenes Horn, einerseits aufgeklärte Deutschtürken und andererseits islamistische Dorf- und Familienstrukturen.

So verläuft die Arbeit als Lehrer und das Leben als Deutscher in der Türkei für mich zumindest in zweierlei Hinsicht bezeichnend: mit den typischen Erfahrungen eines Auslandslehrers, die wohl so typisch wie auch sehr individuell sind, weshalb ich sie hier nur andeuten wollte; gleichzeitig aber auch mit den für einen Deutschen wohl eher untypischen Erfahrungen des, wenn auch zeitlich beschränkten, Integrationsversuchs in die türkische Gesellschaft, die gleichermaßen west- wie ostorientiert scheint, und einem so freundlich wie selbstbewusst begegnet. Daher soll hier jedes reiseführerähnliche Wort unterbleiben - viel mehr lässt sich vor Ort erfahren, über das Land und für einen selbst.

Und so mag die Arbeit in der Türkei neben der eigentlichen Aufgabe, Sprache und Kultur zu vermitteln, auch in sinnvoller Kooperation mit den türkischen Deutschlehrern, gleichsam zu einer Vorbereitung für eine mögliche spätere Arbeit in Deutschland werden. Denn ganz gleich in welcher Weise man später einmal in integrative Arbeit eingebunden sein mag, man hat diese Arbeit schon einmal selbst vollbringen müssen, und, was mir wesentlicher erscheint, man hat erfahren, dass Integration nur gelingen kann, wenn sie auf einer Ebene der Gleichwertigkeit, des gegenseitigen Gebens und Nehmens stattfindet. Integration kann nicht als Unterwerfung sondern nur als gemeinsames Annehmen des Anderen und Einbringen des Eigenen gelingen, denn Integration muss beide Seiten verändern, damit etwas Gemeinsames entstehen kann. Dabei darf man die jeweiligen Wahrnehmungen nicht verleugnen; ich nehme mich in der Türkei, ob ich will oder nicht, viel deutlicher als Deutscher wahr. Die Hoffnung, die sich daraus für die späteren Aufgaben in Deutschland ergibt, ist, die Türken so umfassend und somit so integrativ wie möglich als Türken wahrnehmen zu können, oder den türkischen Hintergrund zumindest nicht auszuklammern.

Eine wirkliche Antwort auf die anfängliche Frage ist damit nicht gefunden, aber ein Eindruck hat sich verfestigt: Gerade in der Türkei und mit den Türken läßt sich die Bedeutung des Integrationsgedankens erfahren.


Autor: Jens Langbein, Ankara Anadolu Lisesi

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Tourismus in der Türkei im Jahr 2004

 

Essen. Der Irakkrieg hat nicht, wie zuvor befürchtet, zu einem deutlichen und langfristigen Einbruch des Tourismus in der Türkei über das Jahr 2003 hinaus geführt. Die Tourismusbranche hat sich sehr schnell von der Krise erholt. Dies hat die Stiftung Zentrum für Türkeistudien (ZfT) im März 2005 ermittelt. Einer ZfT-Untersuchung zufolge hat die Türkei im vergangenen Jahr mit dem Fremdenverkehr so viel Geld verdient wie noch nie: 2004 betrugen die Tourismus-Einnahmen 15,9 Milliarden US-$. Dies entspricht einer Steigerung von etwa 25% im Vergleich zum Vorjahr. Rund 17,5 Millionen ausländische Touristen besuchten die Türkei, dies bedeutet eine Steigerung um ca. 25% im Vorjahresvergleich. Die bei weitem stärkste Gruppe waren die Deutschen mit fast vier Millionen Urlaubern, 23 % mehr als im Vorjahr. Auf Rang 2 folgen Touristen aus den GUS-Staaten mit 2,8 Millionen und einer ebenfalls starken Steigerungsrate. Durchschnittlich wurden von den ausländischen Touristen 784 US-$ pro Person in der Türkei ausgegeben. (esf)

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Immobilienkäufe in Türkei eingeschränkt

 

Ankara. Immobilienkäufe von Ausländern in der Türkei sollen künftig wieder eingeschränkt werden. Eine erst vor zwei Jahren eingeführte Gesetzesänderung, mit der erstmals Ausländern das Recht auf Grunderwerb eingeräumt worden war, hob das Verfassungsgericht in Ankara Mitte März 2005 zum Teil wieder auf. Die bisher gültigen Einschränkungen seien nicht ausreichend, urteilte das Gericht, wie türkische Medien berichteten. Die Entscheidung laufe jedoch nicht darauf hinaus, dass Ausländer überhaupt keine Immobilien mehr erwerben könnten, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Hasim Kilic nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur. Dem Gesetzgeber seien drei Monate für Nachbesserungen eingeräumt worden. Obwohl sich der Grunderwerb von Ausländern in der Türkei bisher stark in Grenzen gehalten hat, gab es Proteste gegen einen angeblich drohenden "Ausverkauf des Landes". Von der Möglichkeit des Grunderwerbs haben bislang auch viele Deutsche vor allem in den Tourismusgebieten an der südtürkischen Riviera Gebrauch gemacht. (esf)

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Erdogan hebt Kopftuchverbot auf

 

Ankara. Das türkische Parlament hat am 24. Februar 2005 ein Gesetz verabschiedet, das tausenden Studentinnen die Rückkehr an die Universitäten ermöglichen soll, die dort auf das Tragen von Kopftüchern nicht hatten verzichten wollen. Staatspräsident Sezer hatte zunächst Bedenken geäußert, stimmte dem Gesetz jedoch am 21. März 2005 zu. Kopftücher waren in der streng laizistischen Türkei in Universitäten, dem Parlament und anderen staatlichen Einrichtungen bislang verboten. Kritiker werfen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und der islamisch geprägten Regierungspartei AKP vor, sie wollten mit dem Gesetz lediglich die religiösen Wähler für sich gewinnen. (esf)

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47 Schulverweise nach Kopftuchgesetz

 

Paris. Seit der Verabschiedung des "loi sur le voile" am 15.März 2004, das das sichtbare (ostentative) Tragen religiöser Zeichen an Schulen verbot, sind nach Angaben des französischen Bildungsministeriums 47 Schülerinnen von der Schule verwiesen worden. Sie hatten nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zum Schuljahresbeginn im Spätsommer 2004 nicht auf das Tragen des Kopftuches verzichten wollen. Bei 550 Mädchen habe es eine Lösung im Dialog gegeben. Zahlen über Schulabbrecher aufgrund des Gesetzes liegen nicht vor. Viele von ihnen setzen jetzt ihre Ausbildung mittels Fernstudien fort und klagen über Isolation, heißt es in Le Monde (15.03.05). Insgesamt habe es in 2004 rund 1.500 Fälle von Mädchen gegeben, die in der Schule ein Kopftuch trugen bzw. tragen wollten. Im Jahr 2005 seien nur noch 639 gezählt worden. Das Gesetz sei somit besser angenommen worden, als zu erwarten gewesen sei - so Le Monde. (esf)

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Britische Muslimin darf "bedeckt" in die Schule

 

London. Das zweithöchste britische Gericht hat in einem Musterverfahren entschieden, dass ein muslimisches Mädchen in der Schule Kopftuch und traditionelles Gewand statt Schuluniform tragen darf. Die 16-jährige Shabina Begum hatte ein "Recht auf Bildung und auf Darstellung ihrer religiösen Überzeugungen" eingeklagt. Das Berufungsgericht in London, über dem nur noch die Lordrichter des Oberhauses stehen, gab ihr Anfang März 2005 Recht. Die Schule in Luton bei London hatte Begum vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie sich weigerte, statt in ihrem Gewand in Schuluniform zu erscheinen. Der Direktor begründete dies damit, dass die Uniform für alle verpflichtend sei. Das Gewand des Mädchens reicht bis auf den Boden und lässt nur Gesicht und Hände unbedeckt.

In erster Instanz hatte die Schule Recht bekommen. Damals verwies der Richter darauf, dass 79 % der Kinder an der Schule Muslime seien und diese sich nicht diskriminiert fühlten. Kopftücher waren zudem bereits erlaubt. Begum sagte nach der Gerichtsentscheidung, das Vorgehen der Schule sei die "Folge einer Atmosphäre, die nach den Anschläge vom 11. September 2001 in den westlichen Gesellschaften entstand, einer Atmosphäre, in der der Islam im Namen des ‚Anti-Terror-Krieges' kriminalisiert wurde". Begum wurde in dem Verfahren von der Rechtanwältin Cherie Blair, der Frau des britischen Premierministers, vertreten. (esf)

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800 Vorfälle seit Van-Gogh-Mord

 

Den Haag. Im Zusammenhang mit der Ermordung des umstrittenen islamkritischen niederländischen Regisseurs Theo van Gogh am 2. November 2004 in Amsterdam ist es nach Angaben der Regierung der Niederlande bis Ende Januar 2005 zu 800 Zwischenfällen und Straftaten gekommen. In den schlimmsten gemeldeten Fällen seien Schulen, Moscheen und christliche Kulturstätten in Brand gesetzt worden. Ein Sechstel der Anschläge habe muslimischen Einrichtungen gegolten. Bei den Vorfällen gab es nach diesen Angaben keine Opfer. (esf)

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Spanien startet Regularisierung

 

Madrid. Am 7. Februar 2005 hat in Spanien eine Dreimonatsfrist begonnen, während der sich die schätzungsweise bis zu einer Million seit mehr als sechs Monaten ansässigen und arbeitenden Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere ("sin papeles") um eine reguläre Aufenthaltserlaubnis bewerben können. So will die Regierung die überwiegend aus Lateinamerika und Nordafrika, aber auch aus Asien und Mittelosteuropa stammenden "Papierlosen" integrieren (vgl. AiD 4/04: Europa). Mehrere EU-Partnerländer, so unter anderem die Niederlande und Deutschland, hatten Bedenken gegen diese erneute Regularisierungskampagne geäußert. Bundesinnenminister Otto Schily wies darauf hin, dass diese "massive Regularisierung" in Spanien Folgen für die Nachbarn haben könnte, weil Begünstigte mit neuen Papieren nach Deutschland oder Frankreich weiter wandern könnten. Unmittelbar vor dem Beginn dieses groß angelegten Legalisierungsprozesses kam es zur Landung eines kaum seetüchtigen Schiffes mit 227 Afrikanern an Bord auf der Kanareninsel Teneriffa. Das Schiff war vor einem Monat von der Elfenbeinküste ausgelaufen. Dies ist nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z vom 07.02.05) die höchste Zahl an Flüchtlingen, die je auf einem einzelnen Flüchtlingsschiff in Spanien gezählt worden ist. (esf)

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Paris lockt Manager und Studierende

 

Paris / Frankfurt a.M. Die französische Regierung will ausländische Unternehmen mit steuerlichen Vergünstigungen für entsandtes Personal ins Land locken. So sollen nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z vom 08.02.05) künftig die Zuschläge auf das Grundgehalt steuerfrei gestellt werden, wenn die Auslandskräfte mindestes fünf Jahre in Frankreich arbeiten. 2004 war diese Untergrenze bereits auf zehn Jahre festgeschrieben worden, nachdem die Zuschläge vorher wie normale Gehaltsbestandteile versteuert worden waren. Ferner sollen ausländische Manager nur noch entsprechend ihrer in Frankreich geleisteten Arbeit Einkommensteuer entrichten. Arbeiten sie außerhalb des Landes, so entfällt die Steuerpflicht. Mit diesen und 34 weiteren Schritten will die Regierung Frankreich für ausländische Investoren attraktiver machen. Insbesondere sollen Forscher wieder angezogen werden, die das Land verlassen haben. Bereits 2004 wurden in dieser Richtung Anstrengungen unternommen, indem unter anderem in der Verwaltung einheitliche Kontaktpunkte für administrative Anforderungen wie Visa und Arbeitsgenehmigungen geschaffen wurden. Ferner sollen mehr ausländische Studierende nach Frankreich gelockt werden, indem die Einschreibebedingungen an den Universitäten reduziert und mehr Kurse in Fremdsprachen (v.a. Englisch) angeboten werden. (esf)

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Immer mehr Migranten als französische Lehrkräfte

 

Paris. Junge Lehrkräfte mit Migrationshintergrund werden immer zahlreicher in französischen Schulen. Sie spielen auch zunehmend eine wichtige Rolle in der Vermittlung staatsbürgerlicher Werte, schreibt Martine Laronche in Le monde (08.01.05). Offizielle Statistiken existieren nicht, da praktisch alle die französische Staatsbürgerschaft haben. Neuere Recherchen des Instituts Maghreb-France der Universität Paris VIII haben jedoch ihre steigende Bedeutung nachgewiesen. Eine Befragung des "Institut Universitaire de Formation des Maitres" (IUFM) in Creteil, eines der größten in Frankreich, errechnete zum Schuljahresbeginn im Sommer 2003 einen Anteil von 17 % der Lehrkräfte "issus des immigrations", das heißt, mindestens ein Elternteil hat einen ausländischen Hintergrund. Dieser Anteil sinkt auf 11 %, zählt man nur diejenigen, deren Eltern beide zugewandert sind. Bei ihnen stammt der größte Teil (43,9 %) aus Europa, insbesondere aus Südeuropa. Auf Platz zwei erscheint der Maghreb (42,6 %) und hier vor allem Algerien. Viele stammen aus wenig gebildeten Elternhäusern, doch wurden sie durch die Eltern stark für eine gute Ausbildung motiviert. Sie zeigen, dass es mit einer guten Ausbildung gelingen kann, auch als Migrant/in aus schwierigen (Wohn-)Verhältnissen erfolgreich zu sein. Die Autorin hebt besonders ihre Funktion als Vorbild, Positivbeispiel und Hoffnungsträger sowie ihren positiven Einfluss auf die Vermittlung der Werte der "République Fran‡aise" hervor. Sie betont aber auch, wie wichtig es ist, Schüler/innen zu zeigen, dass es kein Handikap, sondern eine Chance ist, in zwei Kulturen zu leben. Die Lehrkräfte selbst fühlen sich in dieser Rolle nützlich, gerade wenn sie in schwierigen Klassen eingesetzt werden. Da geben sie zurück, was ihnen einst die Schule gegeben hat. (esf)

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Greencard für Europa?

 

Straßburg. Die EU-Kommission will mehr Arbeitsmigrantinnen und -migranten nach Europa holen und erwägt dazu unter anderem die Einführung einer europäischen Greencard. Die Greencard sei eine von zahlreichen Optionen, um dem wachsenden Arbeitskräftebedarf gerecht zu werden, sagte der neue EU-Innenkommissar Franco Frattini Mitte Januar 2005 in Straßburg. "Ohne einen EU-weiten Ansatz laufen wir Gefahr, die illegale Einwanderung zu stärken", betonte Frattini bei der Vorstellung eines Grünbuchs zur Wirtschaftsmigration in die Union. In diesem wird von einer Zuwanderung von bis zu 20 Millionen Arbeitsmigranten bis 2030 ausgegangen. "Wir wollen eine positive Einstellung gegenüber Wirtschaftsmigranten wecken", plädiert Frattini, "sie sollten in Europa künftig nicht mehr als Bedrohung, sondern als Chance gesehen werden."

Trotz der hohen Arbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten hält die Kommission die Zuwanderung für eine ökonomische Notwendigkeit. "Die Arbeitsmigranten kommen einerseits für Posten in Frage, für die sich keine EU-Bürger finden, andererseits können sie in ganz bestimmten Sektoren, in denen Arbeitskräftemangel herrscht, zum Zug kommen", sagte der EU-Innenkommissar, der sich der Vorbehalte einer Reihe von Ländern, allen voran Deutschland und Frankreich, bewusst ist. Daher geht er auch mit Glacéhandschuhen vor und kündigt eine breite Konsultation der "Zivilgesellschaft" und dabei insbesondere der Gewerkschaften an, bevor er im Laufe des Jahres mit konkreteren Vorschlägen aufwarten möchte. Frattini weiß um die Sensibilität des Themas: Die im Herbst abgelöste Kommission unter Romano Prodi hatte schon 2001 einen ähnlichen Richtlinienvorschlag ausgearbeitet, der sehr rasch an der Ablehnung der von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Staaten scheiterte. Die neue Kommission unter José Manuel Barroso sieht für ihren Vorstoß nun bessere Chancen und präsentiert ihn auch als eine "strategische Notwendigkeit", die die künftige Entwicklung des europäischen Arbeitsmarktes ebenso berücksichtigt wie die derzeitige weitgehende Ohnmacht gegenüber der illegalen Immigration. Illegale Einwanderung und Schwarzarbeit seien die wahren Bedrohungen für europäische Arbeitskräfte, wird im Grünbuch argumentiert. (esf)

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