Integration in Deutschland 4/2006, 22.Jg., 15. Dezember 2006

INTERVIEW

Der "Chinese" von Stuttgart

Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter von Stuttgart

Gari Pavkovic ist seit 2001 Leiter der Stabsabteilung für Integrationspolitik der Stadt Stuttgart. Der 1959 in Mostar (Bosnien-Herzegowina) geborene Kroate kam 1969 mit seinen Eltern nach Deutschland, studierte in Konstanz und Tübingen Psychologie und sammelte Ende der 1980er-Jahre erste Berufserfahrungen in einer Erziehungsberatungsstelle und beim Caritasverband Stuttgart. Von 1989 bis 1995 engagierte er sich im Ausländerausschuss und begleitete unter anderem Suchthilfeprojekte der Robert Bosch Stiftung. Während des Krieges in Bosnien-Herzegowina engagierte sich Pavkovic in der Friedensarbeit und bei humanitären Hilfsprojekten und erläuterte als Referent bei isoplan-Länderkunde-
seminaren Hintergründe des Konflikts. Als Leiter einer städtischen Erziehungsberatungsstelle in Stuttgart setzte er sich seit 1991für die Umsetzung interkultureller Beratungsansätze ein. Für seine bisherige Arbeit wurde der Vater zweier Söhne mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Jugendhilfepreis.

 


Gari Pavkovic mit Hiphop-Star Afrob

AiD: Die Kommune ist der wohl wichtigste konkrete Integrationsort. Welche Aufgabe haben hier die Stadtverwaltungen von Metropolen wie Stuttgart?

Pavkovic: Gelingende Integration hängt nicht nur von der Integrationsbereitschaft der Migranten ab, sondern auch von der Qualität der angebotenen Integrationsprogramme. Das beginnt mit der frühen Sprachförderung im Kindergarten und wird fortgesetzt in der Schule und in der außerschulischen Bildungsförderung, in der beruflichen Qualifizierung, im Bürgerservice der städtischen Ämter (Jugendhilfe, Gesundheit, Altenhilfe usw.), in einer aktiven Beteiligung der Migranten und ihrer Organisationen an der kommunalen Integrationsarbeit und so weiter.

Was heißt das konkret?

Das heißt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen für die Arbeit mit Migranten geschult werden, und interkulturelle Kompetenz muss als Standard in den jeweiligen Institutionen strukturell verankert werden, durch Leitlinien, Handlungskonzepte, konkrete Zielvereinbarungen, Wirkungsmessung der Maßnahmen auf Grundlage der vereinbarten Ziele und durch die damit einhergehenden Förderrichtlinien.

Man sollte nicht so defizitorientiert sein. Das Entscheidende sind doch Integrationsprogramme?

Wenn es um das Gelingen der Integration geht, wird oft der Blick auf die Migranten selber gerichtet: Sie können zu wenig Deutsch, sie wohnen in gesonderten Stadtgebieten, sie beteiligen sich zu wenig am kommunalen Geschehen. Damit Beteiligung möglich ist, damit Integration gelingt, brauchen wir gute Integrationsprogramme - für Kindergarten, Schule, Jobcenter und so weiter. Kurzum, damit Migranten in der Schule erfolgreich sind, muss auch die Schule ihre Angebote anpassen an Schülerschaft, die sprachlich und kulturell heterogen ist.

Die Stuttgarter Integrationspolitik hat einen guten Ruf. Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger Herbert Babel, welche Ansätze führen Sie fort?

Auch in der Amtszeit meines Vorgängers, der seit Anfang der 1970er-Jahre Ausländerbeauftragter war, wurden zahlreiche gute Maßnahmen und Projekte auf den Weg gebracht. Wir haben mit dem gesamtstädtischen Konzept "Stuttgarter Bündnis für Integration" im Jahre 2001 die Integrationsarbeit als Querschnittsaufgabe systematisch verankert. Integration beschränkt sich nicht auf sozialpolitische Maßnahmen, auch wenn hier weiterhin ein großer Schwerpunkt liegt. Wir machen im Gegensatz zu früher keine speziellen Programme für einzelne Nationalitätengruppen, sondern gehen auf die Bedürfnisse und die sozialen Lebenslagen der Einwanderer ein, unabhängig von ihrem Pass. Das heißt, unsere kommunalen Angebote wie Sprachkurse oder schulische Projekte richten sich nationalitätenübergreifend an alle Zielgruppen, auch an Eingebürgerte, an Spätaussiedler, an Flüchtlinge, aber auch beispielsweise in der Schule an benachteiligte Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

Dementsprechend haben wir auch unsere frühere kommunale Ausländervertretung, den Internationalen Ausschuss, als beratenden Fachausschuss des Gemeinderats zu Integrationsfragen neu besetzt. Es gibt keine Direktwahl mehr, sondern sachkundige Einwohner sind in diesen Ausschuss berufen worden - nach Themen: Jugend/Soziales, Sprache/Schule, Arbeitsmarkt/Wirtschaft, Zusammenleben in den Stadtteilen/Stadtentwicklung, Kultur, Miteinander der Religionen usw.

Nach der Auszeichnung durch die Bertelsmann Stiftung "Integration ist kein Zufall" bekommen Sie ja immer wieder Besuch auch von Vertretern anderer Kommunen. Heute Vormittag waren Gäste aus Aalen da. Was wollten die von Ihnen wissen?

Sie wollen ihre eigene Integrationsarbeit konzeptionell und strategisch weiterentwickeln und haben sich interessiert, was Stuttgart macht und besonders auszeichnet. Ich sage immer wieder: Wir machen nichts anderes als was die anderen Einwanderungsstädte auch tun. Ein bisschen flapsig gesagt: Wir sind wie die Chinesen - Wir gucken auch von anderen ab, was sie gut machen und machen das ganze vielleicht noch systematischer oder sogar billiger (als gute Schwaben). "Mama-lernt-Deutsch-Kurse" haben wir von den Frankfurtern übernommen, der ehrenamtliche Einsatz von Senioren im Übergang Hauptschule/ Beruf stammt aus Ulm. Und so gibt es viele andere Beispiele, wo wir "best practice" durch unsere Kooperation mit anderen Städten übernehmen. Wir erfinden nicht das Rad neu. Wir versuchen nur, die Programme noch besser aufeinander aufzubauen.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele und wie wollen Sie diese erreichen?

Wir wollen mittelfristig eine Angleichung der Lebensverhältnisse und der Chancen der Migranten an die alteingesessene Bevölkerung erreichen, um den sozialen Zusammenhalt der internationalen Stadtgesellschaft zu stärken. Dies gilt insbesondere für die Bereiche schulische und berufliche Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zu kommunalen Dienstleistungen einschließlich städtischen Wohnungen. Wir wollen aber auch eine höhere Repräsentanz der Migranten als Beschäftigte im öffentlichen Dienst, auch in Leitungsfunktionen, in den verschiedenen Entscheidungsgremien und in der Kommunalpolitik erzielen. Wir haben ein großes Potenzial in unserer Migrantenbevölkerung, das wir für die Stadtentwicklung insgesamt nutzen wollen. Eine Politik der Anerkennung der kulturellen Vielfalt beinhaltet eine stärkere Beteiligung der Migranten in den Institutionen, nicht nur im Ehrenamt.

Stichwort interkulturelle Öffnung?

Ja, die ist aber kein Selbstzweck. Sie dient dazu, die Angebote auch für Migranten professioneller zu gestalten. Also: Die Sprachförderung gelingt, wenn das Angebot durch den Kindergarten so ausgerichtet ist, dass alle Kinder davon profitieren - auch die aus sozial schwächeren Schichten oder Einwandererkinder. Es geht nicht nur um das schulreife Kind sondern auch um die kindgerechte Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Es geht letztendlich um eine Qualitätsentwicklung der Programme auch für Migranten.

Haben sich in den letzten Jahren die Prioritäten verschoben?

Die frühe Sprach- und Bildungsförderung ist ein großer Schwerpunkt geworden. Da ist einiges aufzuzählen: Umbau der Stuttgarter Kindertageseinrichtungen von Betreuungs- zu Bildungseinrichtungen, verstärkte Elternbildung, bessere Verzahnung von schulischen Fördermaßnahmen und außerschulischen Bildungsangeboten in Richtung kommunales Schulentwicklungskonzept, Implementierung eines besseren "Übergangsmanagements" von der Schule in den Beruf. Viele befristete Projekte verpuffen, wenn sie nicht in eine Strategie der Nachhaltigkeit eingebunden werden, das heißt, wenn sie nicht zu einer besseren interkulturellen Ausrichtung der Regeldienste führen.

Was treibt Sie persönlich an?

Ich habe sowohl in Mostar, wo ich die ersten 10 Jahre meines Lebens verbracht habe, als auch später als Migrant das Zusammenleben in einer multikulturellen Stadtgesellschaft als eine Bereicherung erlebt. Die leidvollen Erfahrungen in Bosnien haben mir aber auch deutlich gezeigt, dass ein solches Zusammenleben auf Dauer nur funktionieren kann, wenn wir uns aktiv für eine demokratische Bürgergesellschaft engagieren. Meine eigenen Erfahrungen, meine Ausbildung als Psychologe und mein Interesse für andere Kulturen und Religionen sind sicherlich von Vorteil für meine Aufgabe als Integrationsbeauftragter in einer Stadt, in der fast 40 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Ich habe mich auch deshalb vor fünf Jahren für diese Aufgabe beworben, weil Oberbürgermeister Wolfgang Schuster Integrationspolitik zur Chefsache gemacht hat und die Voraussetzungen geschaffen hat, dass wir eine nachhaltige Arbeit leisten können.

Inwieweit hilft es Ihnen, als Integrationsbeauftragter einen Migrationshintergrund zu haben? Inwiefern ist es hinderlich?

Ein eigener Migrationshintergrund ist keine Voraussetzung für eine gute Integrationsarbeit. Ich schätze die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen beispielsweise aus Frankfurt/M., Essen und München, die selbst keine Migranten sind. Unser Ziel ist es, politische Mehrheiten für eine zukunftsweisende Integrationspolitik zu bekommen, die deutsche Bevölkerung und ihre Institutionen für diese Arbeit zu gewinnen, ebenso wie die nichtdeutsche Bevölkerung und ihre Organisationen. Ob Migrant oder nicht, ich muss sehr verschiedene Interessensgruppen für die gemeinsame Aufgabe ins Boot holen. Ein Integrationsbeauftragter mit Migrationshintergrund hat eine wichtige symbolische Bedeutung. Normalität wäre es jedoch, generell mehr Migranten in öffentlichen Positionen zu haben, zum Beispiel als Schulleiter, Amts- und Abteilungsleiter oder Stadtrat.

Also eine klare Empfehlung an andere Kommunen, bei der Stellenbesetzung des Integrationsbeauftragten Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu bevorzugen?

Ich empfehle, generell mehr Migranten in Positionen mit Entscheidungskompetenz zu beschäftigen. Ein türkeistämmiger Integrationsbeauftragter beispielsweise steht vor besonderen Herausforderungen, die divergierenden Interessen der türkischen Gruppierungen vor Ort auf eine gemeinsame Zielrichtung zu vereinen, von den kemalistisch-laizistischen Gruppierungen auf der einen und den regimekritischen auf der anderen Seite, also die verschiedenen religiösen Verbände einschließlich der Aleviten oder der Kurden. Man muss in der Arbeit einen überparteilichen Standpunkt einnehmen können, denn es geht um die Integration vor Ort und nicht um die Lösung der Probleme in den Herkunftsländern. Man muss Sensibilität für die Auswirkung der externen Konflikte auf das Zusammenleben vor Ort haben, aber ebenso für Mechanismen der strukturellen Diskriminierung hierzulande. Ein Integrationsbeauftragter muss sich wie ein Bürgermeister als Vertreter aller Bevölkerungsgruppen verstehen, denn wir haben in Stuttgart - um unseren OB zu zitieren - Menschen aus 170 Staaten, aber wir sind eine Kommune, eine Gemeinschaft, alle die hier leben sind in erster Linie Stuttgarterinnen und Stuttgarter.

Welches sind Ihre größten Problemthemen vor Ort?

Dies ist zum einen die strukturelle Benachteiligung der jungen Menschen aus Einwandererfamilien in unserem Bildungssystem, mit den daraus resultierenden Schwierigkeiten einer erfolgreichen beruflichen Integration. Die Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Geringqualifizierte werden abgebaut. Zum anderen haben wir noch keine Normalität im Umgang zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, auch wenn es im Alltag keine nennenswerten Konflikte gibt. Die inneren Vorbehalte nehmen auf beiden Seiten zu: die deutsche Bevölkerung erlebt den Islam als einen Fremdkörper und eine Gefahr, die Muslime registrieren vor allem die Signale der Ausgrenzung in Politik und Medien und suchen verstärkt Orientierung bei konservativ ausgerichteten Meinungsbildnern. Wir benötigen in Deutschland ausgebildete Islamwissenschaftler und Imame, um den Muslimen zu ermöglichen, ihre Religionsausübung mit ihrer Lebensrealität hierzulande besser in Einklang zu bringen.

Wer sind Ihre Partner und Mitstreiter?

Wir haben in allen Handlungsfeldern der kommunalen Integrationspolitik eine gute Vernetzung verschiedener Kooperationspartner, einschließlich der Migranten selbst. Dazu gehören Bundesbehörden wie das BAMF, auch langjährige Förderer wie die Robert Bosch Stiftung und die Landesstiftung Baden-Württemberg sowie alle relevanten Akteure vor Ort, natürlich auch die Migrationsdienste der freien Wohlfahrtspflege, obwohl sie durch weggebrochene Zuschüsse von Bund und Land vor großen Schwierigkeiten stehen, die nachholende Integration für unsere Migranten der ersten Generation fortzusetzen. Das Stuttgarter Jugendamt macht eine vorbildliche interkulturelle Arbeit. Da Schulpolitik Landessache ist, wollen wir unsere Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium ausbauen. Wir haben gute Verbandsstrukturen von Migranten im Bereich der Kulturarbeit (Forum der Kulturen), der Jugendverbandsarbeit (Stadtjugendring) und teilweise im Bildungsbereich. Was noch aussteht, ist ein arbeitsfähiges Forum der Stuttgarter Muslime, mit Kooperationspartnern, die sich im Sinne unserer Ziele für eine bessere Integration engagieren - also mehr Teilnahme am Schulgeschehen, weniger separierende Lernhilfen in den Moscheen.

Eine lange Aufzählung! Wen hätten Sie noch gerne im Boot?

Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit mit Hochschulen, um einerseits interkulturelle Kompetenzen stärker in der Ausbildung zum Beispiel von Verwaltungs- und Lehrberufen zu verankern, und andererseits um unsere Praxis noch zielgerichteter zu evaluieren.

Wie beurteilen Sie die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes?

Die Neuregelung des Aufenthaltsgesetzes ist ein Fortschritt gegenüber dem alten Ausländergesetz, aber es ist kein großer Wurf, weil die Zugangsbeschränkungen für Höherqualifizierte nach wie vor hoch sind. Die "besten Köpfe" haben zu wenig Anreize und Möglichkeiten, ihre Potenziale bei uns zu entfalten. Positiv im Zuwanderungsgesetz ist die Verankerung der Integration als gesetzliche Aufgabe, auch wenn sich diese vorrangig auf Neuzuwanderer und da auf die Integrationskurse und die Migrationserstberatung bezieht. In der Integrationskursverordnung haben die Kommunen keinen Auftrag zur Koordinierung der Deutschkursangebote in Verzahnung mit den Integrationsprogrammen der Jobcenter und der anderen Akteure vor Ort, außer sie tun es - wie in Stuttgart - freiwillig. Integrationskurse des Bundes sind ein wichtiger erster Baustein zur gesellschaftlichen Eingliederung. Sie müssen aber mit aufbauenden Programmen Hand in Hand gehen. Wenn Anschlussperspektiven fehlen, gehen auch die erworbenen Deutschkenntnisse wieder verloren. Deswegen verspreche ich mir vom nationalen Integrationsplan der Bundesregierung konkrete Handlungsempfehlungen und Selbstverpflichtungen von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft und Migrantenorganisationen, wie Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe besser umgesetzt werden kann als bisher.

Welchen Nachbesserungsbedarf sehen Sie noch?

Vor allem in der Umsetzung: Das betrifft zum einen die Integrationskursverordnung, aber auch das Prozessverfahren, die Qualität der Integrationskurse. Wenn das Ziel ist, B1 als generelles Niveau für Integrationskurse zu erreichen, reicht der Umfang in der Form nicht aus. Nachbesserungsbedarf gibt es auch beim Einbürgerungsverfahren. Man wird ja nicht als Baden-Württemberger oder Hesse eingebürgert, sondern als Deutscher. Hier brauchen wir auch eine einheitliche Regelung.

Vielen Dank und gutes Gelingen!


Das Gespräch führte Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Kontakt: Landeshauptstadt Stuttgart, Stabsabteilung für Integrationspolitik, Eberhardstraße 61, 70173 Stuttgart, Tel.: 0711/216-2645, Fax: -5640, Gari.Pavkovic@stuttgart.de 

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