Ausländer in Deutschland 4/1999, 15.Jg., 20. Dezember 1999

ÄLTERE AUSLÄNDER


Rathausfeiern oder mehr?

Interkulturelle Seniorenarbeit braucht Kontinuität


Albaner auf einem DGB-Fest in Düsseldorf

Folklore und multikulturelles Essen, das allein bringt uns doch nicht weiter, sagt Claudia Hoffmann von der Betreuungsstelle für ausländische Frauen und Mädchen der Stadt Troisdorf. Damit bringt sie auf den Punkt, was sich Außenstehende unter interkultureller Altenarbeit vorstellen: erst mal ganz vorsichtig Kontakt aufnehmen, vielleicht mit ein etwas Angst gepaart, sich näher darauf einzulassen. Was hat das Internationale Jahr der Senioren 1999 daran geändert?

Interkulturelle Aktivitäten in Deutschland waren eher ein Randthema im Internationalen Jahr der Senioren 1999; der Schwerpunkt der von offizieller Seite gesetzten Impulse richtete sich auf länderübergreifende Aktivitäten. Gerade das allerdings hat Expertinnen und Experten der interkulturellen Arbeit, Politik und Wissenschaft vielleicht besonders beflügelt. Diejenigen, die umsetzbare, aber noch zu wenig beachtete Forschungsergebnisse erarbeitet haben. Diejenigen, die in ihrer täglichen Praxis Wissen, Erfahrung und persönliche Bereicherung gewonnen haben - und dies weiterhin tun wollen. Und diejenigen, die politische Partizipation ernstnehmen und sich nach wie vor der entsprechenden Sysiphusarbeit stellen. Und so hat zumindest mit Hilfe der bereits Aktiven hat das Etikett Seniorenjahr neue, wenn nicht gar erste Impulse in so mancher Begegnungsstätte, wohl auch in so mancher Kommune, gegeben, nicht nur nach einheimischen Senioren, sondern auch nach älteren Migranten zu fragen. Notwendig bleibt dies nach dem Internationalen Jahr der Senioren nur umso mehr.


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

Foto: Manfred Vollmer

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Steter Tropfen... Seniorenbeirat Köln

 

Als erste Kommune bundesweit hat Köln 1991 ausländischen Senioren das passive und aktive Wahlrecht für den Seniorenbeirat eingeräumt wie für Einheimische. 1996 wurden zum ersten Mal drei Türken und eine Griechin in vier der neun Bezirken gewählt. Sie gehören dem Türkischen Altenclub bzw. dem griechischen Senioren- und Rentnerverein an. Das Gremium hat nur beratende Funktion. Aber es ist immerhin eine Möglichkeit für politische Partizipation.

Davut Kiliç hat seit 1996 oft versucht, die spezifischen Probleme der ausländischen Senioren auf die Tagesordnung zu setzen. Davon, dass die Altersheime auf die Aufnahme älterer Migranten noch nicht vorbereitet sind und dass sich die ehemaligen Gastarbeiter mit ihrem 1000,- DM Durchschnittsrente keine Heimatunterbringung und Ambulanzpflege leisten können, habe er gesprochen. Gleiche Rechte für "Drittländer" wie für EU-Bürger habe er gefordert. Die Reaktion: Dies seien keine Aufgaben der Stadt, das solle die Politik lösen. Die Probleme sind den Parteien und der Verwaltung bekannt, aber man will sie nicht in Angriff nehmen, glaubt Kiliç - Internationales Seniorenjahr hin oder her. Davon habe er sich viel erhofft, es sei aber nur bei einer Feier im Rathaus geblieben.

Trotzdem sei der Seniorenbeirat eine gute Sache, meint der frühere technische Zeichner: "Ich bin der Meinung, doch etwas erreichen zu können. Erfahrung und politisches Wissen sind sehr gefragt." Man muss auf die Prozesse schauen, nicht auf die Ergebnisse, glaubt auch Serif Issi, Sozialberater der AWO Köln und Gründer des Türkischen Altenclubs. Die ausländischen Senioren im Beirat teilten der Gesellschaft mit: Für die Probleme sind auch wir da.

Allein die Vorbereitung zur Seniorenwahl war eine wichtige Erfahrung. Jeder Kandidat musste 25 Unterstützerunterschriften von Personen über 60 Jahren bringen. Unterschriften auf der Straße zu sammeln klappte nicht. Die Schwierigkeiten wurden im Deutsch-Türkischen Erzählcafé, in dem sich die Leute aus dem Altenclub mit gleichaltrigen Deutschen treffen, angesprochen. Einige der Deutschen waren auch Beiratskandidaten und nahmen die Türken zu ihren Wahlkampfveranstaltungen mit. Sie baten auch ihre Freunde, für die Ausländer Unterschriften zu sammeln. Issi: "Sehr positiv hat es mich überrascht, dass unsere Kandidaten 5000 Stimmen erhielten - in ihren Bezirken gab es höchstens 1000 ausländische Wähler".


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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Mehr als Folklore und Selbstgebackenes

 

Eine Anfrage der Stadt Troisdorf bei den Senioren-Begegnungsstätten aus Anlass des Internationalen Jahres der Senioren hatte ergeben: Ja man sei durchaus an Zusammenkünften mit älteren Migranten interessiert. Diplom-Pädagogin Claudia Hoffmann erfuhr jedoch auch, dass solche Begegnungen, wenn überhaupt, bislang nur sehr verhalten stattgefunden hatten. Aus ihrer Arbeit bei der Beratungsstelle für ausländische Frauen und Mädchen wusste sie, dass Angst vor Menschen anderer Kulturen gerade unter Älteren durchaus verbreitet ist. Und dass klassische Kaffee und Kuchen-Veranstaltungen oder auch Einladungen zu Volkstanz und Köfte nicht ankommen.

Als erfolgreich hat sich mittlerweile folgendes Troisdorfer Begegnungskonzept erwiesen: Die Betreuungsstelle gestaltet gemeinsam mit einer Mutter-Kind-Gruppe und einer Mädchenstätte einen Nachmittag. Ein Videofilm zeigt am Beispiel der Stadt Bonn, wie ältere Migranten leben. Die Mädchen der Gruppe, teilweise in Trachten, gehen mit einem Gewürzkoffer herum, verteilen persönliche Briefe an die deutschen Senioren, in denen sie sich mit Begrüßungsworten vorstellen; ein Gedicht wird in zwei Sprachen vorgetragen. Eine Theatergruppe - Migrantinnen zwischen 25 und 80 - zeigt kleine Szenen. Spätestens wenn ältere Migrantinnen persönliche Dinge aus ihrem Leben erzählen, von der Einreise nach Deutschland, dem Verlust des Partners, von Ängsten und positiven Aktivitäten, entstehen Gespräche zwischen allen Beteiligten. Kulinarische Kostproben sind nur einer der Aspekte solcher Begegnungen.

Natürlich gilt es auch, auf Seiten der älteren Migrantinnen Ängste abzubauen. "Pflegeheime stellen sie sich oft wie Gefängnisse vor, mit Gitterstäben", erfuhr Claudia Hoffmann und begann, auch Besuche in Heimen zu organisieren. Hier helfen wiederum junge Migrantinnen mit, bilden Fahrgemeinschaften und helfen übersetzen. Deutsche wie ausländische Migranten werden bei diesen und anderen Aktivitäten immer wieder ermuntert, mal eine ausländische Nachbarin anzusprechen, zum Mitmachen einzuladen. Dass sie auch nach dem Internationalen Jahr der Senioren weitermachen werden, steht für Hoffmann und ihre "Botschafterinnen der Verständigung" fest.

Kontakt:
Betreuungsstelle für ausländische Frauen und Mädchen der Stadt Troisdorf, Nahestr. 13, 53440 Troisdorf, Tel.: 02241 - 80 46 56


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Bildungsreise ins Herkunftsland Anatolien

 

"Sensibilität entwickeln für kulturelle und religiöse Gepflogenheiten und Wertorientierungen im Leben heute alter Menschen, die Lebenserfahrungen im Herkunftsland erschließen", auf diesem Weg wollen Angelika Ertl und Nicole Matheis sich und andere weiterentwickeln. Als Verantwortliche Im Rahmen des EU-geförderten NOW-Projekt "Praxisfeld Interkulturelle Altenpflege" haben sie eine 14tägige Bildungsreise konzipiert und werden sich im Mai mit "auf Wanderschaft" begeben.

Zwischen Istanbul, Ankara, Kappadokien, Avanos und schließlich Adana gilt es, kulturelle Öffnung, wie sie für die Angebote der Altenpflege immer dringender erforderlich wird, unter umgekehrten Vorzeichen zu erproben: die in Deutschland lebenden Fachkräfte als kulturelle Minderheit, als Migranten auf Zeit. In Gesprächen mit ehemals nach Deutschland angeworbenen, inzwischen zurückgekehrten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden deren Erfahrungen anschaulich aufleben. Die Bildungsreisenden werden Eindrücke in Lebens- und Denkweisen, dazu auch in Schlüsselworte und -handlungen mit zurück nach Almanya nehmen, die hier nicht zuletzt im Umgang mit dementen Patientinnen und Patienten weiterhelfen können: Aus dem "vollgepackten Koffer" der Erfahrungen werden im Anschluss Praxisanleitungen und Unterrichtsmaterialien entwickelt.

Teilnehmen können Fachkräfte aus der Altenhilfe und andere Interessierte - Deutsche ebenso wie Migranten. Für Ende Januar ist eine Vorbesprechung geplant. Die Bildungsreise ist nach dem Hessischen Bildungsurlaubsgesetz anerkannt und kostet DM 2.250.

Kontakt:
NOW-Projekt im Arbeitszentrum Fort- und Weiterbildung, Elisabethenstift Darmstadt, Frau Matheis, Stiftstr. 14, 64287 Darmstadt, Tel.: 06157 - 403-90 75, Fax: -90 77


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Selbstorgani- sationen - unverzichtbar

 

Ältere Migranten neigen verstärkt zum Rückzug, zur Abkapselung in "ethnischen Kolonien". Der Zugang zu ihnen für Wohlfahrtsverbände ist dann äußerst schwierig. Der Weg führt der Weg über Migranten-Selbstorganisationen.

Ihre Kenntnis der Probleme und vor allem der betroffenen Personen selbst sind die entscheidende Ressource, wenn aktive Hilfe vor Ort verbessert werden soll. - Zentrale Aussagen einer Fachtagung, zu der namhafte WissenschaftlerInnen und VertreterInnen von Institutionen im November beigetragen haben. Ab Januar sind die Fachbeiträge nachzulesen in einem neuen Band der Reihe Partizipation unter dem Titel der Tagung: "AltmigrantInnen und der potentielle Weg zur Selbstorganisation". Gegen einen Unkostenbeitrag von DM 5,95 ist die Dokumentation erhältlich bei der Veranstalterin.

Kontakt:
Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in der Bundesrepublik Deutschland BAGIV e.V., Baumschulallee 2a, 53115 Bonn, Tel.: 0228 - 22 46 10, Fax: 26 52 55


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Wander- ausstellung LEBENS-WEGE

 

Zwei Frauen und vier Männer, in Deutschland altgeworden, in Stuttgart und Umgebung zu Hause. Sie stehen stellvertretend für eine wachsende Zahl von Migrantinnen und Migranten, die seit vielen Jahren, teilweise Jahrzehnten hier leben und die auch ihre letzte Lebensphase in Deutschland verbringen werden. Griechenland, das ehemalige Jugoslawien, die Türkei, die Ukraine sind ihre Herkunftsheimat, doch mittlerweile haben sie mit deutschen Seniorinnen und Senioren mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. - Die Ausstellung LEBENS-WEGE stellt sechs Schicksale vor, in fotografischen und biografischen Porträts.

Sie wurde erstellt von der Autorin und Redakteurin Jutta Stromberg und ist gut geeignet, Gespräche, Fragen und Diskussionen anzuregen. Auftraggeber war das Projekt "Interkulturelle Altenarbeit in Stuttgart" ISIS, das unter Trägerschaft des Diakonischen Werks Württemberg nationalitäten- und verbandübergreifend arbeitet (gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung). ISIS stellt die Wander-Ausstellung auch im neuen Jahr kostenlos zur Verfügung. Transport und Versicherung trägt der jeweilige Ausleiher.

Kontakt:
Projekt ISIS c/o Evangelischer Migrationsdienst in der Prälatur Stuttgart, Landhausstr. 62, 70190 Stuttgart, Tel.: 0711 - 26 84 32 - 71, Fax: - 79


Autor: Ekkehart Schmidt, isoplan

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Rücksichtsvoll falsch übersetzt

 

In der deutschsprachigen interkulturellen Forschung gibt es kaum Reflexionen über den Einsatz von Dolmetschern/innen und Übersetzern/innen in interkulturellen Forschungsprojekten. Zu selbstverständlich nimmt man an, es werde 1 zu 1 übersetzt, und die Aussagen der interviewten Personen würden in beiden Sprachen exakt wiedergegeben.

Auf diese Thematik stieß ich erstmals bei einem Forschungsprojekt zum Thema "Migration und Alter bei türkischen Migranten der ersten Generation". Alle Interviews wurden in einem deutsch-türkischen Team geführt. Sie wurden aufgezeichnet und sollten wortwörtlich niedergeschrieben und übersetzt werden. Die konkrete Interviewsituation noch in guter Erinnerung, konnte ich feststellen, daß die deutsche Version gekürzt, vermeintlich erklärend zusammengefaßt bzw. scheinbar unwichtige Stellen weggelassen worden waren. Nach intensivem Vergleich von Tonbandaufzeichnungen und schriftlicher Version war festzustellen, daß zum Beispiel Passagen, die mich als Deutsche verletzen könnten, geglättet wiedergegeben, oder Passagen, die ein scheinbar "untürkisches" Verhalten vermittelten, nur gekürzt übersetzt worden waren.

So ging es bei einem Interview um die Frage, ob man sich ein Leben mit seinen Kindern in einem Mehrgenerationenhaushalt vorstellen könne. Dies lehnte ein Mann ab, mit dem Hinweis, wie schwer sein Leben in der Türkei mit seinen Eltern in einem Haushalt gewesen sei. Er war sich bewußt, türkische Normen zu verletzen, als er sagte: "Du weißt, daß diese Mutter und dieser Vater nach den Traditionen und Sitten der Türkei nicht alleingelassen werden. (...) Wir haben sie nicht allein lassen können. (..) Das störte mich sehr. Einen Alten zu pflegen - es gibt einen Meinungsunterschied. Wenn sie alt sind, verändern sich ihre Verhaltensweisen. (...) Man kann nicht unter einem Dach leben."

Der Übersetzer gab dies geglättet und verkürzt mit dem Satz wider: "Ich habe doch mit meinen Eltern zusammengelebt und daher weiß ich, wie schwierig das ist." Sinngemäß hat sich nichts geändert, doch gerade die Details sind es, die für eine Tiefenanalyse des Gesagten sehr wichtig sind. Nur so können die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe erkannt und entsprechende Angebotsstrukturen bereitgestellt werden. Es geht nicht darum, Dolmetscher/innen zu kritisieren, vielmehr sollte sich ein stärkeres Fingerspitzengefühl entwickeln, kritisch mit Übersetzungen umzugehen. Gerade der sensible Bereich der interkulturellen Kommunikation ist auf Authentizität angewiesen.


Autor: Margret Spohn, Soziologin, Interkulturelle Pädagogin

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