Ausländer in Deutschland 3/1999, 15.Jg., 30. September 1999

AUSBILDUNG

Interkulturelle Kompetenz

Azubis auf internationalem Parkett

"Internationale Qualifikationen" werden heutzutage nicht nur von Managern verlangt, sondern zunehmend von Facharbeitern und -angestellten. Zu Fachkenntnissen und Fremdsprachen gesellt sich dabei das gewisse Etwas - die interkulturelle Kompetenz.

Peter Wordelmann vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat den Bedarf und die Inhalte dieser Qualifikationen in den Betrieben untersucht. Großunternehmen neigten demnach dazu, die Fähigkeiten und Kenntnisse ihrer Mitarbeiter auf dem Gebiet zu überschätzen, im großen und ganzen bewältigten sie aber erfolgreich die Anforderungen der Internationalisierung. Kleine und mittlere Betriebe unterschätzten dagegen den Wettbewerbsnachteil, den die fehlenden Qualifikationen mit sich bringen.

Beim Stichwort "international" denken alle in erster Linie an Fremdsprachen. Sie sind tatsächlich unabdingbar. Zwei Drittel der Firmen erwarten von ihren Mitarbeitern Englisch, und die Hälfte sogar zwei und mehr Fremdsprachen, zeigt eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Aber Fremdsprachen allein reichen nicht, gefragt ist auch die Fähigkeit, mit ausländischen Kollegen, Partnern und Kunden auf einer gemeinsamen Ebene zu kommunizieren und über die eigenen Grenzen hinaus zu denken und zu handeln.

Von Beruf zu Beruf werden die verschiedenen Kenntnisse und Fähigkeiten anders gewichtet, schreibt Wordelmann. Fremdsprachen und interkulturelles Know-how seien generell in den kaufmännisch-verwaltenden und in den Dienstleistungsberufen notwendiger und selbstverständlicher. Im gewerblich-technischen Bereich überwiege die Fachkompetenz. Diese Unterscheidung sei aber langfristig nicht zu halten, meint der Wissenschaftler, da Ingenieure und Facharbeiter, auch und besonders im Mittelstand, schon mit Zulieferern im Ausland zusammenarbeiten und Kunden in der ganzen Welt beraten und betreuen müssen - z.B. über das Internet. Das "E-Commerce" erfaßt langsam, aber sicher alle Branchen und zeichnet sich durch "prinzipielle Grenzenlosigkeit" aus. Im Netz kommt man unentwegt mit Vertretern anderer Kulturen zusammen, sei es in der Videokonferenz mit der Firmenniederlassung in Lateinamerika oder im Beantworten von elektronischer Post.

Eine interkulturelle Basisqualifikation für alle fordert Wordelmann. Der Mitarbeiter muß mindestens wissen, daß in anderen Ländern vieles anders läuft und bei englischer Ansprache nicht die Fassung verlieren. Für die Betriebe bisher eine Aufgabe der Weiterbildung, als Vorbereitung auf den Auslandseinsatz. Die Erstausbildung vermittelt kaum internationale Qualifikationen, bemängelt Wordelmann. Am ehesten finde sich etwas bei der Speerspitze der Ausbildungsberufe hinsichtlich der Internationalität. Speditionskaufsleute müssen laut Verordnung in der Lage sein, fremdsprachliche Fachausdrücke zu verwenden, Dokumente zu erstellen und einfache Auskünfte zu erteilen. Die künftigen Mediengestalter unterziehen sich immerhin einer Prüfung in Fachenglisch. Und interkulturelle Kompetenz spielt bei alledem gar keine Rolle.

Letzteres will der Deutsche Gewerkschaftsbund ändern. 1997 hat die DGB-Jugend zusammen mit dem Informations-, Dokumentations-, und Aktionszentrum gegen Ausländerfeindlichkeit (IDA) das Projekt "Interkulturelles Lernen in der beruflichen Ausbildung" gestartet. Im Idealfall soll das interkulturelle Lernen eine Querschnittsaufgabe werden, so wie der Umweltschutz, sagt der Projektleiter Tilmann Kuhl. Das Problem: Es darf nicht mehr kosten oder länger dauern. "Die Ausbildung ist eh proppenvoll mit Aufgaben und Anforderungen gepackt", gibt er zu. "Die interkulturelle Kompetenz soll sich wie eine Art Folie auf die bestehenden Inhalte legen und dadurch ihren Charakter verändern". Eine zu riesige Aufgabe für ein auf nur zwei Jahre angelegtes Projekt. Immerhin ist ein Netzwerk von rund 400 Multiplikatoren entstanden, die sich mit dem Thema auseinandersetzen - aus welchem Grund und in welcher Art und Weise auch immer.

Der Lehrer Jürgen Hansen vom Pictorius-Berufskolleg in Coesfeld, Nordrhein-Westfalen, nimmt von der DGB-Veranstaltung "Interkulturelles Lernen" eine Mappe nach amerikanischem Vorbild mit nach Hause. "Eine Welt der Vielfalt" bietet Texte und Spiele für Groß und Klein, um sich mit Fragen der Herkunft, Vorurteile, eigener Stärken und Schwächen zu beschäftigen. Das kann man in den Fächern Deutsch, Wirtschaftslehre und Politik gut verwenden, meint Hansen. Das Problem der Coesfelder: Bestimmte Berufsklassen bestehen in den letzten Jahren vorwiegend aus Aussiedlern, die sich abkapseln. Lerndefizite seien die Folge.

Die Firmen sowie die Berufsschulen sehen bislang die Notwendigkeit interkultureller Kompetenz vor allem dann, wenn Konflikte der multinationalen Belegschaften die Arbeit stören, bestätigt Kuhl. Im Rahmen der Sozialpartneraktion "Zusammenleben mit Ausländern" haben die Deutsche Bahn, die Post, Siemens und andere Seminarwochen entwickelt, bei denen die Azubis die Migrationsgeschichte studieren und Asylbewerberheime besuchen. Interkultureller Unterricht soll aber vor allem an den Inhalten der Ausbildung selbst anknüpfen, meint der DGB-Projektleiter. Kein Beruf darf ausgespart werden. Krankenpfleger z.B lernen, daß nicht-deutsche Patienten statt Ruhe und Abgeschiedenheit lieber die Familie um sich hätten - ein Grund, Angehörige außerhalb der Besuchszeiten im Krankenhaus zu tolerieren. Auch dort, wo die Lehrlinge mit Maschinen statt mit Menschen zu tun haben, ist interkultureller Unterricht möglich. Beispielsweise bekommen künftige Industriemechaniker die Aufgabe, eine Figur des Hoca Nasreddin zu erstellen. Wie dieser Schlauberger aus den orientalischen Märchen auszusehen hat, weiß nur der türkische Lehrling. Schriftliche Hinweise gibt es auch, aber auf Italienisch - da müssen wiederum die Muttersprachler ran. Nur gemeinsam sind die Jugendlichen stark - das soll den Teamgeist heraufbeschwören. Schweißen, schneiden und löten lernen sie dabei auch.

In der beruflichen Ausbildung muß die interkulturelle Arbeit zugleich nach innen und nach außen ausgerichtet werden, lehrt Prof. Wolfgang Nieke von der Universität Rostock. Durch internationalen Austausch, Auslandspraktika und virtuelle Kooperation via Fax und Internet werden deutsche Auszubildende darauf vorbereitet, eines schönen Tages ihre Arbeitskraft fern der Heimat anzubieten. Das werden immer mehr Arbeitnehmer tun müssen, ist der Professor überzeugt. Gleichzeitig müssen Einheimische und Einwanderer in den deutschen Firmen immer besser miteinander auskommen können. Dafür empfiehlt er fremdsprachige Betreuer, Gerichte für Muslime in der Kantine und "Weltmusik" in der Disco.

Da tut sich eine Menge, sagt Barbara Dorn, Bildungsreferentin bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): "Die Ausbildung wird offener für Dinge, die keine spezielle nationale Bedeutung haben". Viele Betriebe schickten ihre jungen Beschäftigten auf Kosten der Firma für eine Zeit lang ins Ausland. Dorn verweist auch auf die binationalen Ausbildungsprojekte, die Azubis ausländischer Herkunft teils in Deutschland, teils im Herkunftsland absolvieren (vgl. AiD 2/99).


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Foto: Ekkehart Schmidt

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