Ausländer in Deutschland 4/1999, 15.Jg., 20. Dezember 1999

STADTPORTRAIT

Bonn für Anfänger

Diplomaten und andere Migranten in Zeiten des Wandels


Lela aus Bonn und Senem aus Istanbul

Ausländer in Bonn (Stand: 30.06.1999)

Einwohner:

307.657

davon Ausländer:

42.386 *

darunter aus:

Türkei

6.971

Ehem. Jugoslawien

3.407

Marokko

2.224

Ehem. UdSSR

2.185

Italien

2.170

Iran

2.073

Spanien

1.380

Polen

1.272

Griechenland

1.219

Frankreich

1.052

Portugal

1.018

USA

891

EU insges.

9.672

Asien

9.371

Afrika

5.997

Amerika

2.305

Ausländeranteil 13,6 %

* Anm.: Diplomaten werden nicht erfasst, weil diese nicht meldepflichtig sind. Zu den aufgelisteten Ausländern dazu zu zählen sind 19.081 Doppelstaatler, vor allem Spätaussiedler aus Polen (4.754), Russland (1.470) und Kasachstan (1423), aber auch Personen aus Marokko (1.030) und aus EU-Ländern (2.724).

Quelle: Statistikstelle der Stadt Bonn.

Weitere Angaben zu Bonn im Internet: www.bonn.de

Kongo ist noch hier, Gott sei Dank, und Kamerun hisst weiterhin die Fahne. Nicht alle Botschaften sind endgültig aus dem Bad Godesberger Villenviertel Richtung Berlin fortgezogen. "Ziehen Sie auch um?" wurde 1999 in Bonn zur Frage des Jahres. 21.000 Arbeitsplätze werden durch den Umzug wegfallen. So schwankt die Stimmung in Bonn zwischen Trotz ("Sollen sich doch jetzt die Berliner über Strassensperrungen und Demos ärgern!"), Wehmut und Nostalgie ("In Bonn war doch alles besser: die Polizei, der Presseball und die bescheidenen Ausmaße des Regierungsviertels").

Anfang des Jahres lebten noch 13.000 Diplomaten in Bonn und Umgebung. Fast alle werden Bonn verlassen. Den Botschaftsmitarbeitern ohne diplomatischen Status - all den Übersetzern, Sekretärinnen und Hausmeistern - hat die Transferstelle zur Unterstützung ausländischer Unternehmer die Alternative "Existenzgründung statt Umzug" angeboten. Doch lediglich zwei bis drei Interessenten meldeten sich, so wurde die Initiative eingestellt. Auch manche Auslandsfreundeskreise und Lobbyorganisationen haben einen rheinischen Ableger hinterlassen. Die Inhaberin eines englischsprachigen Kindergartens im Diplomatenviertel hat sich ein Herz gefasst und ist in Bonn geblieben. Die Lichter gehen also nicht aus. Und in die britische Botschaft zieht die Deutsche Telekom ein - Wandel vollzogen. Aus der ehemaligen Bundeshauptstadt soll eine Telekommunikations-, Wissenschafts- , UNO- und Kongressstadt werden.

Insgesamt fünf UNO-Sekretariate plus zwei deutsche Vertretungen residieren schon am Rhein, von einer Reihe NGOs und internationaler Wissenschaftszentren ganz zu schweigen. Weitere klopfen an die Tür. Die Bundesstadt ist stolz auf die Neubonner aus aller Welt und will ihre Themen der Bevölkerung ans Herz legen: zum Beispiel durch einen "UNO-Tag" oder den "Markt der Möglichkeiten" zum Klima-Gipfel. Ihnen zu Ehren hat die Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann 1998 den "Salon International" initiiert. Alle vier Wochen treffen sich deutsche und ausländische Bonner im Café des Kunstmuseums bei Musik und politischem Vortrag. Beim ersten Salon stellten sich die UNO-Mitarbeiter mit einem Sketch über die Mülltrennung vor. Diese und andere Kniffe des deutschen Alltags erläutert die Stadt in einem Handbuch "Bonn for Beginners". Wieviele Mitarbeiter internationaler Organisationen genau in Bonn arbeiten, ist unbekannt. Allein mit der UNO sind rund 400 nach Bonn gekommen. "Sie sind es gewohnt, überall auf der Welt von Ort zu Ort zu ziehen - daher haben sie keine großen Integrationsprobleme", sagt Maria Hohn-Berghorn, zuständig für "Repräsentation und internationale Angelegenheiten" bei der Senatsverwaltung.

Um die sonstigen Migranten - ehemalige Gastarbeiter und ihre Kinder, nachgezogene Ehepartner, ausländische Unternehmer, letztere immerhin über 2.000 an der Zahl - kümmerte sich das Referat für Multikulturelles und die im Frühjahr dafür eingesetzte Beauftragte Filiz Karsligil. Mit der neugewonnen Mehrheit will die CDU-Ratsfraktion das Amt der Beauftragten zusammen mit Ihren Kolleginnen für Radwege und für Jugendfragen gleich wieder abschaffen.

Zwei Welten

Undurchlässig sind die Grenzen zwischen diesen zwei Welten jedoch nicht. So hat der Ausländerbeirat - der eben nicht von Diplomaten gewählt worden war - unter anderem die Gründung einer Internationalen Schule und die Einführung Internationaler Baccalaureats neben dem Abitur an Bonner Gymnasien angeregt. Das ist einmalig in Nordrhein-Westfalen (NRW). Manch ausländischer Manager aus Köln wählt angeblich Bonn als Wohnsitz, damit seine Kinder diese Schulen besuchen dürfen. Einen arabischen Abschluss zu machen ist am "König-Fahd-Gymnasium" möglich, das von Saudi-Arabien finanziert wird. Der Ausländerbeirat nahm ebenfalls jene "Ortskräfte" ohne diplomatischen Pass in Schutz, die beim Umzug von ihren Botschaften entlassen worden sind. Sie müssten sonst trotz Jahrzehnten in Deutschland und ihren Beiträgen in die Sozialkassen ausgewiesen werden. Nun gibt es eine Härtefallregelung. "In Bonn hören die Politiker auf den Beirat" zeigt sich der Vorsitzende Rahim Öztürker mit seiner Stadt zufrieden. Die Wähler honorierten es jedoch nicht: Die Wahlbeteiligung zu den Ausländerbeiratswahlen am 7. November 1999 betrug in Bonn knappe 9 Prozent. Viele Migranten kennen das Gremium gar nicht. Ein Erklärungsversuch für mangelndes politisches Interesse: Die Bonner Migranten fühlen sich einfach wohl. Hier gibt es tatsächlich kaum fremdenfeindliche Übergriffe und die Arbeitslosenquote ist die niedrigste in NRW.

Ganz im Gegenteil zum gediegenen Villenviertel ist die Altstadt mit exotischen Restaurants, Gemüseläden, Moscheen und Vereinskneipen übersät. Auch eine städtische Kindertagesstätte mit interkulturellem Konzept hat vor drei Jahren geöffnet. Bis das Jugendamt die Notwendigkeit eines solchen Kindergartens einsah, brauchte es allerdings seine Zeit. Denn "in Bonn erziehen schon alle interkulturell", so der damalige Amtsleiter. Im Durchschnitt jedes vierte Kind in den städtischen Einrichtungen sei kein deutsches. Der Förderverein "Mosaik", unterstützt von der Bonner Gruppe des Verbands binationaler Familien (iaf), hat sich jedoch mit seinem Konzept eines "bewussten Umgangs mit der Vielfalt" durchgesetzt. Bei der Auswahl der Erzieherinnen gefragt waren Fremdsprachen - möglichst seltene - und die eigene Erfahrung mit dem Fremdsein. Die interkulturelle Erziehung ist das Spezialthema der Bonner iaf. Der Verein hat eine Buch- und Spielzeugausstellung unter dem Motto "Kommt mit ins Tausendbäumeland" gemacht, die bei der alljährlichen Bonner Buchmesse "Migration" gezeigt wird. Eltern und Kindergärtnerinnen, die von weißen Helden und blonden Barbies die Nase voll haben, können sich multikulturelle Geschichten, zweisprachige Hörspiele und eine Moschee aus Bauklötzen ausleihen.

Eine Besonderheit der Bonner Altstadt ist auch Werner Otto. Der Polizist ist seit 1998 Betreuungsbeamter des Stadtteils und macht jeden Tag seine Runde durch die Kneipen und Moscheen. Der Posten ist eigentlich in keiner Behördenstruktur vorgesehen: Ein Beamter, der einfach Zeit für Gespräche hat. "Viele Hinweise aus der Bevölkerung bekommen wir nur, wenn wir Vertrauen aufbauen" sagt sein Vorgesetzter, Polizeioberrat Thomas Sanders. Die Ethnien versuchten, alles unter sich zu regeln - z. B. wenn Jugendliche die Vereinskasse mitgehen lassen. Türkische Eltern hätten "eine Wahnsinnsangst", dass ihre Kinder mit Drogen in Berührung kommen - aber bei der Polizei Rat zu suchen, das gehöre sich einfach nicht. Als Mitglied der Arbeitsgruppe "Ausländer und Polizei" ist Sanders oft bei den Vereinen zu Gast und weiß, mit welchen Vorurteilen sie der Polizei begegnen. Zeit zum Handeln also. Seit einem Jahr besuchen Bonner und Kölner Polizisten ein interkulturelles Training. Interkulturell fortbilden dürfen sich auch die städtischen Bediensteten - für sie organisiert das Referat für Multikulturelles eine Seminarreihe. Die beste Maßnahme gegen die Diskriminierung ist die Vorbeugung, ist Referatsleiter Günter Rzepka überzeugt. "Das Zusammenleben muss eine Querschnittsaufgabe der Verwaltung sein", sagt er und verweist auf mehrere gemeinsame Projekte mit dem Arbeits- und dem Wohnungsamt.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

Foto: Ekkehart Schmidt, isoplan

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.