Ausländer in Deutschland 1/2000, 16.Jg., 31. März 2000

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser,

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wissen Sie, was "Gender Mainstreaming" ist? Na ja, brauchen Sie auch nicht unbedingt. Es sei denn, Sie haben direkt oder indirekt etwas mit öffentlichen Förderprogrammen zu tun, die sich (mit) aus Töpfen der EU-Kommission speisen. Und das sind wahrscheinlich nicht wenige der AiD-Leserinnen und Leser.
Wenn ich jetzt nur "Leser" geschrieben hätte, wäre das schon ein fataler Fehler, wenn nicht eine unverzeihliche Unterlassung. Denn, so die EU-Kommission: "Gender Mainstreaming" ist neuerdings eine rechtlich verankerte Verpflichtung für alle Programmplaner und Programmtreibenden. Und nach dem Motto "bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt" geben umfangreiche Checklisten darüber Auskunft, welche Nachweise und Angaben ein GFK-Plan oder ein EPPD-Dokument (???), einfacher: ein Förderungsantrag mindestens enthalten muss, um von der Kommission als zulässig angesehen zu werden, z.B. der "Nachweis der Kohärenz der Pläne mit der vierten Säule der Beschäftigungsstrategie zur Chancengleichheit von Frauen und Männern und mit den Schwerpunkten für Chancengleichheit im nationalen Aktionspakt", natürlich unter Berücksichtigung der indikativen Leitlinien. Alles klar?

Ich befürchte, da werde ich noch viel Arbeit haben, bis ich meinem Freund Yüksel, der seit einigen Jahren eine gut gehende Versicherungsagentur betreibt, klar gemacht habe, dass er aufgrund seines konzeptionellen "Mainstreaming-Defizits" nicht gefördert werden kann.

Wenn ich hier als Editorial zu einer Schwerpunktausgabe von AiD über ausländische Unternehmerinnen und Unternehmer über Förderungsprogramme rede, dann hat das mehrere Gründe: Einmal brauchen wir ganz zweifellos eine breit angelegte Offensive für mehr Selbständigkeit und Unternehmensgründungen und die Impulse, die hierbei gerade von ausländischen Existenzgründern ausgehen, sind bislang völlig unterschätzt worden.

"Wir stellen manchmal mit Erstaunen fest", so der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker in einer wunderbar humorvollen Rede anlässlich eines Mittelstandskongresses in Berlin Ende 1999, "dass in der Praxis etwas funktioniert und geben dann Prüfungsaufträge an gut bezahlte Auditfirmen, um herauszufinden, ob das, was in der Praxis funktioniert, theoretisch überhaupt funktionieren kann. Und wenn in der Praxis etwas funktioniert, das theoretisch nicht funktionieren kann, dann stellen wir nicht die Theorie um, sondern die Praxis ab." So ähnlich ist das mit so manchem Förderungsprogramm.
Mein Freund Yüksel kam bislang Gott sei Dank ohne Fördermittel und "Mainstreaming" zurecht. Ich hoffe, dass es möglichst vielen ähnlich geht.

In diesem Sinne grüßt Sie

Ihr

Dr. M. Werth, Herausgeber

GFK = Gemeinschaftliches Förderkonzept EPPD = Einheitliches Programmplanungsdokument


Autor: Dr. Manfred Werth, isoplan

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