Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

PARTIZIPATION

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Ausländerbeiräte in der Krise?

Möglichkeiten der politischen Partizipation


Berlin 1980

Bei Migranten wird in Bezug auf die Gewährung der politischen Teilhaberechte grundsätzlich zwischen deren Herkunft unterschieden: Aussiedler werden behandelt wie Deutsche, EU-Migranten genießen das kommunale Wahlrecht, alle anderen Migranten können bei Wahlen nicht mitentscheiden. In fast allen Bundesländern gibt es aber für Migranten repräsentative Formen verfasster Verfahren wie Ausländerbeiräte, Integrationsräte, Migrationsausschüsse. Zudem haben alle Migranten unabhängig von ihrer Herkunft die Möglichkeit, an direkten Formen der Partizipation teilzunehmen bzw. teilzuhaben.

Seit den frühen 70er Jahren gibt es - zunächst nur in einzelnen Kommunen - so genannte Ausländerparlamente (nur ausländische Mitglieder) und Ausländerbeauftragte. Später gab es dann Ratsausschüsse für Migrationsfragen, eine Art Unterorgan der Gemeindevertretungen. Diese bestanden aus einer Delegation aus Migrantenselbstorganisationen, Behörden, Sozialpartnern und Vertretern der Wohlfahrtsverbände. Seit den 80er Jahren wurden Ausländerbeiräte - von Ausländern gewählte stimmberechtigte und beratende Mitglieder (u.a. der Parteien, Behörden, Wohlfahrtsverbände) - eingerichtet. Ab 1994 fand eine Aufwertung der Ausländerbeiräte durch deren Aufnahme in die Gemeindeordnung (GO) statt: In Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern muss, in den übrigen kann seitdem ein Ausländerbeirat eingerichtet werden. Nur in NRW können die Ausländerbeiräte sich mit allen Fragen der Kommune beschäftigen (Migration als Querschnittsaufgabe). Zu den aktuellen Aufgaben der Ausländerbeiräte gehören:

  • Beratung der Kommunalpolitik,

  • Interessenvertretung der Ausländer,

  • gesellschaftliche Integration der Migranten und

  • politische Partizipation.

Gegenüber Ausschüssen und Rat besitzen die Ausländerbeiräte nur einen beratenden oder empfehlenden Charakter, sie haben keinen Ausschussstatus wie z.B. der Jugendhilfe- oder der Kulturausschuss. Sie können Eingaben in andere Ausschüsse machen oder Vertreter dorthin entsenden und über finanzielle Mittel zur Unterstützung der Migrationssozialarbeit in ihrer Kommune verfügen. Insgesamt ist der Stellenwert, der den Ausländerbeiräten von den Kommunen zugestanden wird, jedoch sehr gering. Dies hängt vor allem mit ihren geringen Kompetenzen bzw. ihrer eingeschränkten Zuständigkeit zusammen.

Weiterentwicklung und Evaluation in NRW

Seit den Verträgen von Maastricht (in Kraft seit 1993) und Amsterdam (in Kraft seit 1999) verfügen alle EU-Bürger in Deutschland über das kommunale Wahlrecht. Die Beteiligung an den Ausländerbeiratswahlen ist seitdem stetig zurückgegangen (in NRW 1994: 21,5%, 1999: 14,3%; in Hessen 1994: 24%, 1999: ca. 10%). 1997 forderte die Landesarbeitsgemeinschaft in NRW die "Einrichtung kommunaler Migrationsausschüsse". 1999 kam es zu einer Erprobung solcher neuen Modelle zur politischen Partizipation auf kommunaler Ebene in Solingen und Duisburg.

1999 bis 2002 wurden diese sowie als Vergleichsgruppe der Bonner Ausländerbeirat vom Landeszentrum für Zuwanderung (LzZ) NRW im Auftrag des damaligen Sozialministeriums NRW evaluiert. Das Fazit lautete: Beide Modelle haben sich bewährt. Durch die stimmberechtigte Teilnahme der Ratsmitglieder ist der Einfluss dieser Gremien innerhalb der Kommune höher als zuvor, d.h. es werden mehr Beschlüsse/Empfehlungen der Gremien vom jeweiligen Rat umgesetzt und die Kooperation zwischen Rat und Gremium ist enger und besser geworden.

Wesentliche Defizite können die Modelle jedoch nicht ausräumen, z.B. die Besserstellung von EU-Bürgern im Vergleich zu Nicht-EU-Bürgern, Asylbewerbern und Flüchtlingen. Der zentrale Änderungsvorschlag (Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle Migranten mit längerfristigem Aufenthalt), der sowohl von den interviewten Gremienmitgliedern als auch seitens der Evaluation gefordert wurde, blieb bislang unberücksichtigt.

Experimente erlaubt

Statt einer Änderung der Gemeindeordnung wurde seitens des Innenministeriums NRW eine großzügige Genehmigung von Modellen im Rahmen der Experimentierklausel der GO favorisiert. Die Modelle müssen einer Abwandlung der alten Ausländerbeiräte (z.B. Migrations- bzw. Integrationsrat) oder einer Abwandlung der kommunalen Ausschüsse (z.B. Migrations- bzw. Integrationsausschuss) entsprechen. Ein Problem des neuen Ausschussmodells ist jedoch, dass der Vorsitz durch ein Ratsmitglied besetzt sein muss und die Ratsmitglieder die Mehrheit der stimmberechtigten Gremienmitglieder stellen müssen. Ein Problem des neuen Integrationsratsmodells hingegen ist, dass es keine Beschlusskompetenz hat, d.h. symbolisch verharrt es auf der Beiratsebene.

Trotz der Bedenken hatte vor den letzten Wahlen die Hälfte (60 von 112) der alten Ausländerbeiräte für die jetzige Legislaturperiode ein solches Modell beantragt. Etwa 90% der Ausländerbeiräte haben sich für einen Integrationsrat entschieden. In 40 Gemeinden hatten auch eingebürgerte Deutsche das aktive Wahlrecht, in 33 Gemeinden gab es die Möglichkeit der Briefwahl und in 49 Fällen konnten die frei Gewählten auch einen persönlichen Stellvertreter benennen. Entscheidend bei der Beurteilung der Anträge durch das Innenministerium NRW war die Übereinstimmung der Haltung zwischen jeweiligem Rat und Gremium.

Die Ausländerbeiratswahl 2005 hat verdeutlicht, dass der Trend der abnehmenden Wahlbeteiligung aufgehalten werden kann. Dazu haben vor allem die neuen Modelle zur politischen Partizipation (abgewandelter Ausländerbeirat bzw. abgewandelter Ausschuss) beigetragen. Entscheidend war auch die Zulassung der Briefwahl. In den Kommunen, in denen Eingebürgerte wählen konnten, lag die Beteiligung überdurchschnittlich hoch.

Ausblick

Die Veränderungen haben gezeigt, dass die Bereitschaft zur Reform der alten Ausländerbeiräte auf der politischen Ebene durchaus vorhanden ist. Im Rahmen gesetzlicher Möglichkeiten wurde eine weitgehende Reform umgesetzt. Bedenken in Bezug auf eine Ungleichbehandlung der Migranten und auf das fehlende kommunale Wahlrecht wurden jedoch nicht ausgeräumt. Fraglich bleibt, ob die jetzige Reform der Ausländerbeiräte die Wahlbeteiligung und somit auch die Legitimation der Gremien tatsächlich längerfristig erhöhen oder zumindest auf dem jetzigen Level halten wird. Die Wahlbeteiligung ist aber nicht nur von der Erhöhung der Bedeutung dieser Gremien abhängig, sondern auch von der Bereitschaft der Migranten, das kommunale Geschehen mitgestalten zu wollen. Diese ist jedoch wieder abhängig von der Motivation, die die Verantwortlichen den Migranten entgegen bringen.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Teilnahmegewährung allein reicht nicht aus, wenn man sie jahrelang verhindert hat. Hier muss Teilnahmebestärkung bzw. -gewinnung betrieben werden. Das ist jedoch vor allem eine Aufgabe der Aufnahmegesellschaft, die es jahrelang versäumt hat, Migranten politisch zu integrieren. Das könnte langfristig zu Problemen insbesondere in Quartieren führen, in denen überwiegend Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit wohnen ("Demokratiefreie Zonen"). Insofern ist das Thema der politischen Partizipation eng mit der Thematik der Stadtentwicklung ("Soziale Stadt", "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf") verbunden.


Autor: Dr. Markus Ottersbach, Fachhochschule Köln, Fb Angewandte Sozialwissenschaften

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20.500 Deutsch-Türken durften nicht wählen

 

Berlin. Bei den Bundestagswahlen am 18. September 2005 durften fast 20.500 schon eingebürgerte Deutsch-Türken nicht wählen, weil sie sich nach ihrer Einbürgerung zusätzlich zu ihrem deutschen Pass ihren alten türkischen Pass wieder geholt haben. Damit haben sie nach geltendem Recht ihre deutsche Staatsangehörigkeit automatisch wieder verloren (AiD berichtete). Dies ergab eine Umfrage der Deutschen Presseagentur bei den Innenministerien der Bundesländer, die am 16. September veröffentlicht wurde. Ebenfalls wenige Tage vor der Wahl ist in Bayern eine Befragung von 44.000 Türken beendet worden, mit der ihre Staatsangehörigkeit geklärt werden sollte. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums wurde dabei festgestellt, dass 6.000 Personen, die seit 1998 in Deutschland eingebürgert worden waren, danach wieder ihre ursprüngliche türkische Staatsbürgerschaft erworben haben. Der bayerische Innenminister Beckstein wies darauf hin, dass sich diese Personen strafbar machen, wenn sie wählen gehen - auch wenn sie im Melderegister als Deutsche geführt werden und eine Wahlbenachrichtigung erhalten haben. (esf)

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Berlin: "Keine Vertretung von Partikular-
interessen"

 

Berlin. In der Werkstatt der Kulturen sind am 24. Oktober 2005 die Repräsentanten der Berliner Migranten für die 2. Wahlperiode (2005-2007) des Landesbeirates für Integrations- und Migrationsfragen gewählt worden. Wahlverlauf und Ergebnisse zeigen nach Ansicht des Beauftragten für Integration und Migration, Günter Piening, dass die Berliner Migrantenvereine herkunftsübergreifend zusammenarbeiten und die Zeiten der Konkurrenz hinter sich gelassen haben. Wahlberechtigt waren Vertreterinnen und Vertreter von 109 Migrantenvereinen, die auf der bei der Senatsverwaltung für Inneres öffentlich geführten Liste eingetragen sind. Zur Sicherstellung einer ausgewogenen Repräsentanz waren fünf der sechs Plätze für bestimmte Herkunftsregionen "quotiert" worden.

Mit Blick auf die verbesserte Kooperation betonte Piening: "Gewählt worden ist ein Team - nicht eine Vertretung von Partikularinteressen der jeweiligen Herkunftsgruppen. Dieses wird besonders deutlich an der gewachsenen Kooperation zwischen Türken und Kurden. Wie in der vergangenen Legislaturperiode werden sie sich den für die Türkei reservierten Beiratsplatz teilen und in der Mitte der Legislaturperiode rotieren. Insgesamt ist ein kraftvolles und kompetentes Team gewählt worden, das in den kommenden Jahren bei der Weiterentwicklung der Berliner Integrationspolitik sicher mehr als ein Wörtchen mitreden wird."

Der Beirat wird sich in der kommenden Wahlperiode vor allem mit der Umsetzung des am 23. August vom Senat beschlossenen Integrationskonzeptes beschäftigen. Des weiteren seien von Migrantenvertretern Initiativen zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus, zur besseren Integration von Flüchtlingen und zur Verbesserung der sozialen Lage angekündigt worden. Der Beirat umfasst insgesamt 23 Mitglieder. Außer den im Oktober gewählten Vertreterinnen und - vertretern der Migrantenvereine sind sieben Senatsverwaltungen durch Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, der Bürgermeister sowie verschiedene Verbände vertreten. Vorsitzende des Beirats ist die Staatssekretärin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Frau Dr. Petra Leuschner; Geschäftsführer ist der Beauftragte für Integration und Migration, Günter Piening. (esf)

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