Integration in Deutschland 1/2005, 21.Jg., 31. März 2005

ISLAM

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Islamische Verbände in Deutschland

 

Seit Anfang der 1970er-Jahre ist eine Vielzahl islamischer Organisationen entstanden. Sie sehen ihre Aufgaben darin, den Muslimen die Ausübung ihrer Religion durch die Schaffung von Gebetsstätten zu ermöglichen und sie in ihren religiösen Interessen nach außen zu vertreten. Warum aber gibt es so viele unterschiedliche Vereinigungen? Worin unterscheiden Sie sich?

Obwohl sich der Islam ausdrücklich nicht als Religion mit kirchenähnlichen Strukturen versteht, war es für religiöse Minderheiten im Ausland unumgänglich, zumindest minimale organisatorische Strukturen zur Schaffung einer religiösen Infrastruktur aufzubauen - in der Rechtsform des eingetragenen Vereins. Diese erfolgte nicht allein nach ethnischer Zugehörigkeit, sondern zusätzlich parallel zu den im Heimatland bereits bestehenden Organisationen. Von dort erfolgte später auch der Impuls zur Gründung übergreifender Verbände. Es entstanden mehrere große islamische Vereinigungen mit zahlreichen Mitgliedsvereinen, die in ihrem Islam- und Gesellschaftsbild die Verhältnisse im Herkunftsland widerspiegeln.

Viele Entscheidungen der Verbände scheinen mehr von der Innenpolitik des Heimatlandes als von den Interessen der Muslime in Deutschland abzuhängen. Dennoch ist seit einigen Jahren zu beobachten, dass man sich aufgrund des Ringens um ein gemeinsames Auftreten in der deutschen Öffentlichkeit davon löst. Die nebenstehende Übersicht zeigt die Ausrichtung der Verbände in starker Vereinfachung.

Die 1984 gegründete Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) ist der größte islamische Verband in Deutschland. Ihr gehören über 750 Vereine mit etwa 150.000 Mitgliedern an. DITIB beaufsichtigt die Vereine und unterstützt sie in religiösen, sozialen, kulturellen und gemeinnützigen Fragen. Vor allem aber vermittelt sie hauptamtliche Imame aus der Türkei, deren Bezahlung der türkische Staat übernimmt. Wesentliches Ziel ist die Wahrung der nationalen und religiösen Identität türkischer Migranten. Durch die enge Bindung an den (laizistischen) türkischen Staat bestehen Spannungen zu anderen Verbänden.

Die Europäische Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine (ADÜTDF) wurde 1978 in Frankfurt gegründet als Europaorganisation der türkischen MHP unter dem verstorbenen Alparslan Türkes. In dieser politischen Richtung sind die berüchtigten "Grauen Wölfe" (bozkurt) beheimatet, die als rassistisch und faschistisch gelten. Die ADÜTDF ist pantürkisch und sieht eine naturgegebene Synthese von Türkentum und Islam.

Die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V. (ATIB) wurde 1987 gegründet als Abspaltung von der ADÜTDF. Der Verband ist liberaler und orientiert sich mehr an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland als sein nationalistischer Vorläufer. Ebenfalls aus der ADÜTDF hat sich 1996 die AÜTDF - Deutsche Föderation der Türkischen Idealistenvereine ausgegliedert.

Entstehung und inhaltliche Zielsetzung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), dem zweitgrößten islamischen Verband in Deutschland, sind schwer zu durchschauen. Sie ist umstritten wegen enger Verbindungen zu Saudi-Arabien und türkischen Parteien - wie der früheren Refah-, der Tugend- bzw. der Saadet-Partei - , zu deren versteckten Zielen die Schaffung eines islamischen Staates gehören soll. Daher wird die IGMG vom Verfassungsschutz beobachtet. Die IGMG hat - aufgrund ihres hohen Anteils gewinnorientierter wirtschaftlicher Betätigung (u.a. Organisation von Pilgerreisen, Überführung Verstorbener, Bereitstellung von Literatur und rituell reiner Speisen) - keinen gemeinnützigen Status.

Der 1973 gegründete Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) ist der älteste durchgehend existierende und der drittgrößte türkisch-islamische Verband in Deutschland. Er wird als der am strengsten religiös ausgerichtete Verband eingeschätzt, hat sich in den 1990er-Jahren gegenüber christlichen Kirchen sehr dialogbereit gezeigt, was zuletzt jedoch nachgelassen hat. Den Charakter einer Restaurationsbewegung des von der staatlichen Säkularisierungspolitik bedrängten türkischen Islam zeigt auch die Sufi-Vereinigung Jama'at un-Nur Köln e.V., die hier keine Moscheen, sondern Lehrhäuser und Bildungseinrichtungen betreibt und sich im Dialog engagiert.

Organisationen anderer Nationalitäten haben eine untergeordnete Bedeutung. Die schiitischen Muslime aus dem Iran konzentrieren sich um das Islamische Zentrum Hamburg e.V., die arabischstämmigen Muslime in den Islamischen Zentren in Aachen und München. Zu nennen sind auch die Deutschen Muslim-Ligen in Hamburg (gegr. 1952) und Bonn (gegr. 1989).

Nach wie vor ist die Frage offen, wer legitimiert ist, für die Muslime in ihrer Gesamtheit zu sprechen. Diese Problematik zeigt sich beim Thema der Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes. Daher haben sich auf Länderebene erste übergreifende Zusammenschlüsse gebildet, wie die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH) und die SCHURA - Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.

Auf Bundesebene wichtig ist der 1994 gegründete Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. Er galt - jedoch nur bis zum Austritt des VIKZ - als repräsentative Vertretung der Muslime. Schon 1986 wurde der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland als Dachverband verschiedener Moscheegemeinden und muslimischer Gemeinschaften gegründet. Er wird von Milli Görüs dominiert. Beide Dachverbände verstehen sich als Ansprechpartner des Staates für die religiösen Belange der Muslime. Problematisch bleibt jedoch, dass die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime keinem dieser Verbände angehört und diese nicht beanspruchen können, für alle Muslime zu sprechen.

Einige Verbände stehen nicht erst seit dem 11. September 2001 unter dem Verdacht, fundamentalistische Ziele zu verfolgen, das heißt die Religion für politische Ziele zu missbrauchen. Jeder pauschale Verdacht ist jedoch falsch. Zweifellos gibt es hier islamische Organisationen, die sich den freiheitlich-demokratischen Werten dieser Gesellschaft nicht verbunden fühlen, andererseits sind viele Vereine integrativ tätig und werden auch durch die deutsche demokratische Wirklichkeit in ihrem Denken verändert ("Euro-Islam").

Ausrichtung der wichtigsten türkisch-islamischen Dachverbände

Organisation
in der Türkei

Profil

Zielsetzung

Organisation in Deutschland

Partei der
Nationalistischen Bewegung (MHP)

Nationalistisch

Türkisch-Islamische Synthese

 

1. Föderation der Türkisch- Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF)

2. Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V. (ATIB)

Tugendpartei (FP) bzw. Nachfolgepartei Saadet Partisi

Islamistisch

Islamisierung, Errichtung einer "Gerechten Ordnung" nach der "Nationalen Sichtweise"

Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG)

--

Errichtung des Kalifatsstaates

Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB)

Präsidium für Religionsangele- genheiten (DIB)

Staatlich- Laizistisch

Verkörperung des tü-kischen Staatsislams bei gleichzeitig zunehmender Islamisierung

Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB)

CEM Vakfi

z.T. Sunnitisierung der Aleviten

CEM-Stiftung

Süleymanci-Bewegung

Sufisch

Verwirklichung des traditionell-orthodoxen Islam im Rahmen der laizistischen türkischen Staatsordnung

Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ)
 

Nurculuk-Bewegung

Jama'at un-Nur Köln e.V.
Fetullah-Gülen-Gruppe

Aleviten

Laizistisch

Polit.: Erhalt der laizistischen Staatsordnung

Föderation der Aleviten Gemeinden in Europa e.V. (AABF)

Nach: Thomas Lemmen: Muslime in Deutschland, Baden-Baden 2001


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Literaturtipps:

  • Wilhelm Sabri Hoffmann: Islamische Organisationen in Deutschland, o.D., http://www.wshoffmann.de/artikel/isorg.html 

  • Thomas Lemmen: Muslime in Deutschland: Eine Herausforderung für Kirche und Gesellschaft, Band 46 der Schriften des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI), Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001 (ISBN 3-7890-7510-8) 

  • Thomas Lemmen: Islamische Vereine und Verbände in Deutschland, Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Bonn 2002 (ISBN 3-89892-103-4) 

  • Ursula Spuler-Stegemann: Muslime in Deutschland. Informationen und Klärungen, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 3. Aufl. 2002 (ISBN 3-451-05245-8);

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Intoleranz und Diskriminierung gegen Muslime in der EU

 

Berlin. Wie werden Muslime in der europäischen Gesellschaft behandelt? In Deutschland beklagen sich Muslime einerseits schon länger, kaum an den gesellschaftlichen Institutionen teilhaben zu dürfen. Demgegenüber wird ihnen vorgehalten, sich über die eigene Community hinaus nicht stark genug zu engagieren. Die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte (IHF) veröffentlichte hierzu im März 2005 einen Bericht unter dem Titel "Intoleranz und Diskriminierung gegen Muslime in der EU - Entwicklung seit dem 11. September". Der Bericht beschreibt die Entwicklung in 11 EU-Mitgliedsstaaten (Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, die Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien).

"Als Nachwirkungen des 11. September haben muslimische Minderheiten innerhalb der EU wachsendes Misstrauen und Feindseligkeit erfahren müssen. Mit der Verstärkung des Kampfes gegen Terrorismus und einer wahrgenommenen Bedrohung durch religiösen Extremismus, wurden bereits existente Muster von Vorurteilen und Diskriminierung noch einmal verstärkt. Muslime fühlen zunehmend, dass sie wegen ihres Glaubens stigmatisiert werden", sagte Aaron Rhodes, leitender Direktor des IHF gegenüber der Islamischen Zeitung (IZ vom 10.03.05). "Wir sorgen uns darum, dass diese Entwicklungen positive Integrationsbemühungen zu untergraben suchen. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass Muslime zusehends der Verletzung ihrer Menschenrechte ausgesetzt sind. Gleiches gilt für Ausgrenzung. Wir sind ebenso besorgt, dass sie bereits existente Ressentiments und Frustationen unter Muslimen bestärken können und dadurch auch ihr Vertrauen in die Behörden und die Rechtsordnung. Dies wiederum könnte zur Unterstützung von Organisationen führen, die gewalttägige Methoden fördern, um gegen von Muslimen erlittene Ungerechtigkeiten zu protestieren. Dazu zählt Terrorismus." (esf)

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