Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

EDITORIAL / SPORT


Editorial

wie die Zeit vergeht… - dies ist schon die 50. AiD-Ausgabe, für die ich (mit) verantwortlich zeichne – erst als junger isoplan-Mitarbeiter mit journalistischen Erfahrungen in einem Team von Wissenschaftlern, später als Chefredakteur. So ist mir diese Ausgabe eine ganz besondere. Das private Jubiläum soll Anlass sein für einen Rückblick auf den Wandel der AiD-Themen seit 1994. Das lohnt sich, weil diese die Veränderungen der bundesweiten Wahrnehmung des Themas widerspiegeln. Ein wenig kann man aber auch AiD als Beispiel für unser Schwerpunktthema „Diversity“ nehmen.

Einige Jahre lang haben wir verstärkt Porträts geschrieben, um den Blick, weg von Abstraktionen, auf den einzelnen Menschen zu richten. Wir wollten zeigen, dass es „den Türken“ nicht gibt, dass jeder Migrant ein Individuum ist, dass Verallgemeinerungen immer schwieriger werden. Damals war das sehr nötig, denn die meisten anderen Medien waren kaum sensibilisiert. Erst haben wir auch gezielt versucht, ein positives Bild zu erzeugen und so indirekt gegen Klischees angeschrieben. Dann haben wir den Blick auf diejenigen schwierigen Themen und Probleme bei Migranten gerichtet, die gerne tabuisiert werden: Migration und Sucht, häusliche Gewalt oder interkulturelle Konflikte. „Hinschauen, wo es weh tut“ als Motto. Vielleicht hätten wir das schon früher machen sollen. Versäumnisse werden aber erst jetzt politisch wahrgenommen und von den Massenmedien benannt.

Mitte der 1990er-Jahre haben wir begonnen, mit doppelseitigen Deutschland- und Europakarten die räumliche Verteilung oder die Beschäftigungssituation von Migranten darzustellen. Das Konzept der „Center folds“ in der Heftmitte bewährte sich, wie wir durch die hohe Nachfrage von Lehrkräften, Schulbuchverlagen und anderen Multiplikatoren erfuhren, die diese Übersichten weiter verwendeten. Es folgten thematische Übersichten, unter anderem zum Islam, zu Selbständigen oder zur räumlichen Verteilung nach Bundesländern. Statistische Daten in ansprechender Form aufzuarbeiten und visuell lesbar zu machen wurde zu einem neuen AiD-Markenzeichen. Der Transfer relevanten Wissens aus Politik und Wissenschaft in die Praxis (und umgekehrt) gehörte von Anfang an zur Konzeption.

Mit dem Wechsel des Auftraggebers vom Bundesministerium für Arbeit (das sich 1983 vom AiD-Konzept überzeugen ließ) zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2003) einher ging eine Ausweitung des Themen-Spektrums. Wir richteten den Blick nicht mehr primär auf Arbeitsmigranten, sondern auch auf andere Gruppen wie Flüchtlinge und Aussiedler, aber auch ausländische Studierende. Die journalistische Unabhängigkeit haben wir trotz finanzieller Förderung durch den Bund immer gewahrt. AiD wird daher von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ernst genommen als objektiver Ruhepol in den zuweilen intensiv geführten Auseinandersetzungen in diesem gesellschaftspolitisch immer wichtiger werdenden Themenfeld. Wir benennen Probleme, wo es nötig ist, versuchen nie einseitig oder parteipolitisch zu argumentieren. Oder uns von der oft kurzatmigen Aufgeregtheit tagesaktueller Debatten beeinflussen zu lassen.

Durch die heterogene Zusammensetzung von Redaktion, freien Mitarbeitern und Gastautoren, den Partnern des Bundesamtes sowie Interviews und Gesprächen vor Ort, streben wir an, Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten: Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Bürger mit und ohne Migrationshintergrund, Initiativen, Projekte und Beratungseinrichtungen. Durch diese Vielfalt ist AiD über die Jahre lesenswert geblieben, konnte zu Veränderungen eingefahrener Sichtweisen anregen und zu einer Erweiterung des Verständnisses der ebenso heterogenen Leserschaft beitragen,

hofft jedenfalls Ihr

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Olli - Miro - Poldi

 

Was gab es im Vorfeld der WM nicht alles an Befürchtungen… Und dann diese wunderbare Atmosphäre in den Stadien und auf den Straßen! Das Land zeigt Flagge, die Deutschen zeigen sich als offene und fröhliche Nation: locker und leicht, enthusiastisch und so unverkrampft patriotisch, wie es uns die italienischen Nachbarn früher vorgemacht haben. Gerade in Amsterdam, London und Paris sieht man dies als überfällige Normalisierung. Überall dominiert Partystimmung, gibt es große Farb-Inszenierungen: ein buntes und fröhliches Spiel mit nationalen Symbolen. Und nicht nur denen des eigenen Landes. Gelsenkirchen schlug sich auf die Seite der Polen, Köln unterstützte Ghana und Togo mit Polonäsen in karnevalesken Kostümen. Auch in Kaiserslautern gaben die Fans mit einem rot-schwarzen Fahnenmeer alles, um die Außenseiter aus Trinidad & Tobago zu unterstützen. Vielfalt auch in den Teams: große und kleine, dicke und hagere, schnelle und lahme, schwarze und weiße Spieler, die für ihre erste oder zweite Heimat kämpfen – die Mischung macht’s. Kaum zuvor hat es so viele Nationalmannschaften gegeben, bei denen ein Großteil der Spieler im Ausland lebt. Fast das ganze Team von Trinidad kennt sich aus der englischen 2. und 3. Liga, die Brasilianer spielen in Deutschland oder Spanien. Über ein Drittel der Spieler der 32 teilnehmenden Länder hat Profiverträge in England (103), Deutschland (75), Italien (61) und Frankreich (56). Allein bei Chelsea London spielen 16 WM-Teilnehmer.

Aber auch Migranten der 2. oder 3. Generation spielen eine Rolle, am deutlichsten bei Frankreich. Kroatien war gar mit zwei Teams vertreten, weil acht kroatische Auswanderer für Australien spielten. Doch nur in der deutschen Mannschaft wurden sie zu echten Volkshelden. Vor allem die Torschützen: erst Miroslav Klose, dann David Odonkor und Oliver Neuville, schließlich Lukas Podolski. Aber auch Teamchef Jürgen Klinsmann, ein Amerika-Auswanderer, mit dessen Innovationen sich (nun) das ganze Land versöhnt. Zugleich hat der Fanatismus früherer Jahre nachgelassen. Unbefangen drückt man auch anderen Teams die Daumen, vor allem den „Underdogs“. Hauptsache, man kann sich identifizieren. Manche Migranten spürten zwei Seelen in der Brust: eine fühlte mit Italien, Spanien, Kroatien, Serbien und Montenegro oder Ukraine, die andere mit Deutschland. Für die Türken war das noch am einfachsten, hatte sich ihr Team doch nicht für die WM qualifizieren können.

Dennoch: Im Mai wäre es noch undenkbar gewesen, dass sie beim „Public Viewing“ wie alle anderen und wie selbstverständlich die schwarz-rot-goldene Fahne schwenken und damit ihr Zugehörigkeitsgefühl zeigen. Andere haben die türkische mit der deutschen Fahne vernäht. Deutsche und Migranten nähern sich auf unterschiedliche Weise ihrem Land an. Erwächst hier eine nachhaltige kollektive Identität oder ist das am 10. Juli vorbei, wenn König Fußball wieder abtritt? (esf)

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Fußball-Nationalspieler mit Migrationshintergrund

Name, Geburtsland (Herkunftsland mind. eines Elternteils), Zahl der Länderspiele für Deutschland (Stand 29. Juni 2006)

  • Miroslav Klose, Polen (Polen/ Aussiedler), 59

  • Oliver Neuville, Schweiz (Schweiz), 59

  • Rainer Bonhof, Deutschland (Niederlande), 53

  • Gerald Asamoah, Ghana (Ghana), 41

  • Kevin Kuranyi, Brasilien (Panama und Brasilien), 35

  • Jupp Posipal, Rumänien (Rumänien/ Aussiedler), 32

  • Lukas Podolski, Polen (Polen), 29

  • Fredi Bobic, Slowenien (Kroatien/ Slowenien), 29

  • Darius Wosz, Polen (Polen), 24 (davon 7 DDR)

  • Paul Freier, Polen (Polen/ Aussiedler), 18

  • Paulo Rink, Brasilien (Brasilien), 13

  • Patrick Owomoyela, Deutschland (Nigeria), 11

  • Maurizio Gaudino, Deutschland (Italien), 5

  • David Odonkor, Deutschland (Ghana), 3

  • Bruno Labbadia, Deutschland (Italien), 2

  • Mustafa Dogan, Türkei (Türkei), 2

  • Martin Max, Polen (Polen), 1

  • Zoltan Sebescen, Deutschland (Ungarn), 1

Entnommen aus unserem Sammelsurium

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