Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

KOMMUNEN

„Durchlauferhitzer“ 

Integrationspolitik und Stadtteilarbeit

Unsere Städte sind multiethnisch geworden. In den Großstädten haben zum Teil 30 bis 40 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, sei es, dass sie selbst zugewandert sind oder Eltern haben, die aus dem Ausland nach Deutschland kamen. Auch die Zahl der Eingebürgerten steigt kontinuierlich. Trotz vielerlei Schwierigkeiten konkretisieren sich in den Kommunen generell, vor allem aber auch in einigen Stadtteilen, erfolgreiche Integrationsprozesse. Auf einer Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) am 18. März 2006 in Bonn, die unter dem Motto „Ausgrenzung verhindern, Konflikte regeln, Netzwerke stärken“ stand, wurden die bisherigen Erfahrungen der kommunalen Integrationspolitik und Stadtteilarbeit diskutiert.

In den meisten Großstädten, aber auch manchen Kleinstädten, haben sich seit den 1980er-Jahren Stadtteile mit einem hohen Zuwandereranteil gebildet. Wie aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ bekannt ist, sind dies meist Quartiere, die gleichzeitig eine überdurchschnittlich hohe Zahl von einkommensschwachen Familien, Arbeitslosen und eine schlechte Bausubstanz aufweisen (vgl. AiD 3/00 und 2/03). Das aus dieser Mischung entstehende Konfliktpotenzial birgt einerseits die Gefahr der Ausgrenzung, andererseits die des Rückzugs in die eigene Ethnie.

So waren das Ausmaß von Segregationstendenzen und die Folgen für die Kommunen die Hauptthemen der Vorträge. Prof. Klaus Peter Strohmeier (Ruhr Universität Bochum) betonte in seinem Referat zur räumlichen, sozialen und ethnischen Segregation in nordrhein-westfälischen Großstädten die Wechselwirkungen von Armut und städtischen Schrumpfungstendenzen im Kontext des demografischen Wandels. Wichtig ist ihm der Zusammenhang zwischen Segregation und Lebenschancen, vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit. In mehreren Studien am Lehrstuhl für Soziologie, Stadt- und Regionalsoziologie konnte gezeigt werden, dass Segregation ein sehr altes städtisches Phänomen ist und sich schon immer in kleinräumigen Disparitäten von Lebenslagen und Lebensformen der Bevölkerung ausgeprägt hat. Problematisch sei heute jedoch das Zusammentreffen ethnischer, demografischer und sozialer Segmente: „Wo die meisten Zuwanderer leben, leben die meisten Kinder und dort ist die Armut am größten“, betonte er. Die absolute Mehrheit der nachwachsenden Generation in den Städten wachse in benachteiligten und benachteiligenden Strukturen auf.

Der „A-Faktor“

Das statistisch nachweisbare verstärkte Zusammentreffen von Armen, Alten, Ausländern, Arbeitslosen und Alleinerziehenden in Teilräumen bezeichnete Strohmeier als „A-Faktor“ – dieser sei typisch städtisch. In Nordrhein-Westfalen gebe es Städte mit hohem A-Faktor – wie Gelsenkirchen, Dortmund, Duisburg oder Herne –, aber auch Städte mit viel Wohlstand – wie Düsseldorf, Bonn oder Münster. Ineinander übergehende Doppelstädte wie Essen/Gelsenkirchen zeigen jedoch bei genauerer Betrachtung auch eine deutliche räumliche Trennung mit Teilgebieten mit hohem A-Faktor und Gebieten mit Indikatoren für Wohlstand. Zwischen beiden Räumen konnte er einen Unterschied in der Gesundheit von Kindern und der Lebenserwartung (von fast fünf Jahren) nachweisen. So sei die Säuglingssterblichkeit bei Türkinnen erheblich höher als bei Deutschen.

Anhand einer Clusteranalyse isolierte Strohmeier sechs Sozialraum-Typen. Vierteln wie Essen-Bredeney mit hohem sozialem Rang, guten Gesundheitsdaten und hoher Wahlbeteiligung stünden Viertel mit niedrigem sozialem Rang, schlechten Gesundheitsdaten, niedriger Wahlbeteiligung und hohen Migrantenanteilen wie Duisburg-Marxloh gegenüber (siehe S. 14). Erstere sind ähnlich homogen strukturiert, also auch segregiert. Wichtig war ihm der Hinweis, dass die Zusammenhänge zwischen Armutssegregation und Ethnien zu selten beachtet würden. Dr. Ursula Mehrländer (FES) verwies ergänzend darauf, dass soziale Probleme und solche des Arbeitsmarktes „oft zusammengemischt und mit einer ethnischen Brille betrachtet“ würden, was selten hilfreich bei der Lösung von Konflikten sei. Prof. Rainer Staubach (FH Lippe u. Höxter) merkte zudem an, dass es ge-rade die „armen Viertel sind, die wie ein Durchlauferhitzer die Integrationsleistung erbringen“.

Wie kann die Lebenssituation von Benachteiligten verbessert werden? Wie können ethnische und soziale Konflikte entschärft werden? Wie lassen sich Förderprogramme für Stadtteile mit besonderen Problemlagen weiter entwi- ckeln? In parallelen Arbeitsgruppen diskutierten die gut 100 Teilnehmer Fragen des Konfliktmanagements in Stadtteilen, der interkulturel-len Orientierung der Stadtpolitik und der Vernetzung sozialer Einrichtungen. Deutlich wurde, dass Kommunen und Städte schon einige Anstrengungen unternommen haben, ihre Angebote und Strukturen der Einwanderungssituation anzupassen. Viele Initiativen und Maßnahmen bemühen sich um eine Förderung und Gestaltung der Integration und die Prävention von Konflikten. Notwendig sind – darin war man sich einig – kommunale Konzepte, die einzelne Aktivitäten verzahnen und die Integration zur Querschnittsaufgabe aller Entscheidungsgremien und Ämter machen.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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