Ausländer in Deutschland 3/1999, 15.Jg., 30. September 1999

PORTRAIT


"Nun fahr, Ibrahim!"

Suzan Gülfirat und die "Zweitsprache Deutsch"


Suzan Gülfirat

Es macht Spaß, ihre Texte zu lesen: zwischen den Zeilen immer wieder ein kleines Augenzwinkern. Und da ihre Scherze nie verletzend sind, schaffen sie, was kein erhobener Zeigefinger fertigbringt - sie regen zum Nachdenken an. Eine ihrer Ideen (und deren Umsetzung) hat sie berühmt gemacht. Suzan Gülfirat ist die Autorin des 21-teiligen "Kleinen Türkischkurses", der von Juli bis August 1998 im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht wurde.

"Vor den Wahlen wird in Berlin immer das Thema 'Türken sprechen so schlecht Deutsch' krass aufgebläht. "Es ärgert sie, wenn "die eigentlichen Probleme Berlins: Armut und Kriminalität" dann zurücktreten zwischen populistischer Türkenschelte, wenn "eine Volksgruppe dazu benutzt wird, Wählerstimmen zu fangen." Sie wollte dagegen halten, "den Leuten einen Spiegel vorhalten" - und sie zum Schmunzeln bringen. Doch nicht alle verstanden Spaß; zunächst hagelte es Proteste von einer aufgebrachten Leserschaft: "paßt zur übertriebenen Anbiederung an alles Ausländische", "unwichtig", "zuerst die deutsche Sprache lernen" - das übliche aus bestimmter Richtung. "Ich kam mir vor wie meine neunjährige Nichte. Sie hat streitenden Kindern einen Pflasterstein weggenommen und ihn dann aus Versehen in eine Schaufensterscheibe geworfen. Dabei wollte sie doch nur was Gutes tun: Eskalation verhindern."

Dann kamen die begeisterten Zuschriften: "Ich habe heute morgen meine Putzfrau auf Türkisch begrüßt" oder "poetischer Schritt aus der Provinzecke", und schließlich andere Tageszeitungen, Presseagenturen, Fernseh- und Radiosender im In- und Ausland. "Damit habe ich gar nicht gerechnet. Aber es ist schön," sagt sie, und dann hört man das Augenzwinkern sogar in der Stimme: "Klar, berühmt sein ist schön." Ernst fügt sie hinzu, daß das zum Beispiel ihre Position beim Tagesspiegel gefestigt; heute ist sie dort Pauschalistin und schreibt unter anderem eine Kolumne über türkische Medien. Sie mag es auch, für Hörfunk und Fernsehen zu arbeiten, alles was mit Sprache zu tun hat. Gelernt hat sie das audiovisuelle Handwerk als Volontärin des Adolf Grimme-Instituts im Projekt "Mehr Farbe in die Medien" (vgl. AiD 3/98). Was sich Suzan Gülfirat für die Zukunft wünscht? "Von beiden Volksgruppen etwas mehr Laisser-Faire im Umgang. Auch von den Türken: mehr Aufgeschlossenheit gegenüber der deutschen Kultur. Das ist doch spannend! Und schön ist es auch."

Dazu paßt, daß Gülfirat auch ihren Landsleuten in Berlin und deren "Deutsch-Türkisch" einmal ihr Augenzwinkern gewidmet hat - noch vor dem Türkischkurs für Berliner. "Kesik burun: Warum der Gesundbrunnen auf türkisch "gebrochene Nase" heißt." Nämlich, zitiert sie die Türkologin Heidi Wedel: "Für manche Türken ist es schwierig, zwei Konsonanten hintereinander zu sprechen. Wie bei Brunnen. Daraus machen sie burun, also Nase. Und wahrscheinlich haben sie dazu ein passendes Adjektiv gesucht, was Sinn macht. Nämlich kesik - gebrochen, also kesik burun: gebrochene Nase." Und der Ruf der Berliner U-Bahnschaffner "Zuuu-rückblei'm" wird zu Sür Ibrahim - "Nun fahr, Ibrahim!" Echte Kommunikationsprobleme aber gibt es dann, wenn im Alltag Deutsch-Türkisch der folgenden Art gesprochen wird: "Arbeitsamta gittim" (ich bin zum Arbeitsamt gegangen) oder "krank yazildim" (ich habe mich krank schreiben lassen). Gülfirat: "Auch in der Türkei oder gegenüber Türken, die neu aus der Türkei gekommen sind, sprechen sie in ihrer alten Gewohnheit diese Mischsprache." Natürlich folgt ein typisch Gülfirat'scher Nachsatz: "Aber wer die Wahl hat zwischen dem Wort Arbeitsamt und "Isscibulmakurumu", dem fällt es nicht schwer, sich zu entscheiden."

Im Gespräch aber bleibt Suzan Gülfirat meistens ernst, nachdenklich. "Ich verstehe nicht, wie Migranten nach 20, 30 Jahren in Deutschland noch immer nicht Deutsch gelernt haben können. Es ist doch beschämend, wenn sie für das einfachste Formular ihre Kinder zu Hilfe rufen müssen", sagt sie. "Die Kinder aus solchen Familien müssen schon überdurchschnittlich begabt und interessiert sein, um richtig gutes Deutsch zu lernen." Daß eine kämpferische Natur dazugehört, zeigt ihre eigene Motivationsgeschichte. Mit sieben ohne Sprachkenntnisse eingereist, begriff sie schnell auch nonverbal: Was die anderen Kinder ihr da hinterherriefen, das waren Beleidigungen und Hänseleien. Um treffend kontern zu können, so ihre Schlußfolgerung, mußte sie einfach gut Deutsch lernen. Das war der Einstieg - und Suzan Gülfirat hat Erfolg daraus gemacht. Mit überdurchschnittlicher Sprachbeherrschung, eine brillante Autorin in der "Zweitsprache Deutsch".


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

Foto: Doris Klaas

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Annes Igel

 

"'Anne! Anne!' hallt es über den Innenhof. Aus vollem Halse ruft die kleine Tocher der Nachbarin nach Anna. Auch an anderen Orten ist es zu hören: Viele Kinder rufen nach Anne. Merkwürdig, denken Sie. Wer ist bloß Anne? Heißt denn jede zweite Türkin Anne? ... Anne (gesprochen: Annee) heißt auf Türkisch "Mama", und von denen gibt es eben einige. ... Es kann also ganz praktisch sein, ein paar Wörter Türkisch zu verstehen. Immerhin ist dies die Muttersprache von 160.000 Ihrer Nachbarn. Vielleicht haben Sie ja Lust, sich einen Minimalwortschatz Alltags-Türkisch zuzulegen? Und nebenbei noch ein wenig zu erfahren über Gebräuche und Sitten? Dann sind Sie hier richtig."

So begann die 21teilige Serie "Türkisch mit dem Tagesspiegel", erschienen im Sommer 1998 in Berlin. Und den Hinweis, daß man etwas Freundlicheres zur Nachbarin zu sagen habe als möglicherweise "Frau Anne", folgten freundliche Begrüßungsformeln. Dazu erzählte die Autorin auch, nach welchen Regeln Begrüßungsrituale in der Türkei ablaufen - "in der Regel dürfen Männer nur Männer und Frauen nur Frauen küssen. Aber in progressiven Kreisen ist es inzwischen chic, sich durcheinander zu küssen" - und was das viele Küssen für "deutsch- assimilierte Türken" aus Deutschland bedeutet, wenn sie die Verwandtschaft in der Türkei besuchen: "oft eine lästige Prozedur. Alle Leute küssen. Jeden Tag. Das kann ganz schön nerven." Nerven und mehr kann auch Unkenntnis über das Flirten und dessen regionale Folgen. Türkischkurs Teil 5: "Und dann gibt es Gegenden, da sind die Mädchen so frech, daß sie kein Mann aus einer anderen Gegend heiraten würde. ... In Berlin gar flirten die Mädchen ohne zu wissen, ob sie ihr Gegenüber überhaupt heiraten werden. Ja, und dann gibt es Männer, die ziehen von der einen Gegend in die andere und verstehen die Damen gar nicht mehr beziehungsweise interpretieren sie völlig falsch. Deshalb sollte ein Mann immer wissen, wo und mit wem er flirtet, und eine Dame, wo, wie und in welche Augen sie schaut." Es folgt ein geeigneter Basiswortschatz inclusive Ja/Nein = Evet/Hayir.

Sympathisch auch die kulturübergreifenden Ähnlichkeiten: "Ein türkisches Sprichwort sagt: Sogar der Igel liebkost seine Jungen mit den Worten "Mein Wattebäuschchen". Soll heißen: Jede Mutter hält ihr Kind für das schönste und klügste." (Folge 7). Schließlich wurden auch islamische Beerdigungsregeln erklärt, nebst Begriffen von "Paradies = Cennet (Djännät)" bis "Teufel = Seytan (Schäjtan)". Natürlich mit einem für Suzan Gülfirat charakteristischen Schluß: "Damit Soap Operas ein Ende finden, läßt man die Filmpersonen zum Schluß sterben. Das heutige Thema soll das Ende, son (ßon), dieser Serie symbolisieren."


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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