Integration in Deutschland 1/2006, 22.Jg., 31. März 2006

FLÜCHTLINGE


Härtefall-
kommissionen

Erste Erfahrungen

Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde ab Januar 2005 die gesetzliche Grundlage zur Einführung von Härtefallkommissionen auf Länderebene geliefert. Diese Kommissionen können in besonderen humanitären Einzelfällen ein Härtefallersuchen an die oberste Landes- behörde richten. Bei bundesweit 220.000 Geduldeten sind sie jedoch nicht in der Lage, für jedes Einzelschicksal eine Lösung zu finden. 

Seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes haben zwölf Bundesländer Härtefallkommissionen eingerichtet, die allerdings unterschiedlich weite Kompetenzen haben. Hamburg, Hessen und Niedersachsen gründeten keine Kommissionen sondern Petitionsausschüsse, die sich um dieselben Belange kümmern. Als einziges Bundesland hat Bayern gänzlich von der Einrichtung einer Härtefallkommission abgesehen.

Die Kommissionen bestehen jeweils aus sechs bis zehn Mitgliedern, die sich aus Nichtregierungs-Organisationen (Kirche, Liga der freien Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen, Pro Asyl) und staatlichen Vertretern (Städte, Gemeinde, Landkreise, Ministerien) zusammensetzen. Sie werden durch das Innenministerium oder durch die entsendenden Institutionen ernannt. Voraussetzungen sind Kenntnisse über das Aufenthalts- und Asylrecht oder Erfahrungen in Migrations- und Flüchtlingsberatung. Als einziges Bundesland strebt Schleswig-Holstein die Mitarbeit von Personen mit einem Migrationshintergrund an. Damit ein Fall von der Kommission behandelt werden kann, muss ein Mitglied der Härtefallkommission einen Antrag stellen oder der Fall muss als Vorlage an die Geschäftsstelle der Kommission geleitet werden. Die Härtefallregelung setzt voraus, dass der Ausländer sich in Deutschland aufhält, vollziehbar ausreisepflichtig ist und keine Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat. Die Abschiebung wird zum Teil für die Dauer der Befassung ausgesetzt, jedoch nicht, falls der Rückführungstermin bereits feststeht. Bei acht Bundesländern entscheidet eine 2/3-Mehrheit der Kommissionsmitglieder über die Abstimmung eines Falls. Eine Anfechtung der Entscheidung ist nicht möglich. Der Entscheid über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bleibt bei der zuständigen Ausländerbehörde bzw. beim Innenministerium als übergeordnete Behörde, die Kommission spricht lediglich eine Empfehlung aus.

Wie wichtig und bedeutend die Arbeit der Kommissionen ist, zeigt der Fall einer vietnamesischen Familie aus Brandenburg. Familie Nguyen erhielt dort ein dauerhaftes Bleiberecht. Der Fall erregte im Jahr 2000 bundesweite Aufmerksamkeit, als Vater und Sohn mehrere Monate Asyl in einer Kirche fanden. Die damals schwangere Mutter sollte bis zur Entbindung weiter in Brandenburg geduldet werden, Vater und Sohn jedoch bereits vorher abgeschoben werden. Das Kirchenasyl führte zu einem heftigen Streit zwischen dem brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und der Evangelischen Kirche. Vater und Mutter der Familie reisten als Vertragsarbeiter bereits 1986 aus Vietnam in die Tschechoslowakei ein und zogen im November 1990 weiter in die Bundesrepublik, wo sie Asyl beantragten. Der Antrag wurde ein Jahr später abgelehnt. Die Ausweisung wurde jedoch wegen langwieriger Gerichtsverfahren nicht vollzogen. Als Grund für ein Bleiberecht machten Familie und Flüchtlingsinitiativen auch eine schwere Asthma-Erkrankung des 1992 geborenen Sohns geltend. Mitte 2005 sprach sich die brandenburgische Härtefallkommission für die Erteilung eines dauerhaften Bleiberechts aus. Der Innenminister Jörg Schönbohm folgte dieser Empfehlung, die Aufenthaltserlaubnis wurde Ende 2005 an die Familie Nguyen übergeben. Erstmals nach über 15 Jahren in Deutschland erhält die Familie nun einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel. Zunächst ist die Aufenthaltserlaubnis auf drei Jahre begrenzt, danach kann der Titel verlängert werden und nach fünf Jahren ist die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis möglich.

Einzelschicksale

Die Anrufung der Härtefallkommission führt jedoch nicht immer zu einer Fallbearbeitung mit Happy-End. Der Werdegang der kurdischen Familie Elceoglu zeigt, dass nicht jedes Einzelschicksal durch die Kommission Beachtung findet. Die achtköpfige Familie Elceoglu aus Eppingen in Baden-Württemberg floh im Jahr 1996 wegen politischer Aktivitäten des Vaters vor Gefängnis und Folter aus der Türkei nach Deutschland und beantragte politisches Asyl. Gegen die erste Ablehnung des Asylantrages legt die Familie Widerspruch ein. Im Jahr 1998 findet der Familienvater eine Arbeit und lebt seitdem unabhängig von der Sozialhilfe. 2001 wird das sechste Kind in Sinsheim geboren. 2003 schließt die älteste Tochter erfolgreich die Realschule ab, kann ihren Ausbildungsplatz jedoch wegen ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus nicht antreten. Aufgrund wiederholter Ablehnungen flieht die Familie aus Angst vor einer Abschiebung zu Verwandten nach Finnland, weshalb auch der älteste Sohn seine zugesicherte Ausbildung nicht beginnen kann. Unter Berufung auf das Schengen-Abkommen wird die Familie nach Deutschland zurückgebracht. Der Karlsruher „Verein für Freunde“ ruft die Härtefallkommission an, jedoch ohne Erfolg. Im Februar 2006 endet die Aufenthaltserlaubnis und die Familie kann nun jederzeit in die Türkei abgeschoben werden. Menschenrechtsorganisationen, Freunde, Lehrer, Mitschüler und Arbeitgeber kämpfen derzeit um ein Bleiberecht für die Familie.


Autorin: Miriam Gebert, isoplan

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Asylbewerber-
zuzug auf 20-Jahres-Tief

 

Berlin. Im Jahr 2005 haben 28.914 Personen in Deutschland Asyl beantragt. Die Anzahl der Asylbewerber ist damit erneut deutlich zurückgegangen. Gegenüber 2004 (35.607 Anträge) sank die Zahl der Asylanträge 2005 um 6.693 oder 18,8 Prozent. Das ist der niedrigste Stand seit 1983. Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble erklärte hierzu: „Damit hat sich ein Trend fortgesetzt, der bereits seit der gemeinsamen Asylrechtsreform 1993 zu beobachten war. Zudem haben gesetzgeberische Maßnahmen, eine gesteigerte Effizienz bei der Durchführung der Asylverfahren und eine fortschreitende europäische Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Asylmissbrauchs zu der Entwicklung beigetragen.“ 

2005 ging der Zugang an Asylbewerbern gegenüber dem Vorjahr bei sieben von zehn Hauptherkunftsländern deutlich zurück (siehe Grafik). Bei den übrigen drei Hauptherkunfts-staaten stiegen die Asylzugänge allerdings deutlich: Die Zahl der Anträge von Personen aus Serbien und Montenegro stieg um 43 % gegenüber 2004, die der Iraker stieg um 53 % und die der Syrer um 22 %. Serbien und Montenegro löste damit 2005 die Türkei als stärkstes Herkunftsland ab. Der Anteil der ethnischen Albaner lag bei 38 %, derjenige der Roma bei 40 %. Zweitstärkstes Herkunftsland 2005 war – trotz eines Rückgangs der Anträge um 29 % – die Türkei. Der Anteil der Kurden an allen 1.038 türkischen Erstantragstellern lag wie in den Vorjahren bei etwa 80 %.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat 2005 48.102 Entscheidungen (Vorjahr: 61.961) getroffen. 411 Personen (1 %) wurden als Asylberechtigte anerkannt. 2.053 Personen (4 %) erhielten Abschiebungsschutz. 28.109 Asylanträge (58 %) wurden abgelehnt. 17.529 Anträge (36 %) wurden anderweitig erledigt. Bei 657 Personen hat das Bundesamt im Jahr 2005 Abschiebungshindernisse festgestellt. Über 9.114 Anträge wurde noch nicht entschieden. (esf)

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