Ausländer in Deutschland 3/1999, 15.Jg., 30. September 1999

LITERATUR


Etwas dazwischen

Literarische Wanderer in neuen Sprachheimaten


"Bärenfell", neuer Roman von Rumjana Zacherieva

Literatur von Migranten in Deutschland - ist das nicht diese sehr emotionale Auseinandersetzung mit der kalten neuen Heimat und der verlorenen warmen alten Heimat? Nicht ganz zu Unrecht lief diese Literatur der 60er-, 70er- und 80er-Jahre lange unter der Rubrik "Gastarbeiterliteratur". Heute will man davon nichts mehr lesen. Zu ausschließlich kreisten die Gedichte und Romane um das Thema Identitätssuche und Identitätsverlust. Und "Arbeiter" wurde oft allzu groß geschrieben. Auch in der Literatur der 90er-Jahre werden Migrationserfahrungen verarbeitet. Sie bilden den Hintergrund von inhaltlich wie sprachlich ansprechenden Texten. (red.)

"Eine Dornenhecke. Die für die Bulgaren lebendiger Zaun bedeutet und für die Deutschen - frisierte Grenze. Zum Nachbarn. Eine ganz gewöhnliche Hecke. Dornig. Egal. Besuch. Mach dich einmal auf den Weg durch die Grenze, egal ob frisiert oder lebendig, und du kannst was erleben! Der Gang nach Canossa. Oder zu Besuch. Kommt auf das Selbe hinaus." (Aus "Die geliehenen Strapse")


Rumjana Zacherieva

Der Blick Rumjana Zacharievas aus dem Fenster fällt auf gepflegte Hecken. 1970 kam sie nach Bonn, als 20jährige Ehefrau eines deutschen Geschäftsmannes. Hier hat die junge Bulgarin Anglistik und Slawistik studiert, ihre zwei Töchter geboren und zahlreiche Gedichtbände, Hörspiele, Erzählungen und Romane geschrieben. In die Bundesrepublik kam sie mit genau 150 Wörtern Deutsch. Aber mit 20 kannte sie schon ihr Berufsziel: Schriftstellerin. Denn Zacharieva gehörte zu den früh berufenen. Mit 13 hatte sie Gedichte in einer der größten Jugendzeitschriften Bulgariens veröffentlicht und bekam prompt Fanpost von Schülern, Eltern und Lehrern. "Ich war auf einmal ein Star in der Schule, und es stand für mich fest, ich bin eine Schriftstellerin".

Rumjana Zacharieva folgte jedoch der großen Liebe nach Deutschland. Vergeblich habe ihr Redakteur damals auf sie eingeredet, durch den Ortswechsel begebe sie sich in die totale sprachliche Isolation. "Mein Ex-Mann ging seinen Beschäftigungen nach, und ich blieb zu Hause als deutsche Hausfrau", erinnert sich Zacharieva. "Es war fürchterlich! Aber ich hörte immer Radio und Fernsehen, von morgens bis abends, bis mir der Kopf weh tat". Nur ihr Mann hatte es ihr zugetraut: "Eines Tages wirst du in Deutsch schreiben können " Warum unbedingt in Deutsch? Erstens, ganz einfach, um Brot zu verdienen. Aber, zweitens hätte eben einiges nur auf Deutsch entstehen können, zum Beispiel diese Kindergeschichten: "Stell dir vor, du erwachst und es gibt eine Reihe selbstverständlicher Dinge nicht mehr. Kein Fernsehen. Kein Auto. Der Bäcker verkauft keine frische Brötchen. Du drehst den Hahn, und es kommt kein Wasser." Im wirtschaftlich kriselnden Bulgarien und auf Bulgarisch wäre das keine phantastische, sondern eine nur zu realistische Geschichte. Deshalb wehrt sich Zacharieva vehement, wenn man sie immer wieder "die bulgarische Schriftstellerin" nennt. Schließlich habe sie fast ihr ganzes Lebenswerk in Deutschland publiziert. Sie ist eine "deutschsprachige Autorin bulgarischer Herkunft" oder der Einfachheit halber eine "nicht-nur"-Autorin. Nicht nur deutsch, nicht nur bulgarisch. Etwas dazwischen.

Migrantenliteratur? Natürlich gibt es sie. Selbst ihr Roman "Eines Tages jetzt", eine detailgetreue Beschreibung der kleinbürgerlichen Bonner Welt, mit einer Rheinisch-Platt sprechenden Rentnerin als Hauptfigur, sei die reinste Migrantenliteratur. "Sowas kann doch nur aus dem Wunsch entstehen, es allen zu zeigen. Ich mußte mir beweisen, daß ich ein Buch schreiben kann, in dem nichts Bulgarisches außer ein paar Kartoffelfrikadellen vorkommt". Die Muttersprachler seien wie Babies, die noch in ihrem Fruchtwasser schwimmen. Im Mutterleib fragt keiner nach deiner Identität, du stellst dich selbst nicht in Frage. "Wie kann da einer etwas vermitteln, der in sich eingeschlossen ist und dem die ganze Welt am Arsch vorbei geht?" So wie die Wissenschaftler ihre Arbeiten in Fremdsprachen schreiben, werden es in der Zukunft die Lyriker auch tun, ist sie sich sicher.

"Gestern bin ich ein Baum./ Heute werde ich Wasser sein. /Morgen war ich ein Lied./ Jemand hat sich die Zeit ausgedacht./ Ich lache darüber." (Aus "Am Grund der Zeit")

"Wenn ich, die Ausländerin, jemandem in gebrochenem Deutsch so ein Gedicht vorlese, dann sagt er: 'Frau, lern erstmal Deutsch!'" Doch die Befreiung von grammatikalischen Zwängen kommt erst mit einem hohen Grad des Erlernens. Darauf pocht sie. Gleichwohl hat Rumjana Zacharieva einen Traum: von heute auf morgen in einem Land zu erwachen, dessen Sprache sie kennt. Es kämen nur zwei in Frage: Englisch oder Russisch. Und dann sehen, was der Kopf hervorbringen kann. Vielleicht tut sie das mit 70 oder 80, sagt sie sehnsüchtig. Jetzt erscheint erst einmal ihr neuer Roman "Bärenfell". Auf Deutsch.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Foto: privat

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Ferser im Poetenland


"Sehnsucht nach Hollywood" von Aras Ören

Aras Ören, der im November 60 Jahre alt wird, ist der wohl bekannteste Vertreter klassischer Migrantenliteratur.

Obschon seit 30 Jahren hier lebend, schreibt der Berliner nach wie vor auf Türkisch. Auch sein neuer Roman "Sehnsucht nach Hollywood" ist eine Übersetzung. Anders als Örens frühere Gedichtbände und Romane - wie "Deutschland, ein türkisches Märchen" - gehört das Buch nicht mehr zum Genre der "Gastarbeiterliteratur". Zu seinem frühen Krimi "Bitte nix Polizei" schrieb das Spandauer Volksblatt: "Obwohl von einem Türken geschrieben, ist es nicht nur ein Gastarbeiterdrama... ". Wie die meisten Migranten hatte es Ören schwer, als Literat wirklich ernstgenommen zu werden. Bücher wie "Spuren des Brotes" (Yüksel Pazarkaya, 1983), "Zweite Heimat" (Necdet Göl, 1990), "Fremd in einem kalten Land" (Namo Aziz, 1992) oder "Was ist die Mehrzahl von Heimat" (Kemal Kurt, 1995) sortierten Buchhändler gerne in das Regal mit der Aufschrift "Sozialkritik" oder "Ausländer". Das passiert der neuen deutsch-türkischen Generation kaum noch. So selbstverständlich wie Renan Demirkan, Osman Engin, Emine Sevgi Özdamar, Yüksel Pazarkaya, der Katzenkrimi-Autor Akif Pirinci (AiD 1/94), Zafer Senocak, Alev Tekinay und Feridun Zaimoglu in Deutsch denken, schreiben sie auch Deutsch. Wenn auch, wie Senocak sagt, weiterhin "eine Grenze mitten durch meine Zunge" verläuft, haben sich die meisten dieser Autoren bei der deutschen Leserschaft als feste Größe etabliert.

Darauf hofft auch die Ruanderin Eugenie Musayidire. In ihrem Gedichtband "Mein Stein spricht" (1999) verarbeitet sie die Erfahrung des Völkermordes, von dem auch ihre Familie betroffen war (vgl. AiD 2/98, S.7). Während sie - wie die ungarische Berlinerin Terézia Mora oder der chinesische Poet Yang Lian - noch am Anfang ihrer Entwicklung steht, kennt man den syrischstämmigen Märchenerzähler Rafik Schami von Bestsellerlisten. Noch nicht richtig die Nische der Migrantenliteratur verlassen hat die Griechin Eleni Torossi. Auch italienische Autoren wie Gino Chiellino oder Franco Biondi schreiben zwar in Deutsch, denken, dichten und texten aber italienisch. Die iranischen Autoren scheinen noch gar nicht richtig in Deutschland angekommen zu sein. Sie verstehen sich meist als Exilautoren, die in Persisch und zu persischen Themen schreiben. Übersetzungen gibt es von Bozorg Alavi, Mostafa Arki, Cyrus Atabay, Abbas Maroufi und Said. Anders Ali Renani, zu dessen Gedichtband "Ein Ferser im Poetenland" (1995) die Literaturzeitschrift Listen schreibt: " Das Besondere an seinem Umgang mit der deutschen Sprache ist, daß er durch seine Außenperspektive wunderbare Sprachinnovationen und -irritationen schafft, die Muttersprachlern weder auf- noch einfallen würden."


Autor: Ekkehart Schmidt, isoplan

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