Integration in Deutschland 1/2006, 22.Jg., 31. März 2006

EDITORIAL

 

Kennen Sie den Namen Ramallah? Wenn ja, dann wahrscheinlich aus der Tageschau. Das ist die palästinensische Stadt mitten im Westjordanland, Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde, einer der Schauplätze des jahrzehntelangen blutigen Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern. Ramallah hat rund 80.000 Einwohner und ist von Westen her nur durch einen Checkpoint an der 8 Meter hohen Betonmauer erreichbar, die Israel als Schutzwall gegen Angriffe auf seine Siedlungen errichtet hat. Was „politische Mauern“ bedeuten, so haben wir in Deutschland damit ja besondere Erfahrungen ...

Ramallah – das ist aber auch der Ort, an dem am 21. August 2005 ein großes Zeichen der Verständigung gesetzt wurde. An diesem Tag spielten 80 junge Musiker aus Israel, Palästina, Syrien, dem Libanon, aus Jordanien, Ägypten und Spanien zusammen Werke von Mozart und Beethoven - unter der Leitung des Weltbürgers und Israeli Daniel Barenboim. Der berühmte Pianist und Dirigent hatte 1999 zusammen mit seinem Freund, dem Palästinenser Edward Said (der im Jahr 2003 verstarb), den Entschluss gefasst, ein Orchester zu gründen, in dem Menschen aus verfeindeten Lagern gemeinsam musizieren. Aus der Idee wurde Realität: In mehrwöchigen Sommerworkshops im spanischen Andalusien wuchs über die Jahre das West-Eastern Divan Orchestra zusammen, das nicht nur ein sehr hohes musikalisches Niveau erreichte, sondern junge Menschen aus der Konfrontation ihrer Heimatländer zusammenführte, die sich kennen und achten lernten und schließlich gemeinsam das große Ziel erreichten: die Aufführung von Konzerten in mehreren Ländern und zuletzt in Ramallah, dem symbolischen Ort an der Nahtstelle des anhaltenden Palästina-Konflikts. Barenboim und Said haben gezeigt: Ein friedliches Miteinander von Israelis und Arabern ist möglich. Man muss es nur wollen und sich nicht scheuen, Mauern – vor allem die in den Köpfen – zu überwinden.

Was hat dies alles mit Integration in Deutschland zu tun? Ich denke: sehr viel. Abgesehen davon, dass die Idee zu dem Projekt in Weimar geboren wurde und der west-östliche Divan, Goethes „interkulturell“ inspirierter Gedichtzyklus dabei Pate stand – auch die aktuellen Ereignisse der letzten Monate legen den Gedanken nahe: Wo bleibt die Vernunft, wo der Schlüssel zur Verständigung in einer Lage, die auf internationaler Ebene durch zunehmende Konfrontation zwischen dem Westen und der islamischen Welt (Stichwort Karikaturen-Streit) gekennzeichnet ist? Zwar haben sich die Muslime in Deutschland – Allah sei Dank – sehr besonnen gerade in diesem Konflikt verhalten, dennoch sind auch hierzulande die echten (und die vermeintlichen) Probleme der Integration scheinbar größer geworden: Der Streit um die deutsche Sprache auf den Schulhöfen und der „Einbürgerungstest“ sind nur zwei Beispiele, in denen nicht immer mir rationalen Argumenten, sondern vielfach mit Emotionen und großer Bereitschaft zum Missverständnis operiert wird. Hier wünschte man sich öfter den Geist von Ramallah herbei - jener Geist, der Grenzen überwindet und auf gegenseitigen Respekt von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen ausgerichtet ist.

P.S.: Die wunderbare Story des West-Eastern Divan Orchesters, das Konzert und die außergewöhnlichen Umstände seiner Aufführung sind auf einer DVD „The Ramallah Concert“ zu erleben, die nicht nur den Freunden klassischer Musik sehr zu empfehlen ist.

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