Ausländer in Deutschland 2/2000, 16.Jg., 30. Juni 2000

ARBEITSMARKT (teil 1)

In Ergänzung zum nachfolgenden Text erhalten Sie in Teil 2 einen Überblick über Meldungen und Projekte zum Abbau von Arbeitslosigkeit sowie vom Deutschen Jugendinstitut prämierte Projekte.


Chancen verbessern - Potenziale nutzen!

Ausländer auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland: Einige Feststellungen und Schlußfolgerungen

Elmar Hönekopp vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat die verschlechterte Situation von Ausländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt untersucht und erläutert sie für AiD in acht Feststellungen und Schlußfolgerungen.

Vorbemerkung: Die folgenden Analysen zur Situation der Ausländer auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland stützen sich überwiegend auf Daten für Westdeutschland, da 97 % aller Ausländer im Westteil Deutschlands leben und arbeiten[1].

1. Das Arbeitskräftepotential entwickelt sich bei Ausländern erheblich dynamischer als bei Deutschen. Die Anzahl jugendlicher Ausländer, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, wird auch in den nächsten Jahren wesentlich steigen.

Nach Jahren umfangreicher Nettozuwanderung nach Deutschland und eines dadurch begründeten Bevölkerungswachstums können wir derzeit ein Null-Saldo von Zuzügen und Fortzügen in die bzw. aus der Bundesrepublik Deutschland beobachten. Das Bevölkerungswachstum ist damit einhergehend erheblich zurückgegangen. Der Ausländeranteil verharrt bei etwa 10,5 % (siehe Tabelle 1).

Hinsichtlich der Nationalitätenstruktur hat es seit 1990 gewisse Verschiebungen gegeben: Der Anteil von Personen aus den früheren Anwerbeländern ist weiter zurückgegangen, wohingegen der Anteil von Ausländern aus Zentral- und Osteuropa auf jetzt ca. 11 % gestiegen ist (vgl. Tabelle 2)[2]. Letzteres ist in den letzten Jahren fast ausschließlich auf die Nettoeinwanderung von Ausländern aus der früheren Sowjetunion zurückzuführen (Angehörige von Aussiedlern, Kontingentflüchtlinge).

Trotz der Stabilisierung des Zuwachses der ausländischen Gesamtbevölkerung wird das ausländische Arbeitskräftepotential in Deutschland kräftig steigen. Der Zuwachs dürfte insbesondere bei Türken (etwas geringer auch bei Personen aus dem früheren Jugoslawien) recht hoch sein. Der Grund liegt in der Altersstruktur: Die Altersgruppen der unter 15-Jährigen sind bei den Ausländern und v.a. bei den Türken anteilsmäßig wesentlich stärker besetzt als bei der Gesamtbevölkerung (vgl. Tabelle 4). Das bedeutet, daß in den nächsten Jahren wesentlich mehr Ausländer (v.a. Türken) in den Arbeitsmarkt eintreten (also eine Arbeit oder eine Lehrstelle suchen) als ausländische Arbeitskräfte aus Altersgründen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden werden.

2. Die absehbaren hohen Zugänge von Ausländern in den Arbeitsmarkt erfordern erhebliche bildungspolitische Anstrengungen, damit die Arbeitsmarktchancen der jugendlichen Ausländer verbessert werden.

Unter anderem die hohe Konzentration von Ausländern in bestimmten städtischen Wohngebieten und die damit einhergehenden hohen Klassenanteile von Ausländern (bzw. von bestimmten Nationalitäten) haben bewirkt, daß Ausländerkinder und -jugendliche bildungsmäßig benachteiligt sind. Wie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin) bereits mehrfach darauf hingewiesen wurde, wird die Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher ins Bildungssystem und in die berufliche Ausbildung eher wieder schlechter. Eine gute Schulausbildung und eine solide berufliche Qualifikation sind jedoch wichtige Voraussetzung für bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Aufgrund der hohen Bevölkerungsanteile der heute unter sechs Jahre alten Ausländer (wiederum insbesondere von Türken) sind auch für die nächsten 10 - 15 Jahre überproportional hohe Neuzugänge dieser Gruppe auf dem Arbeitsmarkt absehbar (vgl. Tabelle 4). Deshalb müssen - aus arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen, aber auch aus allgemein gesellschaftspolitischen Gründen - verstärkt Anstrengungen unternommen werden, damit ausländische Kinder und Jugendliche besser in Schule und Berufsausbildung integriert werden (vgl. DIW-Wochenbericht Nr. 24/98). Neben diesen grundsätzlichen Aspekten muß auch gesehen werden, daß junge ausländische Arbeitskräfte (oder Arbeitskräfte ausländischer Herkunft) wegen ihrer potentiellen Mehrsprachenkompetenz eine interessante Chance für eine exportorientierte Wirtschaft wie die Deutschlands darstellen können.

3. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu einer Beschäftigung hat sich für Ausländer - bei einer erheblichen Zunahme des Arbeitskräfteangebots - in den letzten 15 Jahren grundsätzlich wesentlich verschlechtert. Die Erwerbsbeteiligung der Ausländer und noch mehr der Anteil der Arbeitsplatzbesitzer sind fast schon dramatisch gesunken.

Die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung[3] ist in den vergangenen 15 Jahren bei Deutschen und Ausländern in eine grundsätzlich verschiedene Richtung gegangen. Während bei den Deutschen die Erwerbsbeteiligung tendenziell steigt (insbesondere wegen zunehmender Erwerbsneigung von Frauen), fällt sie bei Ausländern mit einem Rückgang von 10 %-Punkten (siehe Graphik 1). Dabei hatte sie 1982 noch bei allen ausländischen Nationalitäten über der deutschen gelegen[4] . Das bedeutet, daß 1998 im Vergleich mit 1982 anteilig ca. 10 % weniger der ausländischen erwerbsfähigen Bevölkerung aufgrund der ungünstigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

Allerdings muß man berücksichtigen, daß die Anzahl der ausländischen Erwerbspersonen in der fraglichen Zeit trotzdem durch natürliches Bevölkerungswachstum und durch Nettozuwanderungen um ca. 1 Million, die der erwerbsfähigen ausländischen Bevölkerung jedoch noch wesentlich stärker, nämlich um ca. 2 Millionen zugenommen hat (vgl. Graphiken 2 und 3).

Noch deutlicher ist das Auseinanderfallen der Entwicklung bei Deutschen und Ausländern beim Zugang zu einer Erwerbstätigkeit. Die Erwerbstätigenquote[5] liegt für die Deutschen im Jahre 1998 immerhin um ca. 3 %-Punkte über der des Jahres 1982. Bei den Ausländern insgesamt und bei den Türken ist sie jedoch um dramatische 13 %-Punkte zurückgefallen. Nur noch weniger als die Hälfte aller Türken im erwerbsfähigen Alter sind derzeit abhängig oder selbständig erwerbstätig (vgl. Graphik 4). Auch hier muß man aber darauf hinweisen, daß die Anzahl der Erwerbstätigen bei allen hier erwähnten Gruppen 1998 noch immer wesentlich über derjenigen von vor 15 Jahren liegt: bei den Deutschen mit ca. 26,5 Millionen um ca. 2 Millionen, bei den Ausländern insgesamt mit ca. 2,8 Millionen um ca. 600 Tausend und bei den Türken mit ca. 780 Tausend um ca. 130 Tausend. Die allgemeine Wirtschaftsentwicklung und die Veränderungen in der Struktur der Arbeitskräftenachfrage haben jedoch nicht zugelassen, daß die Arbeitsplätze zumindest parallel zur Entwicklung des Arbeitskräfteangebots mitgewachsen sind.

4. Die ausländischen Beschäftigten sind vom sektoralen Strukturanpassungsprozeß sehr viel stärker betroffen worden als die deutschen Beschäftigten. Die Beschäftigung in den produzierenden Bereichen ist stark abgebaut worden. In den Dienstleistungsbereichen ist sie auch bei Ausländern deutlich gestiegen. Doch gilt es auch in diesem Anpassungsprozeß wesentliche Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern zu berücksichtigen.

Die Ausländer waren von Beginn der Gastarbeitnehmeranwerbung an überwiegend für eine Beschäftigung in den produzierenden Bereichen (Bergbau, Verarbeitendes Gewerbe, Bau) mit eher einfachen Tätigkeiten und mit erschwerten Arbeitsbedingungen eingestellt worden. Aufgrund des technologie- und wettbewerbsbedingten Strukturanpassungsprozesses wurden Arbeitsplätze gerade in diesen Bereichen abgebaut[6] . Dieser Prozeß hat somit Ausländer sehr viel stärker betroffen als Deutsche. 1974 waren fast 80% aller Ausländer (insgesamt: ca. 56%) im produzierenden Bereich beschäftigt. 1998 waren es nur noch ca.53% (insgesamt ca. 40%). Der Anteilsunterschied zwischen Ausländern und der Gesamtbeschäftigung ist deutlich geringer geworden. Gleichzeitig sind die entsprechenden Anteile der Beschäftigung in den Dienstleistungsbereichen stark gestiegen (vgl. die Linien der Strukturanpassungstendenzen in Graphik 6). Dies könnte auf den ersten Blick hin zunächst positiv in Richtung auf eine Normalisierung auch der Ausländerbeschäftigung interpretiert werden.

Tatsächlich zeigt jedoch eine detailliertere Analyse der Beschäftigungsentwicklung nach einzelnen Zweigen des Dienstleistungssektors, daß zumindest derzeit auch bei der Tertiarisierung der Beschäftigung für Ausländer wieder ein ähnliches Muster abläuft wie früher bei der Beschäftigung im Produktionsbereich: Während für Deutsche Arbeitsplätze v.a. in Dienstleistungsbereichen mit einer qualitativ höherwertigen Beschäftigung entstanden sind (z.B. in "Unternehmensbezogenen DL"), sind es wiederum eher einfache Arbeitsplätze (mit wiederum eher ungünstigeren Arbeitsbedingungen), auf denen Ausländer dort eingestellt werden (z.B. personenbezogene DL, Wäscherei, Reinigung).

5. Wesentlicher Hintergrund für diese Perpetuierung ist die ungünstige Qualifikationsstruktur der ausländischen Arbeitskräfte. Der Anteil von Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau liegt bei Ausländern noch immer mehr als doppelt so hoch wie bei Deutschen. Andererseits beträgt der Anteil von ausländischen Beschäftigten mit einem mittleren Qualifikationsniveau gerade einmal die Hälfte desjenigen der deutschen Beschäftigten. Und auch bei jüngeren Beschäftigten unterscheidet sich diese Situation nicht wesentlich!

Der Anteil von ausländischen und türkischen Beschäftigten mit niedrigem Qualifikationsniveau ist in den vergangenen fast zwanzig Jahren nicht sehr wesentlich zurückgegangen und ist 1999 mit über 60 % (Türken: über 70 %) immer noch mehr als doppelt so hoch wie bei den deutschen Beschäftigten. Entsprechend ist auch der Anteil von ausländischen Beschäftigten mit mittlerem Qualifikationsniveau nicht sonderlich angestiegen und beträgt gerade einmal die Hälfte des Wertes bei den Deutschen. Für die türkischen Beschäftigten sind die Werte noch ungünstiger. (Vgl. Graphiken 7a-c)

Ein Vergleich der Qualifikationsstruktur zwischen den jüngeren Beschäftigten (15- bis 30-Jährige) dieser Nationalitäten (siehe Graphik 8) zeigt, daß sich die Strukturen hier nicht wesentlich von der jeweiligen Gesamtstruktur unterscheidet, daß also auch hier immer noch ähnliche Unterschiede zwischen den Deutschen und Ausländern (und v.a. Türken) festgestellt werden müssen. Dies korrespondiert mit den unter 2. gemachten Aussagen und weist recht deutlich auf die gesellschaftliche Brisanz der Situation hin.

6. Vor dem Hintergrund des Strukturanpassungsprozesses mit einer steigenden Nachfrage nach gutqualifizierten Arbeitskräften ist die Arbeitslosigkeit bei Ausländern in den vergangenen Jahren überproportional angestiegen. Deren Arbeitslosenquote liegt doppelt so hoch im Vergleich mit der Gesamtquote. Und es sind wieder Türken, die von dieser Entwicklung besonders betroffen sind.

Seit 1980 läuft die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zwischen der Gesamtentwicklung und der bei den Ausländern stetig auseinander. Der Abstand zwischen den Arbeitslosenquoten für insgesamt und für die Ausländer wird immer größer (vgl. Graphik 9). Die Ausländer-Arbeitslosenquote ist derzeit nahezu doppelt so hoch wie die Gesamtquote. Bei den angesprochenen Umstrukturierungsprozessen der Wirtschaft und dem damit verbundenen zunehmenden Bedarf an gutqualifizierten Arbeitskräften einerseits und der gegebenen ungünstigen Qualifikationsstruktur bei den Ausländern andererseits geraten diese zunehmend auf ein Abstellgleis. Immerhin ist jetzt schon ein Fünftel aller ausländischen Arbeitskräfte arbeitslos. Auf manchen regionalen Arbeitsmärkten liegt deren Arbeitslosenquote bereits bei 40%. Und es sind die Unqualifizierten, die immer stärker die Arbeitslosigkeit prägen. Dies gilt natürlich auch für die Gesamtarbeitslosigkeit (bei Nicht-Qualifizierten beträgt die Arbeitslosenquote 1997 ca. 24,2%, bei Personen mit einer abgeschlossenen Lehre jedoch nur 7,4%, bei Personen mit einem Universitätsabschluß 4,1% und mit einem Fachhochschulabschluß 2,8%), aber im besonderen gerade für die Ausländer, was bei den vorher dargestellten Entwicklungen nicht überrascht. Nimmt man die oben dargestellten Verdrängungsergebnisse hinzu, wird die eigentliche Brisanz noch klarer.

Nach einzelnen Nationalitäten betrachtet, sind es wiederum die Türken, die (Stand 1998) mit mittlerweile ca. 24% die höchste Arbeitslosenquote aufweisen. Andererseits wird der Abstand zu den anderen Nationalitäten immer größer. Die Arbeitslosenquote für Portugiesen, Spanier und Personen aus dem früheren Jugoslawien liegt zwischen 12% und 13%, damit nicht sehr wesentlich über der Gesamtquote, die für Italiener und Griechen bei ca. 18% (vgl. Graphik 10).

7. Die selbständige Erwerbstätigkeit der Ausländer hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark erhöht. Andererseits liegt die Selbständigenquote trotzdem immer noch wesentlich unter der entsprechenden Gesamtquote. Ist in der zunehmenden Selbständigkeit von Ausländern eine ökonomische Perspektive oder eine riskante Ausweichreaktion auf die ungünstige Arbeitsmarktsituation zu sehen?

Die Anzahl der selbständigen Ausländer hat sich (siehe Graphik 11) seit 1982 mehr als verdoppelt, bei den Türken sogar fast verfünffacht, allerdings ausgehend von einer sehr niedrigen Basis. Zum Teil handelt es sich hier sicher um die Realisierung eines Nachholbedarfes, da viele Ausländer bis noch vor einigen Jahren wegen der fehlenden rechtlichen Voraussetzungen sich gar nicht selbständig machen konnten.

Grundsätzlich ist diese Entwicklung als positiv zu bewerten, da Existenzgründungen in der Regel nicht nur eine Arbeit für den Existenzgründer selbst, sondern auch für weitere Personen (aus der eigenen Familie und darüber hinaus) schaffen. Die Streuung der neu gegründeten Betriebe über die Wirtschaftszweige ist mittlerweile recht breit, wie Untersuchungen u.a. des Zentrums für Türkeistudien (Essen) belegen. Der Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung ist nicht unerheblich. Allerdings muß man sehen, daß dennoch der Anteil von Gaststätten und kleinen Gemüseläden überproportional hoch ist. In vielen Fällen ist sicher davon auszugehen, daß diese Art von Selbständigkeit eine eher riskante Ausweichreaktion auf die Arbeitslosigkeitssituation ist. Häufig fehlt die ökonomische Basis und die qualifikatorische Voraussetzung für einen dauerhaften Bestand der neuen Existenz. Es besteht somit die Gefahr des Verlustes des eingesetzten Sparkapitals. Außerdem: es werden zwar Beschäftigungsmöglichkeiten u.a. auch für eigene Familienmitglieder geschaffen. Aber nicht selten werden die eigenen Kinder dabei ohne die Möglichkeit zu einer beruflichen Ausbildung beschäftigt. Dies bedeutet, daß zwar vielleicht kurzfristig für die Kinder gesorgt ist, daß ihre Zukunftsperspektiven aber eher negativ beeinflußt werden.

Andererseits kann jedoch festgestellt werden, daß die Selbständigenquoten[7] für Ausländer, insbesondere für Türken, trotz der starken Zunahme der Selbständigenzahlen noch weit unter der Gesamtselbständigenquote liegt (siehe Graphik 12). Dies deutet an, daß hier durchaus ein Entwicklungspotential gegeben sein kann. Es kann allerdings nur realisiert werden, wenn die Voraussetzungen hierfür sichergestellt sind. Gerade auch für den Aufbau einer eigenen Existenz ist eine gute Qualifikation unbedingt erforderlich. Somit taucht wieder das grundlegende Dilemma auf, das schon mehrfach angesprochen wurde: die erheblichen Qualifikationsdefizite von Ausländern, insbesondere von Türken, und dies auch bei Jüngeren, die noch viele Jahre einer Erwerbstätigkeit vor sich haben.

8. Die Entwicklungslinien für die Beschäftigung sind klar vorgezeichnet: Arbeitsplätze werden weiter vor allem im Dienstleistungssektor entstehen, und es werden hierfür gutqualifizierte Arbeitskräfte benötigt. Ausländer sind in großem Umfang für den Wettbewerb um Arbeitsplätze nicht gewappnet. Es müssen die Anstrengungen wesentlich intensiviert werden, zum einen um das Qualifikationsniveau bereits im Berufsleben stehender Ausländer zu verbessern, und zum anderen um sicherzustellen, daß die heutigen Schüler das Bildungssystem gut qualifiziert verlassen.

Die Ergebnisse von Untersuchungen zur zukünftigen Beschäftigungsentwicklung sind eindeutig. Arbeitsplätze im produzierenden Bereich werden immer weniger werden, und die Bedeutung der Dienstleistungsbereiche für die Beschäftigung wird weiter zunehmen. Während im Jahre 1995 bereits ca. 62% aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor gearbeitet haben, wird dieser Anteil nach Ergebnissen von neuen Projektionen des IAB bis zum Jahre 2010 auf ca. 69% steigen . Damit einhergehend werden sog. produktions-orientierte Tätigkeiten (mit eher geringeren Qualifikationsanforderungen) weiter zurückgehen. An Gewicht gewinnen werden Tätigkeiten der sog. sekundären Dienstleistungen, wie Beratung, Management und Forschung/Entwicklung. Und hierfür werden sehr gut qualifizierte Arbeitskräfte benötigt. Daraus abgeleitet ergibt sich, daß der Bedarf an geringqualifizierten Arbeitskräften wesentlich geringer werden wird. Gleichzeitig wird der Bedarf an Hoch-, Fachhochschul- und Fachschulabsolventen bis zum Jahr 2010 deutlich zunehmen.

Natürlich ist klar, daß es nicht "die" Ausländer gibt. Viele Ausländer (auch Türken) sind gut qualifiziert und haben von daher gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft. Besorgniserregend ist allerdings, daß es - wie oben dargestellt - bisher nicht gelungen ist, das Qualifikationsniveau bei einigen Ausländergruppen im Durchschnitt wesentlich anzuheben. Dies bedeutet bei den absehbaren Tendenzen der Beschäftigung, daß auch in Zukunft Ausländer mit hoher Arbeitslosigkeit zu rechnen haben, oder gar damit, noch stärker vom Arbeitsmarkt verdrängt zu werden. Viele der ausländischen Schülerinnen und Schüler von heute werden in wenigen Jahren immer noch schlechter qualifiziert als ihre deutschen Mitschüler das Bildungssystem verlassen und dann Schwierigkeiten haben, eine Lehrstelle bzw. einen Arbeitsplatz zu finden.

Hier sind wesentliche Anstrengungen der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik erforderlich. Geringere Klassenfrequenzen, geringere Ausländerkonzentrationen (Sprachproblematik!) und mehr speziell qualifiziertes Lehrpersonal müssen sichergestellt werden. Auch müssen Weiterbildungsmöglichkeiten verstärkt angeboten werden, über die Schulabschlüsse nachgeholt werden können. Hier können sicher auch spezifisch ausgerichtete Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik stärker eingesetzt werden.

Dies alles löst zwar nicht das Grundproblem, daß letztlich im Vergleich zur Entwicklung des Arbeitskräfteangebots zu wenig Arbeitsplätze entstehen. Aber es trägt auf jeden Fall zunächst zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt bei. Und es verhindert, daß tendenziell ganze Gruppen unserer Bevölkerung existentiell noch weiter an den Rand gedrängt werden. Die Konflikte, die hieraus entstehen können, dürften letztlich teurer werden als die Investitionen, die u.a. für das Bildungssystem erforderlich sind.

In der aktuellen Debatte um eine deutsche "Greencard" und über den künftigen Bedarf an Zuwanderungen darf man die Lage der bereits hier lebenden Ausländer nicht aus den Augen verlieren. Die Attraktivität des Standorts Deutschland für Wanderungswillige in aller Welt wird entscheidend durch seine Integrationsfähigkeit bestimmt. Ein Einwanderungsgesetz müßte neben den Wirkungen auf den Arbeitsmarkt auch die Konsequenzen ins Kalkül ziehen, die daraus u.a. für das Bildungssystem, für das System der sozialen Sicherung und für die Wohnungssituation erwachsen. So ließe sich die offenbar weit verbreitete Angst vor dem Fremden wirksam eindämmen.

Nutzen wir doch auch die Chance, ein Potential zu haben, das tendenziell zweisprachig ist und das auch einen Bezug zu anderen Kulturen hat. Dies ist gesellschaftspolitisch, aber auch wirtschaftspolitisch eine interessante Aufgabe.


Tabellen und Grafiken als EXCEL-Datei:

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[1] Bei der Analyse der Arbeitsmarktsituation von (ehemaligen) Einwandern (bzw. deren Nachkommen) wäre es in Deutschland eigentlich notwendig, auch die Situation von Aussiedlern in die Untersuchung einzubeziehen. Diese haben häufig sehr ähnliche Probleme wie Ausländer. Da Aussiedler nach ihrer Ankunft in Deutschland jedoch automatisch Deutsche sind, sind sie in den hier verwendeten Statistiken nicht mehr getrennt wahrnehmbar. Auf Untersuchungen zur Arbeitsmarktsituation von Aussiedlern z.B. von Barbara Koller oder Barbara Dietz wird hier hingewiesen.

[2] Allerdings ist zu beachten, daß in den letzten Jahren die Anzahl von Einbürgerungen insbesondere von Türken doch recht deutlich zugenommen hat (vgl. Tabelle 3). Immerhin haben ca. 170.000 Türken in den vergangenen 10 Jahren (mit steigender Tendenz) die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Die Berücksichtigung dieser Tatsache ist bei einer Problemlagenanalyse wie dieser wichtig, da Probleme etwa auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungsbereich mit der Einbürgerung nicht automatisch verschwinden.

[3] Dargestellt durch die Erwerbsquote. Dies ist der Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige + Arbeitslose) an den jeweiligen Personen im erwerbsfähigen Alter (15- bis unter 65Jährige).

[4] Einen Sonderfall stellt der starke Abfall von 20 %-Punkten der Erwerbsbeteiligung bei den Personen aus dem früheren Jugoslawien dar und wird v.a. die umfangreiche Zuwanderung von Bürgerkriegsflüchtlingen beeinflußt.

[5] Die Erwerbstätigenquote ist der Anteil der Erwerbstätigen (abhängige und selbständige) an den jeweiligen Personen im erwerbsfähigen Alter (15- bis unter 65Jährige).

[6] Für diese Aussagen wurden Daten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ("Beschäftigtenstatistik" der Bundesanstalt für Arbeit) ausgewertet.

[7] Selbständigenquote: Selbständige (hier: ohne mithelfende Familienangehörige) in von Hundert der jeweiligen Gesamterwerbstätigen.

Autor: Elmar Hönekopp, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

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