Ausländer in Deutschland 3/1999, 15.Jg., 30. September 1999

EUROPA

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


1,8 Millionen neue Wähler

Bei den Kommunalwahlen dürfen EU-Bürger wählen


Was Kirchen und Verbände seit Jahrzehnten fordern, wird jetzt zumindest für Unionsbürger Wirklichkeit.

Mit dem Maastrichter Vertrag wurde 1992 allen Unionsbürgern das Recht zur Teilnahme an kommunalen Wahlen in den Mitgliedsstaaten eingeräumt. Einzelheiten dieses aktiven und passiven EU-Bürger-Wahlrechts finden sich in der Richtlinie 94/80/EG vom Dezember 1994. Darin wurden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis Ende 1995 ihre nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften entsprechend anzupassen. In Deutschland musste dafür das Grundgesetz geändert werden. Für die weitere Umsetzung waren dann die Bundesländer zuständig (vgl. Box unten). Welche Perspektiven bieten sich für die Beteiligung von Unionsbürgern am kommunalen Geschehen?

Der Unterschied in den Partizipationsmöglichkeiten von Deutschen und Nicht-Deutschen liegt hauptsächlich bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, von dem Ausländer ausgeschlossen sind. Das neue Kommunalwahlrecht für EU-Inländer ist deshalb eine entscheidende Veränderung. Das reformierte Wahlrecht stellt Parteien und Kommunen vor die große Herausforderung, die neuen Wähler in das politische System zu integrieren. Damit verbunden ist die Hoffnung, daß das vieldiskutierte "Ausländerthema" von der Politik insgesamt ernster und positiver gesehen wird, allein schon deshalb, weil es jetzt um Wählerstimmen geht. Die Zahlen sprechen für sich: Von den über 7,3 Millionen Ausländern in Deutschland sind 1,8 Millionen - etwas mehr als 25 % - Unionsbürger

Vom Desinteresse ...

Wie sieht es allgemein mit der Beteiligung von Ausländern am politischen Geschehen in Deutschland aus? Sind sie politisch interessiert und organisiert? Partizipieren sie in eigenen oder in deutschen Vereinen? In welchem Gesamtzusammenhang muß das neue Wahlrecht gesehen werden?

Nun, zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß es wenig verlässliche Antworten auf diese Fragen gibt. So ist es fast unmöglich Angaben darüber zu machen, wieviele MigrantInnen in politischen oder religiösen Vereinigungen partizipieren, obwohl gerade in letzter Zeit insbesondere bei den Jugendlichen mit türkischem Hintergrund von einer Abkapselung, sogar von einem starken Gewaltpotential gesprochen wird. Selbst vielzitierte Untersuchungen in diesem Bereich sind mit großen Fragezeichen zu versehen. Richtig ist allerdings, daß die Religion für alle Zuwanderer - unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit - einen höheren Stellenwert als für die Deutschen hat. Wer Ausländer in der Kommune, auch EU-Inländer, erreichen und für das neue kommuanle Wahlrecht motivieren will, dem eröffnen sich offensichtlich über den Bereich "Religion / religiöse Vereinigungen / Kirchen" Möglichkeiten. Informationen können beispielsweise über die religiös-orientierten Organisationen - und natürlich auch über andere landsmannschaftliche Vereinigungen - verteilt oder Veranstaltungen zusammen mit den Vereinen organisiert werden. Auf jeden Fall geht es ganz wesentlich darum, EU-Bürger auch direkt über ihre Organisationen in diese Wahlvorbereitungen einzubeziehen.

Studien aus Großbritannien und Frankreich zeigen, daß sich der Interessenschwerpunkt insgesamt vom Herkunfts- zum Aufnahmeland umorientiert, wenn Mitbestimmungsmöglichkeiten für MigrantInnen erweitert werden. Diese Auswirkung könnte sich auch durch das neue Kommunalwahlrecht in Deutschland mittelfristig einstellen, insbesondere bei den Söhnen und Töchtern der einstigen "Gastarbeiter". Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, daß die neue Partizipationsmöglichkeit drei Viertel der Ausländer ausschließt und so eine Art Zweiklassenrecht schafft. Umso wichtiger ist es gerade in den Kommunen, die anderen Möglichkeiten über Ausländerbeiräte und -auschüsse beizubehalten und eher noch zu verstärken.

...zur Partizipation

Wie ist es nun mit dem Interesse an Politik bei Zuwanderern bestellt? Es ist nach Meinungsumfragen bei der Mehrheit der Ausländer gar nicht vorhanden oder nicht sehr stark ausgeprägt. Weniger als 30 Prozent äußern ein starkes oder sehr starkes politisches Interesse. Der Anteil der MigrantInnen, die überhaupt kein Interesse an Politik haben, ist über alle Nationalitäten hinweg bedeutend größer als bei den Deutschen, bei denen er bei rund 14 Prozent liegt. "Überhaupt kein Interesse an Politik" bekunden etwa 46 Prozent der Türken und sogar rund 49 Prozent der Griechen und Italiener. Dieses geringe Interesse ist sicher auf das fehlende Wahlrecht und die ausländerpolitischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Gerade bei Griechen, Italienern oder Spaniern könnte sich dies durch das neue Kommunalwahlrecht ändern. Auch darin liegt die langfristige Bedeutung der neuen Partizipationsmöglichkeiten.

Alles in allem darf man natürlich nicht erwarten, daß sich Zuwanderer durch neue Mitbestimmungsformen wie ein kommunales Wahlrecht von heute auf morgen umorientieren und damit auch ein stärkeres politisches Interesse in der neuen Heimat entwickeln. So gaben in der amerikanischen Migrationsforschung gerade die deutschen Einwanderer Anfang des Jahrhunderts Anlaß zur Besorgnis, ob hier nicht eine Minderheit heranwächst, die weder in der Lage noch willens ist, sich den amerikanischen Sitten und Gebräuchen anzupassen oder sich am kommunalen Geschehen zu beteiligen (siehe Das "deutsche Problen").

Zunächst einmal ist also mit einer niedrigen Wahlbeteiligung der Migranten zu rechnen. Um aber zumindest das Potential der Interessierten auszuschöpfen und mittelfristig Veränderungen zu erreichen, müssen Werbe- und Informations-kampagnen verstärkt werden. Daß man damit durchaus Erfolg haben kann, zeigen Erfahrungen anderer Länder, worauf wir in AiD 4/99 eingehen werden. Besonders wichtig ist es auch, möglichst viele Unionsbürger auf die Vorschlagslisten der Parteien und Wählervereinigungen zu setzen. Dies wird die Wahlbeteiligung verstärken und hat einen starken Symbolcharakter: Zum ersten Mal finden sich jetzt ausländische Einwohner in der offiziellen Politik auf kommunaler Ebene wieder und fühlen sich dadurch unter Umständen nicht mehr als "Bürger 2. Klasse".


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, Leiter der Ausländerredaktion des SWR

Foto: Paul Glaser

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Europäische Bürger und ihre Kommune

"Perspektiven für die Beteiligung von Unionsbürgern / ausländischen Mitbürgern am kommunalen Geschehen"

Dieses Referat von Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, Ausländerbeauftragter des Südwestrundfunks (SWR), Stuttgart, wurde gehalten beim 7. Europapolitischen Workshop "Europäische Bürger und ihre Kommune" am 30. Juni 1999 in Freiburg, veranstaltet vom  Staatsministerium des Landes Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit den Kommunalen Landesverbänden Baden-Württembergs

 1. Vorbemerkung

Mit dem Maastrichter Vertrag wurde 1992 allen Unionsbürgern das Recht zur Teilnahme an kommunalen Wahlen in den Mitgliedsstaaten eingeräumt. Einzelheiten dieses aktiven und passiven EU-Bürger-Wahlrechts finden sich in der Richtlinie 94/80/EG vom Dezember 1994. Darin wurden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis Ende 1995 ihre nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften entsprechend anzupassen. In Deutschland musste dafür das Grundgesetz geändert werden. Für die weitere Umsetzung waren dann die Bundesländer zuständig.

Die Richtlinie eröffnet die Möglichkeit, ausländische Unionsbürger von leitenden Ämtern wie Bürgermeister oder Stellvertreter auszuschließen. Außer Bayern und Sachsen haben sich die anderen Länder dieser Sichtweise nicht angeschlossen. In Bayern und Sachsen können EU-Bürger ihr Stimmrecht auch nur auf Antrag geltend machen, während die anderen Bundesländer sich dafür entschieden haben, EU-Inländer wie die Deutschen von Amts wegen in die Wählerverzeichnisse einzutragen und zu benachrichtigen. Das Antragsverfahren ist besonders nachteilig für die Unionsbürger, weil es für die nächsten Wahlen immer wiederholt werden muß.

2. Bedeutung des neuen Kommunalwahlrechts für EU-Bürger

Der Unterschied in den Partizipationsmöglichkeiten von Deutschen und Nicht-Deutschen liegt hauptsächlich bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, von dem Ausländer auch nach langjährigem Aufenthalt ausgeschlossen sind. Das neue Kommunalwahlrecht für EU-Inländer ist deshalb eine entscheidende Veränderung. Was Kirchen, Gewerkschaften und Verbände seit Jahrzehnten fordern, wird jetzt zumindest teilweise Wirklichkeit. Das reformierte Wahlrecht stellt Parteien und Kommunen vor die große Herausforderung, die neuen Wähler in das politische System zu integrieren. Damit verbunden ist die Hoffnung, daß das vieldiskutierte "Ausländerthema" von der Politik insgesamt ernster und positiver gesehen wird, allein schon deshalb, weil es jetzt um Wählerstimmen geht, die angesichts knapper Mehrheiten wichtig sind. Die Zahlen sprechen für sich: Von den über 7,3 Millionen Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland sind etwas mehr als 25 Prozent Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten. Mit diesen 1,8 Millionen Unionsbürgern hält sich rund ein Drittel aller Angehörigen von Mitgliedstaaten, die außerhalb ihres Heimatlandes leben, in nur einem der 15 EU-Staaten - nämlich in Deutschland - auf. Was die Zahlen angeht, so steht Baden-Württemberg im Oktober 1999 vor einer besonderen Aufgabe: Über 300.000 Bürgerinnen und Bürger aus Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien, Irland, Schweden, Finnland, Dänemark, Österreich und den Benelux-Staaten können aktiv als Wähler an diesen Wahlen teilnehmen und für die Gemeinderäte, für die Kreistage und für die Ortschaftsräte kandidieren. Von der Größenordnung her gesehen, handelt es sich um eine erste Testwahl für das neue Europäische Wahlrecht in Deutschland.

3. Zur Partizipation von Zuwanderern in der Bundesrepublik Deutschland

Wie sieht es allgemein mit der Beteiligung von Ausländern am politischen Geschehen in Deutschland aus? Sind sie politisch interessiert und organisiert? Partizipieren sie in eigenen oder in deutschen Vereinen? In welchem Gesamtzusammenhang muß das neue Wahlrecht gesehen werden?

Nun, zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß es wenig verlässliche Antworten auf diese Fragen gibt. So ist es fast unmöglich Angaben darüber zu machen, wieviele MigrantInnen in politischen oder religiösen Vereinigungen partizipieren, obwohl gerade in letzter Zeit insbesondere bei den Jugendlichen mit türkischem Hintergrund von einer Abkapselung, sogar von einem starken Gewaltpotential gesprochen wird. Selbst vielzitierte Untersuchungen in diesem Bereich sind mit großen Fragezeichen zu versehen. Richtig ist allerdings, daß der Islam für in Deutschland lebende Türken für die Lebenszufriedenheit eine wesentlich wichtigere Rolle spielt, als christliche Religionen für die einheimische Bevölkerung. So sagen bei Befragungen der überwiegende Anteil der Türken - über 43 Prozent -, daß die Religion für die Lebenszufriedenheit "sehr wichtig" ist, wogegen bei den Deutschen nur 11 Prozent diese Angabe machen. Das ist aber nicht mit einer religiös bedingten Radikalisierung gleichzusetzen, wie dies oft behauptet wird. Auch bei den Griechen, Italienern und Spaniern liegt diese Zahlenangabe - Religion als "sehr wichtig" für die Lebenszufriedenheit - um die 20 Prozent. Für alle Zuwanderer hat die Religion - unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit - also einen höheren Stellenwert als für die Deutschen. Wer Ausländer in der Kommune, auch EU-Inländer, erreichen und für das neue kommuanle Wahlrecht motivieren will, dem eröffnen sich offensichtlich über den Bereich "Religion / religiöse Vereinigungen / Kirchen" Möglichkeiten. Informationen können beispielsweise über die religiös-orientierten Organisationen - und natürlich auch über andere landsmannschaftliche Vereinigungen - verteilt oder Veranstaltungen zusammen mit den Vereinen organisiert werden. Auf jeden Fall geht es ganz wesentlich darum, EU-Bürger auch direkt über ihre Organisationen in diese Wahlvorbereitungen einzubeziehen.

Studien aus Großbritannien und Frankreich zeigen, daß sich der Interessenschwerpunkt insgesamt vom Herkunfts- zum Aufnahmeland umorientiert, wenn Mitbestimmungsmöglichkeiten für MigrantInnen erweitert werden. Diese Auswirkung könnte sich auch durch das neue Kommunalwahlrecht in Deutschland mittelfristig einstellen, insbesondere bei den Söhnen und Töchtern der einstigen "Gastarbeiter". Auf der anderen Seite darf natürlich nicht übersehen werden, daß die neue Partizipationsmöglichkeit drei Viertel der Ausländer ausschließt und so eine Art Zweiklassenrecht schafft. Umso wichtiger ist es gerade in den Kommunen, die anderen Möglichkeiten über Ausländerbeiräte und -auschüsse beizubehalten und eher noch zu verstärken. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war sicher die Gründung der "Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Ausländervertretungen", (LAKA) hier in Baden-Württemberg.

Wie ist es nun mit dem Interesse an Politik bei Zuwanderern bestellt? Das Interesse für Politik ist nach Meinungsumfragen bei der Mehrheit der Ausländer gar nicht vorhanden oder nicht sehr stark ausgeprägt. Weniger als 30 Prozent äußern ein starkes oder sehr starkes politisches Interesse. Der Anteil der MigrantInnen, die überhaupt kein Interesse an Politik haben, ist über alle Nationalitäten hinweg bedeutend größer als bei den Deutschen, bei denen er bei rund 14 Prozent liegt. "Überhaupt kein Interesse an Politik" bekunden etwa 46 Prozent der Türken und sogar rund 49 Prozent der Griechen und Italiener.

Das geringe politische Interesse der Zuwanderer ist sicher auf das fehlende Wahlrecht und die ausländerpolitischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Gerade bei Griechen, Italiener oder Spanier könnte sich dies durch das neue Kommunalwahlrecht jetzt ändern. Auch darin liegt eine Bedeutung der neuen Partizipationsmöglichkeiten, die weit über die Wahlen vom Oktober 1999 hinausgeht. Was das geringe Interesse an Politik angeht, so läßt es sich außerdem mit der Tatsache erklären, daß es auch vom Bildungsniveau abhängt. Da die Mehrzahl der Arbeitsmigranten eine eher niedrige schulische Bildung aufweist, könnte dies unter anderem eine Ursache für das geringe politische Interesse sein.

Alles in allem darf man natürlich nicht erwarten, daß sich Zuwanderer durch neue Mitbestimmungsformen wie ein kommunales Wahlrecht von heute auf morgen umorientieren und damit auch ein stärkeres politisches Interesse in der neuen Heimat entwickeln. So gaben in der amerikanischen Migrationsforschung gerade die deutschen Einwanderer Anfang des Jahrhunderts Anlaß zur Besorgnis, ob hier nicht eine Minderheit heranwächst, die weder in der Lage noch willens ist, sich den amerikanischen Sitten und Gebräuchen anzupassen oder sich am kommunalen Geschehen zu beteiligen. Die Einwanderung von irischen und deutschen Katholiken in das kalvinistisch geprägte Amerika brachte sogar mehr sozialen und politischen Zündstoff mit sich als heutzutage die Einwanderung von Muslimen in die säkularisierten westlichen Gesellschaften.

Als ein Drittel der Bevölkerung Pennsylvaniens aus Deutschen bestand und noch viele Einwanderer unterwegs waren, sprach man Mitte des 18. Jahrhunderts von einem "deutschen Problem" in Amerika. Benjamin Franklin, der 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete, schrieb:

"Warum sollte Pennsylvania, das von Engländern gegründet wurde, eine Kolonie von Fremden werden, die in Kürze so zahlreich sein werden, daß sie uns germanisieren, anstatt daß wir sie anglisieren?"

Ein Freund unterbreitete Franklin damals Vorschläge, um eine Überfremdung der englischen Kolonie zu vermeiden. Franklin erwiderte: "Dein erster Vorschlag, englische Schulen unter den Deutschen zu etablieren, ist ausgezeichnet .... Falls sie die englische Schulbildung umsonst haben können, werden sie nicht für deutsche Schulen bezahlen, so sehr sie ihre eigene Sprache lieben. Den sechsten Vorschlag, Mischehen zwischen den Angloamerikanern und den Deutschen mittels Geldspenden zu fördern, halte ich entweder für zu teuer oder ohne Aussicht auf Erfolg. Die deutschen Frauen sind im allgemeinen so wenig anziehend für einen Engländer, daß es enorme Mitgift erfordern würde, Engländer anzuregen, sie zu heiraten. Der siebte Vorschlag, keine Deutschen mehr nach Pennsylvanien zu schicken, ist ein guter Vorschlag. Diejenigen, die schon hier sind, werden dies unterstützen."

Der lange Weg der Eingliederung der Deutschen in Amerika bestand zunächst in der Integration in das "Kleindeutschland", das heißt in der Nachbarschaft, mit deutschen Freunden, Geschäften, Kirchen, Sitten und Gebräuchen. Auch das können wir aus der deutschen Auswanderungsgeschichte lernen: diese Siedlungsgebiete sollten nicht als "Ghetto" abgetan werden, sie sind vielmehr ein "Sprungbrett" in die Gesellschaft des Aufnahmelandes, in die deutsche und andere Auswanderer meist erst nach einer Generation hineinwachsen.

Als kulinarische und kulturelle Bereicherung werden Einwanderer erst viel später erkannt: die deutschen Metzger, die den sogenannten "Hamburger" vor über 100 Jahren nach Amerika gebracht haben, die Italiener, die ihre Spaghetti zum deutschen Grundnahrungsmittel machten oder die Türken heute mit ihrem "Döner Kebap". Ein Bayer namens Levi Strauss war es, der auf die Idee gekommen war, daß die Goldgräber in Kalifornien strapazierfähige Hosen brauchten. Damit hat Levi die Jeans erfunden, die längst auf der ganzen Welt zu einem Synonym für die USA geworden sind.

Soweit dieser kleine Ausflug in die deutsch-amerikanische Migrationsgeschichte. Zurück zum neuen Kommunalwahlrecht für EU-Inländer und zur Frage nach dem politischen Interesse von Zuwanderern. Italiener, Türken und Ex-Jugoslawen interessieren sich ähnlich wenig für Politik. Zunächst einmal - das gilt sicher auch für die Kommunalwahlen in Baden-Württemberg - ist also mit einer niedrigen Wahlbeteiligung zu rechnen. Um aber zumindest das Potential der Interessierten auszuschöpfen und mittelfristig Veränderungen zu erreichen, müssen natürlich Werbe- und Informationskampagnen, die jetzt schon anlaufen, weiter verstärkt werden. Daß man damit durchaus Erfolg haben kann, zeigen Erfahrungen anderer Länder, worauf wir gleich noch zu sprechen kommen werden. Besonders wichtig ist es natürlich auch, möglichst viele Unionsbürger auf die Vorschlagslisten der Parteien und Wählervereinigungen zu setzen. Dies wird die Wahlbeteiligung verstärken und hat einen starken Symbolcharakter für die ausländische Wohnbevölkerung in der Kommune insgesamt, nicht nur für EU-Bürger. Zum ersten Mal finden sich jetzt ausländische Einwohner in der offiziellen Politik auf kommunaler Ebene wieder und fühlen sich dadurch unter Umständen nicht mehr als "Bürger 2. Klasse".

4. Wahlbeteiligung von EU-Bürgern

Bei der Europawahl am 13. Juni 1999 haben sich in Baden-Württemberg nur 1,5 Prozent der wahlberechtigten Unionsbürger beteiligt. Bei der letzten Europawahl im Jahr 1994 waren es immerhin 4,4 Prozent, die sich in Deutschland in ein Wählerverzeichnis eintragen ließen und ihre Stimmen abgaben. Zu den bundesweiten Zahlen: insgesamt waren rund 1,6 Millionen in Deutschland lebende Unionsbürger wahlberechtigt. Nur etwa 2 Prozent ließen sich in ein Wählerverzeichnis in Deutschland eintragen. 1994 waren es noch 6,6 Prozent. Wieviele EU-Bürger von ihrem Wahlrecht im Herkunftsland Gebrauch machten, ist nicht bekannt. Insgesamt dürfte die Wahlbeteiligung jedoch nicht sehr hoch gewesen sein.

Auch die bisherigen Erfahrungen sind ernüchternd: so machten nur 17 Prozent der EU-Bürger bei der Wahl zur Staatsbürgerschaft in Bremen im Juni 1999 von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Allererste Erfahrungen mit dem Kommunalwahlrecht für EU-Bürger wurden bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin bereits im Oktober 1995 gewonnen. Damals beteiligten sich 23,5 Prozent der Unionsbürger an den Wahlen. Diese Berliner Wahl machte auch deutlich, womit vermutlich auch in Baden-Württemberg zu rechnen ist: die Meldestatistik führt zu überhöhten Ausländerzahlen. So kamen in Berlin 13 Prozent der Benachrichtigungskarten als unzustellbar zurück, weil sich viele Ausländer beim Wegzug eben nicht abmelden. Dadurch musste die Wahlbeteiligung deutlich nach oben auf 27 Prozent korrigiert werden. In Berlin wurde übrigens kein nicht-deutscher Unionsbürger gewählt, weil die Kandidaten entweder auf ungünstigen Listenplätzen waren oder auf Listen kandidierten, die nicht zum Zuge kamen. Von der Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz am 13. Juni 1999 liegen bislang keine Angaben über die Wahlbeteiligung vor. Nach noch unvollständigen Auswertungen wurden drei Italiener und ein Grieche über die CDU, zwei Spanier über die SPD und eine Niederländerin über Bündnis 90/Die Grünen gewählt.

Es wäre gerade für Baden-Württemberg mit der ersten "großen neuen Kommunalwahl" sehr interessant, eine Untersuchung über das Wahlverhalten und andere Aspekte in Auftrag zu geben. Dies könnte zu europaweit interessanten Ergebnissen führen und mittelfristige Handlungsperspektiven entwickeln helfen. Stuttgart hat bei der OB-Wahl 1995 eine Kurzanalyse vorgenommen, die bereits interessante Ergebnisse lieferte. So beteiligten sich sowohl bei der deutschen wie auch der nicht-deutschen Wahlbevölkerung mehr Frauen an diesen Wahlen - ein von allen Wahlen bisher fast unbekanntes Phänomen. Der Ansatzpunkt der Stadt Stuttgart, mit einer Veranstaltungsreihe gezielt Migrantinnen für die Beteiligung am kommunalpolitischen Geschehen zu interessieren, ist also genau richtig und sicher ein nachahmenswertes Beispiel für andere Kommunen. Auch die Stuttgarter Untersuchung ergab im übrigen, daß im Melderegister zu hohe Ausländerzahlen gemeldet worden waren.

Insgesamt ist die "Ausländerstatistik" in Europa unzuverlässig. So liegt in Deutschland zwischen der Zahl nach der letzten Volkszählung und dem Ausländerzentralregister ein Minus von etwa 600.000 Ausländern. Alles in allem dürfte deshalb die Zahl der sich wirklich legal im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer wesentlich niedriger sein als sie im Ausländerzentralregister ausgewiesen wird.

Ein Wort noch zur Wahlbeteiligung von Deutschen im Ausland. An den Kommunalwahlen in Spanien am 13. Juni 1999 beteiligten sich auch nur ein Viertel der Bürger an anderen EU-Staaten. In Spanien leben 40.000 Deutsche. Alles in allem konnten 240.000 EU-Inländer bei den Wahlen in Spanien ihre Stimme abgeben. Auch diese Zahl macht die Bedeutung der Kommunalwahl in Baden-Württemberg deutlich, wo es um 300.000 Stimmberechtigte - also um mehr als in ganz Spanien - geht.

5. Präferenzen für deutsche Parteien

Welche Parteien bevorzugen nun Zuwanderer aus EU- und Nicht-EU-Ländern? Zunächst muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß nur gut ein Fünftel der Ausländer überhaupt Parteipräferenzen hat, während dies 71 Prozent verneinen. Umfragen unter Ausländern, die vor Wahlen veröffentlicht werden, sind also problematisch. Von den Personen mit mehrheitlich nur mäßig ausgeprägter Parteipräferenz tendieren die meisten zur SPD mit geringfügigen Differenzen zwischen Unionsbürgern und Nicht-EU-Angehörigen. Alles in allem scheint das Interesse an der deutschen Parteienlandschaft bei den Zuwanderern aber relativ gering zu sein. Nur 19 Prozent der Griechen und 30 Prozent der Spanier bekunden beispielsweise eine Präferenz für eine der deutschen Parteien. Für die Parteien in den Kommunen eröffnet sich somit bei den Kommunalwahlen - was die Zahlen angeht - ein nicht uninteressantes, noch nicht festgelegtes Wählerpotential. Die geringe Parteienpräferenz erklärt übrigens auch die rasche Angleichung des Wahlverhaltens der Ausländer an das Wahlverhalten der einheimischen Bevölkerung in den Ländern, in denen das Kommunalwahlrecht bereits eingeführt wurde.

6. Erfahrungen anderer Länder

Nachbarländer haben bereits langjährige Erfahrungen mit einem Kommunalwahlrecht für Ausländer gesammelt. So dürfen in den Schweizer Kantonen Jura und Neuchâtel Ausländer schon längst an den kantonalen Wahlen teilnehmen.

Schweden führte bereits 1975 ein Kommunalwahlrecht für Einwanderer ein. Schweden bildet auch eine Ausnahme, was die wenigen Wahldaten auf EU-Ebene angeht. Anläßlich der Kommunalwahlen wurde 1994 eine Studie zur Wahlbeteiligung von Ausländern in Auftrag gegeben, die auch einen Überblick über die Wahlbeteiligungen seit der Einführung des Wahlrechts ermöglichte. Ergebnis war, daß sich die Wahlbeteiligung nach den mit viel Publizität begleiteten ersten Wahlen ständig um rund ein Drittel verringert hat. Und zwar von 60 Prozent im Jahr 1976 auf 40 Prozent im Jahre 1994. Die Studie ergab übrigens auch, daß sich Frauen stärker als Männer an den Wahlen beteiligt haben. In Dänemark wird das Kommunalwahlrecht bereits seit 1974 für Staatsangehörige aus den nordischen Ländern praktiziert. Seit 1981 haben alle Ausländer, die seit mehr als drei Jahren in Dänemark wohnen sowohl das aktive, als auch das passive Wahlrecht zu Wahlen, zur Gemeindevertretung und zu Kreistagen.

Langjährige Erfahrungen mit dem Kommunalwahlrecht haben auch die Niederlande. Eine Verfassungsänderung eröffnete schon 1983 allen Nicht-Niederländern die Wahrnehmung des aktiven und passiven kommunalen Wahlrechts. Um die Ausländer über ihr Wahlrecht zu informieren, startete die Regierung 1985/86 eine großangelegte Informationskampagne unter dem Motto "Zusammen Leben, Zusammen Wählen". Die Kampagne, die etwa drei Millionen Mark gekostet hat, sollte die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden und der Organisationen der Minderheiten unterstützen und ergänzen. Material stand in 13 Sprachen zur Verfügung, Fernseh- und Radioprogramme wurden produziert, Plakate gedruckt, Anzeigen veröffentlicht und Broschüren herausgegeben. Bei den Wahlen im November 1985 wurden noch keine Ausländer gewählt. Im März 1986 dagegen veränderte sich das Bild. Rund 46 Prozent der Ausländer beteiligten sich an diesen Wahlen. Das Ergebnis war jedoch ernüchternd: nur 36 von insgesamt rund 11.000 Mandaten gingen an ausländische BürgerInnen in den Niederlanden. Seit der Einführung des kommunalen Wahlrechts haben die Zuwanderer ihre anfängliche sehr starke Präferenz für die Sozialdemokratische Partei der Arbeit (P.v.d.A.) im Laufe weniger Jahre dem Wahlverhalten der niederländischen Bevölkerung angeglichen.

Übrigens ist das Ausländerwahlrecht bei den Gemeinderatswahlen in den Niederlanden nicht neu. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts durften Ausländer, die mehrere Jahre in einer Gemeinde wohnten, dort auch wählen. Angehörige von ethnischen Minderheiten versuchten in Holland wiederholt über eigene Listen in Gemeinderäte zu kommen. Keine dieser Listen errang auch nur einen einzigen Sitz. Die Angst vor dem "türkischen Bürgermeister" ist also nicht nur in den Niederlanden unbegründet. Auch die Kommunalwahlen, die schon in Deutschland nach dem neuen Recht stattgefunden haben, widerlegen diese Befürchtungen. Interessant ist auch eine Meinungsumfrage, die zeigte, daß die Mehrzahl der Niederländer vor der Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer gegen diese Mitbestimmungsmöglichkeit war, nach der ersten Wahl hatten sich die Gemüter beruhigt und die Mehrzahl der Einheimischen befürwortete sogar das neue Kommunalwahrecht.

In den Niederlanden hatten Ausländer, die seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen in dem Lande wohnten, das aktive und passive Wahlrecht, wenn sie beim aktiven Wahlrecht am Stichtag für die Nominierung der Kandidaten und beim passiven Wahlrecht am Tag der Zulassung zum Gemeinderat und für dessen gesamten Amtsdauer im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis waren. Nach der neuen gesetzlichen Regelung, die Ende 1997 gemäß der EG-Richtlinien in Kraft trat, sind Ausländer, sofern sie keine Unionsbürger sind, nur dann aktiv und passiv wahlberechtigt, wenn sie an dem Tag vor dem Stichtag für die Nominierung der Kandidaten seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen in den Niederlanden wohnen und wenn sie außerdem die gesamten fünf Jahre im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis waren. Die neuen Bestimmungen schränkten damit das Wahlrecht stärker ein als die frühere Regelung, in der keine Bedingungen bei der Dauer des Aufenthalts verbunden waren. Die Umsetzung der EG-Richtlinie hat also streng genommen paradoxerweise in der Niederlanden zu zwei Kategorien von ausländischen Wählern geführt, für die unterschiedliche Maßstäbe gelten.

Bei den Kommunalwahlen vom März 1998 wurden die ausländischen Wähler von den verschiedenen Parteien besonders umworben und viele Angehörige ethnischer Minderheiten als Kandidaten aufgestellt. Dies führte dazu, daß die Zahl der gewählten Türken und Marrokaner auf 74, beziehungsweise 21 anstieg. Die Gesamtzahl der Gemeinderatsmitglieder aus ethnischen Minderheiten hat sich mehr als verdoppelt. In 75 Gemeindräten sind heute 152 Angehörige ethnischer Minderheiten vertreten. Auch bei den gewählten Frauen war eine Steigerung auf mehr als das Doppelte zu verzeichnen. Wiederum konnte keine ethnische oder islamische Partei einen Sitz erringen. Die relativ hohe Wahlbeteiligung innerhalb der türkischen Gemeinschaft wird auch auf die beträchtliche Zahl der Kandidaten türkischer Herkunft zurückgeführt. In den Niederlanden hat jeder Wähler nur eine Stimme, die sowohl dem Kandidaten, als auch dessen Partei oder Liste angerechnet wird. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Regierung in den Niederlanden Anfang der 90er Jahre ihren Widerstand gegen eine doppelte Staatsangehörigkeit aufgegeben hat. Dadurch haben viele Angehörige ethnischer Minderheiten die niederländische Staatsangehörigkeit angenommen. So sind rund ein Drittel der Marrokkaner, 40 Prozent der Türken und mehr als die Hälfte von Angehörigen anderer Einwanderergruppen aus dem Mittelmeerraum im Besitz des vollen Wahlrechts. Von den 150 Abgeordneten im niederländischen Parlament stammen sieben Frauen und vier Männer aus ethnischen Minderheiten.

In der Tat kann man natürlich auch in erleichterten Einbürgerungen eine Lösung des Mitbestimmungsproblems für ausländische Minderheiten sehen. In diesem Bereich hat Deutschland auf jeden Fall einen Nachholbedarf. So haben zwischen 1985 und 1995 Schweden und die Niederlande die meisten Ausländer in Europa eingebürgert. Von 1000 Ausländern, die sich 1985 in Schweden aufhielten, sind in diesen Jahren fast 600 eingebürgert worden. Hingegen wurden von 1000 Ausländern im gleichen Zeitraum in Deutschland nur 50 eingebürgert.

Das Ausländerwahlrecht in den Niederlanden wurde in den 70er Jahren im Zusammenhang mit der Diskussion um ein Wahlrecht für Niederländer im Ausland eingeführt. Das aktive und passive Wahlrecht für Niederländer mit Wohnsitz im Ausland zeigte jedoch nicht die gewünschte Wirkung. So blieb die Wahlbeteiligung weit unter fünf Prozent. Im Vergleich dazu entwickelte sich die Wahlbeteiligung bei den Ausländern bei den Kommunalwahlen positiv, auch wenn sie unter dem landesweiten Durchschnitt blieb.

7. Zusammenfassung und Ausblick

Das EU-Ausländer-Kommunalwahlrecht ist nicht durch eine breite gesellschaftliche Diskussion in Deutschland zustande gekommen, sondern quasi aus Brüssel "angeordnet" worden. Es fehlen deshalb noch grundlegende Informationen in der Bevölkerung über diese neue Mitbestimmungsmöglichkeit. Die Bedeutung dieses neuen Wahlrechts wird in der einheimischen wie in der ausländischen Bevölkerung unterschätzt.

Allgemein ist das politische Interesse bei Zuwanderern gering. Vor diesem Hintergrund sind auch keine allzu großen Erwartungen auf eine hohe Wahlbeteiligung zu setzen. Gerade deshalb müssen die Kommunen und politischen Parteien ihre Anstrengungen verstärken, um diese neue politische Wahlmöglichkeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen und diese neuen Wählergruppen in das politische System einzubeziehen. Eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Informationskampagnen auch über die Medien sind wünschenswert.

Andere Länder haben durchaus positive Erfahrungen mit einem Kommunalwahlrecht für Ausländer gemacht. Von diesen Erfahrungen ließe sich in Europa lernen. Allgemein ist die Datenlage in diesem Bereich unbefriedigend. In Baden-Württemberg besteht die Chance, durch eine eigene Untersuchung Abhilfe zu schaffen. Damit könnte auch die Diskussion um ein Ausländerwahlrecht in Europa bereichert werden.
Die Überlegungen, das Kommunalwahlrecht auf andere Gruppen auszuweiten, gehen auf jeden Fall weiter. So hat Belgien Ende vergangenen Jahres entschieden, ab dem Jahre 2006 das Wahlrecht auch für Nicht-EU-Bürger einzuführen. Auch die neue Bundesregierung schreibt in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998: "Zur Förderung der Integration sollen auch die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union besitzen, das Wahlrecht in Kreisen und Gemeinden erhalten." Die Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz brachten im Januar 1999 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat ein, der sich für ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer mit dauerhaftem Bleiberecht einsetzt. Der Gesetzentwurf wurde jedoch zwischenzeitlich auf Eis gelegt. Auch die Bundesregierung denkt - so die Auskunft des Bundespresseamtes - zur Zeit nicht an eine neue Initiative. Für die Einführung eines allgemeinen kommunalen Ausländerwahlrechts wäre eine Grundgesetzänderung mit einer Zweidrittelmehrheit notwendig, die ohnehin nicht in Sicht ist.

Auf die Dauer ist es für die Bundesrepublik Deutschland auf jeden Fall geradezu kontraproduktiv, eine Minderheit von mehreren Millionen von jeglicher politischen Partizipation auszuschließen und sich damit Konfliktstoff zu schaffen. Auch der Ausländerbeauftragte der Landesregierung und Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll hat sich wiederholt für ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer eingesetzt. Es kann dem Ausländerbeauftragten des Landes nur zugestimmt werden, wenn er sagt: "Es wäre schön, wenn sich die kulturelle Vielfalt, die unsere Gesellschaft durch das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft gewonnen hat, nach den Kommunalwahlen auch in den Kommunalparlamenten widerspiegeln würde."

Sicher ist auf jeden Fall, daß bei den neuen Wählern wie auch bei den politischen Akteuren ein großes Kommunikations- und Informationsdefizit besteht. Es sollte deshalb über den Wahltermin hinaus eine längerfristig angelegte Öffentlichkeitsarbeit in Angriff genommen werden, um die EU-Bürger zu mobilisieren und auch die einheimische Bevölkerung entsprechend aufzuklären. Vor allem bei den Jugendlichen ausländischer Herkunft besteht eine nicht zu unterschätzende Bereitschaft, sich politisch zu engagieren. Gerade sie könnten über ein Kommunalwahlrecht aus der teilweise vorhandenen Abkapselung herausgeholt und in das politische System integriert werden.

Alles in allem bleibt abzuwarten, ob die Wahl in diesem Sinne ein Erfolg wird und ob sich die politischen Parteien, Kommunen, Institutionen und Verbände der neuen Wahlmöglichkeit annehmen. Die kommunale Ausländerpolitik - das Thema Migration ingesamt - könnte jetzt auf jeden Fall einen höheren Stellenwert erhalten, eben auch schon deshalb, weil die Ausländer nun auch als Wähler interessant werden.


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, Leiter der Ausländerredaktion des SWR

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Das "deutsche Problem"

Levi und der Döner

Die Einwanderung von irischen und deutschen Katholiken in das kalvinistisch geprägte Amerika brachte mehr sozialen und politischen Zündstoff mit sich als heutzutage die Einwanderung von Muslimen in die säkularisierten westlichen Gesellschaften. Als ein Drittel der Bevölkerung Pennsylvaniens aus Deutschen bestand und noch viele Einwanderer unterwegs waren, sprach man Mitte des 18. Jahrhunderts von einem "deutschen Problem" in Amerika. Benjamin Franklin, der 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete, schrieb:

"Warum sollte Pennsylvania, das von Engländern gegründet wurde, eine Kolonie von Fremden werden, die in Kürze so zahlreich sein werden, daß sie uns germanisieren, anstatt daß wir sie anglisieren?"

Ein Freund unterbreitete Franklin damals Vorschläge, um eine Überfremdung der englischen Kolonie zu vermeiden. Franklin erwiderte:

"Dein erster Vorschlag, englische Schulen unter den Deutschen zu etablieren, ist ausgezeichnet .... Falls sie die englische Schulbildung umsonst haben können, werden sie nicht für deutsche Schulen bezahlen, so sehr sie ihre eigene Sprache lieben. Den sechsten Vorschlag, Mischehen zwischen den Angloamerikanern und den Deutschen mittels Geldspenden zu fördern, halte ich entweder für zu teuer oder ohne Aussicht auf Erfolg. Die deutschen Frauen sind im allgemeinen so wenig anziehend für einen Engländer, daß es enorme Mitgift erfordern würde, Engländer anzuregen, sie zu heiraten. Der siebte Vorschlag, keine Deutschen mehr nach Pennsylvanien zu schicken, ist ein guter Vorschlag. "

Der lange Weg der Eingliederung der Deutschen in Amerika bestand zunächst in der Integration in das "Kleindeutschland", das heißt in der Nachbarschaft, mit deutschen Freunden, Geschäften, Kirchen, Sitten und Gebräuchen. Auch das können wir aus der deutschen Auswanderungsgeschichte lernen: diese Siedlungsgebiete sollten nicht als "Ghetto" abgetan werden, sie sind vielmehr ein "Sprungbrett" in die Gesellschaft des Aufnahmelandes, in die deutsche und andere Auswanderer meist erst nach einer Generation hineinwachsen. Als kulinarische und kulturelle Bereicherung werden Einwanderer erst viel später erkannt: die deutschen Metzger, die den sogenannten "Hamburger" vor über 100 Jahren nach Amerika gebracht haben, die Italiener, die ihre Spaghetti zum deutschen Grundnahrungsmittel machten oder die Türken heute mit ihrem "Döner Kebap". Und ein Bayer namens Levi Strauss war es, der auf die Idee kam, daß die Goldgräber in Kalifornien strapazierfähige Hosen brauchten. So wurde die Jeans erfunden - weltweit heute ein Synonym für die USA.


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, Leiter der Ausländerredaktion des SWR

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Antragspflicht und -option

 

In der Umsetzung der Richtlinie 94/80/EG vom Dezember 1994 ist im Gemeinschaftsrecht ein Antragsprinzip bei der Eintragung von Nicht-Staatsangehörigen in Wählerverzeichisse eingeführt worden. Die Europäische Kommission hat nun unter anderem gegen Deutschland zu zwei Fällen Stellungnahmen versandt: Die eine betrifft die Europawahlen, die andere die Kommunalwahlen in Bayern und Sachsen.

Bei Europawahlen schreibt die Richtlinie zwingend vor, daß Unionsbürger einen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis stellen müssen. Damit soll eine doppelte Stimmabgabe im Herkunfts- und Wohnsitzmitgliedstaat verhindert werden. Bei Kommunalwahlen sind die Mitgliedsstaaten dagegen nicht zu einer solchen Handhabung verpflichtet. Es besteht jedoch die Option, eine solche Antragspflicht einzuführen.

Eine solche Antragspflicht bei Kommunalwahlen haben in Deutschland nur Bayern und Sachsen eingeführt. Die anderen Bundesländer haben sich dafür entschieden, EU-Inländer wie die Deutschen von Amts wegen in die Wählerverzeichnisse einzutragen und zu benachrichtigen. Das Antragsverfahren wäre besonders nachteilig für Unionsbürger, wenn es für jede Wahl wiederholt werden müßte. Die Europäische Kommission plädiert für eine einmalige Antragspflicht. Der Bundesminister des Inneren hat nun angekündigt, gemeinsam mit Bayern und Sachsen eine Position der Bundesrepublik zu formulieren. Bayern hat bereits die Absicht erklärt, künftig auf das Antragserfordernis zu verzichten.

Zur Europawahl 2004 beabsichtigt die Bundesregierung, durch eine entsprechende Regelung des Melderechts sicherzustellen, daß Unionsbürger sich nicht zu jeder Wahl neu in das Wählerverzeichnis eintragen lassen müssen. Wer bereits eingetragen ist würde eine weiter bestehende Antragspflicht als Benachteiligung empfinden, wenn gleichzeitig die Deutschen von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen werden.


Autor: Ekkehart Schmidt, isoplan

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Chancen nutzen

 

Bonn. Die häufige Wahlenthaltung von MigrantInnen sollte nach Auffassung des Polititologen Stamatis Assimenios von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (BAGIV) "nicht als Indikator für Politikverdrossenheit oder Ablehnung der Grundprinzipien des politischen Systems" interpretiert werden. "Diese politisch 'passive Haltung' hängt eher mit der mangelnden Parteiidentifikation zusammen, die aufgrund der Nicht-Zugehörigkeit der MigrantInnen zu den traditionellen deutschen politischen Milieus erfolgt". Folgerichtig hat die BAGIV eine neue Videoproduktion betitelt mit der Aufforderung: "Politische Rechte erweitern - Partizipationschancen nutzen!". Ferner hat die BAGIV unter dem Titel "Aspekte politischer Partizipation von MigrantInnen in Deutschland" einen Sammelband mit Tagungsbeiträgen und Aufsätzen zum Thema herausgegeben. Video und Buch sind gedacht "als Beitrag zur aktuellen Diskussion und Anstoß zum Nachdenken über die Rolle, die MigrantInnen und ihre Selbstorganisationen in dieser Gesellschaft einnehmen sollen", erläutert Assimenios, der die von der Europäischen Kommission geförderten Produktionen wissenschaftlich begleitet hat.

Bezug:
BAGIV e.V.
Bundesgeschäftsstelle

Baumschulallee 2a
53115 Bonn
Tel.: 0228-224610
Fax: 0228-265255


Autor: Ekkehart Schmidt, isoplan

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