Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

WOHNEN

Umgang mit Segregation

"Ethnische Durchmischung" - Gut oder gut gemeint?

Die Migrantenhaushalte von heute sind nicht mehr bereit, auf Heizung, Badewanne oder gut isolierte Fenster zu verzichten. Ihre Ansprüche haben sich denen der deutschen Bevölkerung angenähert. Die meist größeren Familien brauchen jedoch mehr Zimmer, auch wünschen sich viele einen Nutzgarten: Solche Wohnungen, bezahlbar und im guten Zustand, sind rar. In Wirklichkeit wohnen die Familien oft beengt und zahlen dafür höhere Mieten. Sie siedeln in Stadtteilen, die keinen guten Ruf haben. Dabei haben sie sich diese Quartiere häufig nicht selbst ausgesucht.


Symbole der Segregation? Satelittenschüsseln und Moschee in der Dortmunder Nordstadt

Viele Migranten sehen sich gezwungen, solche Wohnungen zu nehmen, weil es keine andere Wahl gibt: Vermieter auf dem freien Wohnungsmarkt wollen ihre "feine Adresse" und dementsprechend den Wert der Immobilie schützen, indem sie unerwünschte Personen davon fernhalten. Dabei vermischen sich mehrere Faktoren: das Misstrauen gegenüber Fremden, aber auch gegenüber sozial Benachteiligten und Familien mit (mehreren) Kindern. Die Wohnungssuche ist das häufigste Problem, mit dem sich Migranten an Beratungsstellen wie die von "Öffentlichkeit gegen Gewalt", Caritas oder der Diakonie wenden.

Bei einer Umfrage des Dortmunder Planerladens unter Unternehmen der ehemals gemeinnützigen bzw. kommunalen Wohnungswirtschaft in NRW bezeichneten viele Verantwortlichen die Migranten einerseits als genügsame Kunden, die zuverlässig zahlen und ihre Mieterrechte seltener wahrnehmen. Andererseits sehen sie Schwierigkeiten mit angeblich kulturbedingte Lärm und Schmutz sowie dem Nicht-Einhalten von Regeln wie der Hausordnung. Um Konflikte zu vermeiden, hat die Mehrheit der Unternehmen offizielle oder inoffizielle Belegungsquoten, deren Höhe erheblich variiert. Die Wohnwirtschaft zeigt sich ziemlich ratlos, so Tülin Kabis-Staubach vom Planerladen, wie sie den sozialen Frieden in den Wohnungsgemeinschaften bewahren kann. Einige Unternehmen sind dazu übergegangen, einzelne Häuser oder Straßenzüge ethnisch homogen zu belegen. Andere, eher die Minderheit, suchen sich die Leute nicht nach Nationalität, sondern nach Zahlungsmoral und Verhalten aus.

Das gut gemeinte Ziel, mit Quoten eine gesunde "ethnische Durchmischung" erreichen zu wollen, führt zur Ablehnung vieler Bewerber. Das bedeutet: In Köln und anderen Orten mit Wohnungsnot müssen Ausländer auf dem freien Markt suchen und werden zum Opfer von "Miethaien", die es auch unter den eigenen Landsleuten gibt. Bei einem großen Leerstand wie in den Berliner Plattenbauten nimmt man dagegen jeden mit Handkuss. In einigen Jahren ist aufgrund der demografischen Entwicklung in weiten Teilen Deutschlands ein "Mietermarkt" absehbar: Das Angebot an Wohnraum wird größer sein als die Nachfrage. Allerdings wird sich damit das Diskriminierungsproblem kaum von alleine lösen: Die Einwanderer werden nach Ansicht von Kabis-Staubach zwar mehr Auswahl haben, jedoch nur unter den Beständen, die sonst keiner haben will. Deutschland wartet noch auf ein Antidiskriminierungsgesetz, das zumindest ein Drohpotenzial für gewerbliche Vermieter aufbauen würde.

Dortmunder Studie

Seit Jahren steigt der Anteil der Eigentümer mit Migrationshintergrund an, stellen die Experten fest: Dies wertet man als Zeichen der Integration, aber auch als Reaktion auf erfahrene Benachteiligung als Mieter. Eigentümer werden sicherlich vor allem beruflich besser Situierte, trotzdem kommen auch beim Verkauf von Immobilien und Bauland dieselben Praktiken zum Einsatz: Durch Anwohnerprotestaktionen und ähnliches werden die feinen Adressen vor "Überfremdung" geschützt. Solche Erfahrungen hat der Türkisch-Islamische Kulturverein mit einem Bauprojekt in Dortmund-Hörde gemacht, obwohl es Proteste vermutlich auch gegen ein Behindertenwohnheim oder eine Siedlung für Kinderreiche gegeben hätte. Bei der Vergabe von Hypotheken und Bausparverträgen legten die Finanzinstitute strengere Sicherheitskriterien als bei deutschen Bewerbern an, so Kabis-Staubach. Deshalb suchen die Einwanderer andere Möglichkeiten der Finanzierung: Freunde und Verwandte tun sich zusammen, leihen einander Geld und helfen sich gegenseitig beim Bau. Die Grundstücke in der alten Heimat werden verkauft.

Die ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften müssen jetzt den Schwerpunkt auf Wirtschaftlichkeit setzen, Belegungsrechte von Sozialwohnungen laufen aus. Das hat Vor- und Nachteile. Nachdem z.B. in Frankfurt/Main Sozialwohnungen an die Mieter verkauft wurden, engagierten sich diese mehr für ihr Wohnumfeld. Die Wohnungsbaugesellschaften haben ein Interesse daran, gegen die Stigmatisierung bestimmter Stadtteile anzukämpfen. Laut Umfrage organisieren bzw. sponsern mehrere von ihnen Nachbarschaftsfeste, gemeinsam bewirtschaftete Gärten, Konfliktmediationen, Jugendtreffs und ähnliches. Auf die spezifische Kundengruppe der Einwanderer stellen sie sich allmählich ein und übersetzen Hausordnungen, Verträge, Müllkalender und anderes in mehrere Sprachen, lassen die Mitarbeiter interkulturell schulen und beschäftigen Hauswarte und -meister ausländischer Herkunft. Migranten in Geschäftsführung und Vorstand sind jedoch die Ausnahme.

Die ökonomische Logik bedeutet andererseits, dass in "perspektivlose" Bestände nicht mehr investiert wird. Unlängst warnte der Direktor des Verbands der Wohnungswirtschaft Rheinland-Westfalen, Burghard Schneider, vor der Entstehung von "No-Go-Areas". Staatliche Mittel, die heute in die Neubauförderung fließen, sollten für den Umbau eingesetzt werden. Der vorhandene Wohnraum müsse an die Bedürfnisse von Alten und Zugewanderten angepasst werden. Die stärkere Durchökonomisierung des Wohnungsmarktes findet, so die Einschätzung der Bochumer Sozialdezernentin Sophie Graebsch-Wagener, ihren Ausdruck in einer ungesteuerten Segregation: nicht unbedingt nach ethnischen, sondern nach sozialen Merkmalen. Wer es sich leisten kann, zieht den Kindern zuliebe weg. Weniger mobile Haushalte bleiben in den billigen Quartieren zurück. Der Begriff Ghetto sei dabei fehl am Platze, vermerkt die Expertenrunde im Planerladen-Workshop. Gegenden, die Außenstehenden wie ein einheitliches "Klein-Istanbul" vorkommen, sind auf dem zweiten Blick von unterschiedlichen Herkunfts-, Alters- und Einkommensgruppen bewohnt. In der Dortmunder Nordstadt ist die Fluktuation der Migranten größer als bei Deutschen, zeigt eine Langzeit-Untersuchung der Uni Dortmund. Der Zuzug in diesen Stadtteil ist also keine Einbahnstraße.

Warum werden in der Kölner Keupstraße immer Krimis gedreht, nie ein Liebesfilm, beschwerte sich einmal der türkischstämmige Vorsitzende der gleichnamigen Interessengemeinschaft. Die Kommune kann gegen das Schmuddel-Image und den sozialen Abstieg eines Viertels durch attraktive Verkehrsanbindung, Straßeninstandsetzung sowie Sprachförderung und Freizeitangebote vieles bewirken. Dann würden auch Besserverdiener dort bleiben oder hinziehen wollen. Wie die Stadtteilentwicklung auszusehen habe, darüber hätten zu lange allein die Raumplaner entschieden, so die Experten-Kritik.

Migranten besuchen jedoch von sich aus kaum die Anwohner- oder Eigentümerversammlungen, die über Bau- und Infrastrukturvorhaben informieren. Wie kann man sie dennoch - angesichts wachsender Vielfalt der ethnischen Gruppen und religiösen Gemeinden - einbeziehen? Den informellen Multiplikatoren vor Ort, ob der beliebte Gemüsehändler oder der Sozialarbeiter vom Jugendtreff, wird eine neue Rolle zugesprochen. Und wenn die Einwanderer nicht in einen schäbigen Baucontainer, sondern ins Rathaus eingeladen würden, bekäme das Ganze gleich andere Dimensionen. Dabei soll nicht der Aspekt der Antidiskriminierung im Vordergrund stehen, sondern die Verbesserung der Wohnsituation. Angestrebt werden sollte eine Win-Win-Situation für deutsche und nicht-deutsche Bewohner, die als Eltern, Hundebesitzer, Autofahrer, Sporttreibende usw. eine Menge gemeinsamer Interessen haben.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Literaturtipps: 

  • Migranten auf dem Wohnungsmarkt: Befragung von Wohnungsunternehmen zu "Migranten als Mieter, Käufer, Kunden", Planerladen e.V. 2005

  • Dokumentation des Expertenworkshops "Diskriminierung im Wohnbereich bekämpfen. Freizügigkeit von Zuwanderern sichern" 2004

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