Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

SCHWERPUNKT: DIVERSITY

Politik der Verschiedenheit

Diversity: Alter Wein in neuen Schläuchen?


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 Stellt das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Religionen, Kulturen und Nationalitäten eine Bereicherung dar? Der Ansatz des Diversity Management, in den 90er Jahren in den USA eingeführt, sieht in dieser Vielfalt geradezu den Schlüssel zum Erfolg für gesellschaftliche und betriebliche Prozesse.

Soziale und wirtschaftliche Veränderungen sind allgegenwärtig: eine Gesellschaft, die immer älter, gleichzeitig aber auch immer bunter wird; Betriebe, die zunehmend in Globalisierungsprozesse eingebunden sind und sich den neuen Anforderungen des Wettbewerbs stellen müssen. Auf der Suche nach Konzepten für zukunftsfähige Strukturen vermag der Diversity Management-Ansatz Lösungen aufzuzeigen.

Eine adäquate Übersetzung des Begriffs existiert nicht und wird auch von vielen abgelehnt. Diversity beschreibt die Vielfalt und Individualität der Menschen und die Nutzung jener Potenziale, die aus dieser Vielfalt entstehen.

Für die Anerkennung von Verschiedenheit haben schon viele gekämpft. Brauchen wir nach Frauen- und Homosexuellenbewegung sowie Antirassismusaktionen noch ein weiteres Konzept, um bestimmten Zielgruppen Gehör zu verschaffen? Nach Gender Mainstreaming nun Diversity Management? In der Tat sind die Wurzeln von Diversity mit den traditionellen „Minderheitenkonflikten“ eng verknüpft, und doch handelt es sich um ein neuartiges Konzept.

Die Politik der Verschiedenheit hat ihre Wurzeln in der Auseinandersetzung mit Rassismus, Sexismus und Behindertenfeindlichkeit in den USA. So genannte „Affirmative Action Acts“ ermöglichten es Universitäten, Verwaltungen und Betrieben, bestimmte benachteiligte Gruppen der Bevölkerung zu fördern. Wesentlicher Bestandteil der Affirmative Action ist der „Equal Employment Opportunity Act“ (EEO), der es Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bemühen, verbietet, Menschen aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion, Hautfarbe oder Herkunft zu diskriminieren. Diese Maßnahmen sind jedoch nicht unumstritten und die Auseinandersetzung darüber führte in den 90er Jahren dazu, dass Affirmative Action Acts nicht länger präventiv eingesetzt werden dürfen, sondern nur dann, wenn Frauen oder Minderheiten in bestimmten Berufsgruppen tatsächlich unterrepräsentiert sind.

Die EU hat sich besonders den Abbau der Benachteiligung von Frauen auf die Fahne geschrieben und das damit verbundene Konzept in den nur schwerlich ins Deutsche zu übersetzenden Begriff „Gender Mainstreaming“ gegossen.

Aber: Der Grundgedanke von Diversity geht sowohl über klassische Minderheitenpolitik als auch Gender Mainstreaming hinaus. Hierbei werden nicht nur das Geschlecht, sondern auch weitere Kriterien, die Anknüpfungspunkte für Diskriminierungen bzw. ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sind, einbezogen. So geht es darum, unterschiedliche Merkmale zu respektieren und zum Nutzen des Unternehmens, der Verwaltung und der Beschäftigten zu akzeptieren. Es handelt sich somit in erster Linie um ein Management-Konzept.

Abkehr vom Betroffenheitsaspekt

In der Diversity-Lehre wird unterschieden zwischen wahrnehmbaren Erscheinungsformen und der kaum wahrnehmbaren oder so genannten verhaltens-immanenten Diversity: Zur ersten Gruppe zählen Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, sexuelle Orientierung, Behinderung. Zur zweiten Kategorie werden die Verhaltensweisen des Menschen gezählt. Michael Stuber, Gründer und Inhaber der Kölner „Ungleich Besser Diversity Consulting“, fasst hierunter die Bereiche persönliche Lebensführung, Organisation, Arbeit und Beschäftigung sowie Markt und Konsum.

Das Konzept hat zum Ziel, den bisher vorherrschenden zielgruppenspezifischen Ansatz und Betroffenheitsaspekt zu überwinden: Frauen sollen sich eben nicht nur mit „Gender-Diversity“, Homosexuelle nicht nur mit „Sexual Diversity“ und Migranten nicht nur mit „Cultural Diversity“ beschäftigen.

„Das Grundsatzpostulat der Frauen- und Antirassismusbewegung besagt, dass Sexis-mus und Rassismus die entscheidenden Ausgrenzungsmechanismen dieser Gesellschaft sind und alle übrigen nachgeordneter Bedeutung sind. Diversity hingegen zielt auf eine völlige Enthierarchisierung von Diskriminierungstatbeständen ab. Rassismus, Sexismus, Homosexuellen- und Behindertenfeindlichkeit sowie Antisemitismus/Antiislamismus werden im Diversity-Konzept als gleichwertig und gleichrangig nebeneinander gestellt.“ [1]

Kulturelle Vielfalt 
als Schlüssel zum Erfolg

Als Management-Konzept findet Diversity in erster Linie Anwendung im betrieblichen Kontext. Ein Aspekt unter mehreren ist hierbei, kulturelle Vielfalt systematisch zu nutzen. Um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein und die Potenziale von Migranten nutzen zu können, benötigen Unternehmen Kompetenzen im Umgang mit kultureller Heterogenität. Mitarbeiter sind dann am produktivsten, wenn sie sich am Arbeitsplatz wohl fühlen. Es gilt demnach zu verhindern, dass sich Mitarbeiter aufgrund ihres religiösen oder kulturellen Hintergrunds oder ihrer Hautfarbe benachteiligt und ausgegrenzt fühlen.

Vielfalt dient Unternehmen als Ressource mit Blick auf eine Verbesserung der Kreativität, der Problemlösungsfähigkeit, der Arbeitsteilung oder der Marktabdeckung. Die Anwendung von Diversity kann nach Ansicht von Michael Stuber zu Produktivitätssteigerung, Kostensenkung und zur Erhöhung von Marktanteilen beitragen. Dennoch tut sich die Praxis bislang schwer. Die Diversity-Praxis-Studie (DPS) von Ungleich Besser Diversity Consulting kommt zu dem Schluss, dass Interkulturalität am Arbeitsplatz für die meisten deutschen Unternehmen (noch) kein Thema ist. Nur 35 % der befragten Unternehmen gehen davon aus, dass ethnische Minderheiten ein zunehmendes Potenzial für den Absatz- und Arbeitsmarkt darstellen. Nur 2 % der Befragten sehen die wachsende religiöse Vielfalt als einen bedeutenden Trend an.

Doch nicht zuletzt vor dem Hintergrund des steigenden Qualifikationsniveaus von Fachkräften mit Migrationshintergrund darf sich die Wirtschaft den Vorzügen von Diversity nicht verschließen. So unternehmen in den USA 80 % der Fortune 500-Konzerne (Liste der 500 größten US-Unternehmen) substanzielle Diversity-Aktivitäten. Experten sind sich einig, dass es sich auf lange Sicht auszahlt, die Vielfalt aktiv zu nutzen. In Deutschland werden diese Potenziale bislang nur unzureichend genutzt (Positivbeispiele siehe Artikel Seite 5).

Michael Stuber bringt es auf den Punkt: „Tatsächlich werden ehemalige Gastarbeiter meist nur toleriert. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir das wirtschaftliche Potenzial unserer Migranten noch nicht mal ansatzweise zu nutzen verstanden. Dasselbe gilt für Frauen, die in vielen Bereichen besser qualifiziert sind als Männer und dennoch nicht be- oder gefördert, sondern nach Hause zu den Kindern geschickt werden. Unser Umgang mit älteren Beschäftigten oder Kunden ist ein weiteres Beispiel, wie viel wir uns unsere Heile-Welt-Monokultur kosten lassen. Nur dass wir uns es längst nicht mehr leisten können!“


[1] Quellen: Ohms, Schenk: Diversity – Vielfalt als Politikansatz in Theorie und Praxis · www.ungleich-besser.de · Diverse Interviews mit Michael Stuber

Autorin: Vanessa Franz, isoplan

Siehe auch AiD 1/2001: Europa - Vielfalt und Zusammenhalt

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