Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

STADTPORTRAIT

Türken in „Kölün“

Raumzeichen der Segregation

Alle reden von Segregation. Jeder hat ein Bild vor Augen. Aber wer kennt schon, worüber er spricht? Waren diejenigen, die vor dem Phänomen räumlicher Ballung sozial homogener Gruppen warnen oder es verharmlosen, schon einmal vor Ort? Haben sie mehr gesehen, als man bei einem kleinen Rundgang von einer U-Bahn-Station aus mit bekommt? Kennen sie die Übergänge und Zwischenräume? Hier ein Vorschlag: Man nehme sich einige Stunden Zeit, setze sich auf ein Fahrrad, stoppe immer wieder und „erfahre“ sich das Thema. Zum Beispiel das der Türken und Kurden in Köln oder der wohlhabenden Deutschen in Essen (auch spannend). Das geht natürlich nur, wenn sich im öffentlichen Raum Spuren der Gruppe finden lassen: Kopftücher und türkische Geschäfte rund um die Kölner City oder teure Autos und Tennisclubs im Süden von Essen. Die Wahrnehmung von Vierteln wird stark von solchen „Raumzeichen“ geprägt.

In zwei Touren, erst links-, dann rechtsrheinisch, führt der Weg durch Wohnviertel türkischer Migranten in „Kölün“, wie sie ihre neue Heimatstadt nennen, weil ihre Zungen zwischen zwei Konsonanten unwillkürlich einen Vokal einfügen. In einem Radius von fünf Kilometern um den Dom liegen die Ausländeranteile zum Teil weit über 15 Prozent. Rund um die Industriegebiete im Nordosten und Südwesten setzt sich diese Zone starker Konzentration fort. Jenseits reduzieren sich die Werte wieder – mit Ausnahme einiger Großwohnsiedlungen in Porz, Chorweiler und Meschenich. Start- und Zielort der Radtour durch Zeit und Raum ist der Hauptbahnhof. Hier kamen ab 1961 die ersten türkischen Arbeitsmigranten an. In der Tasche hatten die Männer einen Jahres- oder Zweijahresvertrag für eine Stelle als Montage- oder Maschinenarbeiter bei FORD.

Anfangs war der Bahnhof ihr Haupttreffpunkt, die imaginäre Verbindung zur Heimat. Hierhin führte einen der Wochenend-Spaziergang fast automatisch. In Gedanken daheim im Dorf, stand man in Gruppen zusammen. Man konnte kein Deutsch, wagte sich nicht in die Kneipen. So lag es auf der Hand, dass einige schon bald in der nahen Weidengasse Lokale für Türken eröffneten. Anders als es das Klischee will, ist diese erste Station der Radtour gar nicht typisch für Kölün. Eher ein Prototyp einer (nach 40 Jahren) gelungenen deutsch-türkischen Symbiose. Radelt man etwas herum, wird klar: Nur diese eine Straße ist fast vollständig türkisch geprägt - jedenfalls sichtbar.

Fünf Veedeltypen

So lassen sich sehr unterschiedliche Arten der Raumpräsenz von Türken in Vierteln (kölsch: „Veedel“) unterscheiden. Hauptziel nach dem Auszug aus den provisorischen Firmenbarracken war zunächst die Innenstadt, aus der die Deutschen fortzogen. Ohne den Ausländerzuzug wäre die City verödet. Der Ausländeranteil liegt hier noch immer bei 19 %, räumlich sichtbar wird das aber nicht. Leicht höhere Werte weisen vor allem die Altstadtviertel am Cityrand entlang der zu den mittelalterlichen Stadttoren führenden Straßen auf. Erst dort gibt es türkische Geschäfte. Der Eigelstein mit der Weidengasse ist ein Beispiel für diesen zweiten Typ. Stadtauswärts schließen sich mit Nippes, Ehrenfeld, Kalk, Mülheim und der Südstadt gründerzeitliche Neustadtquartiere an. Die alten Arbeiterviertel bilden mit ihrem Kiezcharakter, aber auch Ausländeranteilen von bis zu 40 %, Viertel eines dritten Typs. Weiter auswärts folgen in einer Gemengelage aus Industrieflächen und unattraktiven Siedlungen Viertel einer vierten Art: stereotype Einfachbausiedlungen der Nachkriegszeit wie Vingst oder Ostheim mit ebenfalls großer Migrantenbevölkerung. Rund um die Stadt mit ihren lebendigen Subzentren schließen sich gesichtslose Wohnquartiere der 1960er- und 1970er-Jahre an: vor allem die Trabantenstädte Chorweiler, Neu-Brück, Kölnberg, Godorf oder Porz, deren Bewohner zur Hälfte Migranten sind. In diesen sehr isolierten Gebieten gibt es kaum Möglichkeiten, eigenständig den Raum zu gestalten.

Nördlich des Eigelstein finden sich in der sehr großstädtischen Neusser Straße, dem Einkaufszentrum des Bezirks Nippes, trotz eines Migrantenanteils von 23 % nur ein türkischer Juwelier und zwei Döner-Restaurants. Türkische Passanten sind jedoch viel präsenter. Vor allem rund um den Wilhelmsplatz: Plötzlich ist man fast nur noch unter Migranten aus dem Vorderen Orient – darunter erheblich mehr Frauen als anderswo. Die türkische Gemeinde prägt seit langem den Markt und das Umfeld. Drei Viertel aller umliegenden Geschäfte sind türkisch. Trotz dieser Dominanz ist der Markt ein Ort der Begegnung mit anderen Gruppen. Weiter nordwärts finden sich schnell nur noch spärliche Zeichen türkischer Präsenz. Wie im Eigelstein wird auch in Nippes deutlich, dass sich die türkische Infrastruktur meist nur 100 bis 200 Meter entlang einiger Straßen konzentriert. Der bei flüchtiger Betrachtung entstehende und durch die Medien oft verstärkte Eindruck großflächiger Dominanz täuscht.

Weiter nördlich werben am Radweg Plakate für „Dügün Salonus“: Umgebaute Fabrikhallen, in denen Hochzeiten und religiöse Feste gefeiert werden. Ab hier zerfranst sich die Vorstadt in alte Dorfkerne und klobige Neubauten, Kleingewerbe- und Freiflächen – ohne türkische Schilder. Weiter geradeaus würden die FORD-Werke in Sicht kommen, nun geht es westwärts nach Mauenheim. Zwischen Nordfriedhof und einem Verschiebebahnhof über-rascht der „Cömart Imbiss“ mit benachbartem „Anadolu Supermarkt“ in der Etzelstraße. Eine Gelegenheit für eine Rast mit heißem Tee. Aber vorher fällt der Blick auf große achtstöckige Häuserblöcke, den einzigen Wohnbauten weit und breit. Ein fast völlig isoliertes Wohnviertel. Einige Jungen spielen Fußball, manche mit „Galatasaray“-Trikot. Ein Blick auf die Klingeln bestätigt die Vermutung: in allen vier Gebäuden leben ausnahmslos türkische Familien. Es handelt sich um ein früheres FORD-Wohnheim, das nicht mehr so bunt und modern wie vor 30 Jahren ist. Im Imbiss hängt eine Koransure, in der Ecke bestätigt ein Zertifikat, dass das hier verwendete Fleisch „halal“ ist.

Die nächsten Vororte bieten die Tristesse eines autogerecht ausgebauten Flickentep-pichs aus Wohnsiedlungen und Industrieparks. Zwar leben hier auch Türken, aber ihre Präsenz ist räumlich nicht sichtbar. Zeit für eine Kehrtwende in Richtung Innenstadt. Ehrenfeld zeigt sich als internationales Subzentrum mit vielen türkischen, aber auch italienischen Geschäften rund um Subbelrather und Venloer Straße. Im Vergleich zu Nippes ist der Stadtteil durch die nahe Universität studentischer geprägt und wandelt sich kontinuierlich. Hier findet sich die Bühne des einzigen türkisch-deutschen Theaters in Nordrhein-Westfalen und der Sitz der DITIB-Zentrale, des 1984 vom türkischen Staat für Migranten gegründeten, säkular ausgerichteten, muslimischen Verbands. Derzeit wird über den unter anderem hier geplanten Bau von zwei großen und sichtbaren Moscheen gestrit-ten. Der Radweg führt weiter zum Friesenplatz und den Ringen – zurück am Rand der Innenstadt. In diesem Zentrum des Nachtlebens gibt es öfters Auseinandersetzungen unter Halbstarken: Kinos und Großraumdiskos, darunter auch rein türkische, ziehen viel Publikum an.

Die „schäl Sick“

Nun geht es nach Kalk auf die rechte Rheinseite, die von Industrie und Arbeitervierteln geprägte „schäl Sick“ (hochdt. etwa „minderwertige Seite“). Türkische Geschäfte sind hier so präsent wie in Nippes oder Ehrenfeld. Die Hauptstraße befindet sich aber mitten in einem epochalen Wandel. Die Großflächen der Chemischen Fabrik und Klöckner-Humboldt-Deutz sind durch den Strukturwandel zu Industriebrachen geworden. Der Ausländeranteil erreicht mit 39 % einen der höchsten Werte in Köln. Gleiches gilt für die Arbeitslosenquote von über 25 %. Zwar öffnete 2005 das „Einkaufsparadies“ der „Köln Arcaden“ auf einem Teil des Geländes seine Tore. Wie sich die türkisch-deutsche Geschäftsstruktur durch die Neuansiedlungen wandeln wird, ist aber noch unklar.

Auch hier entmischt sich die Geschäftswelt abseits der Hauptstraße. In Gremberg, Vingst, Höhenberg, Buchheim und Buchforst gibt es stark von Türken oder von Deutschen geprägte Quartiere nebeneinander. Manchmal ist das sichtbar, meist nicht. Nur in der Ostheimer Straße in Vingst zeigen sich plötzlich deutlich sichtbare Segregationstendenzen: eine auf 100 Metern fast rein türkische Struktur von Geschäften für den Alltagsbedarf. Wiederum nordwärts geht es durch Schrebergärten, in denen deutsche und türkische Fahnen wehen. Im sehr großstädtischen Mülheim muss man trotz großer türkischer Bevölkerung lange nach ihrer Infrastruktur suchen. Selbst auf der Keupstraße dauert es 300 Meter, ehe sich der erste Laden zeigt. Dann ist man abrupt mitten drin in dem überregional bekannten Straßenabschnitt, der vielen Deutschen ein Dorn im Auge ist: Von der Ecke Schanzenstraße bis zur Bergisch Gladbacher Straße finden sich fast nur türkische Geschäfte. Abgesehen von Edelrestaurants gibt es keine Geschäfte mit deutscher Kundschaft. Stattdessen türkische Juweliere, Import-Export-Läden, Bakhlava-Bäcker, Garküchen, ein Immobilienbüro, ein Callshop, ein Reisebüro, ein „Kuaför“, zwei Hinterhofmoscheen und das Büro der Vergi Lohnsteuerhilfe. Dann ist dieses kleine Parallel-Universum so schnell vorbei wie es aufgetaucht ist. Wie in der Weidengasse. Farbe bekennen heißt es in beiden Straßen dieser Tage: Schwarz - Rot - Gold. Ein überraschendes Signal.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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