Ausländer in Deutschland 4/1999, 15.Jg., 20. Dezember 1999

EUROPA

"Zusammen leben, Zusammen wählen"

Kommunalwahlrecht und Wahlbeteiligung von Unionsbürgern in der EU


Vertreter einer neuen Politikergeneration: Mehmet Daimagüler (31), Mitglied des Bundesvorstands der F.D.P und Vorsitzender der Liberalen Türkisch-Deutschen Vereinigung

In AiD 3/99 haben wir die politischen Partizipationsmöglichkeiten von Ausländern analysiert und anläßlich der anstehenden Kommunalwahlen thematisiert, daß nun auch EU-Bürger wählen dürfen ("1,8 Millionen neue Wähler"). Als Fortsetzung wollen wir nun das Kommunalwahlrecht und die Wahlbeteiligung von EU-Bürgern in Deutschland mit den Erfahrungen anderer europäischer Länder vergleichen. (red.)

Bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg am 24. Oktober 1999 konnten rund 300 000 EU-Bürger ihre Stimme abgeben. Ein Vergleich mit Spanien macht die Bedeutung der neuen kommunalen Wahlmöglichkeit für Deutschland deutlich: Bei den Kommunalwahlen, die kurz zuvor (am 13. Juni) in Spanien stattgefunden hatten, ging es landesweit nur um 240 000 Stimmen, also weniger als in einem einzigen deutschen Bundesland. Die Wahlbeteiligung bei den EU-Inländern lag in Spanien mit rund 25 % gleich hoch wie in Baden-Württemberg in der Region Stuttgart. Aus einzelnen Städten und Gemeinden wurden jedoch auch Spitzenwerte gemeldet, wenn man bedenkt, daß die Wahlbeteiligung in Baden-Württemberg insgesamt auf eine Niedrigstrate von rund 53 Prozent gesunken ist. So machten in Schorndorf 44 Prozent der EU-Ausländer ihr Kreuzchen, in Backnang waren es 41 Prozent, in Plochingen 38 Prozent. Baden-Württemberg liegt damit offensichtlich vor anderen Bundesländern, in denen schon Kommunalwahlen nach dem neuen Recht stattgefunden hatten. In Bremen machten nur 17 Prozent der Unionsbürger bei der Wahl im Juni 1999 von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Aber auch in Baden-Württemberg wurden nur wenige EU-Kandidaten in die Gemeinderäte gewählt. In Stuttgart gelang es nur dem Italiener DaRae, über die SPD-Liste in das Stadtparlament einzuziehen.

Einige unserer Nachbarländer haben bereits langjährige Erfahrungen mit einem Kommunalwahlrecht für Ausländer gesammelt. So dürfen in den Schweizer Kantonen Jura und Neuchâtel Ausländer schon längst an den kantonalen Wahlen teilnehmen. Schweden führte bereits 1975 ein Kommunalwahlrecht für Einwanderer ein. Eine anlässlich der Kommunalwahlen 1994 erstellte Studie zur Wahlbeteiligung von Ausländern zeigte hier allerdings, daß sich die Wahlbeteiligung nach den mit viel Publizität begleiteten ersten Wahlen ständig um rund ein Drittel verringert hat. Und zwar von 60 Prozent im Jahr 1976 auf 40 Prozent im Jahre 1994. In Dänemark wird das Kommunalwahlrecht bereits seit 1974 für Staatsangehörige aus den nordischen Ländern praktiziert. Seit 1981 haben alle Ausländer, die seit mehr als drei Jahren in Dänemark wohnen sowohl das aktive, als auch das passive Wahlrecht zu Wahlen, für die Gemeindevertretung und zu Kreistagen.

Niederländische Erfahrungen

In den Niederlanden ermöglichte schon 1983 eine Verfassungsänderung allen Nicht-Niederländern die Wahrnehmung des aktiven und passiven kommunalen Wahlrechts. 1985/86 startete die Regierung dann eine aufwendige Informationskampagne unter dem Motto "Zusammen Leben, Zusammen Wählen". Die Kampagne unterstützte und ergänzte mit großem Aufwand die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden und der Organisationen der Minderheiten. An den Wahlen im März 1986 beteiligten sich rund 46 Prozent der Ausländer. Doch nur 36 von insgesamt rund 11.000 Mandaten gingen an ausländische BürgerInnen. Seit der Einführung des kommunalen Wahlrechts haben die Zuwanderer ihre anfangs sehr starke Präferenz für die Sozialdemokratische Partei der Arbeit im Laufe weniger Jahre dem Wahlverhalten der niederländischen Bevölkerung angeglichen.

Angehörige von ethnischen Minderheiten versuchten in Holland wiederholt über eigene Listen in Gemeinderäte zu kommen. Keine dieser Listen errang auch nur einen einzigen Sitz. Die Befürchtung mancher Bürger, einen "türkischen Bürgermeister" zu brkommen, war also unbegründet. Vor Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer war die Mehrzahl der Niederländer gegen diese Mitbestimmungsmöglichkeit. Nach der ersten Wahl hatten sich die Gemüter beruhigt. Heute befürwortet die Mehrzahl der Einheimischen das neue Kommunalwahlrecht.

Bislang hatten Ausländer, die seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen in dem Lande wohnten, das aktive und passive Wahlrecht, wenn sie im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis waren. Nach der neuen gesetzlichen Regelung, die Ende 1997 gemäß der EG-Richtlinien in Kraft trat, sind Ausländer, sofern sie keine Unionsbürger sind, nur dann aktiv und passiv wahlberechtigt, wenn sie am Tag vor dem Stichtag für die Nominierung der Kandidaten seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen in den Niederlanden wohnen und die gesamten fünf Jahre im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis waren. Die Neuregelung schränkte damit das Wahlrecht stärker ein als die alte Regelung, in der keine bestimmte Aufenthaltsdauer nötig war. Die Umsetzung der EG-Richtlinie hat hier also streng genommen zu zwei Kategorien von ausländischen Wählern geführt, für die unterschiedliche Maßstäbe gelten.

Bei den Kommunalwahlen vom März 1998 wurden die ausländischen Wähler von den verschiedenen Parteien besonders umworben und viele Angehörige ethnischer Minderheiten als Kandidaten aufgestellt. Dies führte dazu, daß die Zahl der gewählten Türken und Marokkaner auf 74, beziehungsweise 21 anstieg. Die Gesamtzahl der Gemeinderatsmitglieder aus ethnischen Minderheiten hat sich mehr als verdoppelt. In 75 Gemeinderäten sind heute 152 Angehörige ethnischer Minderheiten vertreten. Auch bei den gewählten Frauen war eine Steigerung auf mehr als das Doppelte zu verzeichnen. Wiederum konnte keine ethnische oder islamische Partei einen Sitz erringen. Die relativ hohe Wahlbeteiligung innerhalb der türkischen Gemeinschaft wird auch auf die beträchtliche Zahl der Kandidaten türkischer Herkunft zurückgeführt. In den Niederlanden hat jeder Wähler nur eine Stimme, die sowohl dem Kandidaten, als auch dessen Partei oder Liste angerechnet wird. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Regierung Anfang der 90er Jahre ihren Widerstand gegen eine doppelte Staatsangehörigkeit aufgegeben hat. Dadurch haben viele Angehörige ethnischer Minderheiten einen niederländischen Pass. So haben rund ein Drittel der Marrokkaner, 40 Prozent der Türken und mehr als die Hälfte anderer Einwanderergruppen aus dem Mittelmeerraum das volle Wahlrecht. Elf der 150 Parlamentsabgeordneten stammen aus ethnischen Minderheiten.

Ausblick

Die Überlegungen, das Kommunalwahlrecht auf andere Gruppen auszuweiten, gehen auf jeden Fall weiter. So hat im November 1999 der Generalsekretär des Europarats, Walter Schwimmer , eine Ausweitung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer verlangt. Auch die neue Bundesregierung schreibt in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998: "Zur Förderung der Integration sollen auch die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union besitzen, das Wahlrecht in Kreisen und Gemeinden erhalten." Die Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz brachten im Januar 1999 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat ein, der sich für ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer mit dauerhaftem Bleiberecht einsetzt. Der Gesetzentwurf wurde jedoch zwischenzeitlich auf Eis gelegt. Auch die Bundesregierung denkt zur Zeit nicht an eine neue Initiative. Für die Einführung eines allgemeinen kommunalen Ausländerwahlrechts wäre eine Grundgesetzänderung mit einer Zweidrittelmehrheit notwendig, die ohnehin nicht in Sicht ist. Auf die Dauer ist es für Deutschland auf jeden Fall geradezu kontraproduktiv, eine Minderheit von mehreren Millionen von jeglicher politischen Partizipation auszuschließen und sich damit Konfliktstoff zu schaffen.


Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, Leiter der Ausländerredaktion des SWR

Foto: Paul Glaser

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