Ausländer in Deutschland 2/2000, 16.Jg., 30. Juni 2000

KULTUr


Die mit den Latinos tanzen

Melancholie und vielfältige Saucen

Alles nur eine Sauce*?

Lateinamerikanische Musiken und Tänze - ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Bachata, Bolero, Bossa Nova, Capoeira, Cha Cha Cha, Charanga, Cumbia, Danzon, Forro, Gaita, Lambada, Macarena, Mambo, Merengue, Milonga, Pachango, Porro, Pagode, Paso-Doble, Punta, Reggae, Rumba, Salsa (*deutsch: Sauce), Samba, Samba-Reggae, Son, Tango, Vallenato...

außerdem: Pop, Rap, Rock, Techno & Co.

 

Lebensfreude, Leidenschaft, Sonne & Meer, jedenfalls viel Gefühl - dafür steht Musik aus Lateinamerika bei uns. Und die dazugehörigen Tänze gelten als Import von Sinnlichkeit pur. Doch diese besondere Migration von Kulturelementen ist keine Einbahnstraße.

Eine Glaubensfrage scheidet die Geister, wenn es um lateinamerikanische Tänze geht: "Es sieht einfach zu eckig, zu aufgesetzt aus, wenn Deutsche (Europäer/Nicht-Latinos usw.) so was zu tanzen versuchen," sagt die eine Fraktion und fügt vielleicht noch an: "Ja, uns liegt das einfach nicht in den Genen." Letzteres findet die andere Fraktion zwar - vielleicht auch, aber egal, sie wirft sich ins Geschehen und versucht sich als Freizeit-Latino auf dem Parkett. In Wellen ebbt die Begeisterung für lateinamerikanische Tänze in Deutschland immer wieder auf. Eine der engsten Verbindungen zu Lateinamerika? Vielleicht. In jedem Fall eine der schönsten.

Natürlich gibt es "die" lateinamerikanischen Tänze und Musiken ebenso wenig wie "die" europäischen. Echte Volkstänze haben ebenso wenig Chance auf Verbreitung in Deutschland wie Rockmusik aus Buenos Aires, der lateinamerikanischen Hauptstadt des Rock, oder gar solche aus den Anden. Wenn derlei nicht gewohnt "latino" klingt, dann ist das für Europäer "wie Russland ohne Winter", vermutet ein junger Argentinier. In die internationalen Charts schaffen es nur wenige Rockbands (wie z.B. die Heavy Metal Band Sepultura).Was für uns "latino" ist, das hat Geschichte, eine nicht immer nur positiv erlebte. Generationen von Tanzschülern in Deutschland lernten Rumba, Cha Cha Cha, Samba und Tango. In der Generation unserer Eltern (oder bei den Älteren unter uns) galt derlei noch als Bestandteil einer Einführung in die ("bessere") Gesellschaft, im Rahmen von gewöhnlich etwas steifen Veranstaltungen.

Attraktivität bei einem wachsenden jungen Publikum finden dagegen in den letzten Jahren zum Beispiel die fröhlich-lustvollen Tänze aus Mittelamerika, als Mambo, Merengue, Salsa und Co. in Mode kamen. Was in Filmen wie "Dirty Dancing" noch bestaunt wurde, ist eine Art Freizeitsport geworden, schweißtreibend getanzt sowohl in der Wochenenddisco als auch im Fitnesstudio. Nicht wenige Latinos konnten inzwischen die Chance nutzen, sich als Tanzlehrer zu profilieren, wobei die Qualifikation dazu ab und an erst in Deutschland erworben wird: auch eine Folge des Klischees von der "Musik in den Genen".

Der argentinische Tango jedoch scheint auf lange Sicht der langlebigste Import. Die jüngste Tangowelle hält Tanzkurse und -workshops seit Jahren im Aufwind, und das Internet spornt die Begeisterten weiter an, indem es sie zusammenbringt und sogar Qualitätsvergleiche verschiedener Veranstaltungsorte möglich macht. Knapp 14.000 Fundstellen in deutscher Sprache ermittelt die Internet-Suchmaschine All the Web für "Tango".

T wie Tango

Eine frühe Verbindung zwischen Europa und Argentinien in Sachen Tango liegt noch vor dessen eigentlicher Entstehung: Der Deutsche Heinrich Band entwickelte das Bandonion aus der Deutschen Concertina und gründete 1843 in Krefeld die erste Bandonion-Fabrik. Deutsche Seeleute und Auswanderer brachten es noch vor der Jahrhundertwende an den Rio de la Plata. Eine spezielle Exportversion wurde weiterhin in Deutschland hergestellt: das Bandoneon.

Die Immigration des Tango nach Europa im frühen 20. Jahrhundert lässt sich nicht genau nachvollziehen. Einige Quellen sagen, Frauenhändler hätten ihn von Reisen zwischen Hamburg, Marseille und Buenos Aires mitgebracht. Oder kam er 1907 mit dem profilierten Musikertrio Villoldos und Ehepaar Gobbi aus Argentinien direkt in die Aufnahmestudios nach Paris? Etwa gleichzeitig, so sagen wieder andere Quellen, führte José Sentis, ein katalanischer Pianist, Tango-Akkorde in die Pariser Salons ein, und argentinische Gäste zeigten zum ersten Mal, wie man ihn tanzt. Vielleicht sind die Umstände seiner Einreise weniger wichtig, denn es schien, als hätte man in der Alten Welt auf diesen Tanz gewartet. Geboren in den Vorstädten Argentiniens, getanzt von Halbweltherren und Feierabendvamps, von denen die dortige bessere Gesellschaft sich fern hielt, hatte der Tango 1910 bereits ganz Paris erobert. In eigens eröffneten Akademien lehrte man ihn in einer besonderen Pariser Version: "ein langsamer, eleganter, vornehmer, aristokratischer, sittsamer und komplizierter Tanz. Die Paare zählen die Schritte mit einer außergewöhnlichen Achtsamkeit. Nur der geringste Fehler, und alles ist verloren," so der Schriftsteller Enrique Gómez Carillo. Leidenschaftlicher erscheinen da die Gegner des Tango. In einer Schmähschrift von 1913 greifen sie ihn heftig an als "ein von Schmeicheleien und mondsüchtiger Dummheit triefendes Segelschiff." Doch dieses war nicht aufzuhalten, und so verbreiteten sich kurz vor dem ersten Weltkrieg nicht nur der Tanz selbst, sondern dazu auch Tango-Tees, bei dem man Tango-Champagner trank und Tango-Kleider trug, zum Beispiel tango-farbene. Papst Pius X. hatte den Tanz 1914 noch verbieten wollen, nahm aber nach einer Darbietung doch davon Abstand. Paris war eine Art Welthauptstadt des argentinischen Tango geworden, und von hier aus trat er nun zur Re-Migration nach Buenos Aires an, wo sich dem quasi geadelten Rückkehrer nun die Türen zu mittleren und höheren gesellschaftlichen Schichten öffneten. Nach dem ersten Weltkrieg verbreitete sich der Tango zwar weiterhin in Europa, verlor jedoch seine Vormachtstellung, zunächst an den Charleston.

Wie lange die jüngste Welle der Tangoeuphorie anhält, kann nicht vorhergesagt werden. Doch durch eine Ehrung der besonderen Art ist der Tango auf Dauer aus der Vielfalt aller Tänze hervorgehoben: In den Kontrolltürmen der Flughäfen buchstabiert man international "T wie Tango".

Zum Weiterlesen: 

Matices - Zeitschrift zu Lateinamerika, Spanien und Portugal. Musica Latina I, Nr. 20 Winter 1998/9 und II, Nr. 25 Frühjahr 2000

Salsa- und Latinotanzangebote nach Städten in Deutschland und international: www.latin-dance.de

Tango-Links: 
http://www.cyber-tango.com , http://www.tango-go.de,

Tangosalons, Tanzschulen, Termine nicht nur in Berlin: http://www.tangoberlin.de .


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Flüchtling, Schriftsteller, Botschafter Chiles:

Antonio Skármeta

1973, im Jahr des blutigen Militärputsches in Chile und des Sturzes von Salvador Allende, verlies der Schriftsteller Antonio Skármeta mit seiner Familie die chilenische Heimat. 14 Jahre lebte er in Berlin. Für seine künstlerischen Arbeiten erhielt er zahlreiche internationale Auszeichnungen. Sein bekanntestes Buch "Mit brennender Geduld" (1985) wurde allein in deutscher Sprache 160.000 mal verkauft und war auch als Film ein großer Erfolg: "Il postino/Der Postmann" (mit Philippe Noiret und Massimo Troisi), die Geschichte von Pablo Neruda, der einem jungen Postboten Gedichte für dessen Geliebte schenkt. Im Mai ist Skármeta nach Deutschland zurückgekehrt; er wurde zum Botschafter seines Landes in Berlin berufen. Und er hat ein neues, bezauberndes Buch mitgebracht: "Die Hochzeit des Dichters", ein Roman über Liebe und Politik, an dem vor allem der feine Humor besticht. Das Buch erscheint im August beim Piper Verlag und kostet 39,80 DM. 


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

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Zé do Rock

Kreativer Sprachreformer

"ich bin for ferdammt langa zait in Porto Alegre, Brasilien, geboren, hab nix studirt und leb noc hoite, maistens in Myncen," so beschreibt sich bescheiden Zé do Rock, Autor zahlreicher Artikel und mehrerer Bücher, kreativer Sprachreformer lange vor der deutschen Rechtschreibreform. Rocks bekanntestes Buch "vom winde ferfeelt" enthält autobiografische Einblicke, wie es dazu kam: "ein brasilianer trämpt um die welt und hat dauernd probleme mit roiban, polizai und fraun. als er maint, er hätte das gröbste hinter sic, begegnet er der doitshen sprace." Was Zé do Rock mit dieser anstellt, ist vergnüglichst nachzulesen in "fom winde ferfeelt", Piper Verlag. Dort erschien gerade sein zweites Buch als Taschenbuch: "Ufo in der Küche" (16,90 DM). Es ist wie das erste in "ultradoitsh" und "wunschdeutsch" geschrieben, und die hinreißenden Abenteuer dieses "autobiografischen seiens-fikschen" machen Rocks Rechtschreibreform in kürzester Zeit nachvollziehbar und sympathisch. - Für AiD (siehe Glosse: Ein Lateinamerico in Deutshland) hat Rock aufgeschrieben, wie es sich lebt als "Lateinamerikaner in Deutschland". (mlg)


Autorin: Marie-Luise Gries, isoplan

Foto: M. Bauer

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Deutsche Brasilianer und ihre Fußballkünste

Die besten deutschen Bundesligateams haben mindestens einen "Latino" unter Vertrag: Beim DFB-Pokalfinale am 6.Mai 2000 spielten bei Werder Bremen Pizarro (Peru) und Ailton (Brasilien) gegen Elber und Sergio (beide Brasilien) sowie Jungstar Roque Santa Cruz (Paraguay) von Bayern München. Letztere gewannen nach dem Pokal überraschend auch die Meisterschale - knapp vor Bayer Leverkusen mit dem Spielemacherduo Emerson und Zé Roberto (beide Brasilien) sowie dem gebürtigen Brasilianer und heutigen deutschen Nationalspieler Paolo Rink. Den Hamburger SV führte Cardoso (Argentinien) auf Platz 3. Weniger erfolgreich waren die Brasilianer Ratinho (1.FC Kaiserslautern), Alves (Hertha BSC), Dédé und Evanilson (Borussia Dortmund). Apropos Erfolg. Einem alten Klischee zufolge ist der deutsche Fußball taktisch, kraftbetont und erfolgreich. Lateinamerikanischer Fußball ist dagegen technisch brillant aber erfolglos. Als sich Roberto Carlos von Real Madrid jüngst über die fehlende deutsche Spielkultur lustig machte, erboste dies Elber (Foto) derart, dass er Madrid ein wunderschönes Tor ins Netz setzte und sagte: "So, jetzt weiß er, daß wir Deutschen auch schön spielen können". 


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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