Integration in Deutschland 1/2006, 22.Jg., 31. März 2006

SCHWERPUNKT: 
EIN JAHR ZUWANDERUNGSGESETZ


Ein Jahr Zuwanderungs-
gesetz

Neuausrichtung der Integrationsarbeit


Eritreer im Deutschkurs

Vor gut einem Jahr – am 1.1.2005 – trat das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft, mit dem die Bundesrepublik sich zum ersten Mal offiziell zum Einwanderungsland erklärte und die Integration von Migrantinnen und Migranten auf eine gesetzlich gesicherte Grundlage stellte. Zentrales Instrument der Integrationspolitik sind die flächendeckend eingeführten Integrationskurse. Diese werden von den Regionalkoordinatoren in 23 Regionalstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gesteuert und koordiniert.Das BAMF hat nach 12 Monaten eine erste statistische Bilanz gezogen.

Daneben wurde eine Reihe weiterer Maßnahmen ergriffen, über die in mehreren Beiträgen dieses Heftes berichtet wird. Bedeutend ist, dass mit den Aktivitäten des Bundesamtes und anderer Institutionen auf verschiedenen Ebenen erstmals ein Versuch zur Koordinierung der Integrationsarbeit in Deutschland gemacht wird.

Ein Integrationskurs besteht aus 600 Stunden Sprach- und 30 Stunden Orientierungskurs (siehe S. 5). Das Bundesamt betont, für eine fundierte Bewertung der Integrationskurspraxis sei es noch zu früh. Dazu wurde eine vom Gesetz vorgesehene wissenschaftliche Evaluierung in Gang gesetzt, deren Ergebnisse aber erst im Jahr 2007 vorliegen werden. Man geht davon aus, dass eine weitere Optimierung des Kursangebots möglich sein wird. Vorerst können einige statistische Fakten benannt werden, die sich aus der bisherigen Umsetzung des Gesetzes ergeben.

115.000 Teilnehmer

Die Statistik des Bundesamtes weist aus, dass im Jahr 2005 rund 115.000 Personen die Integrationskurse besucht haben. Davon waren 63 % Frauen, was als besonders positiv gewertet wird, denn in der sprachlichen Integration von Frauen liegt ein Schlüssel zur Weitergabe von Deutschkenntnissen an die Kinder und an weitere Familienangehörige. Für rund 6.100 Frauen, die aus kulturellen oder religiösen Gründen nicht an den allgemeinen Integrationskursen teilnehmen konnten, wurden spezielle Eltern- bzw. Frauenkurse durchgeführt. Als weitere Sonderkurse, die auf die Situation bzw. auf die Vorkenntnisse bestimmter Zielgruppen zugeschnitten sind, wurden Jugendkurse (1.948 Teilnehmer) und Alphabetisierungskurse (2.294 Teilnehmer) angeboten.

Im Jahr 2005 haben insgesamt 8.196 Integrationskurse begonnen, davon wurden inzwischen 1.299 beendet. Entsprechend der räumlichen Konzentration von Migranten fanden die meisten Kurse in Nordrhein-Westfalen (23 %), in Bayern und in Baden-Württemberg (jeweils rund 12 %) statt.

Im vergangenen Jahr haben insgesamt rund 215.000 Personen eine Berechtigung zur Teilnahme an den Integrationskursen erhalten, davon wurden 28,2 % von den Ausländerbehörden zur Teilnahme verpflichtet. »Verpflichtungen können ausgesprochen werden, wenn ein Ausländer nach § 44 AufenthG einen Anspruch auf Teilnahme hat und sich nicht auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann, oder die Ausländerbehörde ihn im Rahmen verfügbarer und zumutbar erreichbarer Kursplätze zur Teilnahme am Integrationskurs auffordert und er entweder Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht und die die Leistung bewilligende Stelle die Teilnahme angeregt hat oder er in besonderer Weise integrationsbedürftig ist.«

Was die Aufteilung der Kursteilnehmer zwischen Neuzuwanderern und bereits länger in Deutschland lebenden Ausländern angeht, so lässt sich aus den vorliegenden Zahlen folgende Struktur ableiten:

Bisheriger Kurserfolg

Im Jahr 2005 haben 17.482 Teilnehmer an einem Sprachtest zum „Zertifikat Deutsch“ teilgenommen. Den Test haben 12.151 (69 %) bestanden, was als ermutigendes Ergebnis gewertet werden kann. Es bedeutet aber auch, dass noch Raum für Effizienzsteigerungen der Kurse bleibt, damit die Erfolgsquote künftig noch erhöht werden kann.

Es versteht sich, dass bei der bundesweit flächendeckenden Einführung eines neuen Kurssystems Anfangsschwierigkeiten im Einzelfall nicht ausbleiben. So konnte es nicht überraschen, dass sich nach gerade mal einem Jahr der Implementation des Zuwanderungsgesetzes bereits etliche Stimmen meldeten, die lokal auftretende Probleme zum Anlass nahmen, das System der Integrationskurse als Ganzes zu kritisieren, noch ehe eine systematische, mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitete Evaluation vorliegt.

Zu nennen sind:

(1) Das Volumen von 630 Unterrichtsstunden - davon 600 Stunden Sprachkurs und 30 Stunden Orientierungskurs - sei zu gering, um den "hochwertigen Abschluss", nämlich das Sprachniveau B1 (Selbständige Sprachverwendung) zu erreichen, zumal manche Kursteilnehmer in ihrer früheren Heimat nur wenige Jahre eine Schule besucht hätten. Für diese Gruppen wird ein Unterrichtspensum von 1.000 oder 1.200 Stunden gefordert.

(2) Die Höchstteilnehmerzahl von 25 pro Kurs sei zu hoch, aus pädagogischer Sicht müsse sie auf 15 begrenzt werden. (Tatsächlich lag der Durchschnitt im Jahr 2005 bei 14,1 Teilnehmern pro Kurs).

(3) Es wird bemängelt, dass in einem dreißigstündigen Orientierungskurs so komplexe Sachverhalte wie die Rechtsordnung der Bundesrepublik, der Staats- und Verwaltungsaufbau, Grundlinien der Geschichte, der Kultur und der Gesellschaft kaum erfolgreich vermittelt werden können. Stattdessen wird die stärkere Verzahnung der landeskundlichen Inhalte in den Sprachkurs gefordert (was de facto bis zu einem gewissen Grad ohnehin geschieht).

(4) Von den Trägern der Sprach- und Orientierungskurse wird kritisiert, dass die Durchführung der Kurse mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand verbunden sei: Antragstellung, das Führen von Teilnehmerlisten, die Dokumentation von Zwischentestergebnissen und die Abrechnungsmodalitäten führen zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand, der über die eigentliche Unterrichtsleistung hinaus zu erbringen sei. In diesem Zusammenhang wird auch das faktische Absinken der Lehrerhonorare bemängelt.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die laufende Evaluation der Integrationskurse diese Punkte bestätigen wird und welche Konsequenzen daraus gezogen werden. Unabhängig davon ist aber festzuhalten, dass mit der bundesweiten Einführung der Integrationskurse das Fundament für eine erfolgreiche Integration der Zuwanderer gelegt wurde, nämlich die Vermittlung ausreichender Sprachkenntnisse und eine Grundorientierung im Gesellschaftssystem dieses Landes.


Kurs in Saarbrücken

Weitere Maßnahmen

Flankierend zu den Kursen wurden vom Bundesamt sogenannte „integrationskursergänzende Maßnahmen“ initiiert: mit den Kursen verzahnte Angebote in den Bereichen Bildung, Berufsförderung und Sprachverfesti- gung. In Kooperation mit anderen Trägern wurden erste Modellprojekte in Bayern und in Brandenburg gestartet.

Über die Migrationserstberatung - ebenfalls im Jahr 2005 eingeführt - wird am Beispiel München auf Seite 4 berichtet. Eine wichtige Ergänzung zu den Integrationskursen sind die sogenannten „Projekte der gesellschaftlichen Integration“, die von verschiedenen Trägern auf kommunaler Ebene, von Wohlfahrtsverbänden und Vereinen durchgeführt und zum Teil vom Bundesamt gefördert werden. Die Projekte lassen sich drei Bereichen zuordnen:

(1) gemeinwesenorientierte Projekte, z.B. präventive Arbeit zur Konfliktverhütung, kulturelle und sportliche Aktivitäten, Freizeitangebote etc.; (2) Frauenkurse (siehe Seite 6) und (3) Forschung und Öffentlichkeitsarbeit. Insgesamt wurden über 2.800 Projekte und Maßnahmen dieser Art gefördert.

Um die kaum überschaubare Vielzahl von Aktivitäten zur Integration von Migranten in Deutschland zu bündeln und zu vernetzen, erarbeitet das Bundesamt derzeit ein bundesweites Integrationsprogramm. Ziel ist es, eine Übersicht der Angebote von Bund, Ländern, Kommunen und nichtstaatlichen Organisationen zu erhalten und Empfehlungen zur Weiterentwicklung und Koordination der Maßnahmen und Programme in den zentralen Handlungsfeldern - Sprachförderung, Bildung, berufliche Integration, soziale Beratung und gesellschaftliche Integration - zu formulieren.


Autor: Martin Zwick, isoplan

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Nur Deutsch auf dem Schulhof: Für und Wider

 

In der Berliner Herbert-Hoover-Oberschule hatten sich Schüler, Lehrer und Eltern freiwillig darauf geeinigt, dass nicht nur im Unterricht, sondern auch in den Pausen und auf Klassenfahrten ausschließlich Deutsch gesprochen wird. Bei 91 Prozent Migrantenkindern aus verschiedenen Nationen schien es durchaus logisch, die gemeinsame „lingua franca“ auf die Freizeit auszudehnen. Die Regelung habe die Zahl der Anmeldungen, unter anderem deutscher Schüler, um 20 Prozent gesteigert sowie die Aggressionen auf dem Schulhof gemindert, berichtet die „Zeit“. Was hier eine Selbstverpflichtung ohne Sanktionen ist, wollen einige Politiker zum Modell für alle „Problemschulen“ mit hohem Migrantenanteil machen. Andere sehen hierin eine Menschenrechtsverletzung und einen weiteren Schritt in Richtung Assimilationspolitik. Bei einem „Muttersprachsforum“, das die Zeitung „Hürriyet“ in Berlin durchgeführt hat, betonten die Teilnehmer, dass Deutsch zu lernen unbedingt notwendig sei – allerdings auch die Mehrsprachigkeit in einer von Globalisierung geprägten Umwelt. Aber was bringt das „Nur-Deutsch-auf-dem-Schulhof“ sprachlich?

Die Meinungen der Wissenschaftler sind durchaus unterschiedlich. Professor Ludger Hoffmann vom Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Dortmund argumentiert wie folgt: „Wird die Entwicklung der Muttersprache zu früh beeinträchtigt, ist auch die Ausbildung der Zweitsprache oder weiterer Sprachen wie Englisch gefährdet. Der Erwerb ist an ausreichende, niveauvolle und vor allem kontinuierliche Kommunikation mit Kompetenten gebunden. Wer nicht gut Deutsch kann, wird durch gebrochenes Deutsch auf dem Schulhof oder im Elternhaus nicht gefördert, sondern lernt Deutsch mit Akzent. Es fehlt zu wirklicher Integration an einer Anerkennung wenigstens der größten Migrationsprachen. Wir brauchen mehr muttersprachlichen Unterricht“. Vor allem müsse eine Sprache wie Türkisch Schulfach sein. „Starre Regeln verhindern, dass über bestimmte Dinge gesprochen wird, sie können auf ein niedriges Gesprächsniveau festlegen“, betont er. Mehrsprachigkeit sei ein kostbares Gut und förderwürdig. Damit leiste man einen wichtigen Beitrag zur Integration und gegen Parallelgesellschaften.

Seitens der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) wird ferner angemerkt, dass es in der gegenwärtigen Situation „unsinnig“ sei, Regelungen zu etablieren, „die den schulischen Raum emotional weiter belasten und Signale aussenden, von denen sich Minderheiten diskriminiert fühlen“. Viele Kinder und Jugendliche würden im Schulunterricht „ständig mit den Grenzen ihrer sprachlichen Möglichkeiten konfrontiert“ und dadurch in ihrer Identität immer wieder verunsichert werden. Die DGfS fordert stattdessen mehr Unterricht mit Lehrern, die im Fach „Deutsch als Fremdsprache“ ausgebildet sind, Projekte auch im Freizeitbereich mit Kindern unterschiedlicher Herkunft sowie bilinguale Schulprogramme, bei denen der Unterricht gleichberechtigt in zwei Sprachen erfolgt.

Der Soziologe und Migrationsforscher Professor Hartmut Esser von der Universität Mannheim sieht dagegen keinen Beleg für die These, dass sich die Landessprache auf Grund einer gut entwickelten Muttersprache besser lernen lässt. Nur die Landessprache – hier eben Deutsch – bringe Vorteile in der Bildungs- und Berufslaufbahn, und zwar in allen Einwanderungsländern, sogar in Kanada, stellte er in einer Auswertung deutscher und ausländischer Studien „Migration, Sprache und Integration“ fest. Zusätzliche Kompetenzen in der Herkunftssprache hätten keinen erkennbaren Einfluss auf den Schulerfolg. Was den Arbeitsmarkt angeht, so seien sie höchstens in speziellen Segmenten relevant. „Eine besondere Wirkung von Programmen der bilingualen Erziehung auf das Erlernen der Landessprache und die schulischen Leistungen wird (bislang) durch die empirische Forschung nicht bestätigt“. Ein niedriges Einreisealter und eine höhere Bildung der Eltern sowie kleinere Migrantenanteile in den Klassen begünstigen die Schulleistungen und den Zweitspracherwerb. Migranteneltern sollten daher ihre Kinder möglichst in Schulen mit vielen Einheimischen schicken, wenngleich das vielen Deutschen kaum gefallen wird, vermutet Esser.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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