Integration in Deutschland 1/2006, 22.Jg., 31. März 2006

INTERVIEW

„Integrations-
defizite beheben“

Maria Böhmer im Gespräch

Dr. Maria Böhmer ist seit dem 30. November 2005 als Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt zuständig für Ausländerpolitik und Integration. AiD sprach im Februar mit ihr.

AiD: Sie sind jetzt zwei Monate im Amt und schon kommt Kritik von der Opposition, als Staatsministerin seien Sie zu eng an die Regierung gebunden, könnten nicht kritisch genug sein. Was haben Sie in Ihrer Amtszeit an wichtigen Punkten und Vorhaben vor?

Böhmer: Wir sind heute mit erheblichen Integrationsdefiziten konfrontiert, und diejenigen, die selbst über lange Jahre hinweg in der Verantwortung standen, hätten das ja in der Vergangenheit aufarbeiten können. Jetzt geht es darum, ganz konkret die Integrationsdefizite anzugehen. Ich will Ihnen dafür fünf Punkte nennen. Der erste ist die deutsche Sprache, den Spracherwerb zu fördern. Der zweite Punkt ist, die Integration durch Bildung, durch eine qualifizierte Berufsausbildung und die Integration in den Arbeitsmarkt voranzubringen. Drittens: Frauenrechte sind Menschenrechte. Die gilt es zu realisieren. Dieses Thema treibt mich sehr um. Punkt vier ist: Wir müssen auf der rechtlichen Seite schauen, wo es notwendig ist, die Integration durch entsprechende Regelungen noch einmal abzustützen. Der letzte Punkt: Die Politik kann nicht alles leisten, wir brauchen eine aktive Bürgergesellschaft als Zusammenwirken aller. Denn Integration ist ein Prozess, den sowohl diejenigen, die hier zuhause sind, als auch diejenigen, die zu uns gekommen sind, gemeinsam gestalten müssen.

Welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr Zuwanderungsgesetz?

Wir stehen jetzt am Anfang der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes. Positiv für mich ist die Resonanz auf die Sprachkurse, wie viele inzwischen – auch freiwillig – teilgenommen haben. Der Zuspruch ist groß. Was mich ganz besonders freut, ist, dass 60 % der freiwilligen Teilnehmer Frauen sind, denn den Müttern und Frauen kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Aber ich will auch anmerken, dass wir sicherlich die inhaltliche Gestaltung der Sprachkurse überprüfen müssen: Führen sie wirklich dazu, dass man die Sprache flüssig beherrscht? Vor allem: Verbessern sie die Chancen für den Eintritt ins Berufsleben? Ich glaube sagen zu können, dass die Verbindung von Spracherwerb und Einführung in die Arbeitswelt stärker gewichtet werden sollte.

Das Innenministerium arbeitet an Veränderungen und Verbesserungen des Zuwanderungsgesetzes. Wo sehen Sie Schwierigkeiten oder ungelöste Fragen bei der Umsetzung des Gesetzes? 

Die Veränderungen zielen bei der Gesetzgebung momentan darauf, dass man elf EU-Richtlinien umsetzen muss. Das ist noch nicht im Zusammenhang zu sehen mit der Evaluierung. Einiges wird auch einfließen, aber es gilt – sicherlich gründlich –, diese Umsetzung zu begleiten. Ich will neben den Sprach- auch die Orientierungskurse nennen, das heißt die Einführung in unsere Grundordnung, Geschichte und Kultur. Es wird eine wichtige Aufgabe sein, zu sehen, ob die Orientierungskurse ihr Ziel erreichen. Ich bin auch mit vielen Fragen derjenigen konfrontiert, die diesen Unterricht geben: Wie bürokratisch läuft das ab? Müssen nicht zu viele Papiere ausgefüllt werden? Da wir uns als Bundesregierung in jedem Bereich das Ziel ‘so wenig Bürokratie wie möglich’ gesetzt haben, glaube ich, dass wir diesen Anliegen nachgehen müssen.

In welchen Bereichen hat das Gesetz die erwünschten Erfolge erzielt und in welchen weniger?

Ich glaube, dass wir durch die Zuwanderungsgesetzgebung eine langjährige Diskussion in Deutschland abgeschlossen haben. Wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage, wenn es darum geht, die Einbürgerungen vorzunehmen oder wenn es darum geht, dass Menschen in unser Land kommen wollen. Damit ist der rechtliche Rahmen hergestellt. Es geht aber nicht nur um die Generation, die schon seit einiger Zeit hier lebt. Mir geht es im Zusammenhang mit der Frage Zuwanderung und Integration auch noch darum, dass wir in einem weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe stehen. Es geht auch darum, Menschen jetzt zu gewinnen, die hier in unserem Land Arbeitsplätze schaffen können. Ich meine hochkarätige Wissenschaftler und Experten, die die Unternehmen brauchen. Deshalb sollten wir auch die Regelungen und die Wirksamkeit der Gesetzgebung unter diesem Gesichtspunkt überprüfen.

Wie kann das Unterstützungspotential der Eltern der Migranten, insbesondere der Mütter, stärker genutzt werden?

Zum einen gilt es, die Sprachlosigkeit der Mütter zu überwinden. Hier ist wieder das erste Anliegen die gute Beherrschung der deutschen Sprache. Ich sehe einige Ansätze, zum Beispiel wenn Kinder im Kindergarten sind, parallel Mütterkurse anzubieten, die so genannten „Mamakurse“. Ich kenne auch viele Initiativen, bei denen sich Lehrerinnen zur Verfügung stellen, um einen solchen Spracherwerb zu fördern. Wir brauchen aber darüber hinaus einen Bereich, wo es um die Durchsetzung der Frauenrechte geht. Mich drückt sehr die Situation von Frauen, die durch Zwangsverheiratung in unser Land kommen, die hier in der Gefahr stehen, ihr Leben durch Ehrenmorde zu verlieren. Hier müssen wir aufstehen und sagen: Das darf nicht sein. Da appelliere ich auch sehr stark an die muslimischen Gemeinden, dass man aufsteht, die Diskussion in den eigene Reihen führt. Es muss zu einer gemeinsamen Ächtung von Zwangsverheiratung und Ehrenmord kommen.

Die Landesregierung Baden-Württemberg verteidigt ihren Gesprächsleitfaden, auch „Muslimtest“ genannt. Andere Unionsländer ziehen einen Staatsbürgerkurs vor. Was ist denn der richtige Weg im Umgang mit Einbürgerungsbewerbern?

Hier wurde, wie ich glaube, ein ganz zentrales Anliegen deutlich: dass es bei der Einbürgerung ein klares Bekenntnis zu unserer freiheitlich demokratischen Rechtsordnung geben muss. Das ist ja auch im Gesetz festgehalten. Inzwischen ist die Diskussion weitergegangen. In der Bundestagsdebatte hat der baden-württembergische Innenminister klargestellt, dass es sich eben nicht um einen Muslimtest handelt, wie Sie sagen. Andere Bundesländer haben jetzt weitere Vorschläge vorgelegt. Ich halte die Idee der Vermittlung von Staatsbürgerkunde für sehr interessant: Wenn man deutscher Staatsbürger werden will, dann steht ein klarer Wille dahinter, zu diesem Land ‘Ja’ zu sagen und es ist notwendig, das durch Kenntnisse und Wissen zu unterfüttern. Deshalb halte ich es für sehr angezeigt, dass nicht nur Neuzuwanderer, sondern gerade auch diejenigen, die deutsche Staatsbürger werden wollen, eine solche Möglichkeit für Staatsbürgerkunde eröffnet bekommen.

Wenn also der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann sagt, es hat mehr Sinn, Werte zu vermitteln, als Fragen zu stellen, dann würden Sie sich den anderen Unionsländern anschließen und den Beitrag von Baden-Württemberg mit seinem Gesprächsleitfaden vielleicht in die zweite Reihe verweisen?

Ich glaube, es wird beides geben. Das eine wird sein, die Grundlagen zu vermitteln im Bereich Kenntnisse unserer demokratischen Regeln, unseres Grundgesetzes, auch unserer Geschichte und unserer kulturellen Schätze. Und dann ist es wichtig, dieses festzuhalten in einer geeigneten Form, ob das jetzt ein Gesprächsleitfaden ist, ein Fragebogen oder eine Zertifizierung. Da müssen wir sehen, was passend ist. Aber beides gehört zusammen: das Wissen zu vermitteln und es auch festzuhalten. Die Amerikaner machen es übrigens ähnlich. Sie geben jedem, der Staatsbürger werden will, eine Eingliederungsfibel in die Hand. Nachher wird das Wissen überprüft. Von daher glaube ich, wir stehen jetzt vor der entscheidenden Frage: was führt uns wirklich hin zu diesem Weg. Wir Deutsche müssen uns vergewissern, was uns wichtig ist, und diejenigen, die ja sagen zu unserem Land und damit die Staatsbürgerschaft erwerben wollen, müssen sehen, welche Regeln wir haben.

Baden-Württemberg sagt, der Test sei nicht nur für Muslime; aber Baden-Württemberg sagt auch, man habe den Test entwickelt mit Blick auf die Muslime. Ist es denn richtig, eine Gruppe herauszunehmen und anhand ihrer Probleme einen Test zu entwickeln?

Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile klargestellt ist, dass das hier kein Leitfaden ist, der sich speziell an Muslime wenden soll. Die Diskussion ist über das Anfangsstadium deutlich hinausgegangen.

Kommen wir zu den detaillierten Fragen: Sie wissen, die Haltung zu Homosexualität ist dort ein wichtiges Kriterium. Aber auch die Arztwahl. Ist das sozusagen das, woran wir dann die Loyalität zum Grundgesetz festmachen können?

Es wird so manches an den Fragen noch einmal deutlich in den Blick zu nehmen sein. Aber über das Anliegen als solches sollten wir uns alle gemeinsam klar sein: Man muss Ja sagen zu unserer Grundordnung, zu unserem Grundgesetz, zu unseren Werten, auch ein Stück unserer Geschichte und unserer Kultur kennen, denn das bedeutet Gemeinsamkeit. Nicht Nebeneinander, sondern Miteinander.

Ist die Deutschpflicht auf dem Schulgelände der richtige Weg im Umgang mit Sprachdefiziten?

Ich habe mir sehr genau angeschaut, was in dieser Berliner Realschule geschehen ist. Dort ging es darum, die Sprachkenntnisse der Schüler weiter auszubauen und vor allem die Sprachpraxis zu fördern. Die Frage, Deutsch auch in der Pause zu sprechen, ist meines Erachtens eine, die mit einem klaren ‘Ja’ beantwortet werden soll. Sie soll aber bitte in den Schulen selbst beantwortet werden, von den Schulleitungen, von den Lehrern gemeinsam mit den Schülern und Eltern. Ich halte es für wichtig, dass hier alle an einem Strang ziehen. So hat es die Berliner Realschule auch gemacht. Es gibt eine Vereinbarung, die von allen gemeinsam getragen wird. Das halte ich für den richtigen Weg. Aber ich stehe klar zu Deutsch in der Pause.

Sinnvollerweise setzt man viel früher an. Also zum Beispiel nicht erst bei den Fünfjährigen sondern vielleicht schon bei den Dreijährigen. Geschieht denn da genug in diesem frühen Stadium der Sprachförderung?

Ich würde sogar noch ein Stück weiter gehen als Sie. Ich würde alle Eltern ermuntern, mit ihren Kindern sowohl die Muttersprache als auch Deutsch mit ihnen zu sprechen. Denn früher Spracherwerb ist wertvoll für Kinder. Und dann zielt unser Blick auf den Kindergarten - wo wir nicht nur einen Betreuungsort haben, sondern einen Lernort mit früher Sprachförderung. Dann auch mit Sprachtests, damit wir wissen, welchen Stand die Kinder erreicht haben. Möglicherweise gehört auch noch eine Nachförderung dazu. Das Ziel sollte sein, dass jedes Kind - nicht nur mit Migrationshintergrund -, das heute in die Grundschule kommt, die deutsche Sprache so beherrscht, dass es wirklich dem Unterricht folgen kann.

Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen kann sich auch ein Pflichtjahr im Kindergarten vorstellen.

Wir wollen alles daransetzen, damit Kinder besser vorbereitet in die Grundschule kommen. Ich setze zunächst einmal darauf, dass Eltern sehen, dass der Kindergarten heute ein wichtiger Lernort, auch ein spielerischer Lernort ist. Deshalb sollte man die Kinder in den Kindergarten schicken, und ich ermuntere alle Eltern, dieses zu tun. Ich komme aus Rheinland-Pfalz, da haben wir gesagt: Wir wollen den Kindergarten beitragsfrei machen. Wir haben hier in der CDU eine klare Orientierung: Wenn der Kindergarten ein Bildungsort ist, dann gilt das ähnlich wie für die Schule. Von daher wünsche ich mir eine lebhafte Diskussion, um den Kindergarten voranzubringen, und er könnte auch im letzten Jahr als Vorschuljahr ausgestaltet werden.

Kommen wir zu einem anderen brisanten Thema: 200.000 so genannte Geduldete leben in Deutschland, zum Teil schon seit vielen Jahren. Man schätzt, dass 50.000 davon Kinder sind, die zum Teil ihre Herkunftsländer gar nicht mehr kennen. Diesen Menschen droht immer noch die Abschiebung, wenn keine Regelung gefunden wird. Welche Lösungen sollen die Bundesländer hier anstreben?

Sie sprechen hier ein Problem an, das uns alle sehr umtreibt. Natürlich ist es für eine Familie, ganz besonders auch mit Blick auf die Kinder, schwierig, wenn man immer nur eine Duldung nach der anderen erhält. Viele, die sich um diese Familien kümmern, sind auf mich zugekommen und haben gesagt: "Bitte sorgt dafür, dass hier eine Regelung von Dauer geschaffen wird". Ich stehe hier im engen Kontakt zu den Innenministern. Wir haben auch in der Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass Kettenduldungen zu überprüfen sind. Ich gehe davon aus, dass wir in absehbarer Zeit hier zu einer Bleiberechtsregelung kommen, die getragen ist von dem Gedanken, dass Integration stattgefunden hat. Damit sollten auch Nachweise verbunden sein, das heißt die Beherrschung der deutschen Sprache, die Integration in den Arbeitsmarkt. Besonders interessant scheint mir auch folgender Vorschlag zu sein: Dort, wo eine Arbeitsaufnahme bisher nicht möglich war, weil rechtliche Gründe dagegen standen, sollte man ein halbes Jahr Zeit geben, um die Arbeitsaufnahme wirklich auch realisieren zu können. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, jetzt gilt es zu handeln.

Vielen Dank Frau Dr. Maria Böhmer!


Das Gespräch führten Utku Pazarkaya (SWR) und Ekkehart Schmidt-Fink (isoplan)

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