Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

JUGENDKULTUR

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


HipHop verbindet...

...nicht nur die Nationen

Ende der 80er haben die in Deutschland lebenden Minderheiten die Impulse für den jetzigen Stand des HipHop gegeben. Doch mittlerweile ist aus HipHop ein Musikgenre entstanden, das es eher auf Verdrängung denn auf Einheit abgesehen hat. Multi-kulturelle Projekte und einzelne Gruppierungen lassen allerdings hoffen.

Was ist HipHop? Musik?! Von wegen! HipHop ist viel mehr. Es ist ein globales Phänomen, das die Mode, die Sprache, die Kunst, eben ein ganzes Lebensgefühl prägt. Rapper tanzen nicht wie andere, sie bewegen Arme und Beine seltsam ruckartig, tragen Streetwear, sprühen Lackfarben auf Außenwände und sprechen eine eigene Sprache.

Eine Sprache, der sich im Deutschland Ende der 80er/Anfang der 90er vor allem die zweite Generation der Migranten bediente. Murat Güngör und Hannes Loh, die beiden Autoren des Werkes "Fear of a Kanak Planet - HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap", erklären weshalb: "Kulturell gesehen war für die erste Generation der Migranten kein Platz. Man dachte sie kommen, um zu arbeiten, und verlassen dann wieder das Land. Doch sie blieben und eine zweite Generation wuchs nach. Diese besetzte den HipHop, denn der Zugang erforderte keine Überwindung von ökonomischen oder gesellschaftlichen Barrieren." Doch es waren nicht nur die Migranten, die zu dieser Zeit HipHop hörten. Während diese mit dem neuen Musikgenre einen Weg in die Gesellschaft gefunden hatten, nutzten die Jugendlichen, die aus gut bürgerlichen oder sogar akademischen Familien stammten, den HipHop, um raus zu kommen: weg vom spießigen Elternhaus, Anerkennung als Sprayer, DJ oder Rapper finden. Beide Seiten konnten mit HipHop provozieren und gleichzeitig kreativ sein.

Fremd im eigenen Land - soziale Realität im Blick

Eine Gruppe, die damals für Furore sorgte, war "Advanced Chemistry" (AC). In ihrem Song "Fremd im eigenen Land" (1992) sagen sie deutlich, was ihnen "stinkt": "Dies ist nicht meine Welt, in der nur die Hautfarbe und die Herkunft zählt, der Wahn von Überfremdung politischen Wert erhält, mit Ignoranz jeder Hans oder Franz sein Urteil fällt, Krach macht und bellt, sich selbst für den Fachmann hält".

Mit Sprechgesängen wie diesen hatten die fünf Musiker nach kurzer Zeit Vorbildfunktion - etwas, womit sie überhaupt nicht gerechnet hatten, "denn wir sind einfach nur auf die Bühne gegangen, es war eine Selbstverständlichkeit für uns, die Geschichte zu erzählen", sagt AC-Bandmitglied Linguist. "Die Rapper erzählten ihre soziale Realität", so Loh. Dabei klingen die Texte teilweise aggressiv, sexistisch, bedrohlich - aber auch spannend. Und weckten somit das Interesse der Jugendlichen - ob Migrant oder nicht. Gleichzeitig entstanden neue Gruppen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Status oder Hautfarbe. Das Erkennungszeichen waren die Turnschuhe. "Wer die trug, gehörte dazu", erinnern sich die Autoren, die selbst zur Szene gehören.

Der erste und wichtigste HipHop-Song, der 1990 auf CD erschien, war "Ahmed Gündüz" von "Fresh Familee". Die von türkischen und deutschen Jugendlichen aus Ratingen-West gegründete Gruppe singt von Drogen, Gewalt, Kriminalität und Ausgrenzung. Es waren Themen, die die Bandmitglieder persönlich betrafen, denn ihr Stadtteil galt aufgrund der hohen Arbeitslosenrate als sozialer Brennpunkt. Mit ihrem Song "Ahmed Gündüz" ließ sich zeigen, dass Musik ein Bereich des alltäglichen Lebens ist, in dem deutsche und ausländische Menschen gemeinsam Spaß haben, aber auch auf Missstände aufmerksam machen. So heißt es in der ersten Strophe, die aus der Sicht eines türkischen Vaters gerappt wird:

" Mein Name ist Ahmed Gündüz, laß mich erzählen euch. Du musst die schon gut zuhören, ich kann nicht sehr viel Deutsch. Ich komm von der Türkei, zwei Jahre her. Und ich viel gefreut, doch Leben ist hier schwer. In Arbeit Chef mir sagen: Kanacke hier wie geht's. Ich sage: Hastirlan-Land; doch Arschloch nix versteh'n. Mein Sohn geht Schule, kann schreiben jetzt, doch Lehrer ist ein Schwein, er gibt ihm immer Sechs."

Was manch einen befremden mag, ist von den Autoren ernst gemeint, "Der Rapper verleiht der ersten Generation die Stimme", betonen die Buchautoren. In der zweiten Strophe erzählt er dann vom eigenen Leben - in Hochdeutsch, schließlich ist er in Deutschland aufgewachsen und beherrscht die Sprache.

Von dieser Ursprungsform distanzierte sich Rap in Deutschland immer mehr. (Vgl. AiD 3/96) HipHop hat sich von einer europäisch vernetzten Form hin zu einer ethnisch segmentierten Struktur, die auch heute noch besteht, verwandelt. Loh und Güngör machen dafür vor allem zwei gesellschaftliche Entwicklungen verantwortlich: Erstens die Identitätssuche nach der Wiedervereinigung: "Man suchte eben die deutsche Identität, das multikulturelle Bild passte plötzlich nicht mehr", so die beiden Experten in Sachen HipHop. Zweitens die Welle an Fremdenhass, die 1991 in unzähligen Anschlägen auf Asylbewerber-Heime ihre schlimmsten Ausmaße erreichte. "Die Anschläge hatten starke Auswirkungen auf die Szene, man wollte Farbe bekennen, Stellung beziehen, und mit den Texten die eigene Community erreichen", so die Autoren. Multikulturelle Bands waren verschwunden, es wurde deutsch oder türkisch, marokkanisch oder spanisch, griechisch oder englisch gerappt. Erstmals war vom Oriental-Rap (Vertreter wie Aziza-A), Deutsch-Rap (Die Fantastischen Vier, Fettes Brot) etc. die Rede. Dies bedeutete das Ende der "OldSchool".

Krawall-Rapper begeistern Jugendliche

An eben die wollen Güngür und Loh wieder anknüpfen. Sie wollen Brücken finden, eine gemeinsame Kultur daraus schaffen. Doch Krawall-Rapper wie Fler, Sido, Kool Savas und Bushido machen es den Vertretern der "Old School" schwer. Sie haben durch sexistische, gewalttätige oder nationalistische Songs derart auf sich aufmerksam gemacht, dass inzwischen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien eingeschritten ist und CDs indizieren ließ. Doch nicht nur die hört zu. Schon lange ist HipHop im Mainstream angekommen: Millionen Kinder und Jugendliche fahren auf die Sprechgesänge ab.

Die "Süddeutsche" brachte Bushido, Loh und Güngör an einen Tisch. Auf die Frage, ob das multikulturelle Integrationsmodell unwiederbringlich verloren gegangen ist, antwortete Loh: "'Neue Deutsche Welle', der Song, mit dem der Berliner Fler gerade solchen Erfolg hat, ist ein Beispiel dafür, dass der multikulturelle Traum vorbei ist. Das Patchwork löst sich auf, man ist stolz auf seine Herkunft. Fler singt: ‚Das ist Schwarz-Rot-Gold, hart und stolz' ".

Auch wenn sich Bushido (Foto links) - sein Vater ist Tunesier - ganz klar von derartigen Parolen distanziert, betont er im Interview: "Ich mach' doch nicht Musik, um Multikulti-Brei zu fördern, mir ist das egal". Genauso egal ist es ihm, dass auf seine Konzerte auch Nazis kommen. Sein neues Album heißt "Staatsfeind Nr. 1". Genau darin sieht Loh das Problem: "Bisher gibt es in der HipHop-Szene keine Nazi-Rapper. Das eigentlich Verheerende ist, dass sich Rechtsradikale durch die Texte und visuellen Verweise bei Fler für HipHop zu interessieren beginnen."

Doch die Tatsache, dass HipHop keine homogene Szene ist, lässt hoffen. Projekte wie "Brothers Keepers" sind wenige Ausnahmen, die gegen das Fehlen politischer Artikulation im HipHop angehen. Dem Zusammenschluss afrodeutscher Sänger und Rapper gelang ein ebenso deutliches wie vielschichtiges Statement gegen Rassismus und rechte Gewalt. Ebenfalls positiv erwähnenswert ist das Netzwerk "HipHop-Partisan" (www.hiphop-partisan.net), das politisch und sozial, sowohl innerhalb der HipHop-Kultur als auch in der gesamten Gesellschaft wirken will.


Autorin: Kerstin Dillmann

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Ulm: HipHop in der Jugendarbeit

 

Ulm. Viele Jugendliche aus Migrantenfamilien fallen auf als Schulabbrecher, Störenfriede oder gar "Pausenhofganbgster", wie Tom Mittelbach von der mobilen Jugendarbeit in Ulm sagt. Da es schwierig ist, sie zu erreichen, hat sich in Ulm ein ungewöhnlicher Zusammenschluß gebildet, die diese Jugendlichen in die Gesellschaft integrieren will: Städtische Angestellte, Jugendarbeiter und deutsch-türkische Musiker. Mit dem Projekt "Mein Block rockt!" wollen sie das Selbstvertrauen der Jugendlichen steigern und ihnen soziale und sprachliche Kompetenzen vermitteln. Seit Sommer 2005 kommen die 23- bis 24-jährigen Hip Hopper von "De Lee Khan" einmal in der Woche für zwei Stunden in eine Ulmer Hauptschule, um "Kids, die so sind, wie wir selber einmal waren" auf einen guten Weg zu bringen.

"Mit der Musik und den Texten, die sie dort schreiben lernen, sollen die Jugendlichen ihre Gefühle ausdrücken - nicht mit Gewalt", so Selcuk Kaplan, einer der Gründer der Band. Mittelbach hält die Jungs von "De Lee Khan" für ideal für das Projekt. Als Hip Hopper seien sie Vorbilder, verkörpern aber gleichzeitig nichts, was die Schulkinder nicht auch erreichen könnten. Initiator von "Mein Block rockt" ist Thomas Vuk, zuständig für kulturelle Angelegenheiten der Stadt. 2003 gründete sich das Forum für Nachwuchsförderung "popbastion", bei dem es zunächst darum ging, Proberäume und Auftrittsmöglichkeiten für Nachwuchsbands zu vermitteln, Existenzgründer zu beraten und Musiker in Seminaren und Workshops zu schulen. Das daraus hervorgegangene Projekt ""ein Block rockt!" soll 2006 auf weitere Schulen ausgeweitet werden. (esf)

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